Compass reloaded! Navigating the Future

KI & BCI – jüngste Technologiesprünge im Ars Electronica Center

(Linz, 10.5.2023) Dass Künstliche Intelligenz-Systeme (KI) genau wie Brain-Computer-Interfaces (BCI) keinen Stein auf dem anderen lassen werden, ist für Besucher*innen des Linzer Ars Electronica Center nichts Neues. Mit „Compass – Navigating the Future“ rückt das Museum der Zukunft genau diese Technologien schon seit 2019 in den Mittelpunkt: Die Ausstellung „Understanding AI“ zeigt, wie KI-Systeme funktionieren, wofür sie eingesetzt werden und warum ihre Empfehlungen mitunter problematisch sind. Im „Machine Learning Studio“ wird ein Auto darauf trainiert, seine Runden schon nach kürzester Zeit ganz allein drehen zu können, „AI x Music“ fragt am Beispiel der Musik, wie Technologieentwicklung die Entfaltung unserer Kreativität (früher und) heute beeinflusst und befördert (hat). Der Ausstellungsbereich „Neuro-Bionik“ gibt tiefe Einblicke in die Konnektomforschung und zeigt, wie biologische Nervensysteme digital nachgebildet und ihre Signale an robotische Systeme kommuniziert werden.

… und dann kam ChatGPT-3

Ob nun „Künstliche Intelligenz“ oder „Brain-Computer-Interfaces“ – was 2019 noch futuristisch anmutete, ist wesentlich schneller in unserem Alltag angekommen als gedacht. Am 30. November 2022 veröffentlichte OpenAI ChatGPT-3, nur 5 Tage später nutzten 1 Million User*innen den Chatbot – es war der Beginn eines Hypes, der ungebrochen ist. IT-Konzerne überschlagen sich seither mit Ankündigungen gigantischer Investitionen in die Entwicklung und/oder Releases neuer KI-Systeme, ihre Kritiker*innen wiederum warnen vor unkalkulierbaren Risiken und fordern gar ein KI-Moratorium.

Compass reloaded! Navigating the Future

Wie also ist das alles einzuordnen, was bedeuten „Künstliche Intelligenz“ und „Gedanken-Decoder“ wirklich für unser Leben und unsere Zukunft? Wofür können wir diese Technologien sinnvoll einsetzen? Wem gehören all die Texte, Bilder, Videos und Songs, die diese Systeme hervorbringen und wer hat Anspruch auf die damit erzielte Wertschöpfung? Brauchen wir eine Regulierung von KI und wenn ja, wer entscheidet, wie sie aussieht?

Unter dem Motto „Compass reloaded! Navigating the Future“ hat das Ars Electronica Center die jüngsten Technologiesprünge in seine Ausstellungen und Labs aufgenommen. Eingebettet in die 2019 gestartete künstlerisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit KI und Neuro-Bionik laden eine Reihe neuer Exponate und weiterentwickelter Ausstellungsbereiche dazu ein, sich inmitten der aktuellen Begeisterungsstürme und Panikattacken wieder etwas Orientierung zu verschaffen. „Compass reloaded!“ umfasst neue Stationen von Künstler*innen und Entwickler*innen aus Österreich, Rumänien, Belgien und den USA.

Eröffnung am DO 11. Mai um 18.00 Uhr

Am Donnerstag, 11. Mai 2023, 18:00 Uhr, wird „Compass reloaded!“ eröffnet und kann bei freiem Eintritt erkundet werden. Ebenfalls Teil des Eröffnungsabends ist die offizielle Inbetriebnahme des neuen interaktiven Fassadenterminals, mit dem die LED-Fassade des Linzer Ars Electronica Center via Smartphone gesteuert werden kann.

Erstes Themenwochenende am SA 13. & SO 14. Mai 2023

Direkt auf die Eröffnung folgt dann das erste Themenwochenende zu „Compass reloaded!“: Samstag, 13. und Sonntag, 14. Mai 2023, jeweils von 10:00 bis 17:00 Uhr, können Besucher*innen sich mit Begriffen wie Kunst, Autor*innenschaft, Werk und Wissen im KI-Zeitalter auseinandersetzen, selbst mit ChatGPT-3.5 diskutieren oder Stable-Diffusion-Bilder entwerfen, auf dem Solar Synthesizer 0.4 spielen oder mittels „BCI-Solastalgia“ messen, welche bioelektrischen Feuerwerke in ihrem Gehirn gezündet werden, während sie Bilder betrachten. Am Samstag, 13. Mai 2023, 14:00 bis 15:00 Uhr, lädt Professorin Martina Mara zum Vortrag „Ich und die KI: Psychologische Einblicke in unsere Beziehungen mit smarten Maschinen“ und eröffnet Einblicke in aktuelle Forschungsarbeiten des Robopsychology Lab der JKU.

Compass reloaded! Navigating the Future – die Projekte

1

Zeitenwende – The Almost Dead Artist: The Almost Alive Artificial Intelligence / Richard Kriesche (AT)

Richard Kriesche (AT) forscht seit den 1990er-Jahren zu Künstlicher Intelligenz. Sein mit ChatGPT erstellter Beitrag, der aus Textbausteinen besteht, erarbeitet die Beziehung von Kunst, Künstler*innen und KI. Dabei stellt Kriesche die Überwindung menschlicher Souveränität in einer digitalisierten Welt in Aussicht. Passend zu den Diskussionen der letzten Wochen rund um Musikproduktion und KI richtet Kriesche sein Interesse auf das Verstehen von Kunst, Autor*innenschaft und Wissen in einer Welt, in der die Grenzen zwischen Mensch und Maschine zunehmend fließend werden. Nur durch Zusammenarbeit werden sich – nach ChatGPT – sowohl der Mensch als auch die Maschine produktiv weiterentwickeln; darauf verweist Zeitenwende – The Almost Dead Artist: The Almost Alive Artificial Intelligence.

2

I, HUMAN / Saint Machine (RO)

Mit I, Human ist eine modulare Medienskulptur geglückt, die sich von den komplexen Mustern biologischer Neuronen inspirieren lässt. Die Installation analysiert die Emotionen der Besucher*innen und wandelt ihre Empathie in kohärentes Licht um, das wiederum lebenswichtige biologische Prozesse von Mikroorganismen in einem Labor beeinflusst. Involviert sind dabei nicht nur die Linzer Besucher*innen; das Projekt ist ein zwischenstaatliches. Durch miteinander verbundene Module fängt I, Human Emotionen von Besucher*innen in Timișoara (RO) und Linz ein und ernährt durch die eingefangenen Laserlichtimpulse an den Standorten eine Euglena-Population (Einzeller) in einem bio-photonischen Echtzeit-Experiment im Centre for Advanced Laser Technologies (RO).

Was sich zeigt, ist die Vernetzung von Menschen, Natur und Technik. Damit zielt die rumänische Künstlerin Saint Machine auf das vielschichtige Ökosystem des Planeten ab und macht es im Kleinen greifbar.

3

Solar Synthesizer 0.4 / Klaus Dieterstorfer (AT), Alex Minichmair (AT), Rupert Huber (AT), Felix Minichmair (AT)

Weg von Atomstrom und fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien – die Forderungen einer Energiewende bestehen seit etwa 40 Jahren. Elektronische Musik, die naturgemäß auf Stromzufuhr angewiesen ist, kennt eine umweltfreundliche Alternative. Das interdisziplinäre Team um Klaus Dietersdorfer (AT) stellt den Solar Synthesizer 0.4 vor, der energieautark und allein mit Sonnenlicht ein Standardset an Klängen produzieren kann. Sobald Licht auf die Photovoltaikzellen trifft, kann eine Klanglandschaft entstehen. Auf diese Art kann man den Solar Synthesizer 0.4. auch steuern: Werden die Solaranlagen für wenige Sekunden verdeckt, so ändert sich das Tongebilde. Anstatt Tasten sind es menschliche Bewegungen, die den Klang steuern.

4

Being / Rashaad Newsome (US)

Im vergangenen Jahr erhielt Rashaad Newsome (US) die Goldene Nica des Prix Ars Electronica in der Kategorie Computer Animation. Ausgezeichnet wurde die von ihm entwickelte soziale humanoide KI Being. Eine Kombination aus 3D-Animation, Game-Engines, geskripteten Antworten, generativen Grammatiken und Machine Learning-Modellen macht die KI-Installation zu einem Kommunikationstool. Being leitet Workshops zur Dekolonisierungsdebatte, fungiert als Tour-Guide bei Ausstellungen, verfasst und trägt Gedichte vor und speist sich aus der Welt der Werbung, des Internets, der Kunstgeschichte, der Schwarzen und der queeren Kultur. Nun ist die Animation im Ars Electronica Center zu sehen.

5

BCI-Solastalgia / Ars Electronica Solutions (AT), g.tec medical engineering GmbH (AT) & Erika Mondria (AT)

Menschen stehen in einer ständigen Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Um sich eine Meinung bilden zu können, laufen bewusst wie unbewusst kognitive Prozesse ab, die eine Entscheidung ermöglichen. Diese Gehirnaktivitäten können über ein Brain-Computer-Interface, ein tragbares Elektroenzephalografie (EEG)-Headset, erfasst werden. Damit lässt sich die Reaktion des Hirnes auf einzelne Reize überprüfen: Die Elektroden messen bioelektrische Signale an der Großhirnrinde und können aufzeichnen, wie das Gehirn auf kurz dargebotene Bilder „antwortet“. Die Software ordnet Bilder nach der Reaktion der Gehirnwellen der Proband*innen. Die Technologie findet bereits Anwendung in der Forschung rund um medizinische Assistenzsysteme und spielt eine Rolle in Marketing-Strategien.

Das BCI-Solastalgia wurde von Ars Electronica Solutions (AT) und Erika Mondria (Supervisor Brain Projects) in Verbindung mit g.tec medical engineering (AT) entwickelt. Namensgebend ist der Begriff der Solastalgie (nach Glenn Albrecht), der eine gelebte Erfahrung negativer Umweltveränderungen meint.

6

The NeuroRight Arcades / Roel Heremans (BE)

Neuro-Wearables, also tragbare Geräte, die kognitive Leistungen aufzeichnen, werden immer leistungsstärker – und vor allem alltäglicher. Soziale und ethische Rahmenbedingungen für derlei Entwicklungsschritte stehen allerdings aus: Brain-Computer-Interfaces (BCI) legen humane Körperdaten offen und speichern sie langfristig. Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte sind daher ein brennendes Thema. Als erstes Regelwerk für die Neurowissenschaft hat die Columbia University fünf „NeuroRights“ formuliert, welche den moralischen Umgang mit sensiblen Daten festhalten.

In der interaktiven Installation The NeuroRight Arcades nimmt Roel Heremans (BE) Bezug auf diese ersten Schritte und macht die Fragen nach der ethischen Zukunft der Neurotechnologie für Besucher*innen zur ästhetischen Erfahrung. Wie die Personen auf die Ausstellungsinhalte reagieren, wird mittels Headsets aufgezeichnet und macht die eigenen Gehirnströme zum QR-Code. Macht die Installation schlussendlich das, wovor sie warnt?

7

ChatGPT / OpenAI (US)

2022 löste das amerikanische Unternehmen OpenAI mit der Veröffentlichung des Chatbots ChatGPT-3 einen Hype aus. Die Anwendung, die mit Künstlicher Intelligenz funktioniert und im Chat Fragen beantworten kann, ist an sich eine Neuheit, bedurfte aber Jahre der Weiterentwicklung. Schon 2019 hat das Ars Electronica Center seinen Vorläufer GPT-2 vorgestellt und folgt den nächsten Schritten in Echtzeit: Besucher*innen können ChatGPT-3.5 in der neu adaptierten Hauptausstellung ausprobieren und verstehen, wie das KI-Sprachsystem funktioniert.

8

Stable Diffusion / Stability AI

Als zweite KI-Anwendung wurde der Bildgenerator Stable Diffusion in die Ausstellung integriert. Auf Basis eingegebener Textbeschreibungen – sogenannten Prompts – kann das System fotorealistische Bilder erzeugen. Die Besucher*innen sind aufgerufen, Platz vor dem Bildschirm zu nehmen und selbst herauszufinden, welche Prompts zu guten oder weniger guten Ergebnisse führen.

9

Future Ink

Life Ink / Bio Ink / AI Ink / Space Ink

Future Ink ist ein gemeinsames Forschungsprojekt des internationalen Marktführers digitaler Interface-Technologien Wacom und dem Ars Electronica Futurelab. Im Zentrum steht die Erkundung der Kreativität der Zukunft – und wie sie sich ausdrücken könnte. Dabei wird die Tinte als Medium in den Blick genommen, welches Ausgangspunkt für Überlegungen der Stift- und Tablettechnologie von Wacom ist. Wie schreibt und zeichnet man in Zukunft (oder besser: die Zukunft)?

Die neueste Entwicklung (2022) ist Life Ink: Gehirnströme und Körpersignale werden gezielt mit Sensoren erfasst. Die gewonnenen Live-Daten formen eine neue Art von Tinte; die Life Ink. Der Körper und die gewonnenen Biodaten werden zur allegorischen Feder, durch die Emotionen und Kreativität zum Ausdruck gebracht werden.

10

Fassadenspiel / Ars Electronica Futurelab

Seit 1.1.2009 prägt die mit 38.500 LEDs ausgestattete Fassade des Ars Electronica Center das Linzer Stadtbild. Das Ars Electronica Futurelab hat diese repräsentative Museumshülle – erneut – in ein gestaltbares Medium verwandelt, das allen zugänglich sein soll. Zunächst als Display direkt vor dem Ars Electronica Center am Donauufer umgesetzt, wurde die Bedienung des Fassadenspiels nun auf die Endgeräte der Benutzer*innen verlagert: Mit dem eigenen Smartphone verbindet man sich via WiFi mit dem Gebäude und kann die LEDs des Ars Electronica Center nach Belieben steuern. Ob im Rhythmus der eigenen Lieblingsmusik – welche über die in die Fassade eingebaute Audioanlage abgespielt wird – oder im Stil der besten Animationen der vergangenen 10 Jahre; mit dem neuen Fassadenspiel können alle das Linzer Stadtbild audiovisuell mitgestalten.

Projektname: Life Ink

Foto: Ars Electronica / Birgit Cakir

Projektname: Solar Synthesizer 0.4 / Klaus Dieterstorfer (AT), Alex Minichmair (AT), Rupert Huber (AT), Felix Minichmair (AT)

Foto: Ars Electronica / Birgit Cakir

Projektname: Zeitenwende – The Almost Dead Artist: The Almost Alive Artificial Intelligence / Richard Kriesche (AT)

Foto: Ars Electronica / Birgit Cakir