Şerife Wong: „Ich wünsche mir vernetzte KünstlerInnen- und Wissenschaftsteams“

Şerife Wong,

Şerife Wong ist Künstlerin, Aktivistin und Ethikberaterin rund um das Thema der künstlichen Intelligenz. Sie rät uns der KI und wie sie uns als Gesellschaft verändert viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Bereits als Programm-Managerin des Autodesk Residency Programms hatte sie mit sehr vielen interdisziplinären Teams zu tun und konnte wertvolle Verschränkungen mehrerer Bereiche aus Wissenschaft, Technologie und Kunst beobachten – ein Ziel, dem sich auch die STARTS-Initiative verschrieben hat.

Hinweis: Der Einreichschluss zum STARTS Prize 2019 endet am 11. März 2019. Weitere Infos dazu unter starts-prize.aec.at!

Sie beschäftigen sich schon länger mit dem ethischen Blickwinkel auf neue Technologien. Worauf müssen wir Menschen besonders achten, wenn wir uns selbst mit immer mehr an künstlicher Intelligenz umgeben?

Şerife Wong: Es ist eine Herausforderung für unsere Gesetze und für die Politik, mit dem Tempo der Innovation Schritt zu halten. Wir selbst können aber damit beginnen, der Technologie mehr Aufmerksamkeit zu schenken – aber das tun wir ja bereits. Technologie macht unser Leben bequemer, sie verbindet uns miteinander, sie macht Spaß, sie macht uns produktiv – aber um wirklich aufmerksam zu sein, müssen wir anfangen sie zu beobachten. Fangen wir am besten bei uns selbst ein: Achten wir doch darauf, welche Technologie wir verwenden, wie wir sie verwenden, welche Veränderungen sie in uns hervorrufen. Und dann erweitern wir den Kreis: Was sind die Vorteile der Technologie? Was sind die negativen Auswirkungen, die wir bei anderen Menschen gesehen haben? Und dann können wir zu den Unternehmen wechseln: Wie verwenden sie unsere Daten? Stehen sie im Einklang mit unseren Werten? Wer stellt diese Tools her? Gerade wenn es um einen globalen Markt geht, ist es sehr wichtig, wie die Teamvielfalt in diesem Unternehmen aussieht. Und dann müssen wir auf das umfassende Bild betrachten: Wie nutzt die Gesellschaft die Technologie? Wenn wir zum Beispiel algorithmische Entscheidungshilfen heranziehen: sie stehen über absolut alles und es gibt keine Rechenschaftspflicht oder Transparenz und sie sind oft falsch, sie werden verwendet, wenn wir uns um Jobs bewerben, sie entscheiden, wer die Lebensläufe bekommt, sie entscheiden, wer allein ist, wer in eine Schule geht, sie werden in der Strafverfolgung eingesetzt, sie bestimmen, in welchen Stadtteilen die Polizei vor Ort ist, sie werden in der Strafjustiz eingesetzt, sie bestimmen, wer eine Bewährung erhält. Sobald wir all dem unsere ganze Aufmerksamkeit widmen, denke ich, ist es wirklich unmöglich, sich keine Gedanken darüber zu machen, wie KI-Systeme in unser Leben integriert werden, wenn wir gerade erst damit begonnen haben, die gesellschaftlichen Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf uns Menschen zu untersuchen.

Mit dem Icarus Salon haben Sie eine Initiative geschaffen, die sich genau diesen Fragen stellt. Eine davon ist auch auf der Website des Icarus Salon abgebildet, die ich gerne gleich an Sie weiterleiten möchte: Was fehlt im Bereich KI und Gesellschaft?

Şerife Wong: KI und Gesellschaft sind ein schnell wachsendes Feld. Es gibt viele großartige Menschen und Institutionen, die an Kernproblemen arbeiten – Fairness, Transparenz, Verantwortlichkeit, Governance, etc. Es ist wichtig, dass dieses Feld interdisziplinär ist, eine größere Vielfalt von Menschen einbezieht und den Dialog zwischen ihnen fördert. Das ist ein Hauptziel des Icarus Salons. Wenn ich die Metapher von den Blinden und dem Elefanten aufgreife: Wir haben viele Leute, die mit unterschiedlichen Meinungen zusammenkommen, die wie der Blinde einen Rüssel berührt und denkt, dass es eine rüsselartige Kreatur ist und so weiter. Aber auch niemand liegt wirklich falsch, aber die Leute sind in ihrer Wahrnehmung begrenzt. Wir haben also nur ForscherInnen und WissenschaftlerInnen, die an diesen Problemen arbeiten. Wir untersuchen alle nur ein Bein, und es arbeiten nur Regierungen und politische EntscheidungsträgerInnen oder WissenschaftlerInnen daran. Und heraus kommt nur eine Geschichte wie ein privater Rumpf. Die KI wirkt sich auf alle aus. Und jeder muss am Tisch sitzen, um das Thema anzugehen. Was fehlt, wenn wir uns diesen großen Elefanten ansehen, ist eine größere Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen allen, die die verschiedenen Bereiche ausfüllen, und dann brauchen wir auch eine Rundumsicht für eine Vielzahl von Menschen um diesen Elefanten herum. Wir brauchen mehr KünstlerInnen, wir brauchen mehr StudentInnen, wir brauchen MitarbeiterInnen aus jeder Berufsart, wir brauchen mehr SozialwissenschaftlerInnen, wir brauchen alle.

Sie sind zum ersten Mal Jurorin beim STARTS Prize der Europäischen Kommission. Wo liegen für Sie persönlich die Gemeinsamkeiten von Wissenschaft, Technologie und Kunst?

Şerife Wong: Wissenschaft, Technik und Kunst finden seit Anfang an in symbiotischen Beziehungen statt. Als wir uns Technologie in der Landwirtschaft angeeignet hatten, konnten wir mit dem Schmieden beginnen. Dann begannen wir, eine Kultur zu schaffen, die es uns ermöglichte, mehr Technologie zu entdecken und mehr Kultur zu schaffen und mehr über die Welt zu erfahren. Wir hatten mehr Wissenschaft, mehr Innovation, und dann überleben wir nicht nur, wir schaffen einen Überschuss, und wir haben uns ein sehr komplexes Wirtschaftssystem geschaffen. Aber die Dinge, die sich gemeinsam entwickelt haben, sind nicht wirklich so weit auseinander. Sie unterscheiden sich vielleicht in der Sprache, die wir verwenden, aber im Wesentlichen geht es bei ihnen um menschliches Potenzial, Neugier und Veränderung. Auch wenn das Wort Technologie vom griechischen Wort techne stammt, das ein Wort für Handwerk und Kunst ist, ist es eine Art philosophischer Vasall für das Handwerk. Und ich denke, diese Linien verschwimmen immer mehr, das Tempo der Technologie nimmt zu, und diese Dinge nähern sich einander an.

Im Autodesk Technology Center Pier 9 in San Francisco haben Sie sich unter anderem mit der Zukunft von neuen Technologien wie Robotik, Virtual Reality oder aber auch 3D-Druck beschäftigt. Welche Rahmenbedingungen glauben Sie, braucht es in Europa, damit die Zusammenarbeit aus den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Kunst besser funktioniert?

Şerife Wong: Für uns als Gesellschaft ist eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie besonders wichtig. Es gibt viele KünstlerInnen, die Technologie und Wissenschaft in ihrer Arbeit einsetzen. Es ist sowohl ein Werkzeug als auch ein Thema, das erforscht werden kann, so wie viele WissenschaftlerInnen und TechnologInnen die Grenzen auf kreativem Wege erweitern. Am Pier 9 trafen wir Kreative, die nicht KünstlerInnen genannt werden wollten, wir begegneten ForscherInnen, die gerade entdeckt hatten, dass ihre Arbeiten auch als Kunst betrachtet werden können. Diese Orte der Forschung und Innovation und der Wirtschaft brauchen wirklich KünstlerInnen, die in diese Prozesse eingebunden sind. Ich liebe sie, die Residencies bei Bell Labs, aus ihnen kamen KünstlerInnen wie Rauschenberg hervor. Das tun sie immer noch. Dort findet man KünstlerInnen, die mit ForscherInnen zusammenarbeiten. Ich bin auch auf andere Förderungen und Residencies bei Unternehmen aufmerksam geworden, bei Google, bei Adobe oder bei Autodesk. Auch habe ich private Institutionen gesehen, die Spaß an gemeinsamen Experimenten zwischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnenn haben. Diese Gemeinschaften sind in ihrer Absicht erfolgreich – die Kreativität zu erhöhen oder Möglichkeiten fördern und vielleicht mehr Erkenntnisse daraus zu gewinnen. Aber ich glaube nicht, dass selbst das genug ist.

„Ich würde mir wirklich wünschen, dass die Teams in jedem Innovationszentrum ein wenig weiter gehen und wirklich vernetzte KünstlerInnen- und Wissenschaftsteams entwickeln, die ihre Ideen integrieren und nicht nur Konzepte ausleihen.“

Haben Sie einen Tipp für die EinreicherInnen zum STARTS Prize 2019?

Şerife Wong: Ich bin so gespannt auf die diesjährigen Bewerbungen. Ich liebe die ausgefallene Schnittstelle zwischen den Genres und der Forschung, über die sich noch nie jemand zuvor Gedanken gemacht hat. Und meiner Erfahrung nach fällt es den Kreativen anfangs schwer, über ihre eigene Arbeit zu sprechen. Gerade hybride Projekte sind besonders schwer zu formulieren. Man braucht keine eigene Sprache für etwas erfinden, das noch nie zuvor gemacht wurde. Gerade dann, wenn es an den Randbereichen liegt, wie Forschungs- und Kunstfelder historisch gesehen betrachtet wurden. Es ist auch schwierig, darüber zu sprechen, was man tut, wenn es sich um eine private Evolution oder einen privaten Prozess handelt. Also, glaubt an eure Arbeit, oft spricht sie für sich selbst, aber wenn du feststeckst, dann frage Leute, die mit dem, was du tust, vertraut sind, nach Feedback und wie du deine Dokumentation verbessern könntest. Und ich wünsche dir alles Gute und viel Glück!

Şerife (Sherry) Wong (US/TR) ist Künstlerin, Aktivistin und KI Ethikberaterin. Im Jahr 2018 gründete sie den Icarus Salon, eine Initiative zur Bereicherung des Dialogs über die Ethik der neuen Technologien. Sie war Programm-Managerin des Autodesk Residency Programms und gründete die Impact Residency am Pier 9 Technology Center (San Francisco, 2015-2018), wo sie mit über 100 führenden kreativen Technologen und Technologinnen zusammenarbeitete, die sich mit der Zukunft der Robotik, AR/VR, Technik, 3D-Druck und Architektur beschäftigten. Şerife Wong hat auch im Entwicklungsteam der Electronic Frontier Foundation gearbeitet und war stellvertretende Redakteurin des Artnet Magazins. Als Künstlerin hat sie international an Orten wie der Art Basel Miami, der Shanghai Art Fair, der FIAC Paris, ARCO Madrid und der Art Cologne ausgestellt. Sie konzentriert sich nun auf ihre KI-Ethikarbeit, die die Mitarbeit in einem wissenschaftlichen Beirat für USAID und Duke University über die zukünftige Nutzung von KI zur Bewältigung humanitärer Herausforderungen sowie die Erforschung der KI-Ethik und Governance für das Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences an der Stanford Universität umfasst.

This project has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 732019. This publication (communication) reflects the views only of the author, and the European Commission cannot be held responsible for any use which may be made of the information contained therein.

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