Mehrere Wochen lesen, schreiben, denken, kreativ sein und das eigene Projekt vorantreiben. Die European Media Art Platform (EMAP/EMARE) vergibt einmal im Jahr mehrere Residencies an europäische MedienkünstlerInnen in den Bereichen digitale Medien, Internet- und Computer-KünstlerInnen, FilmemacherInnen und jene, die mit medienbasierten Performances, Sound oder Video, Robotik oder Bio-Art arbeiten. EMAP unterstützt deren Forschung, Produktion, Präsentation und Vertrieb von Medienkunst in Europa und darüber hinaus.
In diesem Jahr hat sich die spanische KünstlerInnengruppe Quimera Rosa in Zusammenarbeit mit der Ars Electronica in Linz stationiert, genauer gesagt im Atelier Salzamt an der Donau, unterhalb des Linzer Schlosses und schräg gegenüber des Ars Electronica Center. In diesem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, das früher als Verwaltungsgebäude des kaiserlichen Salzlagers diente, sind heute mehrere KünstlerInnen-Ateliers mit Wohnmöglichkeiten eingerichtet. Und genau hier haben wir Quimera Rosa getroffen und über ihr Projekt „Trans*Plant“ gesprochen, das während des Ars Electronica Festival 2019 von 5. bis 9. September 2019 in der EMAP-Group-Ausstellung in der POSTCITY zu sehen sein wird.
Worum geht es eigentlich bei eurem Projekt „Trans*Plant“?
Quimera Rosa: Mit der Installation „Trans*Plant: May the Chlorophyll be with/in you”, die wir in der POSTCITY ausstellen, möchten wir unser mehrjähriges Projekt „Trans*Plant“ den BesucherInnen vorstellen und verständlicher machen, was wir 2016 ins Leben gerufen haben. Drei Jahre lang haben wir verschiedene transdisziplinäre Experimente gemacht, die sich allesamt mit dem Übergang von Mensch zur Pflanze in unterschiedlichsten Formen beschäftigten. Wir möchten Mensch und Pflanze einander näher bringen und nehmen uns dabei viele Disziplinen zu Hilfe wie Kunst, Philosophie, Biologie, Ökologie, Physik, Botanik, Medizin, Pflege, Pharmakologie und Elektronik. Ursprünglich kommen wir aus dem performativen Bereich, wo wir uns mit Themen wie Identität, Sexualität und Gender beschäftigen. Auch das steckt in diesem Projekt.
Mensch und Natur gehören also zusammen?
Quimera Rosa: Wir sind der Meinung, dass das Konzept der Natur historisch gewachsen ist, wo es darum geht, die Menschheit vom Rest der Welt zu trennen. Natur ist in dieser Perspektive eigentlich nichts „Natürliches“, sondern sie wird von uns Menschen geschaffen. Wir versuchen, diese Grenze aufzuheben.
„Es ist seltsam, dass wir akzeptiert haben, dass ein Individuum, der Mensch, zur Außenwelt begrenzt durch die Haut, ein Lebewesen ist, aber der Planet Erde als Ganzes nicht.“
Wir versuchen mit unserem Projekt diese Dualität im westlichen Denken aufzubrechen: Frau und Mann, heterosexuell und homosexuell, natürlich und künstlich, weiß und nicht weiß, normal und anormal, Mensch und Tier, Wissenschaft und Hexerei. Diese Dualitäten lassen sich auf einer fast unendlichen Liste fortführen. Alles gehört zusammen. Das ganze Leben ist eine Mischung aus allem – aus Menschen, Maschinen, Pflanzen, Tiere und so weiter.
Wir haben also auch Chlorophyll in unserem Blut?
Quimera Rosa: Wir haben im Dezember 2017 ein Bio-Hacking-Projekt realisiert und in der Galerija Kapelica in Slowenien die erste intravenöse Chlorophyll-Injektion durchgeführt und damit eine Diskussion über einen Übergangsprozess von Mensch zur Pflanze ausgelöst. Das erzeugt natürlich Ängste, Fantasien und Urteile, die wiederum eine Debatte über das Identitätssystem auslösen. Ein Selbstversuchsprozess ist kein individueller Prozess, sondern immer ein kollektiver: Ein reines Chlorophyllmolekül zu erhalten ist etwa so schwierig wie Testosteron aus der pharmazeutischen und biomedizinischen Industrie oder dem Rechts- und Gesundheitssystem zu erhalten. Das ganze Leben ist patentiert.
Chlorophyll ist hier ja auch sehr symbolisch gemeint – es ist das grüne Blut der Pflanzen. Sie können damit Licht in Energie verwandeln. Wir haben Sauerstoff in unserem roten Blut, das durch unseren Körper fließt. In gewisser Weise stehen wir Menschen mit den Pflanzen in Verbindung. Bei unserer intravenösen Chlorophyll-Injektion verwenden wir unseren Körper als Medium, um Gedanken über diese Trennung von Mensch und Natur loszutreten.
In eurem Projekt sprecht ihr auch ein mögliches Zukunftsszenario an…
Quimera Rosa: Genau – so zum Beispiel März 2036: Die jährlichen Erdressourcen sind erschöpft und wir erleben die endgültige Abschaltung des globalen Internets. Etwas mehr als ein Jahr später, im Dezember 2037 beschließt eine Bio-Hacker-Community, ein VPN-Netzwerk mit Mykorrhiza, einer Symbiose von Pflanzen und Pilzen, zu verbinden. Das Netzwerk ermöglicht es Erdpflanzen, Nährstoffe und Informationen auszutauschen. Eine symbolische Allianz, die versucht, diese Situation umzukehren.
Unsere Installation beim Ars Electronica Festival basiert auf haptischen und hybriden Low-Technologien. Videos, schriftliche Erzählungen, wissenschaftliche Ausschnitte, Mykorrhiza, das mit dem Publikum interagiert, und Biotechnologie-Materialien rund um Do-it-Yourself (DIY) und Do-it-with-Others (DIWO) sind Teil der Elemente, die das Thema und unsere transdisziplinäre und experimentelle Laborinstallation miteinander verknüpfen.
Quimera Rosa (ES/AR/FR) ist ein Labor aus Barcelona, Spanien, das Forschungen und Experimente zu Körper, Technologie und Identität durchführt. Im Bewusstsein transfeministischer und postidentitärer Diskurse versuchen sie, mit hybriden und flexiblen Identitäten zu experimentieren, um die Grenzen der Dualitäten des westlichen Denkens zu verwischen.
EMAP/EMARE is co-funded by the Creative Europe Programme of the European Union.
Hinweis: Wer gemeinsam mit den KünstlerInnen durch die POSTCITY spazieren möchte, hat während des Ars Electronica Festival 2019 bei dem Artist Walk mit Quimera Rosa am DO 5. September 2019, 14:00, Gelegenheit dazu. Anmeldung auf https://ars.electronica.art/outofthebox/experts-quimera-rosa/. Informationen zu weiteren Touren gibt es auf WE GUIDE YOU.