„Der Ars Electronica Campus ist wie eine Wunderkammer“

Header_Campus, A reactive poetry machine, Fabian Frei (CH)

57 Universitäten aus aller Welt, über 200 Projekte, unzählige Studierende, mehrere Konferenzen unter einem Namen: Ars Electronica Campus! Initiiert wurde das Format 2002 von Reinhard Kannonier (Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz) und Gerfried Stocker (Ars Electronica), und lädt seitdem herausragende internationale Universitäten ein, ihre Arbeiten am Ars Electronica Festival zu zeigen. In den 18 Jahren ihres Bestehens hat sich die Ausstellung auch immer mehr zu einer Plattform nicht nur für die Präsentation von Projekten der Alumni, ProfessorInnen oder MitarbeiterInnen entwickelt, sondern auch ein weltumspannendes Netzwerk gebildet, das Synergieeffekte im Bereich der Wissenschaft und Kunst möglich macht. Was uns heuer erwartet, welche großartige Partneruniversität ebenfalls einen runden Geburtstag feiert und warum das Format eines der beliebtesten des Festivals ist, erzählen Projektleiterin Violeta Gil Martínez und Kuratorin Manuela Naveau.

In diesem Jahr sprechen wir viel über die Geschichte der Ars Electronica. Weißt du, wann die Zusammenarbeit zwischen der Kunstuniversität Linz und der Ars Electronica im Bereich des Ars Electronica Campus begonnen hat? Und wie hat es angefangen?

Manuela Naveau: Wenn ich mich richtig erinnere wurde im Jahr 2002 erstmals von einem Ars Electronica Campus während dem Ars Electronica Festival gesprochen („Takeover“). Hintergrund war, dass die Kunstuniversität sich als ein Veranstaltungsort während dem Festival präsentierte. Man muss sich jedoch vorstellen, dass das Ars Electronica Festival damals viel, viel kleiner war und man die Kunstuniversität neben ORF Linz, Brucknerhaus und OK prominent in den Reigen der Veranstaltungsorte in Linz aktiv mitaufnehmen wollte. Mittlerweile meint Ars Electronica Campus ja nicht nur die Kunstuniversität als Ort und Partner, sondern steht als Synonym für Raum für internationale Hochschulen im Allgemeinen, die sich mit der Lehre von Medienkunst und -kultur auseinandersetzen. Die damit verbundenen Ausstellungen und diskursiven Formate finden schon lange nicht mehr ausschließlich an der Kunstuniversität Linz statt. Das Besondere daran ist jedoch, dass im Jahr 2004, also vor genau 15 Jahren, die Abteilung Interface Cultures an der Kunstuniversität Linz von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau ins Leben gerufen wurde, nachdem beide Künstler das IAMAS Institut nach Linz zum Campus des Ars Electronica Festival brachten. Von da an wurde Ars Electronica Campus auch ganz stark mit der Beteiligung von jungen Studierenden der Abteilung Interface Cultures der Kunstuniversität Linz in Verbindung gebracht und die Kunstuniversität war von nun an nicht nur ein Ort, wo einmal im Jahr Medienkunst und Digitale Kunst gezeigt wird, sondern seither auch gelehrt und produziert wird. Und da können wir schon stolz sein, dass basierend auf dem Einfluss der Ars Electronica eine relativ kleine Kunstuniversität in Linz unter Rektor Reinhard Kannonier einige weitere Abteilungen im Rahmen der Medienkunst, des Mediendesigns als auch der Medientheorie hervorbrachte.

Photo: vog.photo

Was ist der Zweck des Ars Electronica Campus heute und wie wird er umgesetzt?

Violeta Gil Martínez: Ars Electronica Campus soll als Austauschplattform dienen, auf der Bildungseinrichtungen aus aller Welt ihre Arbeit präsentieren und ein Netzwerk für zukünftige Projekte sowie Synergien aufbauen oder stärken können. Eine so breite Palette von Schulen aus verschiedenen Ländern und Disziplinen, gemischt und konzentriert in dem Schwarm von Räumen,die Ars Electronica Campus bilden, bietet die Möglichkeit, einen Einblick in das Panorama neuer Gedanken und Perspektiven der neuen Generation zu erhalten. Ars Electronica Campus ist auch ein spannender Überblick für die Öffentlichkeit, eine unschätzbare Inspirationsquelle und eine Erlebniswelt für die Studierenden und ProfessorInnen, die sehen können, was andere tun, und ihre eigenen Leistungen präsentieren können.

Ich habe gehört, dass in diesem Jahr eine große Anzahl von Universitäten kommen wird. Wie ist das Ars Electronica Campus-Format so groß geworden?

Manuela Naveau: Heuer sind 57 Universitäten beteiligt und es stimmt uns optimistisch, dass das Ars Electronica Festival auch in Zukunft als Plattform für die junge Generation an KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und kreativen TechnologInnen gesehen und angenommen wird. Ich denke aber auch, dass die verstärkte Internationalisierung der Hochschulen, die Notwendigkeit der Kommunikation nach außen als auch der Austausch mit verwandten Disziplinen in den letzten Jahren die Situation begünstigte, dass Universitäten nicht nur gerne nach Linz zum Austausch kamen, sondern auch keine Kosten und Mühen scheuen, die Arbeiten ihrer Studierenden nach Linz zu bringen.

Photo: vog.photo

Es gibt auch eine Konferenz, oder? Kannst du uns dazu ein bisschen mehr sagen?

Manuela Naveau: Stimmt und es ist auch nicht das erste Mal, dass eine Campus Konferenz stattfindet. Neu ist jedoch, dass wir dieses Jahr nicht nur Unis und Lehrenden die Bühne geben möchten, um ihre Arbeit und Forschung zu präsentieren. Heuer möchten wir uns auch den Status quo wie auch die Zukunft der Universitäten und der Lehre an den Schnittstellen Kunst/Design sowie Technologie- und Wissenschaftsbereich ansehen. In einer Zeit, in der alle von Krisen sprechen und wissend, dass die Wörter Krise wie auch Kritik auf demselben altgriechischen Wortstamm basieren, müssen wir, Lehrende, die Chance beim Schopf packen und selber wieder kritischer werden bzw. uns fragen, welchen Raum wir schaffen müssen, um bei den Studierenden verstärkt kritisches Denken zu evozieren und zu kultivieren.

Jedes Jahr gibt es eine zentrale Partneruniversität. Wer wird es dieses Jahr sein und kannst du uns etwas über sie erzählen?

Violeta Gil Martínez: Unser diesjähriger Partner ist die Bauhaus-Universität Weimar, eine der einflussreichsten Designschulen aller Zeiten, die 100 Jahre alt wird. Ausgehend vom Jubiläum als „Ausgangspunkt für eine Überarbeitung von Handlungsspielräumen und Zukunftsstrategien“ feiern sie mit uns die Ausstellung „Shared Habitats“ an der Kunstuniversität Linz und weitere Projekte aus den Bereichen Experimentelles Radio, Medienumfeld, Mensch-Computer-Interaktion und Produktdesign, die sich in der Themenausstellung in der POSTCITY befinden werden. Darüber hinaus werden sie einen Zyklus von Konferenzen mit dem Titel „Wir sind nicht allein“ vorstellen, in dem sie darauf hinweisen, dass unsere Technologien keine passiven Werkzeuge sind, die wir mit den Händen benutzen. Vielmehr sind sie zu co-kreativen Teammitgliedern mutiert, und das bringt uns dazu, unsere Rolle als Schöpfer zu überdenken.

Die von Ursula Damm kuratierte Ausstellung „Shared Habitats“ zeigt vierzehn Werke digitaler, biologischer und interaktiver Natur. Wie sie erläutern, untersucht die Ausstellung die Wechselwirkungen des Menschen mit nicht-menschlichen Lebewesen sowie mit Maschinen und Technologien. Um neue Wege des Verständnisses zu entwickeln, schlägt die Ausstellung kontinuierliche, sich entwickelnde Feedbackprozesse zwischen den jeweiligen Akteuren vor. Sie strebt die Erweiterung des Sehens, Denkens und Handelns an.

Wie viele ihrer KollegInnen von Campus entwickeln sie Visionen und neue Bereiche möglicher Zukunftsperspektiven und versuchen, unser Verhältnis zu Technologie und Natur zu verbessern. Zu ihren Werken gehören eine VR-Installation, analoge Elektronik aus den 60er Jahren, Geräte über posthumane Ästhetik, lebende Skulpturen, Käfer und sogar ein Karaoke mit Fliegen.

Photo: Lehrstuhl Media Environments

Könnt ihr uns einen kurzen Überblick darüber geben, was das Publikum erwartet?

Violeta Gil Martínez: Der Ars Electronica Campus ist wie eine Wunderkammer, in der sich alle Arten von Geräten, Formaten und Ideen treffen, sich bekämpfen, sich aber auch gegenseitig mit Sinn füllen. Sie teilen ähnliche Sorgen über die digitale Welt und das Verhältnis der Gegensätze: Natur-Technologie, virtuelle und reale Welt, fiktive Realität und, was bei weitem das beliebteste Thema ist, das Verhältnis Mensch-Technik und die möglichen Zukunftsperspektiven, die junge Menschen aufbauen und bewältigen werden. Die Besucher finden Werke von Studierenden der Fächer Kunst & Technologie, Interface- und Interaktives Design, Architektur, Datenverarbeitung, Mode & Technologie, Visuelle Kommunikation oder Film sowie eine Vielzahl von Techniken und Darstellungen: Film, elektronische Geräte, VR, Videospiele, digitale Installationen, Performances, E-Textilien, sogar Ameisen, Schleimpilze und futuristische Musikinstrumente. Schulen wie das Bauhaus und die Fakultät für Interface Cultures der Kunstuniversität Linz, die SAIC School of the Art Institute of Chicago, die Aichi und die Tsukuba Universities aus Japan feiern ebenso wie die Ars Electronica ihr Jubiläum und werfen einen kritischen Blick zurück auf die technologische und digitale Produktion der letzten Jahre.

Manuela Naveau: Ich stimme dem, was Violeta gesagt hat, voll und ganz zu und kann nur eines hinzufügen: Es mag nicht viele Orte auf der Welt geben, an denen akademische Forschung, künstlerisch-wissenschaftliche Praxis und die vielfältigen Ausdrucksformen unserer jungen Generation von KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und kreativen TechnologInnen als eine Einheit präsentiert werden, die Ars Electronica Campus genannt wird. Zusammen bilden sie einen herausragenden und einzigartigen Teil des Ars Electronica Festivals und keine InfotrainerInnen führen durch diesen Bereich. Nur in diesem Bereich sind die Studierenden und WissenschaftlerInnen selbst diejenigen, die Informationen geben und gleichzeitig nach Antworten, Diskussionen und Reflexionen zu dem suchen, was im Ars Electronica Campusbereich zu sehen ist.

Violeta Gil Martínez (1988, Spanien) ist verantwortlich für Ars Electronica Campus beim Ars Electronica Festival. Sie ist Kulturmanagerin, Musikerin und Techfrau. Seit fünf Jahren arbeitet sie mit kreativen Technologien und deren Vermittlung, durch Lehren und Organisieren von Workshops zu E-Textilien, Musik und DIY Electronics, zurzeit beim Verein Sounds Queer? Vienna. Als autodidaktische Musikproduzierende ist für sie Neugier die treibende Kraft, sowie Wissensförderung und Hands-on Ansätze die besten Möglichkeiten zu Lernen.

Manuela Naveau (AT) ist Künstlerin und Kuratorin der Ars Electronica Linz und entwickelte zusammen mit dem Künstler und Geschäftsführer Gerfried Stocker die Abteilung Ars Electronica Export. Sie unterrichtet an der Universität für Kunst und Design Linz sowie an der Paris Lodron University in Salzburg und der Donau-Universität Krems. Ihre Forschung beschäftigt sich mit Netzwerken und Wissen im Kontext von künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsmethoden und -praktiken. Ihr Buch „Crowd and Art – Kunst und Partizipation im Internet“ wurde 2017 im transcript Verlag, Deutschland, veröffentlicht. Das Buch basiert auf ihrer Dissertation, für die sie 2016 vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft mit dem Award of Excellence ausgezeichnet wurde. www.manuelanaveau.at www.crowdandart.at 

Ars Electronica Campus ist dieses Jahr von 5. bis 9. September 2019 am Ars Electronica Festival in der POSTCITY Linz und in der Kunstuniversität Linz zu sehen. Mehr erfahren Sie auf unserer Webseite.

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