Ein Error an sich ist weder gut noch schlecht. Error ist für uns erstmal „nur“ eine Abweichung von dem, was wir erwarten. Und genau hier kommen die KünstlerInnen unserer Ausstellung ins Spiel: Sie sind es, die oft ganz bewusst Abweichungen bzw. den Error herausfordern. Was, wenn wir die Abweichung gar nicht mehr erkennen können? Wenn wir gar nicht mehr verstehen können, dass es sich um einen Error handelt, den wir tolerieren können oder auch nicht? Inwieweit ist der Error in der digitalen Welt überhaupt überprüfbar? Doch sind es nicht wir, die schlussendlich die Ordnung, Regeln, Werte und Normen einer Gesellschaft und Kultur bestimmen? Ausgehend von diesen zentralen Fragestellungen kristallisierten sich vier Leitgedanken heraus, die im Kontext eines Errors näher beleuchtet werden wollen: Irritation, Ordnung, Wert und Kontrolle.
DRIVE. Volkswagen Group Forum, Berlin, Deutschland
17. November 2018 – 3. März 2019
Im Berliner DRIVE. Volkswagen Group Forum dreht sich alles um Abweichungen von der Norm. ERROR – THE ART OF IMPERFECTION ist ein gemeinsames Ausstellungsprojekt von Ars Electronica und der Volkswagen AG.
IRRITATION
Wir kennen die Situation alle: Exakt in dem Moment, in dem genau das nicht eintritt, was eintreten sollte, herrscht Verwunderung, Enttäuschung, Ratlosigkeit. Bei genauerem Hinsehen jedoch erkennen wir möglicherweise eine Chance. Es geht somit um das genaue Hinsehen, um das Sich-nicht-täuschen-Lassen von dem, was sich einem auf den ersten Blick zeigt.
„Just because something doesn’t do what you planned it to do doesn’t mean it’s useless.“
Emanuel Gollob (AT): Robot, Doing Nothing
Wie würde eine Gesellschaft aussehen, in der wir fürs „Nichtstun“ belohnt würden? Diese robotergesteuerte Installation lädt dazu ein, sich in der Veränderung des geometrischen Fadenmusters zu verlieren, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und einen Moment der Inaktivitä tzu genießen. Die Installation kritisiert die extreme Geschäftigkeit des modernen Lebens, in dem wir immer präsent und erreichbar sind, und zeigt ein postindustrielles Zukunftsszenario, in dem Roboter einen festen Platz in unserem Alltag einnehmen.
In Collaboration with Johannes Braumann AT (University of Art and Design Linz, Creative Robotics), Supported by KUKA CEE GmbH / Austria
www.emanuelgollob.com
Attila Csörgő (HU): Clock Work
Die Zeit ist relativ und erscheint je nach Situation unendlich, linear oder kreisförmig. Clock Work ist ein Lichtobjekt, das mit unserem Zeitbegriff spielt, indem es ständig seine Form verändert. Im Raum erscheint es als Kurve, verstärkt durch eine einseitige Möbiusschleife, während sein Schatten wie ein Unendlichkeitszeichen wirkt. Der Sekundenzeiger einer mechanischen Uhr bewegt sich mit unregelmäßigem Tempo, Richtungswechsel und pulsierender radialer Ausdehnung entlang der Schleife, eine andere Art von Bewegung zeigend.
www.artsy.net/artist/attila-csorgo
Attila Csörgő (HU): Occurrence Graph
Auch in Occurence Graph (einem Ereignisdiagramm) spielt der Künstler mit dem Thema der Zeit, wobei persönliche Wahrnehmungen den rein messbaren Tatsachen gegenüberstehen. Passend zum Thema der Täuschung weist dieses kinetische Wandobjekt zwei Zustände von Erscheinungen auf. Stehen die Scheiben still, ist ein scheinbar ungeordnetes Muster sichtbar. Erst wenn sie in Bewegung gesetzt werden, offenbart offenbart eine Drehbewegung die doppelte Natur der Objekte.
www.artsy.net/artist/attila-csorgo
Georgie Pinn (AU/UK): Echo
Echo bietet Zugang zu den Erinnerungen, der Identität und den intimen Erfahrungen einer anderen Person und stellt durch den Austausch von Gesichtern und Geschichten eine empathische Verbindung zwischen Fremden her. Während Sie in einer Fotobox sitzen und von einer Roboterstimme geleitet werden, verwandelt sich langsam das Gesicht eines anderen in Ihr eigenes; Ihre Gesichtszüge werden mit der Mimik des anderen gesteuert. Während Sie Ihre Geschichte erzählen, spiegelt sich ein Teil Ihrer selbst im anderen wider. Welche Geschichte teilen Sie mit einem Fremden?
Creative Producer: Kendyl Rossi (AU/CA)
www.electric-puppet.com.au
ORDNUNG
Ein Error kann erst dort entstehen, wo ein Ordnungsprinzip und eine regelbasierte Struktur wirkt. Ordnungen sind wichtig, damit wir uns als Menschen zurechtfinden können. Ordnungen geben und versprechen uns Orientierung, Sicherheit und Vertrautheit. Auch im wissenschaftlichen Bereich sind Ordnungen notwendig, denn es geht um Nachvollziehbarkeit, Reproduzierbarkeit und Kontrolle. Dass Ordnungen jedoch auch da sind, um gebrochen zu werden, um Platz für Neues zu schaffen, zeigen kreative Zugänge.
„There are no rules here – we’re trying to accomplish something.“
Stefan Tiefengraber (AT): DSD-08AS
DSD-08AS ist eine Klanginstallation, die aus mehreren Modulen mit je zwei Solenoiden (Elektromagneten), einer Metallschiene und einer Kugel besteht. Jedes ist ein selbstauslösendes System, in dem die rollende Metallkugel als Stromleiter zwischen der Schiene und den Solenoiden fungiert. Die Rhythmen werden durch mechanische Ungenauigkeit, die Reibung der Kugeln, die Wandbeschaffenheit, die Größe des Raumes und die Position des Besuchers beeinflusst, bis der Zyklus zu Ende geht und es still wird.
www.stefantiefengraber.com
Prokop Bartoníček (CZ), Benjamin Maus (DE): Jller
Jller ist Teil eines Forschungprojektes zu industrieller Automatisierung und historischer Geologie. Der Apparat sortiert Flusskiesel aus dem deutschen Fluss Jller nach ihrem geologischen Alter. Die Kiesel entstanden teils durch Alpenerosionen, teils kommen sie aus tieferen Gesteinsschichten, die einst von Gletschern bedeckt waren. Die Maschine verwendet Computervision, um die Steine nach Farbe, Linien, Schichten, Narbung und Oberflächentextur zu sortieren und dann mit einem manuell trainierten Algorithmus in Alterskategorien einzuordnen.
www.prokopbartonicek.com
www.allesblinkt.com
So Kanno (JP), Yang02 (JP): Asemic Languages
Buchstaben und Zeichensysteme sind neben ihrer Funktion als Kommunikationsmittel vor allem eine allgemeingültige Codierung von Sprachen und der Kultur und der persönlichen Geschichte ihrer Sprecher. In diesem Projekt wurden einem Roboter zehn Handschriften mit jeweils einem anderen Zeichensystem gezeigt. Darauf basierend erfindet dieser neue Zeichen, die zwar den Anschein machen, Wichtiges zu bedeuten, aber rein ästhetisch sind. Während wir dazu neigen, Robotern fast magische Kräfte zuzuordnen, zeigt diese Arbeit eindrucksvoll, dass sie am Ende nur „wissen“, was ihnen beigebracht wurde.
Machine Learning Programming: Hironori Sakamoto (JP)
kanno.so
yang02.com
Waltz Binaire (DE): Narciss
Die menschliche Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und unser Drang zu fragen, zu forschen, zu beten und zu gestalten, sind einzigartig in der Welt. Aber gilt das auch im digitalen Zeitalter? Narciss ist das erste digitale Objekt, das über seine eigene Existenz nachdenkt, indem es seinen Körper mit einer Kamera erforscht und lyrische Vermutungen darüber anstellt, wer es ist. Der Algorithmus simuliert also menschliche Selbsterkenntnis. Die daraus resultierende Annäherung von Mensch und Maschine stellt unser Selbstbild und unsere Raison d’Être in Frage.
waltzbinaire.com
WERT
Fehlschläge und Irrtümer sind oft Quell späterer, gefeierter Erfindungen, die das Neue und damit den Fortschritt befördern. Wer definiert jedoch, was eine positive Inkorrektheit und was eine negative Unrichtigkeit ist? Und lässt sich das vorhersagen?
„Negative results are just what I want. They’re just as valuable to me as positive results. I can never find the thing that does the job best until I find the ones that don’t.“
LarbitsSisters (BE): BitSoil Popup Tax & Hack Campaign
Bei der Nutzung kostenloser Internetdienste generieren wir Daten, mit denen große Unternehmen viel Geld verdienen. Diese Installation schlägt eine Umverteilung des Internetvermögens durch die Einführung der Währung BitSoil vor. Twitterbots laden die Nutzer ein, ihre eigenen Bots zu starten, die digitale Postkarten an einen Tech-CEO oder ein Staatsoberhaupt senden. Durch diese Interaktionen entsteht neuer BitSoil-Wert. Gedruckte Belege ermöglichen es uns, diesen Prozess vor Ort zu verfolgen.
www.larbitslab.be
Anna Ridler (UK): Mosaic Virus
Mosaic ist der Name des Tulpenvirus, der für die begehrten gestreiften Blütenblätter verantwortlich ist, die die spekulativen Preise während der Tulpenmanie in den 1630ern verursachten. Diese Arbeit zieht eine Parallele zu den heutigen Spekulationen zu Kryptowährungen und zeigt blühende Tulpen, deren Streifenbild vom Wert der Bitcoin- Währung abhängt. Und so wie historische Stillleben imaginäre statt realer Sträuße zeigten, konstruiert die Künstliche Intelligenz hier das Bild einer Tulpe, wie sie sie sich vorstellt.
This work has been commissioned by Impakt within the framework of EMAP/EMARE, co-funded by Creative Europe.
annaridler.com
Anna Ridler (UK): Myriad (Tulips)
Diese Arbeit ist das Trainingsdatenset für die Parallelarbeit Mosaic Virus. Zehntausend, oder eine Myriade, Tulpen wurden fotografiert und von Hand nach Kriterien der Farbe, Typ und Streifen sortiert. Die Bilder zeigen diesen menschlichen Aspekt hinter Datenbanken maschinellen Lernens, sowie auch die Mehrdeutigkeit der Einordnung, die dann von der Künstlichen Intelligenz übernommen wird. Wie objektiv kann sie dann eigentlich sein? Wie kann sie etwas so komplexes wie Geschlecht oder Identität einordnen, wenn es schon schwierig ist, eine weiße von einer hellrosa Tulpe zu unterscheiden?
This work has been commissioned by Impakt within the framework of EMAP/EMARE, co-funded by Creative Europe.
annaridler.com
César Escudero Andaluz (ES), Martín Nadal (ES): BitterCoin – the worst miner ever
BitterCoin ist ein alter Rechner, der zu einem Miner gehackt wurde, der ausstehende Bitcoin-Transaktionen in der Blockchain validiert. In den letzten Jahren hat sich die Rechenleistung zur wichtigsten Variablen im Kryptowährungswettbewerb entwickelt, wobei der Besitzer der leistungsfähigsten Technologie der einzige Nutznießer ist. BitterCoin nimmt diesen Diskurs rhetorisch auf – er funktioniert als grundlegendster Computer und erhöht die Zeit, die benötigt wird, um Bitcoins zu produzieren, auf fast eine Ewigkeit.
escuderoandaluz.com
martinnadal.eu
KONTROLLE
Kontrolle ist jene Handlungsoption, die wir Menschen als verantwortlicher Teil einer Gesellschaft nutzen müssen. Unsere Zukunftsfähigkeit hängt davon ab, ob wir erstens Zugang zu den Errors einfordern, um entscheiden zu können, ob wir zweitens die dadurch entstandenen Abweichungen tolerieren und zu unserer Weiterentwicklung nutzen können. Drittens müssen wir uns wehren können gegen jene Abweichungen und Errors, die uns zu weit gehen, die außerhalb unserer Toleranzgrenze liegen.
„When you have exhausted all possibilities, remember this – you haven’t.“
Mushon Zer-Aviv (IL), Dan Stavy (IL), Eran Weissenstern (IL): The Normalizing Machine
Frühe wissenschaftliche Methoden zur Standardisierung, Indexierung und Kategorisierung menschlicher Gesichter wurden sowohl von der Eugenischen Bewegung als auch von den Nazis eingesetzt, um bestimmte Gesichter zu kriminalisieren. Alan Turing, der als Begründer der Informatik gilt, hoffte, dass Algorithmen diese systemische Verzerrung überwinden würden, indem sie objektiv kategorisieren und die Kriminalisierung von Abweichungen wie seiner eigenen Homosexualität beenden würden. Aber wie identifizieren Algorithmen ein „normales” Gesicht? Und wie wir?
mushon.com
stavdan.com
eranws.github.io
Adam Harvey (US): VFRAME – Visual Forensics and Advanced Metadata Extraction
VFRAME ist ein Open-Source-Toolkit für die Bildverarbeitung, das für Menschenrechtsforscher und Journalisten entwickelt wurde. Gemeinsam mit dem Syrian Archive, einer Organisation, die sich der Dokumentation von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verschrieben hat, entwickelt der Künstler eine Künstliche Intelligenz, die illegale Munition automatisch in Videos aufspüren kann. Aktuell beschäftigt sich Adam Harvey mit der Verwendung von 3D-Modellierungen zur Erstellung neuer Bildtrainingsdatensätze.
ahprojects.com
Robertina Šebjanič (SI), Gjino Šutić (HR): aqua_forensic – underwater interception of biotweaking in aquatocene
Wie fühlen die Ozeane menschlichen Einfluss? Diese Installation beleuchtet unsichtbare anthropogene, pharmazeutische Schadstoffe in Proben aus der Donau (Linz AT) und dem Adriatischen Meer (Dubrovnik HR). In In-vitro-Experimenten reagieren empfindliche Mikroorganismen auf Schmerzmittel, Hormonpillen, Antimykotika und Psychopharmaka und zeigen, wie diese Produkte, die wir täglich verwenden, Leben und Verhalten in der gesamten Schleife der miteinander verbundenen Ökosysteme beeinflussen.
This work has been commissioned by Ars Electronica Linz within the framework of EMAP/EMARE, co-funded by Creative Europe, supported by Projekt Atol Institute SI, UR Institute HR, Čistoća Dubrovnik, The Ministry of Culture of the R. of Slovenia and The Ministry of Culture of the R. of Croatia
robertina.net
biotweaking.com
Claudia Rohrmoser (AT), Florian Kühnle (DE): DIN
Die Lichtinstallation DIN verrichtet Normierungsarbeit. Dreißig LED Panels befinden sich in einem Zustand der Unsicherheit und lösen im Mediensystem des Raums immer wieder größere Signalfehler aus. Im Prozess der Selbstregulierung durchlaufen alle digitalen Displays ein Kalibrierungsritual nach dem anderen, ohne je einen idealen Zustand zu erreichen. Der beständige Versuch, sich zu optimieren führt hin zu einem neuen ‚Normal‘, das den Fehler mit einschließt.
Creative Direction: Claudia Rohrmoser; Art Direction: Florian Kühnle; Sound Scenography: TAUCHER Sound Environments, Till Seigfried, Johannes Scherzer; Motion Design und Realisation: studio.moto, Marcel Schobel, Cynthia-ël Hasbani, Nicola Minssen, Yannick Sengstock, Philipp Hartmann. Mit freundlicher Unterstützung von mbox Bewegtbild GmbH, UE University of Applied Sciences Europe / Art & Design.
rohrmoser.tv
www.larifon.de
Thomas Alva Edison (1847–1931) präsentierte bereits mit 21 Jahren eine Apparatur, mit der Wählerstimmen leichter gezählt werden konnten. Sein elektrisch betriebener Stimmenzähler hatte jedoch keinen Erfolg und wurde vom zuständigen Komitee des Kongresses in Washington abgelehnt. Mit 30 Jahren gelang ihm der Durchbruch mit der Erfindung des Phonographen, einem Stimmenrekorder. Er meldete in seinem Leben 1.091 Patente an, war ein kreativer Geist und findiger Geschäftsmann und wird fälschlicherweise bis heute als Erfinder der Glühbirne gefeiert, auch wenn er diese „nur“ perfektionierte und wettbewerbsfähig machte.
Curated by Manuela Naveau
Exhibition- and Communication Design: Letitia Lehner – MOOI Design
Production Team: Nani Cooper, Benjamin Dewor, Stefan Feichter, Alexander Hinterlassnig, Jens Jech, Karoline Kreißl, Julia Nüsslein, Gustavo Valera;