Macht und Raum durch digitale Kunst in Frage stellen

Enar de Dios Rodríguez, Ecotone, 2022 (still)

Grenzen, Technologie und Macht – Enar de Dios Rodríguez fordert uns mit ihrem preisgekrönten, zum Nachdenken anregenden audiovisuellen Essay „Ecotone“ dazu auf, die Räume, in denen wir leben, neu zu überdenken.

Enar de Dios Rodríguez wurde mit dem renommierten Marianne.von.Willemer-Preis für Digitale Medien 2024 ausgezeichnet, eine Anerkennung, die Künstlerinnen feiert, die die Grenzen der digitalen Kunst ausloten. Mit einem Preisgeld von 5.000 Euro ehrt diese von der Stadt Linz verliehene Auszeichnung innovative Werke, die digitale Medien kreativ sowohl als Werkzeug als auch als Ausdrucksmedium nutzen. Rodríguez, die für ihre antikapitalistische und feministische Sichtweise bekannt ist, interpretiert Technologie durch ihren multidisziplinären Ansatz immer wieder neu.

Ihr preisgekröntes Werk „Ecotone“ ist ein Beispiel für diese Vision. Es ist mehr als eine Ausstellung – „Ecotone“ ist ein sechsteiliger audiovisueller Essay, der sich über einen Ausstellungsraum erstreckt, in dem Wörter und Bilder über Bildschirme verstreut erscheinen und die Betrachter*innen zu einer tieferen Reflexion einladen. Wir haben uns mit Rodríguez getroffen, um mit ihr über ihre Gedanken zum Gewinn des Willemer-Preises, ihren kreativen Prozess und darüber zu sprechen, wie sich die Arbeit in Linz im Vergleich zu ihren Erfahrungen in Spanien und Wien anfühlt.

Zunächst möchte ich Sie nach dem Willemer-Preis fragen. Was bedeutet dieser Preis für Sie? Ist er nur einer von vielen Auszeichnungen, oder hat er eine besondere Bedeutung, weil er ein lokaler Preis ist?

Enar de Dios Rodríguez: Ich stelle meine Arbeiten international aus und manchmal auch in Österreich, wo ich lebe, aber nicht so oft. Daher ist es für mich besonders bedeutend, eine solche lokale Anerkennung zu erhalten, die im österreichischen Kontext eine wichtige Rolle spielt. Dafür bin ich sehr dankbar. Wie bei vielen bildenden Künstler*innen ist von seiner Kunst zu leben nicht der einfachste Weg – finanziell. Insofern ist dieser Preis auch in praktischer Hinsicht sehr wichtig – er unterstützt mich dabei, weiterhin von meiner täglichen Arbeit leben zu können.

Für Menschen, die Ihre Arbeit nicht kennen: Könnten Sie ein wenig erläutern, was Ihnen in Ihrer Praxis wichtig ist und welche Themen Sie behandeln?

Enar de Dios Rodríguez: Meine Arbeit basiert auf Forschung und ist stark interdisziplinär. Ich arbeite mit verschiedenen Medien. Nach einem intensiven Forschungsprozess zu einem bestimmten Thema materialisiert sich das Erforschte in einer Serie von Objekten oder Werken, die in einem Ausstellungsraum präsentiert werden. Meine Projekte haben meist ein zentrales Element, oft ein Video. Ich arbeite viel im Format des audiovisuellen Essays – ähnlich einem schriftlichen Essay, der von Bildern begleitet wird. Die Themen, mit denen ich mich beschäftige, sind unterschiedlich, aber sie haben alle einen gemeinsamen Nenner: die Produktion von Raum oder Akte der Territorialisierung. Obwohl Raum immer produziert wird, interessiere ich mich besonders für das, was ich „Räume im Entstehen“ nenne: Räume, die umstritten sind, noch immer schlecht gesetzlich geregelt, meist ohne Eigentümer*in, und obwohl sie kartografischen Methoden widerstanden haben, sind sie bereits dabei, besetzt und genutzt zu werden. Ein großes Projekt, an dem ich gearbeitet habe, mit dem Titel „Liquid ground“ (Flüssiger Boden), befasste sich beispielsweise mit der aktuellen Kartierung der Meeresböden und damit, wie dieser Unterwasserraum (bis vor kurzem noch mit dem Status eines „gemeinsamen Erbes der Menschheit“) kartiert, teilweise zwischen Nationen aufgeteilt und als zukünftige Mine betrachtet wird. Ein weiteres meiner Werke, „Ecotone“, das den Preis gewonnen hat, beschäftigte sich mit Grenzen – genauer gesagt mit den Grenzen zwischen Räumen. Dies ist ein weiteres Beispiel für einen umstrittenen Raum, der sich bewegen und verschieben kann.

Derzeit beschäftige ich mich mit kosmischen, atmosphärischen und unterirdischen Räumen. Diese Räume unterscheiden sich von der horizontalen Erdoberfläche oder dem Grund der Ozeane, wo Grenzen durch das gewaltsame Aufstellen einer Flagge und die Erklärung „Dies ist mein Land“ definiert werden. Im kosmischen Raum hingegen werden Umlaufbahnen von Satelliten besetzt. Es gibt kaum internationale Gesetze, die diese regeln, und jeder, der die Möglichkeit hat, einen Satelliten zu starten, kann dies mit der Erlaubnis seines Landes tun. Das ist etwas absurd, wenn man bedenkt, dass diese Umlaufbahnen auf unbestimmte Zeit besetzt werden könnten und welch immensen Einfluss diese Technologien auf das heutige Leben auf der Erdoberfläche haben (von GPS und globaler Kommunikation bis hin zur militärischen Überwachung und Umweltüberwachung). Indigene Gemeinschaften haben bereits den Begriff „Astrokolonialismus“ geprägt: die Ausweitung kolonialer Ideologien und Praktiken in den Weltraum.

Mich interessiert es, diese Räume in ihrer Entstehung zu untersuchen und die aktuellen Fragen zu beleuchten, die damit verbunden sind. Ich erforsche, wie ökologische Fragen mit ökonomischen Faktoren verflochten sind und wie diese wiederum mit historischen Ereignissen im Zusammenhang mit dem Kapitalismus stehen. Ich bringe dabei bewusst eine feministische, dekoloniale Perspektive ein und versuche, eine antikapitalistische Alternative zu entwickeln – die Vision eines „Andersmöglichen“.

Ecotone scheint auch einen starken Bezug zu Kontrolle und Macht im Kontext des Kapitalismus zu haben. Wie zeigen sich diese Themen in Ihrer Arbeit, und wie kann ein*e Besucher*in das in einer Ausstellung erleben?

Enar de Dios Rodríguez: Ecotone ist in verschiedene Kapitel unterteilt, die jeweils einen Prolog und einen Epilog haben. Die Kapitel sind nach Maßstab geordnet, beginnend bei großen Räumen und endend bei kleinen. Das erste Kapitel konzentriert sich auf ein Naturschutzgebiet in der Zentralafrikanischen Republik namens Chinko, ein Ökoton, das Tausende von Quadratkilometern umfasst. Es ist ein geschütztes Gebiet, das von der übrigen Umgebung getrennt und konserviert werden muss, was bereits eine Form der Kontrolle darstellt. Das nächste Kapitel konzentrierte sich auf kleinere Räume: landwirtschaftliche Felder, Räume, die von Menschen künstlich für ihre kontinuierliche Nutzung geschaffen wurden und die ebenfalls auf ganz andere Weise abgetrennt und kontrolliert werden müssen (was ebenfalls erhebliche Konsequenzen hat

Dann gehe ich zu einem noch kleineren Maßstab über: dem privaten Raum, so wie wir ihn in unseren Häusern haben, und wie auch dieser überwacht und beeinflusst wird. Im letzten Kapitel geht es schließlich um einen noch kleineren Raum, nämlich den Körper, einen molekularen Raum, der auf ähnliche Weise untersucht und durch Fragmentierung kontrolliert wird. In jedem dieser Fälle werden Räume auf unterschiedliche Weise kontrolliert und getrennt, oft zum Zweck ihrer Ausbeutung.

Jedes Kapitel wird visuell auf unterschiedliche Weise dargestellt, und diese Bilder spiegeln Kontrollsysteme wider. Im Kapitel über Chinko verwende ich beispielsweise Aufnahmen von Fallenkameras. Diese Kameras, die oft von Biolog*innen oder Jäger*innen verwendet werden, nehmen Bilder auf, sobald sie eine Bewegung erkennen, sei es ein Tier oder auch nur ein Baum, der sich im Wind wiegt. Ein Freund, der in Chinko arbeitete, stellte mir eine riesige Datenbank mit Millionen von Bildern zur Verfügung, und ich war fasziniert davon, wie diese Technologie zur Kontrolle und Überwachung der Natur eingesetzt wird.

Enar de Dios Rodríguez, Ecotone, 2022 (still)

Im nächsten Kapitel verwende ich Satellitenbilder, eine Form der visuellen Darstellung, die mit der räumlichen Überwachung und Ausbeutung verbunden ist. Satellitenbilder werden in der Landwirtschaft eingesetzt, um eine Vielzahl von Daten über Nutzpflanzen, Bodenbeschaffenheit und Wetter zu erhalten und die Nutzung des Bodens zu überwachen und neu zu gestalten. Für das Kapitel über den privaten Raum verwende ich ein Zusammenspiel aus aufgezeichneten Videos und 3D-Bildern, die Reflexionen auf dem Objektiv einer Smartphone-Kamera darstellen. Dies verdeutlicht, wie Smartphones unser tägliches Leben ständig erfassen. Wir unterzeichnen Verträge, ohne sie zu lesen, und erlauben diesen Geräten, unsere privatesten Bilder und Informationen aufzuzeichnen, zu archivieren und sogar zu verwerten, die dann dazu verwendet werden, unser Verhalten zu beeinflussen.

Im Kapitel über den molekularen Raum verwende ich 3D-Animationen historischer anatomischer Modelle, wie z. B. ein Augenmodell aus dem Jahr 1870, das geöffnet werden kann, um seine Teile zu enthüllen. Diese Modelle wurden verwendet, um die inneren Strukturen des Körpers darzustellen, und ich fand es faszinierend, wie sie ursprünglich aus Pappmaché hergestellt wurden und jetzt für Bildungszwecke in 3D gescannt wurden. Mich haben 3D-Scan-Technologien fasziniert, weil sie aus einer physischen Realität virtuelle Realitäten erzeugen und auf ähnliche Weise neue Formen des Eigentums, der Verbreitung und des Verständnisses schaffen.

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Sie haben Technologie erwähnt, die Sie in Ihrer Arbeit verwenden, während Sie gleichzeitig Kritik an ihr üben. Ars Electronica befasst sich stark mit der Beziehung zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft. Welche Rolle spielt Technologie in Ihrer Arbeit, und wie gehen Sie damit um?

Enar de Dios Rodríguez: Mich interessiert besonders die Technologie der Bilder. Es geht mir weniger um die Geräte selbst, sondern darum, wie diese eine bestimmte Sichtweise erzeugen. Anstatt die Geräte zu manipulieren oder neue Technologien zu entwickeln, geht es mir darum, die durch sie erzeugten Bilder neu zu lesen und zu hinterfragen. Mein Ansatz ist möglicherweise als ökologisch zu verstehen – es geht darum, die bestehenden Bilder neu zu interpretieren, anstatt neue zu schaffen. Ich denke, das ist heute besonders wichtig, da jeden Tag so viele Bilder und Informationen produziert werden. Für mich geht es darum, diese Bilder aus einer Perspektive zu lesen, die sich gegen die kapitalistische Erzählung stellt. Ich sehe ein großes Potenzial darin, diese Bilder anders zu betrachten und dadurch einen feministischen, antikapitalistischen Blick zu entwickeln.

Das ist wirklich spannend. Ich möchte Sie auch nach dem BruQner-Projekt fragen. Es brachte Künstler*innen aus verschiedenen Disziplinen zusammen, was ich sehr faszinierend finde. Wie war es für Sie, in einem so interdisziplinären Team zu arbeiten?

Enar de Dios Rodríguez: Neben meiner individuellen künstlerischen Praxis arbeite ich auch mit vielen unterschiedlichen Menschen zusammen. Ich bin Teil der Golden Pixel Cooperative, einer Gruppe, die sich auf Bewegtbildkunst konzentriert, und ich habe mit verschiedenen Künstler*innen und Denker*innen kollaboriert. Einer meiner langjährigen Kooperationspartner ist Philipp Haslinger, ein Quantenphysiker von der TU Wien. Wir haben bereits bei einem anderen Projekt namens SEEC Photography zusammengearbeitet, bei dem wir mit einem anderen Physiker, Thomas Juffmann, die Bewegung von Licht durch eine Vielzahl von Szenen und Objekten visuell erfasst haben. Letztes Jahr begannen Philipp und der Musiker Clemens Wenger darüber zu diskutieren, wie Quantenmusik klingen könnte. Dies nahm schließlich im Projekt BruQner Gestalt an, bei dem sie mich einluden, bei der Erstellung der Visuals mitzuwirken.

Das war das erste Mal, dass ich visuelle Elemente für eine Live-Performance erstellt habe, was für mich eine neue Erfahrung war. Normalerweise habe ich die volle Kontrolle über meine Arbeit, wie bei Ecotone, wo jedes Bild und jeder Text von mir genau gesteuert wird. Aber für BruQner wurden die visuellen Effekte auf der Grundlage der Live-Messungen eines Bell-Experiments automatisiert, was bedeutete, dass ich keine Kontrolle über das Endergebnis hatte. Das Experiment selbst bestimmte sowohl die Musik als auch die Visualisierungen, und obwohl es anfangs ungewohnt war, die Kontrolle abzugeben, denke ich, dass es am Ende sehr gut funktioniert hat. Das Projekt drehte sich darum, der Physik Raum zu geben, selbst zu sprechen und die Kunst in Echtzeit zu erschaffen.

BruQner—The Sound of Entanglement / Clemens Wenger (AT), Enar de Dios Rodríguez (ES), Martin Ringbauer (AT), Johannes Kofler (AT), Richard Küng (AT), Alexander Ploier (AT), Benjamin Orthner (AT/GH), Philipp Haslinger (AT), photo: vog.photo

Zum Abschluss noch eine Frage zum Willemer-Preis und zur Rolle von Linz als Medienkunst-Hauptstadt. Wie unterscheidet sich die Arbeit in Linz von der in Wien oder Spanien?

Enar de Dios Rodríguez: Linz ist kleiner und dadurch fühlt sich die Kunstszene enger und kollaborativer an. Die Menschen unterstützen sich gegenseitig, und auch an der Universität gibt es eine große Offenheit für Zusammenarbeit. In Wien ist die Szene eher individualistischer, aber in Linz habe ich den Eindruck, dass die Menschen häufiger zusammenarbeiten. Ich denke, das liegt auch an der Größe der Gemeinschaft und vielleicht auch an der Rolle, die Kunst und Technologie hier spielen, was interdisziplinäre Zusammenarbeit fördert. Während meiner Residency im Salzamt habe ich das sehr deutlich gespürt – alle gingen zu den Eröffnungen der anderen und unterstützten sich gegenseitig. Es war eine sehr einladende und unterstützende Atmosphäre.

Die Preisverleihung des Marianne.von.Willemer – Preis für digitale Medien 2024 findet am 17. Oktober im Alten Rathaus statt. Die nächste Ausschreibung des Preises findet im Frühjahr 2026 statt.

Enar de Dios Rodríguez

Enar de Dios Rodríguez ist eine forschungsbasierte bildende Künstlerin. Ihre interdisziplinären Arbeiten wurden international in zahlreichen Institutionen ausgestellt, darunter Kunsthalle (Wien), MAXXI (Rom), Kunsthall 3,14 (Bergen), Dazibao (Montreal) und Condeduque (Madrid). Ihre audiovisuellen Arbeiten wurden auch auf Filmfestivals wie dem Kasseler Dokfest und dem DokuFest gezeigt. Sie ist Mitglied der Golden Pixel Cooperative und Junior Fellow am ifk—Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften.

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