Menschliche Lebensräume neu denken

, Credit: Ars Electronica / Mario Schmidhumer

Die European Media Art Platform (EMAP), initiiert von werkleitz und seit 2018 kofinanziert von Creative Europe, ist ein Konsortium von 15 führenden europäischen Medienkunstorganisationen, die sich auf Digital- und Medienkunst, Bio Art und Robotic Art spezialisiert haben. Im Rahmen einer offenen Ausschreibung bieten die EMAP-Mitglieder Künstler*innen Aufenthalte an, die auf dem Erbe des seit 1995 bestehenden European Media Artist in Residence Exchange (EMARE) aufbauen.

Nach einem internationalen Open Call, für den 641 Bewerbungen aus 35 Ländern eingingen, fiel die Wahl für die 2023 ausgewählte Künstlerin auf die in Ljubljana ansässige Intermedia-Künstlerin Dorotea Dolinšek. Mit ihrem Vorschlag, „Biosymbiotic Exoskeleton“ erläutert die Künstlerin spannende Möglichkeiten für eine interplanetarische Existenz. Wir haben uns mit Dorotea getroffen, um mehr über ihr Projekt und ihren Aufenthalt im BioLab des Ars Electronica Centers zu erfahren.

Credit: Ars Electronica / Mario Schmidhumer

Warum hast du dich für die EMAP-Residency beworben?

Dorotea Dolinšek: Ich arbeite schon seit langem mit dem Kersnikova-Institut zusammen, welches zufällig einer der Partner*innen von EMAP ist. Während unserer Zusammenarbeit machten sie mich auf die Möglichkeit aufmerksam und ermutigten mich, mich mit meinem neuesten Projekt „Biosymbiotic Exoskeleton“ für diese Residency zu bewerben. Angesichts der Art meines Projekts wurde mir klar, dass das Ars Electronica Center in Linz ein idealer Ort wäre, um das Projekt zu vervollständigen. Außerdem richtet sich EMAP speziell an junge, aufstrebende Künstler*innen, was für mich eine tolle Gelegenheit war. Auch erwähnenswert ist, dass dies mein dritter Versuch war, angenommen zu werden, und ich freue mich total, dass ich endlich diese Chance bekommen habe.

Kannst du uns ein wenig erzählen, woran du während deiner Residency arbeitest?

Dorotea Dolinšek: Das bevorstehende Projekt markiert den dritten Teil meiner fortlaufenden Erforschung außergewöhnlicher Lebensräume und der faszinierenden Geschichten, die sie bergen. Die beiden vorangegangenen Arbeiten befassten sich mit der ökologischen Dynamik des Weltraums und konzentrierten sich auf die komplizierten Beziehungen zwischen biologischen Einheiten. Bei diesem Projekt verlagert sich der Fokus jedoch nach innen, indem ich mich mit der Ökologie des menschlichen Körpers selbst beschäftige. Was meine Aufmerksamkeit erregte, war die Feststellung, dass die Anzahl der anderen lebenden Organismen, wie Bakterien, Pilze und Viren, die den menschlichen Körper bevölkern, zehnmal höher ist als die Anzahl der menschlichen Zellen. Dies führte mich zu der Erkenntnis, dass das nicht-menschliche Andere dem Außerirdischen in der Intimität des menschlichen Körpers begegnet – unserem Mikrobiom. Selbst wenn wir uns extremer Sterilität unterziehen und außerhalb der Erdatmosphäre reisen, uns vollständig von der irdischen Umgebung emanzipieren, sind wir keineswegs allein und isoliert. Konkret lasse ich mich vom Raumanzug inspirieren, der meiner Meinung nach die ultimative Abtrennung des menschlichen Lebensraums von der Natur darstellt. Er ist ein wichtiger Meilenstein in unserem Streben nach Emanzipation.

Im Laufe der Geschichte haben sich unsere Lebensräume von Höhlen über Häuser bis hin zum Raumanzug entwickelt. Diese einzigartigen Umgebungen faszinieren mich, da sie ein komplexes Schlachtfeld zwischen Menschen und anderen Organismen schaffen. Wenn wir uns in den Weltraum begeben, weit weg von der Erde, wird uns die tiefe Verbindung bewusst, die wir mit unserer irdischen Umgebung teilen. Jeder Mikroorganismus, der in uns wohnt, wie Pilze und Viren, macht eine Dysbiose durch, die die Folgen unserer Loslösung widerspiegelt. Dieser Vorgang ist ein überzeugendes Beispiel dafür, dass unser Wohlbefinden eng mit unserer Fähigkeit verbunden ist, Beziehungen einzugehen.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse plane ich die Konstruktion eines Raumanzuges, dem ich den Namen „Biosymbiotic Exoskeleton“ gegeben habe. Anstatt nach Sterilität zu streben, möchte ich andere Organismen aktiv in diese Struktur einbinden. Algen werden eine wichtige Rolle spielen, und im Labor erforsche ich auch das Potenzial, mein eigenes Mikrobiom anzuzapfen. Indem ich das Vorhandensein verschiedener Lebensformen akzeptiere, möchte ich eine symbiotische Beziehung kultivieren, die unser inhärentes Bedürfnis nach Verbindung und gegenseitiger Abhängigkeit anerkennt.

Credit: Ars Electronica / Mario Schmidhumer

Bist du bei deiner Arbeit an diesem Projekt auf unerwartete Herausforderungen oder Erkenntnisse gestoßen?

Dorotea Dolinšek: Während ich mich in die Laborarbeit vertiefte, stellte ich fest, dass Pläne oft unerwartete Änderungen erfahren. Obwohl ich ursprünglich vorhatte, nur Proben aus meinem Bauchnabel zu nehmen, habe ich alternative Ansätze entdeckt, die sich als effektiver erweisen. Anpassungen und methodische Änderungen sind zu einem integralen Bestandteil meiner derzeitigen Phase geworden, in der ich das Protokoll für den Mikrobiom-Impfprozess aktiv weiterentwickle. Diese kontinuierliche Entwicklung stellt sicher, dass das Projekt fließend und offen für Veränderungen bleibt.

Wie bist du auf das radikale Umfeld des Weltraums aufmerksam geworden?

Dorotea Dolinšek: Aufgrund meiner abgeschlossenen Ausbildung als Malerin hat mich mein angeborenes Interesse zur Darstellung des Weltraums und alternativer Lebensräume geführt. Ich kam jedoch bald zu der Erkenntnis, dass die bloße Darstellung von Technologie in meiner Kunst nicht ausreicht – ich sehnte mich danach, sie aktiv als Werkzeug zu nutzen. Vor allem der Weltraum hat mein Interesse geweckt, weil er unsere Vorstellungen vom Menschsein in Frage stellt, sowohl auf der Erde als auch in den Weiten des Alls. Die extreme und radikale Umgebung des Weltraums zwingt uns dazu, jeden Aspekt unserer Existenz kritisch zu überdenken.

Während der Weltraum oft als der Bereich angesehen wird, in dem die beste Version der Menschheit zum Vorschein kommen sollte, begann ich, die Infrastruktur zu hinterfragen, die unsere Präsenz dort untermauert. Es wurde mir klar, dass diese Infrastruktur selbst Bände über unsere inhärent anthropozentrische Art und Weise, auf der Erde zu existieren, spricht. Infolgedessen wurde die Infrastruktur zu einem wiederkehrenden Thema in meinem Projekt. Ich habe sie jedoch nicht einfach recycelt, sondern sie so angepasst, dass sie zu der Erzählung passt, die ich vermitteln wollte.

Als ich mich weiter mit der Erforschung des Weltraums beschäftigte, erkannte ich allmählich, dass die Erde selbst einen radikalen Wandel durchmacht. Die anthropozentrische Art und Weise, in der wir unseren Planeten bewohnen, trägt zu einer zunehmend radikalisierten Umwelt bei. Diese Erkenntnis beflügelte meine künstlerischen Bemühungen und drängte mich dazu, die komplizierte Beziehung zwischen der Menschheit, der Technologie und der sich entwickelnden Natur unserer irdischen Heimat zu erforschen.

Credit: Ars Electronica / Mario Schmidhumer

Was sind die nächsten Schritte für dieses Projekt?

Dorotea Dolinšek: Derzeit bin ich im BioLab des Ars Electronica Center untergebracht, wo ich bis Ende Juni meine Zeit verbringen werde. Dieser Raum dient mir als Hauptarbeitsplatz für das Projekt, in dem ich mit der Wissenschaftlerin Anastasia Bragina zusammenarbeite. Währenddessen arbeite ich aus der Ferne gemeinsam mit der Designerin Barbara Susnik an der Entwicklung des Exoskelett-Designs. Nach meiner Rückkehr ins Kersnikova-Institut planen wir, den technischen Aspekt des Projekts gemeinsam mit dem talentierten Künstler Dimitri Morozov umzusetzen. Es freut mich sehr, dass ich die Gelegenheit habe, mit einer solch bemerkenswerten Gruppe von Expert*innen zusammenzuarbeiten, die ihr Fachwissen auf beeindruckende Weise vereinen. Sobald das Projekt fertiggestellt ist, wird es auf dem Ars Electronica Festival im September vorgestellt werden.

Gibt es Pläne für die Zukunft?

Dorotea Dolinšek: Aktuell liegt mein Fokus darauf, meine künstlerische Praxis zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Hast du irgendwelche Tipps für angehende Medienkünstler*innen, die an Residencies teilnehmen möchten?

Dorotea Dolinšek: Bei einer Bewerbung für EMAP ist es meiner Ansicht nach von großer Bedeutung, Partner*in und Einrichtung für die Zusammenarbeit sorgfältig auszuwählen. Eine überzeugende Idee und ein durchdachter Plan sind zweifellos entscheidend.

Dieses und weitere spannende Projekte werden von 6. bis 10. September 2023 am Ars Electronica Festival zu sehen sein.

Dorotea Dolinšek ist eine in Ljubljana ansässige Intermedia-Künstlerin. Sie hat einen Bachelor-Abschluss in Malerei, den sie an der Akademie der Schönen Künste in Venedig erworben hat. Derzeit arbeitet sie an ihrer Masterarbeit an der Akademie in Ljubljana, Abteilung für Video und neue Medienkunst. Seit 2020 arbeitet sie mit dem Kersnikova Institut (Galerie Kapelica) zusammen. Im Jahr 2021 erhielt sie einen Studentenpreis beim International Festival of Computer Arts in Maribor, Slowenien.

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