In Form von Livestreams, die über die Ars Electronica Website und Youtube abgerufen werden können, bieten wir seit 5. Mai ein wöchentliches Programm. Ziel ist es, das gesamte Spektrum des Ars Electronica Center Programms abzubilden. Der gewohnte Betrieb soll möglichst „originalgetreu“ beibehalten werden, allerdings online. Angeboten werden Führungen durch die Ausstellungen ebenso wie Ausflüge in unsere Labs, Konzerte mit Echtzeitvisualisierungen, Deep Space LIVE-Sessions oder Workshops mit KünstlerInnen aus aller Welt. Gerfried Stocker, Künstlerischer Leiter der Ars Electronica, erklärt, was das Besondere des neuen Formats ist, warum Ars Electronica Home Delivery kein Museumsfernsehen ist und warum das Web im Jahr 2020 immer noch eine Herausforderung im Vergleich zu rein interpersoneller Kommunikation darstellt.
Ars Electronica Home Delivery – ein Zustelldienst von Ars Electronica – wie kann man sich das vorstellen?
Gerfried Stocker: Ars Electronica Home Delivery ist unsere Antwort auf die unmittelbare Notwendigkeit, zur Normalität zurückzukehren, damit zu beginnen, das zu liefern, was Museen liefern sollten. Und Museen sind nicht nur Orte und Häuser, die wieder für BesucherInnen zugänglich sind. Grundsätzlich ist es die Aufgabe eines Museums, Inhalte zu liefern und insbesondere bei der Ars Electronica den Menschen die Möglichkeit zu geben, über die Inhalte nachzudenken, zu diskutieren, zu arbeiten und zu reflektieren. Home Delivery ist also der gesamte Regelbetrieb unseres Ars Electronica Center, aber online.
Wir haben eine breite Palette von Programmen, die es den Menschen ermöglichen, wirklich Zugang zu all den interessanten Themen und Inhalten zu bekommen, die wir normalerweise hier im Ars Electronica Center präsentieren. Wir werden Vorträge halten, wir werden Konzerte geben, wir werden Führungen anbieten – und das nicht nur als Stream! Es ist kein Format, bei dem wir im Netzwerk verschwinden, sondern bei dem wir mit einem sehr starken Live-Element aus dem Netzwerk herauskommen. Ich glaube, das beste Beispiel dafür sind die Führungen.
Es ist nicht nur eine Webseite, auf der man sich durch Videos über die Installationen klicken kann, sondern vielmehr führen unsere InfotrainerInnen durch das Museum und präsentieren die Höhepunkte unserer Ausstellungen. Man selbst als Betrachterin kann an bestimmten Stellen etwa ausdrücken: „Ich würde diese Installation/diesen Teil der Ausstellung gerne im Besonderen sehen. Können Sie mir das erklären?“ Und der Infotrainer/die Infotrainerin geht dorthin. Es ist immer eine Kombination aus Live-Streaming und Videokonferenz, sodass die Menschen sich wirklich auf einem maximalen Niveau der Interaktivität beteiligen können, das mit diesen digitalen Medien möglich ist.
Der Hauptunterschied zu den bestehenden Videos der Ars Electronica ist also die Interaktivität?
Gerfried Stocker: Die Interaktivität und der Live-Faktor. Der Live-Faktor ist der wichtigste Punkt, denn die Möglichkeiten der Interaktivität sind noch begrenzt. Ich meine ja, mit Videokonferenzen kann man natürlich miteinander reden. Aber es geht nicht nur um die Interaktivität zwischen Ihnen, wenn Sie zu Hause sitzen und mit einer Person im Museum interagieren. Im Grunde simulieren wir die Situation der Führungen durch das Museum zusammen mit einer Gruppe von Menschen.
Und wenn Sie schon einmal eine unserer Führungen erlebt haben, wissen Sie, dass Sie manchmal eine Frage haben und Sie eine Antwort, eine Erklärung vom Infotrainer/der Infotrainerin bekommen. Aber vielleicht hat einer der anderen ZuhörerInnen einen noch interessanteren Beitrag dazu oder Fragen anderer TeilnehmerInnen inspirieren Sie plötzlich. Es ist wirklich diese Gruppendynamik mit mehreren Personen, die die Präsentationen hier im Ars Electronica Center genießen und erleben – das ist das Besondere, das Einzigartige. Das ist der Hauptpunkt bei den Führungen, aber auch bei der sehr bekannten Vortragsreihe unseres Deep Space, mit ExpertInnen aus den Bereichen Medizin, Wissenschaft, Astronomie und natürlich Kunst und Kultur.
Noch detaillierter: Was kann das Publikum inhaltlich von Ars Electronica Home Delivery erwarten? Gibt es einen dichten Zeitplan? Gibt es unterschiedliche Formate?
Gerfried Stocker: Generell werden die Stücke eher kurz sein – fünf Minuten, zehn Minuten, maximal 15 Minuten. Nur Konzerte oder Deep Space Lectures werden bis zu einer halben Stunde lang sein. Es sind also kurze Beiträge, die immer aus einer kleinen Präsentation bestehen und dann die Möglichkeit zum Gespräch, zur Diskussion, zur Interaktion mit den Menschen bieten. Das Programm zieht sich durch das gesamte Spektrum der Aktivitäten, die das Ars Electronica Center ohnehin bietet: Wir werden Bildungsprogramme vor allem für unser junges Publikum haben, für Kinder, viele der Programme werden sozusagen Mini-Kurse sein. Aber wiederum sind sie nicht einfach ein Video, das man anklickt und dann ist es eine Art Tutorial-Video. Es gibt immer diese interaktive und dialogische Live-Situation. Es wird natürlich auch Präsentationen von Highlights unserer kulturellen und künstlerischen Aktivitäten von den Festivals geben. Wir werden spezielle Präsentationen haben, bei denen wir in unser Archiv gehen – und stellen Sie sich vor, wie viele wunderbare, interessante Projekte wir in unserem Archiv haben, die 40 Jahre Geschichte der Ars Electronica aufzeigen!
Es werden unterschiedliche Personen aus den verschiedenen Bereichen der Ars Electronica sein, die spezielle Programme präsentieren. So wird zum Beispiel ein neues Forschungsprojekt des Futurelab von den IngenieurInnen, WissenschafterInnen und EntwicklerInnen des Futurelab vorgestellt werden. Für den Prix Ars Electronica werden wir zusätzliche Videokonferenzen mit Jurymitgliedern oder KünstlerInnen durchführen, die dann gemeinsam mit einem Host der Ars Electronica das Programm dem Publikum präsentieren.
Im Gegensatz zu dem, was die Öffentlichkeit erwarten würde, ist Web bis heute eine Herausforderung oder, sagen wir, ein Thema für die Ars Electronica. Warum? Warum ist das Offensichtliche immer noch eine Herausforderung?
Gerfried Stocker: Nun, ich denke, wenn wir uns selbst treu bleiben, ist das Handeln im digitalen Raum für die meisten Menschen immer noch eine Herausforderung. Ich meine, was wir vorher nicht so klar erkannt haben, ist, dass die Zahl der Menschen, die wirklich alle digitalen Technologien auf eine natürliche, intuitive, anspruchsvolle Art und Weise nutzen und nutzen können, nicht so groß war. Im Grunde genommen ist es nur eine Gruppe von Fachleuten, die als TechnikerIn arbeiten oder Menschen, die in ihren Unternehmen viel digitale Interaktion haben müssen. Aber für die meisten von uns waren die Zeiten, in denen wir wirklich in der digitalen Welt tätig waren, sehr kurz, wenn wir ab und zu eine Videokonferenz mit einigen ausländischen PartnerInnen hatten.
Wenn es nicht nur darum geht, im Internet zu surfen oder Streams und Videos auf Youtube anzuschauen, was nicht wirklich eine digitale Interaktion ist, ist es einfach eine andere Art des Fernsehens. Man klickt etwas an, schaltet es ein und schaut es sich an. Wenn es aber wirklich darum geht, zu interagieren und vor allem live zu interagieren, dann nicht nur, um etwas zu produzieren, das man im Web hinterlegt und das dann zu einem anderen Zeitpunkt von jemandem heruntergeladen wird. Wenn es jedoch wirklich darum geht, in einer Live-Situation mit anderen zusammen zu sein, miteinander verbunden zu sein, dann ist das für die meisten von uns ein völlig neues Gebiet. Und es ist definitiv eine Herausforderung, denn es ist ganz anders, wenn man dies regelmäßig und nicht nur ab und zu tut. Ich denke, es ist eine besondere Herausforderung, wie wir unsere Kommunikationsfähigkeiten gestalten, und gleichzeitig betrifft es eine Kulturtechnik und nicht nur die Technologie an sich. Kulturtechniken müssen entwickelt werden. Wir müssen unsere Fähigkeiten trainieren. Wir müssen Erfahrungen sammeln.
Und ich glaube, das ist jetzt eines der wirklich interessanten Elemente in dieser sehr verrückten, absurden Situation, dass wir alle zu Hause sitzen und Abstand halten müssen. Es ist das größte Digitalisierungsprogramm, das es je gegeben hat, wenn es darum geht, mit sehr hoher Geschwindigkeit und in sehr kurzer Zeit eine riesige Anzahl von Menschen auf den neuesten Stand zu bringen und die Fähigkeiten zu entwickeln, in diesem digitalen Raum zu agieren. Ich denke, dies ist etwas, das auch für die Zeit nach Corona sehr wichtig ist – denn es wird gleichzeitig eine neue Art zu leben sein, in realen und in digitalen Räumen.
An wen richtet sich das Programm von Ars Electronica Home Delivery, und für wen ist es gedacht? Und wenn wir an die Zukunft denken, wenn das Museum schon wieder geöffnet hat, will es dann ein breiteres Publikum erreichen, ein Publikum, das vielleicht weiter weg von Linz ist?
Gerfried Stocker: Ja, für den Anfang ist es eigentlich eine Art Ersatz für das Museum selbst. Wir sind nicht in der Lage, das Museum zu öffnen und eine sinnvolle Art und Weise zu finden, mit den Menschen hier zu arbeiten. Die Art und Weise, wie man sich als Gast im Ars Electronica Center verhält, ist völlig anders als in einem gewöhnlichen Museum, wo man herumläuft und sich Objekte, Bilder und solche Dinge ansieht. Im Ars Electronica Center ist alles zum Anfassen und Mitmachen, zum engen Gespräch, zum Diskutieren. Für uns ist es also nicht wirklich möglich, das Museum dem lokalen Publikum so zugänglich zu machen, wie es eigentlich wäre. Deshalb beginnen wir am Anfang mit einem Service für das lokale Publikum.
Aber schon sehr bald beginnen wir mit Programmen auch in Englisch und dann auch in Tschechisch und anderen Sprachen. Wir orientieren uns also wirklich an dem Publikum, das wir auch bisher im regulären Betrieb des Ars Electronica Center hatten. Das Schöne daran ist, dass wir mit diesem Programm nahtlos in den Normalbetrieb übergehen können. Wir können damit rechnen, dass wir in wenigen Wochen sechs bis zehn Personen haben werden, die an diesem Programm teilnehmen, sozusagen als Live-Publikum im Museum. Dennoch wird das Hauptpublikum da draußen sein und unser Live-Programm verfolgen, und ich denke, je weiter das geht, desto mehr wird Home Delivery eine neue Ebene der Kommunikation und des Ausdrucks der Ars Electronica für ein größeres internationales Publikum werden. Aber nicht nur international im Sinne von „weit weg“ und „in verschiedenen Sprachen verfügbar“. Wenn wir uns die Schulen anschauen, bekommen wir auch viele Anfragen von Schulen außerhalb der Umgebung von Linz, die wirklich verzweifelt fragen: „Können Sie diese Programme zu uns bringen? Wir können es uns nicht immer leisten, mit der ganzen Schule zu kommen“. Viele unserer Programme werden jetzt über diesen Home Delivery Service zur Verfügung gestellt. Und das wird zum Beispiel für Schulen in der Zukunft sicherlich ein sehr interessantes Zusatzprogramm sein. Es ist also nicht nur etwas, das wir als kurzfristiges Angebot für diesen Moment der Krise haben wollen, sondern wir nutzen es, um ein neues Format zu entwickeln, das ein langjähriges neues Element der Ars Electronica sein wird.
Wenn wir noch weiter in die Zukunft denken, stellt sich natürlich die Frage nach der Einbeziehung von VR oder AR – ist das ein Thema, oder geht es bei Home Delivery vielmehr um die zwischenmenschliche Interaktion?
Gerfried Stocker: Wir versuchen bei diesem Programm vor allem, keine High-Tech-Schlacht zu führen. Ich meine, ja, es wäre so cool, das alles zu haben. Aber andererseits geht es hier, genau wie beim Ars Electronica Center, vor allem darum, sich mit aller Kraft darum zu bemühen, mit möglichst vielen Menschen zu kommunizieren. Es geht nicht darum, dass es cool ist, die Dinge mit der VR-Brille zu erleben, sondern man muss an die sehr, sehr geringe Anzahl von Menschen denken, die wirklich diese Ausrüstung haben und damit umgehen können.
Es handelt sich also ohnehin um eine Gruppe von Fachleuten, und wir haben eine Menge Programm für diese kleine Gruppe an Fachleuten. Ich denke, die wirkliche Herausforderung besteht darin, wie man ein größeres Publikum anspricht, und dass insbesondere jetzt auch die wirklich interessante Herausforderung darin besteht, diese lebendige, physische, menschliche Qualität wiederzuerlangen. Das ist keineswegs Retro! Es geht nicht darum, in die guten alten Zeiten zurückzugehen, bevor alles in den sozialen Medien war. Es geht darum, vorwärts zu gehen und aus diesem Silo der sozialen und digitalen Medien herauszukommen, wieder hinauszugehen zu einem nächsten Schritt, bei dem das physische Leben, die Präsenz und die virtuelle Präsenz nicht das eine oder das andere sind, sondern gleichzeitig passieren.
Das ist sogar eine noch größere Herausforderung als die Entwicklung eines neuen Gadgets für VR, AR oder was auch immer. Die weitaus größere Herausforderung besteht darin, an dieser Art von sozialen Fähigkeiten und diesen Kulturtechniken zu arbeiten, um ausreichende Möglichkeit zu erhalten, reales und physisches Leben auf der einen Seite und digitales auf der anderen Seite zu kombinieren.
Gerfried Stocker ist Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik. 1991 gründete er xspace, ein Team zur Realisierung interdisziplinärer Projekte, das zahlreiche Installationen und Performance-Projekte im Bereich Interaktion, Robotik und Telekommunikation realisiert hat. Seit 1995 ist Gerfried Stocker künstlerischer Geschäftsführer von Ars Electronica. 1995/96 entwickelte er mit einem kleinen Team von KünstlerInnen und TechnikerInnen die richtungsweisenden neuen Ausstellungsstrategien des Ars Electronica Center und betrieb den Aufbau einer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung, des Ars Electronica Futurelab. Unter seiner Führung wurden ab 2004 das Programm für internationale Ars Electronica Ausstellungen aufgebaut und ab 2005 die Planung und inhaltliche Neupositionierung für das neue und erweiterte Ars Electronica Center aufgenommen und umgesetzt. Im Jänner 2009 wurde das ausgebaute Ars Electronica Center in Betrieb genommen.
Ihr seid neugierig geworden und wollt Ars Electronica Home Delivery selbst erfahren? Wir laden euch ein, einen Blicken in unser Onlineprogramm zu werfen, um mehr über unser diverses Angebot zu erfahren.