Wissenschaft und Kunst vereinen ihre Kräfte, um innovative Lösungen für aktuelle Krisen zu finden. Acht gemeinsame Projekte von JKU-Wissenschaftler*innen und Künstler*innen werden beim Ars Electronica Festival in Linz präsentiert.
Gastbeitrag von JKU Johannes Kepler Universität Linz
Passen Wissenschaft und Kunst zusammen? Können diese zwei Welten eine Sprache sprechen? Und wofür brauchen wir das überhaupt? Die Antwort ist so simpel wie komplex: Um in unserer von multiplen Krisen geprägten Welt nach Lösungen zu suchen und diese auch zu finden, braucht es mehr als nur einen Blickwinkel. Wir müssen über den Tellerrand schauen und Perspektiven aus unterschiedlichen Disziplinen einbringen. Wissenschaft und Kunst können sich dabei gegenseitig bereichern. Die Zugänge sind unterschiedlich, aber beide Disziplinen eint der Drang, die Welt neu zu entdecken und Antworten für die Herausforderungen unserer Zeit zu geben. Genau das haben Wissenschaftler*innen der Johannes Kepler Universität Linz gemeinsam mit Künstler*innen bei acht Projekten, die durch das Linz Institute of Technology (LIT) gefördert werden, beim diesjährigen Ars Electronica Festival versucht. Zu sehen (und zu hören!) sind die Projekte am Medizinischen Campus der JKU, der heuer erstmals Schauplatz des Festivals ist, in der POSTCITY, im Ars Electronica Deep Space 8K und im Linzer Mariendom.
Johannes Kofler, Richard Küng und Yoojin Oh sind drei beteiligte Forscher*innen, die im Interview einen Vorgeschmack auf die Projekte geben.
Quanten im Koffer: Bruckner, Dom und Hightech-Physik
Das Brucknerjahr 2024 ist auch beim Ars Electronica Festival präsent. Denn: Im Linzer Mariendom erklingt ein Orgelkonzert, inspiriert von Anton Bruckner, im Detail aber komponiert: vom Zufall.
Ist das Projekt BruQner nun ein Brucknerkonzert oder nicht?
Dr. Johannes Kofler: Sowohl als auch. Ein quantenmechanisches Experiment mit verschränkten Lichtteilchen sorgt dafür, dass lokal zwar zufällige aber untereinander stark korrelierte Takte, die an Bruckners Perger Präludium angelehnt sind, für die beiden Orgeln ausgewählt werden. Diese werden dann den Organist*innen weitergegeben – na, und die spielen sie dann gleichzeitig.
Also in Echtzeit?
Univ.-Prof. Dr. Richard Küng: Fast. Die Organist*innen sind ja Menschen, sie haben sich einen Takt Vorlaufzeit erbeten.
Dennoch eine unglaubliche Leistung.
Johannes Kofler: Zweifellos, und einer der Gründe, warum wir das Projekt im Mariendom durchführen. Der hat nicht nur zwei Orgeln, die gleichzeitig aufeinander abgestimmt spielen können, sondern auch großartige Organist*innen, die das schaffen. Es gibt auf der Welt gar nicht so viele Orte, wo das möglich ist.
Wie kommt man auf die Idee, in einer Kirche Bruckner mit Quanten zu vermitteln?
Richard Küng: Prof. Philipp Haslinger von der TU Wien hat mich und andere zusammengetrommelt, um im Brucknerjahr den Komponisten mit Quanten zu verbinden. Ich war Feuer und Flamme. Johannes hatte dann die Idee, dazu die Bell-Ungleichung heranzuziehen. Damit kann man Musik spielen, die kein menschlicher Dirigent oder klassischer Computer dirigieren könnte.
Die Bell-Ungleichung sagt uns was?
Johannes Kofler: Hm, zusammengefasst zeigt der Verletzung der Bell-Ungleichung, dass quantenmechanisch erzeugte Korrelationen von Messergebnissen stärker sein können als klassisch erlaubt ist. Im Endeffekt bedeutet das, dass die Welt nicht klassisch funktioniert, wie Menschen lange gedacht haben, sondern auf Quanteneffekten und damit dem Zufall beruht. Ich habe fast ein Jahrzehnt mit Anton Zeilinger, der 2022 den Physik-Nobelpreis erhalten hat, auf diesem Gebiet gearbeitet und wusste daher, dass sich dieser Ansatz gut eignen würde.
Das Konzert wird also von einem Quanten-Zufallsgenerator gestaltet?
Richard Küng: Genau. Quantenphysik ist halt sehr anders als unsere Alltagserfahrung. Das zu vermitteln ist nicht immer einfach, aber ganz grundsätzlich notwendig, wenn wir die Welt in ihrem Innersten verstehen wollen. Daher schien uns Musik ein gutes Mittel, Quantenphysik nicht nur zu erklären, sondern anschaulich mit anderen Sinnen sichtbar und hörbar zu machen. Denn das Konzert wird ja auch noch visualisiert.
Wie hat die Zusammenarbeit von Physiker*innen, Musiker*innen und anderen Fachgebieten funktioniert?
Johannes Kofler: Sehr gut, das Interesse aller an den anderen Fachgebieten war enorm. Wir haben alle viel dazugelernt, und der Komponist Clemens Wenger ist ja auch Programmierer, das war ein Vorteil.
Ein sehr umfassendes Projekt also. Wird es nach dem Festival fortgesetzt?
Richard Küng (lächelt): Auf jeden Fall! Vielleicht auch in anderen musikalischen Genres und eventuell auch mal ohne menschliche Organist*innen. Möglich ist vieles – der ganze quantentechnologische Aufbau passt mittlerweile in einen Koffer – wir könnten also jederzeit auf Tournee gehen.
Microbial Mindscapes – sag mir was du isst, und ich sage dir, wie du dich fühlst
Macht Schokolade glücklich? Schlägt uns ein Streit auf den Magen? Oder anders gefragt: Was beeinflusst unsere Emotionen? Die Wissenschaft gibt darauf eine spannende Antwort: Nicht nur unser Hirn – auch unsere Untermieter*innen im Magen haben Einfluss auf unseren emotionalen Zustand. Das LIT geförderte Projekt Microbial Mindscapes zeigt beim diesjährigen Ars Electronica Festival mit einer interaktiven audiovisuellen Installation und einer Performance den Zusammenhang zwischen Darmmikrobiom und psychischer Gesundheit sowie emotionalem Wohlbefinden auf.
Dr.in Yoojin Oh, Sie liefern gemeinsam mit Peter Hinterdorfer, Christina Watschinger und Tobias Ruff den wissenschaftlichen Hintergrund zum Projekt. Was genau erforschen Sie?
Yoojin Oh: Wir sind dem Einfluss des Mikrobioms auf den Körper und auf unsere Emotionen auf der Spur. Konkret untersuchen wir, wie sich die Zusammensetzung der Bakterien im Darm auswirken. Also wie sie sich zum Beispiel auf Neurotransmitter auswirken. Das sind biochemische Stoffe, die Reize von einer Nervenzelle zur anderen weitergeben.
Und wir wirken sie sich aus?
Yoojin Oh: Deutlich. Im menschlichen Darm befinden sich ja unglaublich viele Bakterien. Rund ein Kilo unseres Gewichts sind Darmbakterien, und zwar Hunderte verschiedene Arten. Sie erzeugen unterschiedliche Stoffe. Je mehr Exemplare von einer Bakterienart vorhanden sind, umso stärker ist deren Anteil an biochemischen Stoffen. Das wirkt sich natürlich aus.
Die Zusammensetzung an solchen Bakterien ist aber individuell?
Yoojin Oh: Ja, und sie ändert sich – je nachdem, was wir zu uns nehmen. Ein Baby isst anders als ein Erwachsener, Menschen in Asien anders als Menschen in Europa.
Aber bei allen wirken sich die Bakterien aus, auch auf die Emotionen. Was koche ich also meiner Frau, wenn sie sauer auf mich ist?
Yoojin Oh (lacht): Der Zusammenhang ist natürlich nicht so, dass ein spezielles Essen Depressionen verhindert oder Ärger wegzaubert. Vor allem untersuchen wir weder einzelne Bakterien oder Menschen. Ernährungsempfehlungen kann ich daher nicht abgeben.
Aber Zusammenhänge ableiten?
Yoojin Oh: Ja, die können wir statistisch gut aufzeigen. Wir untersuchen dazu beispielsweise, wie manche Bakterienarten den Serotonin- oder Dopamin-Anteil erhöhen oder senken oder deren Transport erleichtern oder erschweren. Beides sind Hormone, die Einfluss auf unsere Stimmung haben und zum Beispiel Vorfreude auslösen können.
Dazu werfen Sie einen Blick auf Verborgenes.
Yoojin Oh: Wir untersuchen diese Vorgänge auf molekularer Ebene. Der Austausch biochemischer Stoffe erfolgt oft in der Größenordnung von zehn bis 15 Atomen. Dazu braucht es spezielles Equipment, wie unsere Rasterkraftmikroskope.
Woher kommt Ihr Interesse an diesem Thema?
Yoojin Oh: Das Mikrobiom hat mich immer interessiert – nicht nur das im Magen. Die Vorgänge im Körper sind so vielfältig und verknüpft – das ist einfach unglaublich faszinierend!
Und wie arbeitet man als Wissenschaftlerin mit Künstler*innen zusammen?
Yoojin Oh: Das ist sehr bereichernd. Wir Forscher*innen tauschen uns da mit unserer Fachsprache mit Menschen aus, die einen völlig anderen Zugang haben. Das ist sehr intensiv – und unglaublich spannend. Sabina Ahn hat ja selbst unter Depressionen und Panikstörungen gelitten und ist daher prädestiniert, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Ganz ehrlich – hat Ihre Forschung Sie bewogen, Ihre Essgewohnheiten zu ändern?
Yoojin Oh (lacht): Nicht wirklich. Aber sie hat mich bestärkt, intensiv weiterzuforschen. Und meine Forschung hat mich bewogen, unsere Erkenntnisse über Art and Science Projekte wie Microbial Mindscapes mit anderen Menschen zu teilen, sie auf die Zusammenhänge hinzuweisen – und sie vielleicht zum Nachdenken anzuregen.
Microbial Mindscapes und BruQner sind aber nur zwei der insgesamt acht einzigartigen LIT-Projekte der Johannes Kepler Universität Linz. Am Medizinischen Campus der JKU, in der POSTCITY und im Ars Electronica Deep Space 8K warten weitere Highlights, die in die Welt der Künstlichen Intelligenz und, ja, der Zauberei entführen. So muss der Zauberer Merlin Kepler im interaktiven Spiel „Hack the Hat“ Tests eines magischen Sortierhuts bestehen – und zeigt dabei versteckte Vorurteile und Kriterien in KI-gesteuerten Recruiting Prozessen auf. Wie Musik zum besseren Verständnis von KI beitragen kann, verdeutlicht das Projekt „Songs about AI: G’sungen, g’rappt und g’stanzlt“ vermitteln verschiedene Musikstücke Wissen über Künstliche Intelligenz und regen zum Dialog und Nachdenken an. „Raise Your Voice“, eine interaktive Kunstinstallation, geht der Autoritätslücke zwischen den Altersgruppen mit einem Augenzwinkern auf den Grund. Stimmen von Kindern und Jugendlichen werden in Erwachsenenstimmen umgewandelt und ermöglicht den Zuhörer*innen, darüber nachzudenken, wie sie das Gesagte wahrnehmen.
Was hinter der Fassade von digitalen Plattformen wie Facebook oder Amazon passiert, macht das interaktive Kunstgemälde „On the (side)line“ sichtbar. Mithilfe von Augmented Reality gibt es Einblicke in die (oft verborgenen) Menschen und Arbeitsrealitäten hinter digitalen Plattformen. Schon mal einen Blick in unser Gehirn geworfen? Das Projekt „Touching thoughts“ macht es möglich und entführt Besucher*innen im JKU medSPACE in die mikroskopische Welt von Neuralen Netzwerken im Gehirn und ins Innere von Krebszellen. Künstler*innen haben dafür Gewebeproben digital rekonstruiert, die in beindruckende 3D-Datensätze umgewandelt werden und aufzeigen, welche Auswirkungen Kunst und Technologie auf wissenschaftliche Entdeckungen und medizinische Lehre haben können. Im „The Turing Game“ spielen zwei Menschen gegen eine Maschine und müssen gemeinsam den KI-Bot identifizieren. Ob damit Alan Turings jahrzehntealte Frage, ob Maschinen denken können, beantwortet wird?
Finde es heraus! Bei den Art & Science-Projekten der Johannes Kepler Universität Linz beim Ars Electronica Festival 2024. Tickets dafür gibt es hier.
Univ.-Prof. Richard Küng
Richard Küng wurde 1988 geboren und studierte Physik an der ETH Zürich. Die Doktorarbeit absolvierte er summa cum laude zum Thema „Convex reconstruction from structured measurements“ an der Uni Köln (2016). Aufenthalte an Universitäten in Berlin und Kalifornien folgten. Seit April 2020 ist er als Tenure Track-Professor am Department of Computer Science an der JKU tätig.
Dr. Johannes Kofler
Johannes Kofler ist im Fachbereich Informatik der Johannes Kepler Universität Linz tätig und forscht an der Schnittstelle zwischen Quanten- und klassischer Informationsverarbeitung.
Dr.in Yoojin Oh
Yoojin Oh stammt aus Südkorea und ist Physikerin am Institut für Biophysik an der Johannes Kepler Universität Linz. Sie forscht mit Methoden der Einzelmolekül-Biophysik an pathogenen Systemen.