von Meinhard Lukas
Hier wurde out of the box gedacht, reflektiert und gestaltet. Ein nahezu idealer Ort, um die großen Themen von Technologie, Kunst und Gesellschaft fünf Jahre lang zu verhandeln und zu verheiraten. Ein vibrierender Magnet, der Menschen aus der ganzen Welt angezogen und Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst zu visionären Gedanken angeregt hat.
Die von der Ars kreierte Post City ist ein Symbol fĂĽr die enorme Innovationskraft unserer Landeshauptstadt. Der langfristige Umgang mit diesem Ort steht aber auch fĂĽr die hierzulande nicht untypische Angst vor der eigenen Courage. Es hat etwas Ironisches, dass der Name Post City den so beglĂĽckenden und geglĂĽckten Festivalstandort ĂĽberlebt hat, um jetzt Namensgeber fĂĽr ein sehr Linzerisches Immobilienprojekt an dieser Stelle zu sein. Aber das ist eine andere Geschichte.
Jetzt wagt das Festival den Sprung über die Donau. Nicht bloß dorthin, wo das eigene Center an der Donau steht, sondern an den nördlichen Rand der Stadt, an die Ausläufer der sanften Hügel des Mühlviertels. Hier wurde vor mehr als 50 Jahren der Campus der Linzer Universität errichtet. Eine Universität, die Stadt und Land gegen den anfänglich erbitterten Widerstand aus Wien errangen. Sie wurde 1966 als Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften gegründet. Die gesellschaftliche Dimension der Wirtschaft sollte im Mittelpunkt von Lehre und Forschung stehen. Die zunächst so skeptische Bundespolitik und die Pioniere der Hochschule haben viel mehr daraus gemacht.
Die Universität Linz
An der Linzer Universität wurde in den 1960er-Jahren möglich, was an alteingesessenen österreichischen Universitäten damals noch undenkbar schien. Der linke Historiker Karl Stadler wurde an die Hochschule berufen, um hier erstmals tabulos die Rolle Österreichs vor und im Nationalsozialismus zu erforschen. Der vor dem NS-Regime geflüchtete Jude Kurt Rothschild, der sich in seinen Schriften intensiv mit Arbeitslosigkeit und gerechter Einkommensverteilung beschäftigte, wurde zum Gründungsprofessor für Volkswirtschaftslehre in Linz ernannt. Ebenso wie der vormalige Beamte der Linzer Arbeiterkammer Rudolf Strasser, der als Professor nicht nur zum Pionier des österreichischen Arbeitsverfassungsrechts wurde, sondern auch eine bis heute einflussreiche Linzer Schule des Privatrechts begründete.
Die Universität entwickelte sich binnen weniger Jahre zum Nährboden für eine beachtliche wissenschaftliche Avantgarde, sei es im Marketing, in der Informatik, der Wirtschaftsinformatik oder später in der Mechatronik oder in den Legal Gender Studies und im Umweltrecht. Und auch heute ist die Universität Vorreiter, wenn man nur an ihre Rolle und ihren Einfluss auf dem Gebiet von Artifical Intelligence und Physical Intelligence denkt.
Das LIT
Inzwischen beschäftigen wir um die 3500 Menschen und unterrichten etwa 20.000 Studierende an vier Fakultäten (Technik und Naturwissenschaften, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften sowie Humanmedizin). Es war und ist vor allem die Forschung an den Grenzen und auch im Zwischenbereich der Fakultäten und Fächer, welche die DNA der Universität ausmacht. Das gilt auch für die erst 2014 errichtete Medizinische Fakultät, zu deren Forschungsschwerpunkten die Medizintechnik und die Versorgungsforschung gehören.
Das 2015 gegründete Linz Institute of Technology (LIT) hat sich einem zukunftsweisenden interdisziplinären Technologieverständnis verschrieben. Nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Naturwissenschaften und Engineering, sondern die gesellschaftliche, gesundheitliche, wirtschaftliche und rechtliche Dimension von Technologie machen den Kern des LIT aus. Das neue LIT Open Innovation Center mit einem modernen Reinraum und der LIT Pilotfabrik sind die Homebase für ein Institut wissenschaftlicher Vielfalt, das vor allem für eine Responsible Technology und – so wie die JKU insgesamt – für hohe und höchste Qualitätsansprüche in Lehre und Forschung steht. So vergibt das LIT seine Mittel im Rahmen von universitätsinternen Calls, die in einem streng kompetitiven Verfahren unter Einbindung des FWF abgewickelt werden.
Johannes Kepler
Der genius loci Johannes Kepler wurde übrigens erst neun Jahre nach der Gründung zum Namensgeber unserer Universität. Das hat natürlich viel mit der 1969 aus der Taufe gehobenen Technisch- Naturwissenschaftlichen Fakultät zu tun, auch wenn sein Name die Universität in ihrer Gesamtheit ziert. Das erscheint durchaus der Keplerschen Perspektive zu entsprechen, hat er sich selbst doch als Universalgelehrten bezeichnet. Damit ist zugleich eine wichtige Tugend angesprochen, die Ars Electronica und JKU verbindet. Nicht (nur) der spezifische Blick, der in der Isolation allzu oft zum Tunnelblick wird, sondern ein interdisziplinärer Zugang prägt beide Institutionen.
Die Idee von den Keplerschen Gärten hat natürlich nur vordergründig mit dem Namen unserer Universität zu tun. Auch der Bezug zum Campus unserer Universität mit seinem fantastischen Grünraum betrifft nur die Oberfläche, so beeindruckend der jahrhundertealte Gehölzbestand hier auch sein mag. Es geht natürlich im Kern um gedankliche Gärten, die sich an jedem analogen oder auch virtuellen Ort der Welt manifestieren können. So gesehen sind die von der Ars Electronica erdachten Keplerschen Gärten in Linz das Epizentrum einer weltumspannenden saftigen Gartenlandschaft, die selbst innerhalb der dürrsten Steppen aufblühen kann.
Und doch: Wer Keplers Gärten erdenken und kreieren will, sollte sich zumindest kurz dessen unvergleichlicher Vita und dessen grundstürzenden Werks, kurzum also dessen Genie, besinnen. Allein sein Wirken in Linz lässt einen sprachlos zurück. Es war der 15.5.1618 als Johannes Kepler im Haus mit der Adresse Hofgasse 7 in Linz jenen Zusammenhang zwischen der Größe der Bahn und der Zeit für einen Umlauf um die Sonne entdeckte, den wir heute das 3. Keplersche Gesetz nennen. So bahnbrechend auch diese Erkenntnis war, so unverstanden und unbedankt blieb sie zu seinen Lebzeiten. Kepler pulverisierte einmal mehr den Wissensstand seiner Zeit. Es kommt nicht von ungefähr, dass niemand geringerer als Sir Isaac Newton unter anderem an Kepler dachte, als er den Satz formulierte: „Wir Zwerge stehen auf den Schultern von Giganten.“
Bereits an anderer Stelle habe ich in diesem Zusammenhang eine Selbstreflexion der heutigen Wissenschaft eingemahnt: Haben zur Zeit Keplers vor allem die kirchlichen Dogmen der bahnbrechenden Erkenntnis Grenzen gesetzt, sind es heute – so fürchte ich – akademische Rituale und Hackordnungen, die zumindest da und dort zum Stolperstein für grundstürzende Einsichten werden könnten. Dazu kommt der unglaubliche Widerspruchsgeist, der Genies vom Rang Keplers das Leben schwer macht. So schreibt Kepler selbst über seinen Charakter: „In mir ist Heftigkeit, Unduldsamkeit gegen lästige Menschen, unverschämte Lust am Spotten wie auch am Spaßmachen, schließlich dreiste Kritiksucht, da ich niemanden unangefochten lasse.“
Harmonices Mundi
Eine herausragende Eigenschaft Keplers hat übrigens viel mit dem Anspruch der Ars Electronica zu tun: Kepler denkt und forscht „aus einem Guss“, wie es Thomas Posch in seiner Biographie so treffend formuliert. Sein Denken vermag Weltanschauung und Wissen, poetischen und mathematischen Weltzugang wie selbstverständlich zu vereinen. Sein Werk Harmonices Mundi, mit dem er das dritte seiner Gesetze zur Planetenbewegung veröffentlichte, ist gewissermaßen der Höhepunkt des allumfassenden Forschungsansatzes von Kepler. Insofern ist Keplers Weltharmonik ein Entwurf, auf den wir uns in einer Zeit höchster Spezialisierung und Atomisierung des Wissens rückbesinnen sollten. Keplers Gärten stehen daher auch für eine Renaissance eines ganzheitlichen Forschungsansatzes.
Vor allem sollen aber die Gärten zum Träumen, zu kleinen und großen Utopien und einfach zum Wünschen einladen. So wie es die fantastische Schriftstellerin Valerie Fritsch in einem eigens für unsere „Lange Nacht der Utopie“ verfassten Text beschrieben hat:
„Über das Leben des Menschen sagt man gemeinhin, es gäbe zwei verhängnisvolle Momente in ihm, den Augenblick, wenn sich die größte Sehnsucht erfĂĽllt, und jenen, wenn sie es endgĂĽltig nicht tut. Nichts treibt ihn an wie der noch kleinste Wunsch, den er in einem Winkel seines Seins findet. Im Tabernakel des Brustkorbs trägt jeder die Hoffnung auf das Schöne. Wer wĂĽnscht, ist lebendig, mitten im Universum, versteht die Welt als werdende Welt, in der alles zu allem werden kann. Eine Kraft liegt im WĂĽnschen, eine sinnstiftende, ĂĽbermĂĽtige, stĂĽrmische Freude. Es ist ein Widerstand gegen das GemeiĂźelte, das Wahrscheinliche, das Unvermeidliche, eine herzgemachte Revolution gegen die Schwerkraft der Wirklichkeit.“ – Valerie Fritsch
Mögen Keplers Gärten auch zu Räumen des archaischen Wünschens werden.
Ein Experiment
Schon der Wechsel des Festivals von der Post City auf den Campus ist ein Experiment. Corona hat es zu einem Wagnis gemacht, das enorme Ansprüche an alle Akteurinnen und Akteure stellt. Die Alternative wäre eine Kapitulation vor dem Virus gewesen. Noch dazu in einer Zeit, in der die Technologie einen geradezu überboardenden Stellenwert bekommen hat, die Gesellschaft verwundet und verunsichert und die Kunst existentiell erschüttert ist. Gerade jetzt ist es ein Gebot der Stunde, die neue Welt zu vermessen. Machen wir uns auf die Suche nach den Universalgelehrten unserer Zeit. Die Keplerschen Gärten sollen zu Magneten dafür werden!
Seit Oktober 2015 bekleidet Univ.-Prof. Dr. Meinhard Lukas das Amt des Rektors an der JKU. Zuvor war er vier Jahre lang Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Quasi nebenbei machte sich Meinhard Lukas als Vorkämpfer für die Medizinische Fakultät an der JKU einen Namen. So vertrat er von 2012 bis 2013 die Stadt Linz in den diesbezüglichen Verhandlungen mit der Republik Österreich. Seit 2013 hatte er die Leitung des Projekts Medizinische Fakultät im Auftrag des damaligen Rektors inne.