Künstler Tom Bogaert über die Investition in „Sünden-Aktien“ von Waffenproduzenten als Akt des Widerstands gegen die Logik des Krieges
Gastbeitrag von Tom Bogaert
Wenn ich über das vergangene Jahr während meiner Residency im Ars Electronica Futurelab nachdenke, befinde ich mich an einer Schnittstelle von Politik, Unterhaltung, Technologie, Kunst, Propaganda – und einem unerwarteten Ausflug in die Welt der Finanzen. Ausgestattet mit einem Stipendium der flämischen Regierung begab ich mich auf eine Reise, die die Grenzen zwischen Kriegsdienstverweigerung, Krieg und dem rätselhaften Reich der „Sin Stocks” (unethische “Aktien der Sünde”) verwischte.
Mein Ziel war klar: Waffen hacken und gleichzeitig die Struktur, die Strategien und die Geopolitik des Waffenhandels unter die Lupe nehmen und ihn in eine Form der Kunst verwandeln. In meiner Idealvorstellung stellte ich mir eine laborähnliche Umgebung vor, die mit Schraubenziehern, Computern, Brainstormern, Büchern und Lötkolben gefüllt war – ein Ort, an dem die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verschwimmen würden.
Doch schon bald wurde mein Mangel an Wissen über Waffen eklatant. Als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, der nie im Militär gedient hat, beschloss ich, dieses Problem zu lösen – durch den Besuch einer Waffenmesse. Die International Defence Exhibition & Conference (IDEX) in Abu Dhabi versprach einen Einblick in das verschlungene Netz des militärisch-industriellen Komplexes.
Nachdem ich meinen offiziellen Besucherausweis erhalten hatte, erkundete ich die Messehallen mit Besorgnis und Neugierde zugleich. Doch überraschenderweise erinnerte die Atmosphäre eher an eine Kunstmesse oder eine Autoausstellung als an die bedrohliche Dunkelheit, die ich erwartet hatte. Die Aussteller*innen diskutierten eifrig über ihre Produkte, deren Notwendigkeit und die anvisierten Kund*innen.
Inspiriert von dieser Erfahrung nahm eine bestimmte Idee in meinem Kopf Gestalt an – was wäre, wenn ich Aktien von genau den waffenproduzierenden Unternehmen kaufen würde, denen ich auf der Waffenmesse begegnet war? Und was wäre, wenn ich diese Aktien trotz meines Status als Kriegsdienstverweigerer als Medium für mein Kunstprojekt nutzen würde? Der Kauf von “Sünden-Aktien” mit staatlichen Geldern, die für ein Kunstprojekt bestimmt waren, wurde zu einer Form von Kunst, die Widerspruch erzeugt.
Nach Abwägung der ethischen Implikationen und möglicher Einwände meiner Sponsor*innen beschloss ich, weiterzumachen. Meine Beteiligung an diesen Rüstungsunternehmen würde zu einem integralen Bestandteil meiner Kunstinstallation werden, ein in den Kollateralschaden eingebettetes Statement. Potenzielle Käufer*innen meiner Kunstinstallation „Objection“ würden nicht nur die Kunst, sondern auch die Verantwortung für den Besitz von Waffenanteilen erben.
Beim Ars Electronica Festival präsentierte ich Prototypen und KI-generierte Bilder von gehackten Waffen, darunter Tränengaskanister mit Heidelbeergeschmack, Kugeln mit eingebauten Schmerzmitteln, Feuerwerksbomben, die Gebäude zum Bluten zu bringen scheinen, Schneekanonen anstelle von Wasserwerfern und vieles mehr. Neben diesem materialisierten Hacking präsentierte ich dem Publikum die Schnittstelle meines Online-Brokerkontos.
Meinen ersten Kauf von Waffenaktien hatte ich am 2. Mai 2023 getätigt, mitten in den Wirren des Ukraine-Krieges. Bis zur offiziellen Präsentation meines Projekts beim Ars Electronica Festival im September 2023 hatte mein Portfolio noch keinen Gewinn abgeworfen. Die unerwartete Wendung kam jedoch mit dem Ausbruch des Krieges zwischen der Hamas und Israel am 7. Oktober 2023.
An einem einzigen Tag stieg mein Aktienportfolio um mehr als zehn Prozent – ein Trend, der sich seither fortgesetzt hat. Und so finde ich mich als Besitzer von Sünden-Aktien wieder, ein Kriegsdienstverweigerer, der sich mit dem Paradoxon und der Zweideutigkeit auseinandersetzt, Teil genau der Branche zu sein – und von ihr zu profitieren -, die ich bis ins Mark hasse. Das tägliche Ritual, den Wert meines Portfolios auf meinem Telefon zu überprüfen, ist sowohl seltsam als auch süchtig machend geworden, eine ständige Erinnerung an den komplexen Tanz zwischen Kunst, Ethik und den unerwarteten Auswirkungen der Ebbe und Flut globaler Katastrophen.
Während ich diese Gedanken Ende Jänner 2024 niederschreibe, bin ich immer noch in die sich entwickelnde Geschichte meines Projekts „Objection“ vertieft. Der unvorhergesehene und tiefgreifende „Hamas-Effekt“ hat meinem künstlerischen Vorhaben zusätzliche Komplexität verliehen. Er regt zum Nachdenken über Moral, Finanzen, Insider- und Outsider-Trading, Leiden und die unerforschten Gebiete an, in denen Kriegsdienstverweigerung auf die turbulente Welt der Sünden-Aktien trifft.
“Objection” war Teil des Open Futurelab beim Ars Electronica Festival 2023. Dieses Projekt wurde vom flämischen Ministerium für Kultur, Jugend und Medien finanziert.
Tom Bogaert
Tom Bogaert kam nach einer Karriere als Flüchtlingshelfer bei den Vereinten Nationen und Amnesty International in Europa, Zentralafrika und Südostasien zur Kunst. Im Alter von 38 Jahren gab Bogaert seine juristische Karriere auf, um sich als Künstler in New York niederzulassen. Er hat vielfach in Europa, den USA, dem Nahen Osten und Nordafrika ausgestellt – hauptsächlich und mit Stolz in von Künstler*innen betriebenen und gemeinnützigen Einrichtungen.
Bogaert ist eine Hälfte des haitianisch-belgischen kunstschaffenden Unternehmens Lafleur & Bogaert. Am bekanntesten sind sie für ihre von der Kritik gefeierten Projekte für die documenta fünfzehn im Rahmen der Atis Rezistans / Ghetto Biennale, für die sie von der deutschen Sektion des Internationalen Kunstkritikerverbands AICA mit dem Preis für “Die beste Ausstellung des Jahres 2022″ ausgezeichnet wurden.
Tom Bogaert war 2023 Artist in Residence im Ars Electronica Futurelab in Linz, Österreich. Der 1966 im belgischen Brügge geborene und in Rom, Italien, lebende Künstler arbeitet in situ.