Ars Electronica Gardens: EUROPA Teil 2

H3 Before Detach_H3 Studio_Traian German2_2000x1000, H3 Before Detach, H3 Studio Foto: Traian German

Die Komplexität der Globalität bei gleichzeitiger Zugänglichkeit zu Nachrichten von überall her kann den Geist schon mal überfordern – und führt im Falle einer globalen Pandemie mit all ihren Folgen, Zwisten, Lagern und Auswirkungen zu einer enormen Verunsicherung. In dieser Verunsicherung verschieben sich Wertigkeiten, Prioritäten und Emotionen und lassen uns so nicht nur sinnieren, wie dieser Zustand zu bewältigen sei und was wir daraus lernen können, vielmehr eröffnet es Möglichkeiten der Veränderung, der Nachjustierung, des Anpassens.

Die europäischen Gärten sind so vielfältig, unmöglich, alle Orte, Städte, Institutionen, Künstler*innen, Projekte und Themen aufzuzählen. Aber einige von ihnen thematisieren eben diese Verunsicherung, die Unsicherheit der Tage, bieten Zustandsbeschreibungen und vielfältige Vorschläge. Wir stellen euch einige von ihnen vor.

Liquid Matter, Laura Beloff Foto: Laura Beloff

Espoo/Helsinki

Im finnischen Garten wird die Unsicherheit durch die weltweite Pandemie als gesellschaftliche Herausforderung interpretiert, die neben Zweifeln auch unvorhersehbare Denkprozesse in Gang setzt. Diese bringen in der kreativen Praxis oft neue Perspektiven und Ideen hervor. Während Wissenschaft und Technologie auf die Überwindung der Unsicherheit abzielen, kann experimentelle Kunst selbst Gegenstand von Unsicherheit sein. Ihr Ziel ist es nicht unbedingt, eine Lösung für ein Problem zu finden, sondern über seine vielfältigen Möglichkeiten und Perspektiven zu spekulieren. Genau das tun drei ausgewählte Künstler*innen hier im Rahmen von Atelierbesuchen, Präsentationen, Gesprächen und musikalischen Darbietungen, produziert von den Aalto Studios der Aalto Universität.

Laura Beloff stellt in „Liquid Matter“ die Grenzen zwischen nass und trocken, fest und weich, anorganisch und biologisch in Frage und konzentriert sich auf Flüssigkeiten und Ströme als Metaphern für unsere Zeit. Sie sieht einen Zusammenhang zwischen unserer sichtbaren Unfähigkeit, die aktuellen ökologischen, klimatischen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen, und zeitgenössischen künstlerischen Ansätzen, die sich auf Flüssigkeiten konzentrieren.

Dubrovnik/Zagreb

EMAP (European Media Art Platform) vergibt Produktionsstipendien an herausragende europäische Medienkünstler*innen und besteht aus 11 Mitgliedsinstitutionen, wodurch es zur größten europäischen Plattform für künstlerische Austausch- und Aufenthaltsprojekte wird. In diesem Netzwerk wurden in den letzten Jahren viele Werke im Bereich Biowissenschaften und Kybernetik produziert, die sich mit dem fragilen ökologischen Gleichgewicht der Erde befassen und die Rolle des Menschen darin hinterfragen.
Der Ars Electronica Garden KONTEJNER zeigt eine Gruppenausstellung unter dem Titel “Quarantine”, in dem Künstler*innen in unterschiedlichen Themenblöcken rund um Umweltverschmutzung, Klimawandel, Kommunikation vorherrschende Werte und Moralvorstellungen in Frage stellen und ein neues, gemeinsames Narrativ kreieren wollen, das Menschlichkeit und Natur vereint.

„aqua_forensic“ von Robertina Šebjanić and Gjino Šutić greift wie „Liquid Matter“ das Element Wasser auf und beleuchtet die chemischen Rückstände menschlichen Lebens im Wasser. So sollen drängende ökologische Fragen der Welt und Wege zu ihrer Bewältigung aufgezeigt werden. In „The Eye of the Other“ von Tiziano Derme und Daniela Mitterberger steht non-verbale Kommunikation im Mittelpunkt. Während Menschen visuell ausgerichtete Wesen sind, orientieren Fledermäuse sich mittels Sonar. Das Projekt veranschaulicht diese für uns fremde Art der Kommunikation.
Passend zur bestimmenden Thematik um COVID-19 ist der KONTEJNER Garten in einem Renaissance-Gebäude lokalisiert, das vor langer Zeit als Quarantänestation vor Pest und Cholera schützte.

aqua_forensic 2.0, Foto: ADRIATIC GARDEN, Robertina Sebjanic and Gjino Sutic

Avignon

55% der Weltbevölkerung lebt in Städten, Tendenz steigend. Waren die letzten Jahrzehnte vor allem produktivitätssteigernde Maßnahmen im Mittelpunkt des Diskurses um städtische Entwicklung, so setzte COVID-19 eine starke Zäsur und gab Überlegungen zu einer resilienten und nachhaltigen Stadt den Vorrang. Wie kann ein neues Stadtmodell, das soziale Inklusion, Zugänglichkeit und das Wohlbefinden der Bürger*innen im Auge hat? Wie kann die Zivilgesellschaft ihren Beitrag leisten? Welche neuen Formen der Mobilität wird es geben und wieviel Verzicht wird notwendig sein? Welche Rolle kann der Dialog zwischen Wissenschaft, Technologie und Kunst hier spielen? Wie können Künstler*innen dazu beitragen, neue Vorstellungen für kollektive und partizipatorische Systeme, Räume für Reflexion und Kritik für unsere Zukunft zu schaffen?
Im STARTS Talk: Art & Tech for Urban Resilience werden genau diese Themen im Zentrum stehen. Eine Keynote hält Francesca Bria.

Bukarest

In Bukarest werden wir entführt an einen ganz speziellen Ort, eine unscheinbare Gegend an der Peripherie der Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, erweitert um Fabriken und Lagerhäuser sowie dementsprechenden Plattenbauten für die Arbeiter*innen in Zeiten des Kommunismus und mittlerweile ein Hotspot für Stadtentwicklung. In der Mischung aus all diesen Jahren und Bauten hat das Areal seine Identität nie finden können.
Dieses Themenfeld – allen Städter*innen nur allzu bekannt – greift „H3 – Before Detach“ auf und zeigt dazu eine Ausstellung, eine Live Tour und eine Mensch-Roboter-Performance. In „Who Am I?“ wird das Pygmalion-Thema aufgegriffen und nach der Beziehung zwischen Schaffer und Geschaffenem gefragt. Nur dass in dieser Variante nicht ein Mädchen von der Straße neu modelliert wird, sondern eine Künstliche Intelligenz.
„Before Detach“ wird das letzte Event im H3 Studio sein – die Fabrik, in der es stattfindet, wird im Anschluss abgerissen.

Who Am I, Foto: Adi Bulboaca

Castelo Rodrigo

Fernab von großen Städten und ihrer immensen Lichtstrahlung im Inneren von Portugal zeigt der nächtliche Himmel seine ganz besondere Schönheit, auch wenn Lichtverschmutzung langsam zu einer Bedrohung wird. Die außergewöhnliche Magie des Ortes wird hier beleuchtet und stellt unsere Beziehung zur Natur auf den Prüfstand.
In „Die Wahrnehmung des Nachthimmels I“ führt ein Astronom durch den Sternenhimmel in seiner scheinbaren Endlosigkeit und verweist auf die Probleme durch Lichtverschmutzung. In „Die Ethnographie des dunklen Himmels“ erzählen Einwohner*innen von alten Geschichten rund um die Dunkelheit, die immer auch Anlass zur Furcht gab. „Unsere Weltwahrnehmung neu justieren“ stellt unsere auf visuelle Impulse ausgerichteten Sinne auf die Probe mit einer blinden Craft Bier-Verkostung. Und in „Die Nacht erspüren“ folgen wir der nächtlichen Tierwelt mit ihren ganz eigenen Sinnen.

Slowenien

konS ≡ Plattform für zeitgenössische investigative Kunst ist ein Zusammenschluss von neun vorwiegend künstlerisch orientierten Partnern mit dem Bestreben eines aktiven Forschungs-, Produktions- und Präsentations-/Verbreitungsnetzwerkes. Communities, Wissenseinrichtungen, Forschungszentren und Wirtschaft sollen auf einer systemischen Ebene verbunden werden, sodass eine nachhaltige, sichere und ethische Zukunft entsteht.
Andie Gracie setzt in „Termination Shock (The Ends of Everythings)“ auf kosmologische, post-apokalyptische Szenarien als Reaktion auf die aktuelle Katastrophenrhetorik. Im Vordergrund steht die unvermeidliche und unausweichliche Apokalypse des absoluten Endes durch das Sterben des Planeten.

Oder wie REM es einst besangen: „It’s the end of the world as we know it – and I feel fine!“

The Night Sky Portugal, Foto: NASA

Mehr zum Ars Electronica Festival könnt ihr auf dieser Website nachlesen, außerdem haben wir unter dem Motto „Inside Festival“ jede Woche spannende, neue Videobeiträge aus aller Welt für euch und auch auf unseren Social Media Kanälen geben wir laufend Ausblicke und Einblicke, was euch heuer erwarten wird.

, , ,