ArTS Production Grant 2024 unterstützt von Pro Helvetia

LivingRoom / Tiziano Derme (IT), Nadine Schütz (CH)

Der ArTS Production Grant für Schweizer Künstler*innen wird im Rahmen einer zweijährigen Zusammenarbeit von Ars Electronica mit Unterstützung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia vergeben. Der ArTS Production Grant fördert künstlerisches Schaffen an der Schnittstelle von ArTS (Art, Technology, Society).

Der ArTS Production Grant unterstützt Einzelkünstler*innen oder eine Künstlergruppe aus der Schweiz bei der Entwicklung eines neuen Projekts oder der Erweiterung eines bestehenden Projekts, welches im Rahmen des Ars Electronica Festivals im September 2024 prämiert wird.

Ausgewählte Künstler*innen 2024

Tiziano Derme (IT), Nadine Schütz (CH)

LivingRoom

LivingRoom ist ein immersives, räumliches und klangliches Experiment, das die Beziehung zwischen Pilzen, in einer künstlichen, kontrollierten Umgebung und Klang erforscht. Die zeitlich-räumliche und akustische Erfahrung des Raums ist eng mit zwei grundlegenden Komponenten verbunden: Auf der einen Seite die Gestaltung eines enzymatischen Pilzmaterialprozesses unter kontrollierten Bedingungen und auf der anderen Seite der Einsatz von Klang, um Pilzwachstumsmuster zu verstärken und in hörbare Signale zu übersetzen. Was die daraus resultierende Erfahrung so faszinierend macht, ist die Schaffung eines physischen Raums und das Verständnis für die Fragilität eines Pilz-Enzym-Materialbildungsprozesses und seine Verflechtung mit Klang. Zum ersten Mal wird die Gestaltung von Räumen als ein in situ Prozess dargestellt, bei dem die Schaffung eines gewachsenen Raums durch Temperatur, Feuchtigkeit, Luft und Klang angeregt, verstärkt, vermittelt und unterstützt wird.

Project credits / acknowledgements

ETH Zürich – (dbt) Digital Building Technologies, Design ++ & (LUS) Institute of Landscape and Urban Studies, EMPA-Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology.

Photo: Pascal Walden

Tiziano Derme

Tiziano Derme ist ein in Zürich lebender Architekt und Medienkünstler. Er interessiert sich für die Beziehung zwischen Design, Robotik, biologischen Materialien und Biotechnologie. Er ist Mitbegründer von MAEID [Büro für Architektur und Transmediale Kunst], einem interdisziplinären Büro, das an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Disziplinen wie Design, Technik, Kunst und Wissenschaft arbeitet. Seine Forschungen und Arbeiten wurden mit zahlreichen Stipendien ausgezeichnet und in verschiedenen Galerien, Veranstaltungen und Institutionen wie der Biennale von Venedig, der Seoul Biennale, Ars Electronica und der NGV-Melbourne Triennale ausgestellt. Tiziano Derme ist Doktorand an der ETH Zürich, Digital Building Technologies innerhalb des Institute of Technology in Architecture (ITA), und Gastwissenschaftler an der EMPA – Swiss Federal Laboratories, wo er enzymatische Prozesse mit filamentösen Pilzen erforscht.

Nadine Schütz

Nadine Schütz ist Klangarchitektin, Künstlerin und Forscherin. Sie erforscht die Klanglandschaft wie eine Dolmetscherin der Umwelt, indem sie den Raum und den Ort als kreative Partitur hört, die ihre eigene Transformation informiert und steuert. Durch eine originelle Kombination von Techniken aus der Bioakustik, Psychoakustik, Musik, Bildhauerei und Landschaftsarchitektur schafft sie Klanginstallationen und akustische Entwürfe, die spürbar an den täglichen Erfahrungen der Nutzer*innen teilnehmen. Ihre Kompositionen, Performances und szenografischen Klangarbeiten werden auf internationaler Ebene in Ausstellungen und Veranstaltungen präsentiert. Nadine Schütz promovierte 2017 an der ETH Zürich in Landschaftsakustik zum Thema „Cultivating Sound“, wo sie ein neues Studio für die räumliche Simulation von Klanglandschaften installierte. Seit 2018 ist sie eingeladene Komponistin in den Forschungsteams „Acoustic and Cognitive Spaces“ und „Perception and Sound Design“ am IRCAM-STMS in Paris. Sie unterrichtet regelmäßig an der ETH Zürich, an Parsons Paris und an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts de Paris.

Jury Statement

Juror*innen: Magdalena Drozd, Giulia Bini, Christl Baur

Für den Open Call des ArTS Production Grant, eine Zusammenarbeit zwischen Ars Electronica und Pro Helvetia, wurden beeindruckende 90 Beiträge aus 17 Ländern eingereicht. Die vielfältigen Einreichungen zeigten ein Kaleidoskop künstlerischer Perspektiven in verschiedenen Kategorien, darunter Installationen, Interventionen, Objekte, Artefakte, Performances, sowie Vorschläge aus der Gaming-Szene.

Aus dieser Fülle von Einreichungen kristallisierte sich „LivingRoom“ von Nadine Schütz und Tiziano Derme als bahnbrechendes Projekt heraus und überzeugte die Jury mit einem transdisziplinär herausragenden Vorschlag.

„LivingRoom“ erforscht die komplexe Beziehung zwischen Materialien und dem „built environment“, der menschengemachten Umwelt und befasst sich mit dringenden ökologischen Problemen durch innovatives Design und experimentelle Sonifikation. Dieses transdisziplinäre Projekt stellt ein harmonisches Zusammenspiel zwischen einer Pilzart und einer sorgfältig konstruierten Umgebung dar: Eine gestrickte Naturfasermembran, die mit der Pilzart Trametes Pubescens durchsetzt ist, erstreckt sich über verschiedene Höhen und umschließt ein Metallgehäuse. Dieses Gehäuse fungiert als abgeschlossene Umgebung, die Temperatur, Feuchtigkeit und Luft kontrolliert, um das Wachstum des Pilzes zu fördern. Die dafür verwendeten Parameter sind nicht zu sehen, sondern durch die Klangkomposition der Installation zu hören, wodurch der vorherige Wachstumsprozess künstlerisch in eine unmittelbare Erfahrung innerhalb der Installation übersetzt wird.

Der Juryprozess war von konstruktiven und lebhaften Diskussionen geprägt, wobei der Schwerpunkt auf der Auswahl von Einreichungen lag, die sich kritisch und konzeptionell mit den Fragen zwischen Kunst, Technologie und Wissenschaft auseinandersetzen und diesen Reflexionsprozess auch durch einzigartige Werkzeuge und Methoden zum Ausdruck bringen. Ziel war es, einen speziellen Schweizer Dialekt der Medienkunst zu identifizieren, der im Rahmen des Festivals Ars Electronica in einem internationalen Umfeld geteilt werden kann. Die multidisziplinäre Zusammensetzung des Teams – Nadine Schütz ist in der Schweizer Kunstszene fest verankert und Tiziano Derme etabliert seine bereits beachtliche Karriere in der internationalen Medienkunstszene in der Schweiz – verspricht, die Karriere der Künstler*innen über die Plattform von Ars Electronica zu stärken.

Mit der Wahl von „LivingRoom“ für das ArTS Production Grant würdigt die Jury das Potenzial des Projekts, eine neue Welle der Auseinandersetzung mit der Schweizer Kunstszene zu inspirieren. Das Werk von Nadine Schütz und Tiziano Derme weist uns in eine Zukunft, in der Kunst und ökologisches Bewusstsein nahtlos ineinander übergehen und uns herausfordert, die Grenzen des künstlerischen Ausdrucks und unsere Verbindung zur Welt, die uns umgibt, neu zu definieren.

Jury

Magdalena Drozd

Magdalena Drozd ist eine Künstlerin, deren Arbeit sich auf Musik, Klangkunst und Komposition erstreckt. Ihr Ansatz in der Musik ist experimentell und grenzüberschreitend und nutzt eine Vielzahl von Einflüssen und Techniken, um unverwechselbare und bestechende Klanglandschaften zu schaffen, die sich mit intuitiven und spekulativen Wahrnehmungen der Welt durch Klang befassen. Ihre Musik wurde auf den Labels Präsens Editionen und Hallow Ground veröffentlicht, und ihre Klangperformances und Installationen wurden in verschiedenen Institutionen in Europa gezeigt. Neben ihrer Soloarbeit komponiert sie auch für Film, Videokunst, Theater und Radio.

Giulia Bini

Giulia Bini PhD, ursprünglich als Kunsthistorikerin ausgebildet, arbeitet an der Schnittstelle von visueller Kunst, Medien, Wissenschaft und fortschrittlichen Technologien. Sie ist Programmleiterin und Kuratorin von Enter the Hyper-Scientific, dem neu eingerichteten Artist-in-Residence-Programm des College of Humanities (CDH) der EPFL, Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne. Zuvor war sie Kuratorin und Produzentin bei EPFL Pavilions (2018-21) und Mitglied des Kurator*innen-Teams des ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie| Karlsruhe (2014-2017). Sie hat zahlreiche Kollektivausstellungen und Einzelpräsentationen kuratiert und co-kuratiert. Sie ist Ko-Kuratorin von ARE YOU FOR REAL. Phase II von ifa – Institut für Auslandsbeziehungen. Sie ist Autorin von „Media spazio display. ZKM | HFG“ (Mimesis Edizioni, 2022) und ist Dozentin bei HEAD-Geneva Work.Master.

Christl Baur

Christl Baur ist Leiterin des Ars Electronica Festivals, wo sie sich als interdisziplinäre Forscherin mit der Konvergenz von Kunst und Wissenschaft befasst. Mit einem vielfältigen akademischen Hintergrund, der Kunstgeschichte, Kulturmanagement und Naturwissenschaften umfasst, dreht sich ihre Arbeit um die Verschmelzung von ästhetischen und sozialen Praktiken, die etablierte Normen in Frage stellen. Sie hat eine Vielzahl von Ausstellungen und Performances kuratiert und koproduziert, darunter die Ausstellung „40 Years of Humanizing Technology – Art, Technology, and Society“ in Zusammenarbeit mit CAFA und der Design Society in Shenzhen, China. Baurs Expertise erstreckt sich auf verschiedene Bereiche, darunter Videokunst, neue Medientechnologien, Computerkunst, Biotechnologie und interaktive Kunst. Ihre Forschungsarbeiten erforschen das Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft, wobei sie ständig die Grenzen sozialer, politischer und wirtschaftlicher Protokolle verschiebt.

Advisors

Dr. Yvonne Volkart

Dr. Yvonne Volkart ist Forschungsleiterin und Dozentin für Kunsttheorie und kulturelle Medienwissenschaft am Institut Art Gender Nature, Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW Basel. Sie leitet das SNF-Forschungsprojekt Plants_Intelligence. Learning like a Plant (2022-25). In Zusammenarbeit mit Sabine Himmelsbach und Karin Ohlenschläger kuratierte sie die Ausstellungs- und Buchprojekte Eco-Visionaries. Art, Architecture and New Media After the Anthropocene (Hatje Cantz 2018) und Ecomedia. Ecological Strategies in Today’s Art (Hatje Cantz 2007). Im Jahr 2023 wurde ihre Monografie Technologies of Care. From Sensing Technologies to an Aesthetics of Attention (diaphanes) veröffentlicht.

Boris Magrini

Boris Magrini ist Senior Curator an der LAS Art Foundation in Berlin. Zuvor war er Programmleiter und Kurator am HEK (Haus der elektronischen Künste) in Basel. Er studierte Kunstgeschichte an der Universität Genf und hat an der Universität Zürich promoviert. Er hat Gruppenausstellungen zu den Themen Ökologie, künstliche Intelligenz, Kunstspiele, Blockchain und Gegenkartografie kuratiert und schreibt regelmäßig Beiträge für Kunstmagazine und Ausstellungskataloge. Er war Mitglied des Stiftungsrats von Pro Helvetia, der Schweizer Kulturstiftung, Mitglied des internationalen Programmkomitees des International Symposium on Electronic Art (ISEA) und Juror des Lumen Art Prize.

Sabine Himmelsbach

Sabine Himmelsbach ist seit März 2012 die Leiterin des HeK (Haus der elektronischen Künste Basel). Nach dem Studium der Kunstgeschichte in München arbeitete sie von 1993-1996 für Galerien in München und Wien und wurde später Projektleiterin für Ausstellungen und Konferenzen für das Festival Steirischer Herbst in Graz, Österreich. Seit 1999 ist sie Ausstellungsleiterin am ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Als Autorin und Dozentin widmet sie sich Themen rund um Medienkunst und digitale Kultur.

Pauline Saglio

Pauline Saglio ist Interaktionsdesignerin und lebt in Lausanne. Zusammen mit Mathieu Rivier konzentrieren sie sich auf die Beziehung zwischen analog und digital durch Bewegung. Seit September 2018 ist Pauline Saglio Leiterin des Bachelor-Studiengangs Media & Interaction Design an der ECAL/University of Art and Design Lausanne.

Jelena Martinovic

Jelena Martinovic ist Leiterin des Instituts für Bildende Kunst (IRAV) an der EDHEA in Sierre. Im Kanton Zürich geboren, promovierte Jelena Martinovic in Medizingeschichte und absolvierte ein Studium der Sozial- und Politikwissenschaften an der Universität Lausanne und in bildender Kunst an der Hochschule für Kunst und Design in Genf. Zurzeit leitet sie das Forschungsprojekt Medical Borders: Visibility and Shadow Knowledge (2022-2024), welches sich mit Medizin, Migration und Kunst befasst Medical Borders | EDHEA.


Über Pro Helvetia

Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia ist seit 1939 im Herzen der schweizerischen und internationalen Kulturszene tätig. Sie fördert das zeitgenössische Kunstschaffen in der Schweiz und trägt zur Verbreitung und Förderung der Schweizer Kunst im In- und Ausland bei. Die Stiftung trägt zudem zum nationalen und internationalen Kulturaustausch und zu Innovationen im Bereich der Kulturförderung bei.

Pro Helvetia hat ihren Hauptsitz in Zürich und unterhält ein internationales Netzwerk im Ausland mit Büros an sieben Standorten.

Im Rahmen des Programms „Kunst, Wissenschaft und Technologie“ unterstützt Pro Helvetia gezielt Aktivitäten und Projekte, die sich mit technologischen und wissenschaftlichen Entwicklungen aus einer künstlerischen Perspektive auseinandersetzen. Dabei geht es darum, das Potenzial für gegenseitige Inspiration und Zusammenarbeit auszuloten und zu nutzen.

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