Nach der erfolgreichen Schau „Poesie der Bewegung“ im vergangenen Jahr ist Ars Electronica diesen Sommer erneut zu Gast im Berliner Automobilforum Unter den Linden. In Kooperation mit der Volkswagen AG wird diesmal die Ausstellung „Wovon Maschinen träumen“ gezeigt. Vierzehn Werke von elf international renommierten KünstlerInnen sowie dem Ars Electronica Futurelab sind dabei von 7. Juli bis 28. August 2011 zu sehen.
Type: Exhibition
Duration: July 7 – August 28, 2011
City, Country: Berlin, Germany
Venue: Automobilforum Unter den Linden, Volkswagen AG
Seit tausenden Jahren bauen Menschen schon Maschinen. Und abgesehen davon, dass sich durch ihren Einsatz so manche (Schwerst-)Arbeit massiv erleichtern oder wesentlich beschleunigen lässt, üben Maschinen seit jeher eine ganz eigene Faszination auf uns aus. Eine Faszination, die die Frage nach den zeitlosen Motiven hinter unserem steten Tüfteln an immer neuen Automaten, Robotern und Androiden aufwirft. Ist es unser Drang, die Natur und ihre Prozesse nicht bloß verstehen, sondern nachempfinden zu wollen? Unsere Anmaßung, die Natur zu verbessern? Kreieren wir künstliche Apparate, um die uns auferlegten Grenzen hinaus zu schieben oder – wenn möglich – überhaupt aufzuheben? Oder ist es schlicht unsere Neugier, die befriedigt werden will?
Wenn wir an Maschinen denken, assoziieren wir vor allem keuchende, stampfende Apparate, die durch heißen Dampf, Dieselaggregate oder elektrischen Strom angetrieben werden. Apparate, die rund um die Uhr, autonom und präzise das tun, was sie sollen und dabei ein unvorstellbares Maß an Kraft entfalten können. Doch was, wenn all diese unermüdlichen Arbeitsmaschinen einmal leerlaufen? Wenn sie für den Bruchteil einer Sekunde stillstehen oder auf den Schrottplätzen der Zivilisation vor sich hin rosten und auf ihr Recycling warten? Wovon sie dann wohl träumen mögen? Wenn wir uns nur für einen kurzen Moment auf diese an sich unsinnige Vorstellung einlassen, tauchen Bilder und Geschichten auf, die nicht so sehr von den Maschinen wie uns selbst erzählen. Von unseren Fantasien, Wünschen und Ängsten rund um Fortschritt und die von uns vorangetriebene, immer rasantere technologische Entwicklung.
Vierzehn Arbeiten von KünstlerInnen aus Europa und den USA
„Wovon Maschinen träumen“ versammelt Kunst-Maschinen, die mit ihren Pendants aus Industrie und Wirtschaft wenig gemeinsam haben. Keine Spur von Rationalität und Perfektion oder effizienzoptimierter Logik. Die Schau präsentiert Maschinen und robotische Apparaturen, die rein gar nichts produzieren außer den Geschichten, die sie erzählen. Und auch wenn keine Maschine der Welt je an das herankommen wird, was die Natur zu schaffen vermag, so ist jede einzelne von ihnen, ein eindrucksvolles Zeugnis für unser Streben, die Welt um uns herum erkennen, begreifen und beherrschen zu wollen. Insgesamt vierzehn künstlerische Arbeiten von renommierten KünstlerInnen aus Europa, und den USA spannen einen Bogen von zukunftsweisenden Designprojekten über ironisch-witzige mechanische Apparaturen bis hin zu vermeintlich schrägen Zukunftsvisionen, die in aller Regel eher früher als später Wirklichkeit werden. Versammelt sind all diese Arbeiten in einem großen Labyrinth mit roten Wänden. Über eine Rolltreppe gelangt die/der BesucherIn in dieses Labyrinth und findet sich in einer traumartigen Welt wieder. Eine Welt in der jeder Richtungswechsel neue Perspektiven eröffnet, neue Aus- und Einblicke, und die dazu zwingt, sich treiben zu lassen, von einem Raum zum nächsten, von Exponat zu Exponat. Solange, bis das Labyrinth seine BesucherInnen wieder freigibt und diese in der Etage darüber angelangt sind. Gerade eben noch voller Überraschungen präsentiert sich das Labyrinth von hier aus seltsam übersichtlich, klar strukturiert und transparent.
Ars Electronica zum zweiten Mal im Automobil Forum
An der Schnittstelle zwischen Technologie, Gesellschaft und Zukunft treffen sich die Volkswagen AG und die Ars Electronica: Beide beschäftigen sich mit der Frage, wie Technologie und Gesellschaft in Einklang gebracht werden können. Welche Anforderungen wird die Gesellschaft an Technik und im Falle von Volkswagen speziell an Mobilität stellen und wie können zukunftsfähige Lösungen für diese Fragen aussehen? Im vergangenen Jahr war die Ars Electronica erstmals zu Gast in Berlin. Damals besuchten mehr als 60.000 Gäste die Ausstellung „Poesie der Bewegung“. Alle Werke, die diesmal in der Berliner Ausstellung „Ars Electronica – Wovon Maschinen träumen“ zu sehen sind, wurden aus Arbeiten von KünstlerInnen auf der ganzen Welt neu kuratiert und sind in dieser Zusammenstellung noch nie gezeigt worden.
Das Automobil Forum Unter den Linden der Volkswagen AG bietet sich sowohl von seiner inhaltlichen als auch konzeptionellen Ausrichtung als Partner für die Präsentation einer Ausstellung der Ars Electronica in Deutschland an: als Showroom von Mobilität – hier präsentiert die Volkswagen AG die Marken Bentley, Bugatti, SEAT, Skoda, Volkswagen und Volkswagen Nutzfahrzeuge – und als Ort der Begegnung, der Besuchern wechselnde Foto-, Kunst- und Wissenschaftsausstellungen bietet.
Artworks
Charlie Bucket (US)
Fluid Dress (2010)
Das „Fluid Dress“ ist ein Designerkleid, das es seiner jeweiligen Trägerin erlaubt, Kurznachrichten oder Stimmungen spontan zu visualisieren. Aus 180 Metern Plastikschlauch wurde das Kleid auf einem eigens entwickelten Webstuhls geknüpft. Über einen Computer, an den eine Pumpe sowie einige Ventile angeschlossen sind, bestimmt die Trägerin Farben und Verhältnis der Luft und Flüssigkeit, die in den Schlauch gedrückt werden. Das Ergebnis ist ein dynamisch pulsierendes Kleid, das die Befindlichkeiten seiner jeweiligen Trägerin widerspiegelt.
Ars Electronica Futurelab (AT)
The World in 100 Years (2010)
Häuser, die sich der Sonne zuwenden, künstliche Inseln im Meer, der Vorstoß in den Weltraum oder die universelle Bibliothek – so manch eine Zukunftsvisionen, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, ist verblüffend aktuell. Mit einer interaktiven Installation rund um „Die Welt in 100 Jahren“ kontrastiert das Ars Electronica Futurelab die futuristischen Vorstellungen des französischen Schriftstellers, Zeichners, Malers und Karikaturisten Albert Robida (1848 – 1926) mit unseren heutigen Zukunftsvisionen.
Peter Ablinger (AT), Winfried Ritsch (AT), Thomas Musil (AT)
Deus Cantando (God, singing) for computer-controlled piano and screened text (2009)
„Deus Cantando“ spielt mit dem Interpretationsvermögen unseres Gehirns. Per Klavier rekonstruiert eine eigens entwickelte Transkriptionssoftware das Frequenzspektrum eines gesprochenen Textes. Mit höchster Präzision setzt Winfried Ritschs „Autoklavierspieler“ diese „Komposition“ um – jeder einzelne von insgesamt 88 elektromechanischen Fingern spielt dabei bis zu 16 Anschläge pro Sekunde. Erst durch die Interpretationsleistung unseres Gehirns verwandeln sich diese zunächst abstrakten musikalischen Strukturen in eine Abfolge von gesprochenen Wörtern. Auf diese einmalige Weise trägt die Maschine die Proklamation des Internationalen Umweltgerichtshofes von 2009 vor, der auf Initiative von Adolfo Pérez Esquivel und dem Dalai Lama beim World Venice Forum gegründet wurde.
Ars Electronica Futurelab (AT)
Shadowgram (2010)
„Shadowgram“ ist eine vom Ars Electronica Futurelab entwickelte Spielart des „Social Brainstormings“. Eine Person stellt sich vor eine Lichtwand und wird fotografiert – Ergebnis ist ein Schattenbild, das lediglich eine menschliche Silhouette zeigt. Diese Aufnahme wird nun als Miniatur-Aufkleber ausgedruckt und anschließend auf eine „Landkarte“ aufgeklebt, deren Topografie von gezeichneten Apparaten, Maschinen, Robotern und Androiden geprägt ist. Die jeweilige Haltung der menschlichen Silhouette, eine Sprechblase mit einem kurzen Statement und der jeweilige Themencluster fügen sich dabei zu einer Botschaft. „Shadowgram“ wurde bereits mit großem Erfolg in Tokyo, Venedig und in Linz gezeigt.
Christa Sommerer (AT), Laurent Mignonneau (FR)
Life Writer (2006)
Der „Life Writer“ ist eine interaktive Schreibmaschine, die künstliches Leben erzeugt. Jeder eingetippte Text entspricht dabei einem genetischen Code, der visuelle Kreaturen mit ihren ganz eigenen Abläufen aus Stoffwechsel und Reproduktion hervorbringt. Die derart geschaffenen Kreaturen rennen herum und versuchen fieberhaft, Textbausteine zu finden und zu fressen. Sobald sie satt sind, reproduzieren sie die gefressenen Texte und füllen damit aufs Neue das Papier. „LIFE WRITER“ steht für einen Prozess, bei dem Gedanken entstehen, sich selbständig weiterentwickeln und neu konfigurieren und fragt gleichzeitig nach Interaktionsmustern zwischen Menschen und zunehmend „intelligenter“ werdenden Maschinen.
Leo Peschta (AT)
The Chronograph (2010)
„The Chronograph” notiert den „akustischen Augenblick“. Je lauter und aktiver die Menschen um ihn herum sind, desto tiefere Spuren graviert der Apparat in die Holzplatte auf der er montiert ist. Jede Minute bewegt sich der Zeiger des „Chronograph“ dabei ein paar Grad weiter. Sämtliche akustische Ereignisse eines Tages werden auf diese Weise festgehalten und visualisiert.
Ben Cowden (US)
Eating My Cake and Having It Too (2007), Kissing Machine (2008), An Elaboration of a Shortcoming (2007)
Er habe den Ausdruck „You can’t have your cake and eat it too” nie verstanden, sagt Ben Cowden. Denn seiner Meinung nach stellt das Essen eines Stück Kuchens schlicht die Inbesitznahme dar. Von diesem Gedanken inspiriert, baut Ben Cowden Einzelteile des menschlichen Körpers nach – etwa unsere Zunge oder unsere Lippen – und stellt sie derart isoliert vom natürlich dazugehörigen Rest anschließend in einen völlig absurden Kontext. Und so leckt eine mechanisch steuerbare Zunge einen Lolly („Eating My Cake and Having It Too“) und spendieren übergroße rote Lippen heiße Küsse und ein enthusiastisches „I love you!“ („Kissing Machine“). Darüber hinaus widmet sich Ben Cowden den Abermillionen Sinneseindrücken, die permanent auf uns einprasseln und ihrer vergleichsweise langsamen Verarbeitung durch unsere Sinne, Nerven und unser Gehirn („An Elaboration of Shortcoming“).
Tom Wilkinson (UK)
Light Wave (2009)
Displayed courtesy of Kinetica Museum
Light Wave ist eine sich wellenförmig bewegende mechanische Skulptur. 95 Glasstäbe sind dabei mit einer spiralförmigen Nockenwelle verbunden und streben – wie eine perfekte Sinuswelle – langsam auf und ab. Schwerkraft und kinetische Energie ergänzen einander in einem genau abgestimmten Ausmaß, dabei in einem Gleichgewichtszustand der es möglich macht, die „Glasklingen“ mit einem Gesamtgewicht von über 400 Kilos mit einem kleinen Motor (mit der gleichen Leistung einer handelsüblichen Glühbirne) in Bewegung zu setzen.
Ursula Neugebauer (DE)
tour en l’air (1998)
„Drehung in der Luft” bedeutet der Titel dieses automatisierten Balletts. Eine nach der anderen beginnen sich lange, rote Roben um ihre eigene Achse zu drehen, so schnell, dass sie sich aufzubauschen beginnen und genauso aussehen, als würden sie menschliche Tänzerinnen in innen stecken und sie durch die Luft wirbeln. Unablässig drehen sich diese computergesteuerten Kreisel wie tanzende Derwische. Bis sie wie auf ein geheimes Kommando hin, plötzlich alle wieder still stehen.
Michael Pflüger (DE)
Böser Vogel (2008), Blöder Vogel (1997), Bösartige Maschine (1995)
Die Bedienung von Michael Pflügers ironischen metallenen Skulpturen ist denkbar einfach – die Reaktion seiner Maschinen denkbar boshaft. Der „Böse Vogel“ pickt verärgert auf eben die Hand ein, die ihn dazu veranlasst, wohingegen der „Blöde Vogel“ jene Lügen straft, die meinen, dass maximaler Einsatz auch immer maximalen Output bewirkt. Bleibt noch die „Bösartige Maschine“, die vor Augen führt, dass sich Funktion und Sinn so mancher Konstruktion nicht immer auf den ersten, sondern mitunter auch erst auf den zweiten Blick erschließen: Wird der Metallhebel des Apparats betätigt, schnellt ein rotes Büschel auf die Hand der BenutzerInnen nieder und das schneller, als letztere reagieren können. Auf verspielt-ironische Weise fragt Michael Pflüger nach dem so oft vermuteten, aber nie bewiesenen Eigenleben von Maschinen und nach ihrer Vermenschlichung.