2019 feiert nicht nur die Ars Electronica ihr 40-jähriges Jubiläum, sondern es zelebriert auch eine der bedeutendsten Schulen für Gestaltung ihre Gründung im Jahr 1919: 100 Jahre Bauhaus. Ars Electronica hat die Bauhaus-Universität Weimar eingeladen, als Partneruniversität zum Ars Electronica Campus zu kommen, um gemeinsam zu feiern, inne zu halten und darüber nachzudenken, was in diesen vergangenen Jahrzehnten gesellschaftlich passiert ist, wo wir heute stehen und wohin wir gehen wollen. Studierende, Lehrende und Alumni aus Weimar rund um Professorin Ursula Damm folgten der Einladung und präsentieren sich am Ars Electronica Festival nicht nur mit der Ausstellung „Shared Habitats“, die in den Räumlichkeiten der Kunstuniversität Linz zu sehen sein wird, sondern steuern unter anderem auch zwei Panels zum Festivalprogramm bei. Sie geben uns ihren Leitsatz mit auf den Weg: „We are not alone!“
100 Jahre Bauhaus – wo steht Bauhaus heute und was bedeutet dieses Jubiläum für Sie wie auch für die Öffentlichkeit?
Ursula Damm: In Weimar lädt alleine schon der Ort mit den Bauhaus-Bauten uns Lehrende wie Studierende ständig ein, die Tradition des Bauhauses zu reflektieren. Durch die Neugründung der Bauhaus-Universität nach der Wiedervereinigung haben wir uns für ein projektorientiertes Studium jenseits des „Meister“-Gedankens oder einer speziellen handwerklichen Ausbildung entschieden und in diesem Sinne auch entwickelt. Die Emanzipation des Menschen aus seiner natürlichen Einbettung heraus, hin zu Selbstbestimmtheit wird hier fortgesetzt und entdeckt natürlich heute auch seine Limitierungen: menschliche Artefakte produzieren Szenarien, welche zwar Visionen bedienen, gleichzeitig aber unsere Umgebung, unsere Umwelt verändern bis hin zu bedrohen in nicht-intendierter Form. 100 Jahre Bauhaus bedeutet für uns nicht einfach, sich einer Modernismus-Kritik anzuschließen, sondern praktische Vorschläge zu machen, wie heute Gestaltung und Kunst Offenheit praktizieren: Sich stark machen für Empfindsamkeit und Sinnlichkeit als Grundlage von Entscheidungen, des Planens von Technik.
Als Enkel des Bauhauses erkennen wir, dass sich unsere Rolle ändert: Wir leben nicht mehr den genialischen Vollzug des Helden, der im Zustand der Intuition die Welt formt. Hier begegnen wir Lazlo Moholy-Nagy heute wieder, der vor 100 Jahren klagt, dass der Mensch seine vielfältigen sinnlichen wie handwerklichen Fähigkeiten über moderne Produktionsverhältnisse verloren hat. Moholy-Nagy wollte den Menschen mit Hilfe von Kunstpraktiken im Alltag neu verorten: „In dauerndem Kampf mit seinen Instinkten wird er von äußerlichem Wissen vergewaltigt”, sagt Lazlo Moholy-Nagy in seinem Buch „Von Material zu Architektur“. Seine Feststellung als Impuls begreifend möchten wir rekapitulieren, welche Formen des kulturellen Gestaltens wir heute leben möchten.
Wofür steht „We are not alone!“?
Ursula Damm: Wir Künstler und Gestalter arbeiten mit hochdifferenzierten digitalen Werkzeugen. Jeder, der mit diesen Werkzeugen vertraut ist, kennt die Schwierigkeiten, in den Welten des Synthetischen eine dichte, der analogen Welt ebenbürtige Atmosphäre zu erzeugen.
Eine bis dato ungekannte Einsamkeit hatte sich in rechnergenerierten Artefakten angesiedelt, die davon spricht, dass wir bis heute noch nicht die Gesamtheit der uns umgebenden Atmosphäre oder gar ihre Essenz erfasst haben, sodass wir sie angemessen verstehen und wiedergeben könnten. Kompensiert wird diese Einsamkeit durch virtuelle Kontakte zu Menschen über virtuelle Netze. Durch die Arbeit am Rechner und im Netz geschieht eine Verstärkung des Menschlichen und unseres Erkenntnishorizonts, während andere Formen der sinnlich-metaphysischen Kommunikation zurückgedrängt werden. Wir selbst und unsere Agenda sowie die Belange des Menschen bilden die Zivilisation, in die wir uns hineinentworfen haben. We are not alone! tröstet und mahnt: es verspricht eine Antwort der Ökosphäre – Tiere, Pflanzen, Kosmos, die zu uns auf altbekannte Weise sprechen – genauso wie es mahnt, dass wir von ebendieser Ökosphäre noch viel zu wenig verstehen. So wie wir viele andere Menschen übersehen, die nicht in unserem Kulturkreis, unserer Lebenssphäre, oder unserer sozialen Schicht leben. Und es erinnert daran, dass die Welt nicht mit der Erde oder gar unserem eigenen begrenzten Sichtfeld endet. Gleichzeitig verweist der Titel darauf, dass unsere Technologien keine passiven Werkzeuge sind, die wir mit unseren Händen führen. Sie sind vielmehr zu co-kreativen Mitspielern mutiert, die Vorhersagen treffen, Entscheidungen abnehmen und eigene Handlungsvorschläge nicht nur generieren, sondern auch umsetzen. We are not alone!
Die Ausstellung selbst wird „Shared Habitats“ heißen. Was können wir uns darunter vorstellen und welche Projekte erwarten uns?
Ursula Damm: Die Ausstellung „Shared Habitats“ untersucht den Einfluss von Technologien auf soziokulturelle Prozesse und lädt zu Begegnungen zwischen Menschen und anderen Wesen ein. Im Fokus der 16 digitalen, biologischen und interaktiven Arbeiten stehen die Verortung von Organismen in ihrer Umwelt, die Auswirkungen des Menschen auf deren Lebensräume, Interaktionen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen sowie Mensch-Maschine-Beziehungen.
Im digitalen und biotechnologischen Zeitalter enthalten unzählige Werkzeuge und Software bereits vorformulierte Modelle von Menschen, die auf der Basis stochastischer Prozesse erworben wurden. Shared Habitats versucht, diese vorgefassten Modelle des Menschen zu umgehen und stattdessen Welten für den Menschen, seine Gegenstücke und eine gemeinsame Umgebung zu schaffen, die den direkten Austausch zwischen verschiedenen Wesen ermöglicht. So etablieren wir die schrittweise Entwicklung von Feedbackprozessen zwischen den jeweiligen Agenten. Dieser Ansatz soll helfen, eine Welt vordefinierter Techniken und vorgefassten Wissens mit einer ganzheitlichen Erfahrung zu konfrontieren. Als Arbeitshypothese schlägt die Ausstellung vor, die Sinneswahrnehmung mit Hilfe technischer Objekte zu erweitern und an die Reizsphäre des anderen Wesens anzupassen.
In meiner eigenen künstlerischen Praxis erforsche ich seit Jahren das Verhalten von Mücken. Die gezeigte Arbeit Karaoke Bar steht exemplarisch für die Themen von Shared Habitats. „Drosophila Karaoke Bar“ lädt Besucher ein, mit ihrer Stimme in die Welt von Fruchtfliegengesänge einzutauchen und zu versuchen, mit diesen Wesen ein gemeinsames „Lied“ anzustimmen, wie auch immer es klingen mag. Die Arbeit von Freya Probst entstand aus einer Reihe von Experimenten mit Pflanzenwurzeln als neues Material für Design. In ihrer Installation „rhizomes“ kann man sehen, wie Kleidungsstücke über den Festivalzeitraum wortwörtlich wachsen. In „Growing Geometries — tattooing mushrooms“ versucht Theresa Schubert einfache visuelle Formen durch natürliche Prozesse zu erzeugen. Die anthropozentrische Geste des Tätowierens rückt den Pilz näher an den Menschen und hilft einen Wachstumsprozess in eine ästhetische Erfahrung zu übersetzen. Mit einem ganz anderen Ansatz zeigt Stephan Iserman unseren fragwürden Umgang mit sogenannten Nutztieren auf. In einer VR-Umgebung kann man als Schwein den aussichtlosen Weg durch einen Schlachthof erleben. Die Bandbreite der gezeigten Arbeiten ist also sehr groß.
Unsere Ausstellung löst sich somit vom traditionellen Ausstellungsumfeld eines Kunstbeobachters, indem sie eine Sphäre einer gemeinsamen „Umwelt“ aufbaut.
Wir freuen uns, unsere bisher umfangreichste Shared Habitats – Ausstellung im Rahmen des Ars Electronica Festivals an der Kunstuniversität Linz präsentieren zu dürfen. Weitere Arbeiten von Studierenden, Alumni und Lehrenden sind von: Julian Chollet, Ursula Damm, Maria Degand und Leon-Etienne Kühr, Maike Alisha Effenberg, Mindaugas Gapševičius, Jan Georg Glöckner, Kristian Gohlke und Christian Wiegert, Rico Graupner, Stephan Isermann, Sebastian Kaye, Michael Markert, Freya Probst, Homero Ruiz, Michael Markert, Maria Antonia Schmidt und Alexandra Toland.
Sie bringen neben dieser großen Ausstellung noch weitere einzelne Projekte nach Linz. Können Sie mir dazu ein wenig mehr sagen?
Ursula Damm: Es werden zusätzlich Arbeiten aus dem Umfeld des Digital Bauhaus Lab der Bauhaus-Universität Weimar, der Professur Interaction Design und der Professur Experimentelles Radio zu sehen, interaktiv auszuprobieren und zu hören sein. Jörg Brinkmanns Arbeit „Simulation“ entstand während des Studiums, hat über die Jahre aber noch an Aktualität gewonnen: die Hybridisierung der Identität, die Referenzlosigkeit von Nachrichten scheint heute als Thema aktueller als zur Zeit der Produktion. Moritz Wehrmann legt mit „Alter Ego (Version II)“ eine Arbeit aus seinem Bachelorstudium vor, die gleichzeitig ihren Weg in der Kunst wie in der Wissenschaft gegangen ist: Museumsausstellungen sowie eine Nature Publikation sind die Etappen, meines Wissens die erste Kunstinstallation, die diese Spannung erfolgreich aufbaut. Des weiteren werden Installationen und Devices von Timm Burkhardt, Max Kullmann, The Center for Haptic Audio Interaction Research (CHAIR), Rachel Smith und Hannes Waldschütz in der POSTCITY gezeigt.
Zusätzlich bietet ein Showcase des Lehrstuhls Experimentelles Radio die Möglichkeit, an einer mobilen Hörstation herausragende Audiostücke von Studierenden (Hörspiele und Features) anzuhören sowie an der täglich aufgeführten Performance des Künstlers Tommy Neuwirth »Das Netzwerk für ein bedingungsloses Grundeinkommen« teilzuhaben.
Außerdem soll es auch noch ein diskursives Format geben. Wie schaut das aus und mit welchen Fragen beschäftigt es sich?
Ursula Damm: Die Bauhaus-Universität wird mit zwei Panels einen diskursiven und theoretischen Beitrag leisten. Als konzeptueller Startpunkt findet am Eröffnungstag das Panel »We are not alone!« statt. Darin werden aktuelle Lehrmethoden vor dem Hintergrund der Bauhaustradition sowie der Einfluss technologischen Fortschritts und daraus resultierende soziale Implikationen diskutiert. Lehrende aus verschiedenen Disziplinen erläutern Ansätze, die aus der Begegnung von Kunst und Theoriebildung an Kunsthochschulen entwickelt wurden. Im Zentrum stehen Aufbrüche und Visionen, wie sie sich 100 Jahre nach der Euphorie des Bauhauses manifestieren. Teilnehmende sind Frank Eckardt, Lasse Scherffig, Alexandra Toland, Georg Trogemann und Yvonne Volkart.
In einem zweiten Panel hinterfragen Studierende des künstlerischen PhD-Studiengangs der Bauhaus-Universität Weimar kritisch und performativ den Begriff des Algorithmus. Der Titel des von Alexandra R. Toland organisierten Panels ist »slow algorithms and the hazards of standardization«. Teilnehmende sind Vanessa Farfán, Daniel Franke, Gabriel S. Moses und Theresa Schubert.
Ursula Damm studierte Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf und Medienkunst an der KHM Köln. Sie entwirft unter Einsatz von Geometrien – zunehmend unter Einbindung medialer Dispositive – Lebens- und Interaktionsräume. Aspekte des sozialen Miteinanders von Menschen und Tiergemeinschaften sowie ihrer Habitate formen kollektive Strukturen, deren Planung in ihren Werken als eine kulturelle und philosophische Aufgabe behandelt wird. Seit 1985 Ausstellungstätigkeit in Kunstinstitutionen, Festivals und internationalen Themenausstellungen. Der U-Bahnhof Schadowstrasse/Düsseldorf ist ihre erste, permanente, interaktive Installation im öffentlichen Raum. Stipendien und Fellowships u.a. an der Cité des Arts Paris, Marseille, Mailand, New York, Helsinki und Rotterdam; 2014 Gastkünstlerin des Visual Arts Department der UCSD San Diego. Als Professorin für Media Environments an der Bauhaus-Universität Weimar hat Ursula Damm eine Performance Plattform und ein DIY Biolab eingerichtet. www.ursuladamm.de https://www.uni-weimar.de/de/kunst-und-gestaltung/professuren/media-environments.
Die Ausstellung „Shared Habitats“ ist von 5. bis 9. September 2019 am Ars Electronica Festival in der Kunstuniversität Linz zu sehen. Weitere Projekte sowie das Panel „100 Jahre Bauhaus – We are not alone!“ können in der POSTCITY besucht werden. Mehr erfahren Sie auf unserer Webseite.
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