Ars Electronica erhielt 1.861 Einreichungen aus 54 Länder:
STARTS-Prize 2016 für „Magnetic Motion“ und „Artificial Skins and Bones“
Pressetext „STARTS-Prize 2016 für Magnetic Motion und Aritficial Skins and Bones“ / PDF
Fotoalbum STARTS-Prize
Blog-Beitrag zu Artificial Skins and Bones
Website STARTS-Prize 2016
(Linz, 23.6.2016) Im Auftrag der Europäischen Kommission schrieb die Linzer Ars Electronica heuer erstmals den STARTS-Prize aus. Der ebenso prestigeträchtige wie mit zwei Mal 20.000 Euro hochdotierte Wettbewerb richtete sich an innovative Projekte an der Schnittstelle von Kunst, Technologie und Wissenschaft (Science, Technologie and Arts – kurz STARTS). Gesucht und prämiert wurden Arbeiten in zwei Kategorien: erstens für Künstlerische Forschung und Künstlerische Projekte deren Zugang und Perspektive unseren Einsatz, die Entwicklung und unsere Wahrnehmung von Technologie zu beeinflussen und zu verändern im Stande sind und zweitens für Kooperationen zwischen Industrie bzw. Technologie sowie Kunst und Kultur, die der Innovation neue Wege eröffnen. Insgesamt 1.861 Einreichungen aus 54 Ländern gingen im Rahmen eines Open Calls zwischen 1. Februar und 15. März 2016 ein. Ein Komitee wählte zunächst die besten 30 Projekte darunter aus, diese wurden dann der STARTS-Jury vorgelegt. Nach ausführlichen Diskussionen entschied sich die Jury für „Magnetic Motion“ von Iris van Herpen (NL) sowie das gemeinsame Projektseminar „Artificial Skins and Bones“ der Kunsthochschule Berlin Weißensee, Ottobock und Fab Lab Berlin. Beide Gewinnerprojekte werden im Rahmen des diesjährigen Ars Electronica Festival (8. bis 12. September 2016) in Linz präsentiert, die KünstlerInnen und ihre jeweiligen ProjektpartnerInnen werden ebenfalls auftreten. Weiters wird eine große STARTS-Schau beim BOZAR Electronic Arts Festival (22. bis 24. September 2016) in Brüssel gezeigt, im Herbst sind zudem STARTS-Präsentationen in Tokyo und London geplant.
„Artificial Skins and Bones“ gewinnt STARTS-Prize in der Kategorie Innovative Kooperation zwischen Industrie/Technologie und Kunst
Die Idee zu „Artificial Skins and Bones“ entstand im Lauf einer gemeinsamen Workshopreihe der Kunsthochschule Berlin Weißensee und Ottobock. Angestoßen wurde sie durch Gespräche mit TechnikerInnen und PhysiotherapeutInnen des Prothetik-Weltmarktführers sowie mit Menschen, die durch Unfall oder Krankheit eine oder mehrere Gliedmaßen verloren. Im Rahmen des Projektseminars „Artificial Skins and Bondes” experimentierten ProfessorInnen und Studierende der Kunsthochschule Berlin Weißensee mit Materialien und ließen sich dabei von der Natur, ihren Mustern, Strukturen und Funktionsweisen, inspirieren. Mit einzelnen Forschungsprojekte legten sie den Fokus auf die Sprache der Sinne, die Interaktion mit künstlichen Gliedmaßen und die Ästhetik künstlicher Körperteile im Verhältnis zur Ästhetik des menschlichen Körpers: „Visualisierte Kraft“ nimmt sich den Oktopus zum Vorbild: Die flexiblen Textiloberflächen von Lisa Stohn und Jhu-Ting Yang verändern ihre Farben und Muster abhängig von den Muskelaktivitäten ihrer jeweiligen TrägerInnen. „Trans.fur“ wiederum nimmt Anleihen am vielseitigsten Organ des menschlichen Körpers: der Haut. Karina Wirth und Natalie Peter entwickelten Textilien, die ihre Oberflächenstruktur so anpassen können, dass sich ihre Feuchtigkeitsdurchlässigkeit verändert. „Technologie, Temperatur und Textilien“ von Stephanie Nattrass ist ein Experiment mit Textilien, die jene noch so kleine Veränderung der Raumtemperatur registrieren und gegebenenfalls Wärme produzieren. In Form der „Naturanslations“ beschäftigt sich Babette Wiezorek mit organisch inspirierten Rasterstrukturen, die via Computeralgorithmen gestaltet und per 3-D-Drucker produziert werden. „Audio Gait“ von Agnes Rosengren und Bernardo Aviles-Busch ist ein unkomplizierter Lernbehelf für das Training mit einer Unterschenkelprothese. Das tragbare System „übersetzt“ Gehbewegungen in Audio-Feedback und eröffnet ein neues Verständnis unserer Körperbalance. Mit „Active“ untersucht Hans Illiger den Rehabilitationsprozess von Menschen, denen Teile ihrer Beine amputiert werden mussten. Sein digitales Service-Konzept stellt den PatientInnen sensorisch erfasste Bewegungsdaten und Videos zur Verfügung, die ein selbstständiges Training möglich machen. Letzteres liefert wiederum Daten, deren Analyse es den TherapeutInnen und ProthesetechnikerInnen ermöglicht, ganz gezielte Anpassungen vorzunehmen. „Shortcut“ von David Kaltenbach, Maximilian Mahal und Lucas Rex widmet sich Menschen, denen Teile ihrer Arme amputiert wurden. Trotz ihrer Prothesen sind die Betroffenen bei der Nutzung digitaler Geräte eingeschränkt, da weder Maus, Tastatur oder Touchscreen für sie geeignet sind. “Shortcut” soll hier Abhilfe schaffen: Ein mit Sensoren ausgestattetes Armband nimmt Muskelimpulse wahr und übersetzt sie in eine intuitive Programmsteuerung. Ein Tippen mit bestimmten Fingern etwa bewirkt einen Links- oder einen Rechtsklick, ein Schnipsen schließt aktive Fenster. Mit dem Projekt “Taktile Kommunikation” untersucht Nina Rossow zwei Möglichkeiten des Informationsdisplays mittels taktilem Feedback: „Sens_mat” ermöglicht ein passives taktiles Erkennen von Materialien, wenn ein direktes Berühren nicht möglich ist. „Sens_dia” wiederum vereinfacht die Beschreibung im Bereich der Schmerzdiagnostik. Ein dumpfer Druck, ein Pulsieren oder ein Hämmern kann taktil nachgestellt und so ÄrztInnen vermittelt werden. Eine der hitzigsten Diskussionen während der Ideenfindungsphase fand zum Konzept des Uncanny Valley statt. Das Phänomen des Uncanny Valley besagt, dass im Fall einer sehr hohen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Körper, die Akzeptanz einer Prothese in ein Gefühl der Unheimlichkeit umschlägt. The Aesthetics of the Uncanny erforscht das fragile Gleichgewicht von bekannten Standards im Prothesendesign und dem Phänomen des Unheimlichen und untersucht, wie dieses Phänomen im Designprozess bewusst berücksichtigt werden kann.
Statement der STARTS-Jury (Auszug):
„Artificial Skins and Bones“ ist ein Kooperationsprojekt zwischen Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft, das durch einen neuen, frischen Spirit und entsprechend inspirierende Ergebnisse besticht. Im Rahmen ihrer Gastprofessuren an der Kunsthochschule Berlin Weißensee trafen sich Wolf Jeschonnek, Gründer des Berliner Fab Lab, und Mika Satomi gemeinsam mit ihren Studierenden mit ExpertInnen von Ottobock. Dieser Austausch brachte die Dinge ins Rollen und schon bald darauf die ersten Prototypen hervor. Die Art und Weise dieses Prozesses sind beispielhaft dafür, wie Unternehmen in Zukunft erfolgreich bzw. innovativ agieren können. Projekte wie „Artificial Skins and Bones“ inspirieren und motivieren auch kleinere oder jüngere Unternehmen dazu, neue Methoden und Formen der interdisziplinären und genreübergreifenden Zusammenarbeit zu proben und in ihren Alltag zu implementieren.“
Magnetic Motion von Iris van Herpen (NL) gewinnt STARTS-Prize in der Kategorie Künstlerische Forschung
Björk, Lady Gaga und Beyoncé trugen ihre Outfits schon auf der Bühne, das TIME Magazine zählte eines ihrer 3-D-gedruckten Kleider zu den besten 50 Erfindungen des Jahres 2011. Die Kollektionen von Iris van Herpen sind Mode und Zukunftsstudien gleichermaßen. Die DesignerInnen sucht regelmäßig den Kontakt zu und Austausch mit WissenschaftlerInnen, sie besucht Universitäten und Forschungszentren. Ein Aufenthalt am CERN war es dann auch der sie zur Kollektion „Magnetic Motion“ inspirierte, für die sie nun mit dem STARTS-Prize der Europäischen Kommission ausgezeichnet wird.
„Magnetic Motion” ist das inspirierende Ergebnis einer Zusammenarbeit von Iris van Herpen mit dem kanadischen Architekten Philip Beesley und dem niederländischen Künstler Jolan van der Weil. Ersterer gilt als Pionier im Bereich responsiver, lebender Skulpturen, der in seinen Projekten komplexe Berechnungsverfahren, synthetische Biologie und Mechatronik miteinander kombiniert. Zweiterer wiederum ist ein Künstler und Handwerker, der mit dynamischen Skulpturen und Installationen voller magnetischer Spannung experimentiert. Zusammen schufen sie mithilfe verschiedener Techniken wie Spritzguss oder Laser-Cutting ineinander verschlungene, fast architektonisch anmutende Strukturen, die sich Kleidern, Jacken, Hosen und Röcken formen und die Bewegung des darunter liegenden menschlichen Körpers widerspiegeln. Die kontrollierte Struktur der Kleidung wird kontrastiert durch die chaotische Struktur der Accessoires, unter denen sich, der inhärenten Natur des magnetischen Wachstums wegen, keine zwei identischen Objekte finden. Schuhe, Gürtel, Halsketten und Abendtaschen wurden allesamt mit magnetischen Feldern hergestellt.
Statement der STARTS-Jury (Auszug):
„Iris van Herpen ist eine der ersten ModedesignerInnen, in deren Arbeiten 3-D-Printing und andere Cutting-Edge-Technologien eine wesentliche Rolle spielen. Nachdem sie zunächst für Alexander McQueen in London und Claudy Jongstra in Amsterdam arbeitete, startete Iris van Herpen 2007 ihr eigenes Label. Charakteristisch für ihren künstlerisch-kreativen Prozess ist die Zusammenarbeit innerhalb eines großen, interdisziplinären Teams, das von traditionellem Handwerk bis zu neuen Technologien eine Vielzahl von Kompetenzen auf sich vereint. Starkes Interesse hegt Iris van Herpen zudem für die Entwicklung neuer Materialien als auch für neue, ungewöhnliche Strategien des Einsatzes bestimmter Materialien in der Mode.“
Science + Technologie + Arts = STARTS
„Im digitalen Zeitalter repräsentieren Kunst und Engineering nicht länger einander wider-sprechende Arten des Denkens”, hält G.H. Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, fest. Wissenschaft, Technologie und Kunst (kurz STARTS) bilden einen Nexus, dem ExpertInnen ein außergewöhnlich hohes Potential an Innovation attestieren. Der EU-Kommissar verweist deshalb darauf, dass die digitalen Transformationen in Industrie, Kultur und Gesellschaft Haupttreiber für disziplinen- und genreübergreifende Kooperationen rund um Innovation seien. Zudem unterstreicht er, dass die Verbindung von Technologie und künstlerischer Praxis ein Win-Win sowohl für die europäische Innovationspolitik als auch die Kunstwelt bedeutet. STARTS legt deshalb den Fokus auf künstlerische Relevanz und die Bedeutung bzw. Verwertbarkeit eines Projekts für Industrie und Gesellschaft. EU-Kommissar G.H. Oettinger betont in diesem Zusammenhang, dass dies jedoch nicht dazu führen darf, den Freiraum der Kunst einzuengen – gerade dies sei konktraproduktiv, speist sich die Kreativität von KünstlerInnen doch in erster Linie aus ihrer künstlerischen Unabhängigkeit und Freiheit.
Ars Electronica Linz meets STARTS
Seit 1979 forscht die Linzer Ars Electronica zu den vielschichtigen Auswirkungen der Digitalisierung und Vernetzung unserer Welt. Kunst, Technologie und Gesellschaft werden dabei nie allein, sondern stets zusammengedacht. Diese künstlerische Reflexion brisanter Entwicklungen, das kontinuierliche Fragen nach alternativen Zukunftsszenarien und den dafür nötigen Rahmenbedingungen, Strategien und handelnden Personen sowie die alldem stets innewohnende Aufforderung aktiv an der Gestaltung unserer Zukunft mitzuwirken, machen Ars Electronica zum idealen Partner des STARTS-Programms. Das 1979 initiierte Ars Electronica Festival als weltweit etablierte Plattform und Bühne, der seit 1987 alljährlich ausgeschriebene Prix Ars Electronica als Trendbarometer der internationalen Medienkunst, das 1996 erstmals eröffnete Ars Electronica Center als Wissens- und Bildungseinrichtung, das ebenfalls 1996 initiierte Ars Electronica Futurelab als Forschungs- und Entwicklungslabor und die Ars Electronica Solutions, die Aufträge für Industrie und Wirtschaft abwickelt, tun ein Übriges dazu.
Photo:
Artificial Skins and Bones / Visible Strength / Lisa Stohn and Jhu-Ting Yang / Fotocredit: Bernardo Aviles-Busch / Printversion / Album
Photo:
Magnetic Motion / Fotocredit: Morgan O’Donovan / Printversion / Album
https://www.youtube.com/watch?v=0t12vPo1gHo