Meinhard Lukas: Von der Postcity in Keplers Gärten

, Photo: Robert Bauernhansl

von Meinhard Lukas

Hier wurde out of the box gedacht, reflektiert und gestaltet. Ein nahezu idealer Ort, um die großen Themen von Technologie, Kunst und Gesellschaft fünf Jahre lang zu verhandeln und zu verheiraten. Ein vibrierender Magnet, der Menschen aus der ganzen Welt angezogen und Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst zu visionären Gedanken angeregt hat.

Die von der Ars kreierte Post City ist ein Symbol fĂĽr die enorme Innovationskraft unserer Landeshauptstadt. Der langfristige Umgang mit diesem Ort steht aber auch fĂĽr die hierzulande nicht untypische Angst vor der eigenen Courage. Es hat etwas Ironisches, dass der Name Post City den so beglĂĽckenden und geglĂĽckten Festivalstandort ĂĽberlebt hat, um jetzt Namensgeber fĂĽr ein sehr Linzerisches Immobilienprojekt an dieser Stelle zu sein. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Jetzt wagt das Festival den Sprung ĂĽber die Donau. Nicht bloĂź dorthin, wo das eigene Center an der Donau steht, sondern an den nördlichen Rand der Stadt, an die Ausläufer der sanften HĂĽgel des MĂĽhlviertels. Hier wurde vor mehr als 50 Jahren der Campus der Linzer Universität errichtet. Eine Universität, die Stadt und Land gegen den anfänglich erbitterten Widerstand aus Wien errangen. Sie wurde 1966 als Hochschule fĂĽr Sozial- und Wirtschaftswissenschaften gegrĂĽndet. Die gesellschaftliche Dimension der Wirtschaft sollte im Mittelpunkt von Lehre und Forschung stehen. Die zunächst so skeptische Bundespolitik und die Pioniere der Hochschule haben viel mehr daraus gemacht.  

Die Universität Linz

An der Linzer Universität wurde in den 1960er-Jahren möglich, was an alteingesessenen Ă¶sterreichischen Universitäten damals noch undenkbar schien. Der linke Historiker Karl Stadler wurde an die Hochschule berufen, um hier erstmals tabulos die Rolle Ă–sterreichs vor und im Nationalsozialismus zu erforschen. Der vor dem NS-Regime geflĂĽchtete Jude Kurt Rothschild, der sich in seinen Schriften intensiv mit Arbeitslosigkeit und gerechter Einkommensverteilung beschäftigte, wurde zum GrĂĽndungsprofessor fĂĽr Volkswirtschaftslehre in Linz ernannt. Ebenso wie der vormalige Beamte der Linzer Arbeiterkammer Rudolf Strasser, der als Professor nicht nur zum Pionier des Ă¶sterreichischen Arbeitsverfassungsrechts wurde, sondern auch eine bis heute einflussreiche Linzer Schule des Privatrechts begrĂĽndete. 

 Die Universität entwickelte sich binnen weniger Jahre zum Nährboden fĂĽr eine beachtliche wissenschaftliche Avantgarde, sei es im Marketing, in der Informatik, der Wirtschaftsinformatik oder später in der Mechatronik oder in den Legal Gender Studies und im Umweltrecht. Und auch heute ist die Universität Vorreiter, wenn man nur an ihre Rolle und ihren Einfluss auf dem Gebiet von Artifical Intelligence und Physical Intelligence denkt.  

Das LIT

Inzwischen beschäftigen wir um die 3500 Menschen und unterrichten etwa 20.000 Studierende an vier Fakultäten (Technik und Naturwissenschaften, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften sowie Humanmedizin). Es war und ist vor allem die Forschung an den Grenzen und auch im Zwischenbereich der Fakultäten und Fächer, welche die DNA der Universität ausmacht. Das gilt auch fĂĽr die erst 2014 errichtete Medizinische Fakultät, zu deren Forschungsschwerpunkten die Medizintechnik und die Versorgungsforschung gehören. 

Das 2015 gegrĂĽndete Linz Institute of Technology (LIT) hat sich einem zukunftsweisenden interdisziplinären Technologieverständnis verschrieben. Nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Naturwissenschaften und Engineering, sondern die gesellschaftliche, gesundheitliche, wirtschaftliche und rechtliche Dimension von Technologie machen den Kern des LIT aus. Das neue LIT Open Innovation Center mit einem modernen Reinraum und der LIT Pilotfabrik sind die Homebase fĂĽr ein Institut wissenschaftlicher Vielfalt, das vor allem fĂĽr eine Responsible Technology und – so wie die JKU insgesamt – fĂĽr hohe und höchste QualitätsansprĂĽche in Lehre und Forschung steht. So vergibt das LIT seine Mittel im Rahmen von universitätsinternen Calls, die in einem streng kompetitiven Verfahren unter Einbindung des FWF abgewickelt werden. 

Johannes Kepler

Der genius loci Johannes Kepler wurde ĂĽbrigens erst neun Jahre nach der GrĂĽndung zum Namensgeber unserer Universität. Das hat natĂĽrlich viel mit der 1969 aus der Taufe gehobenen Technisch- Naturwissenschaftlichen Fakultät zu tun, auch wenn sein Name die Universität in ihrer Gesamtheit ziert. Das erscheint durchaus der Keplerschen Perspektive zu entsprechen, hat er sich selbst doch als Universalgelehrten bezeichnet. Damit ist zugleich eine wichtige Tugend angesprochen, die Ars Electronica und JKU verbindet. Nicht (nur) der spezifische Blick, der in der Isolation allzu oft zum Tunnelblick wird, sondern ein interdisziplinärer Zugang prägt beide Institutionen. 

Die Idee von den Keplerschen Gärten hat natĂĽrlich nur vordergrĂĽndig mit dem Namen unserer Universität zu tun. Auch der Bezug zum Campus unserer Universität mit seinem fantastischen GrĂĽnraum betrifft nur die Oberfläche, so beeindruckend der jahrhundertealte Gehölzbestand hier auch sein mag. Es geht natĂĽrlich im Kern um gedankliche Gärten, die sich an jedem analogen oder auch virtuellen Ort der Welt manifestieren können. So gesehen sind die von der Ars Electronica erdachten Keplerschen Gärten in Linz das Epizentrum einer weltumspannenden saftigen Gartenlandschaft, die selbst innerhalb der dĂĽrrsten Steppen aufblĂĽhen kann. 

Und doch: Wer Keplers Gärten erdenken und kreieren will, sollte sich zumindest kurz dessen unvergleichlicher Vita und dessen grundstĂĽrzenden Werks, kurzum also dessen Genie, besinnen. Allein sein Wirken in Linz lässt einen sprachlos zurĂĽck. Es war der 15.5.1618 als Johannes Kepler im Haus mit der Adresse Hofgasse 7 in Linz jenen Zusammenhang zwischen der Größe der Bahn und der Zeit fĂĽr einen Umlauf um die Sonne entdeckte, den wir heute das 3. Keplersche Gesetz nennen. So bahnbrechend auch diese Erkenntnis war, so unverstanden und unbedankt blieb sie zu seinen Lebzeiten. Kepler pulverisierte einmal mehr den Wissensstand seiner Zeit. Es kommt nicht von ungefähr, dass niemand geringerer als Sir Isaac Newton unter anderem an Kepler dachte, als er den Satz formulierte: „Wir Zwerge stehen auf den Schultern von Giganten.“

Bereits an anderer Stelle habe ich in diesem Zusammenhang eine Selbstreflexion der heutigen Wissenschaft eingemahnt: Haben zur Zeit Keplers vor allem die kirchlichen Dogmen der bahnbrechenden Erkenntnis Grenzen gesetzt, sind es heute – so fĂĽrchte ich – akademische Rituale und Hackordnungen, die zumindest da und dort zum Stolperstein fĂĽr grundstĂĽrzende Einsichten werden könnten. Dazu kommt der unglaubliche Widerspruchsgeist, der Genies vom Rang Keplers das Leben schwer macht. So schreibt Kepler selbst ĂĽber seinen Charakter: „In mir ist Heftigkeit, Unduldsamkeit gegen lästige Menschen, unverschämte Lust am Spotten wie auch am SpaĂźmachen, schlieĂźlich dreiste Kritiksucht, da ich niemanden unangefochten lasse.“

Photo: Robert Bauernhansl

Harmonices Mundi

Eine herausragende Eigenschaft Keplers hat ĂĽbrigens viel mit dem Anspruch der Ars Electronica zu tun: Kepler denkt und forscht „aus einem Guss“, wie es Thomas Posch in seiner Biographie so treffend formuliert. Sein Denken vermag Weltanschauung und Wissen, poetischen und mathematischen Weltzugang wie selbstverständlich zu vereinen. Sein Werk Harmonices Mundi, mit dem er das dritte seiner Gesetze zur Planetenbewegung veröffentlichte, ist gewissermaĂźen der Höhepunkt des allumfassenden Forschungsansatzes von Kepler. Insofern ist Keplers Weltharmonik ein Entwurf, auf den wir uns in einer Zeit höchster Spezialisierung und Atomisierung des Wissens rĂĽckbesinnen sollten. Keplers Gärten stehen daher auch fĂĽr eine Renaissance eines ganzheitlichen Forschungsansatzes. 

Vor allem sollen aber die Gärten zum Träumen, zu kleinen und groĂźen Utopien und einfach zum WĂĽnschen einladen. So wie es die fantastische Schriftstellerin Valerie Fritsch in einem eigens fĂĽr unsere „Lange Nacht der Utopie“ verfassten Text beschrieben hat:

„Über das Leben des Menschen sagt man gemeinhin, es gäbe zwei verhängnisvolle Momente in ihm, den Augenblick, wenn sich die größte Sehnsucht erfĂĽllt, und jenen, wenn sie es endgĂĽltig nicht tut. Nichts treibt ihn an wie der noch kleinste Wunsch, den er in einem Winkel seines Seins findet. Im Tabernakel des Brustkorbs trägt jeder die Hoffnung auf das Schöne. Wer wĂĽnscht, ist lebendig, mitten im Universum, versteht die Welt als werdende Welt, in der alles zu allem werden kann. Eine Kraft liegt im WĂĽnschen, eine sinnstiftende, ĂĽbermĂĽtige, stĂĽrmische Freude. Es ist ein Widerstand gegen das GemeiĂźelte, das Wahrscheinliche, das Unvermeidliche, eine herzgemachte Revolution gegen die Schwerkraft der Wirklichkeit.“ – Valerie Fritsch

Mögen Keplers Gärten auch zu Räumen des archaischen WĂĽnschens werden. 

Ein Experiment

Schon der Wechsel des Festivals von der Post City auf den Campus ist ein Experiment. Corona hat es zu einem Wagnis gemacht, das enorme AnsprĂĽche an alle Akteurinnen und Akteure stellt. Die Alternative wäre eine Kapitulation vor dem Virus gewesen. Noch dazu in einer Zeit, in der die Technologie einen geradezu ĂĽberboardenden Stellenwert bekommen hat, die Gesellschaft verwundet und verunsichert und die Kunst existentiell erschĂĽttert ist. Gerade jetzt ist es ein Gebot der Stunde, die neue Welt zu vermessen. Machen wir uns auf die Suche nach den Universalgelehrten unserer Zeit. Die Keplerschen Gärten sollen zu Magneten dafĂĽr werden!   

Seit Oktober 2015 bekleidet Univ.-Prof. Dr. Meinhard Lukas das Amt des Rektors an der JKU. Zuvor war er vier Jahre lang Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Quasi nebenbei machte sich Meinhard Lukas als Vorkämpfer für die Medizinische Fakultät an der JKU einen Namen. So vertrat er von 2012 bis 2013 die Stadt Linz in den diesbezüglichen Verhandlungen mit der Republik Österreich. Seit 2013 hatte er die Leitung des Projekts Medizinische Fakultät im Auftrag des damaligen Rektors inne.

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