Honorary Mention
Überall auf der Welt wird Tränengas eingesetzt, um Menschen davon abzuhalten, sich zu demokratischen Protesten zu versammeln. Weißer Phosphor und Chlorgas verbreiten Terror in belagerten Städten, Herbizide aus der Luft zerstören Ackerland und ruinieren Lebensgrundlagen, und Brandstiftung im großen Stil vernichtet Wälder für industrielle Plantagen. Mobilisiert von staatlichen und korporativen Mächten, kolonisieren toxische Wolken die Luft, die wir atmen- Über verschiedene Maßstäbe und Zeiträume hinweg, von Stadtplätzen bis zu Kontinenten, von einmaligen Vorfällen bis zu epochalen Zeiträumen.
In der jüngeren Geschichte der Menschenrechte wurden Vorfälle von Gewalt als augenblicklich und kinetisch verstanden: ein Schuss oder eine Explosion, wo „jeder Kontakt eine Spur hinterlässt“. Aber zeitgenössische Gewalt aus der Luft erfordert einen anderen Ansatz: Wolken sind transformative Gebilde – ihre Dynamik ist schwer fassbar und nicht linear; Kausalität ist schwer nachzuweisen, der „Kontakt“ und die „Spur“ driften auseinander, werden von Winden oder Meeresströmungen fortgetragen. Um diese toxischen Nebel herum, züchten die zeitgenössischen politischen Bedingungen Zweifel und tödlichen Skeptizismus und die physischen Wolken werden epistemologisch. Wenn die Machthaber die Realitäten des Klimawandels oder der chemischen Angriffe leugnen, müssen diejenigen, die gezwungen sind, die Wolken zu bewohnen, neue Formen des Widerstands finden.
Diese Arbeit sammelt acht aktuelle Untersuchungen von Forensic Architecture, die jeweils verschiedene Arten von toxischen Wolken und die Fähigkeit von Staaten und Unternehmen untersuchen, den Luftraum zu besetzen und unbewohnbare Atmosphären zu schaffen. Durch die Kombination von digitaler Modellierung, maschinellem Lernen, Strömungsdynamik und mathematischer Simulation im Kontext aktiver Fallarbeit dient es als Plattform für neue Forschungspraktiken im Bereich der Menschenrechte, die sich auf die zunehmend verbreiteten Formen von „wolkenbasierter“, luftgestützter Gewalt richten. Nach einem Jahr, das von Umweltkatastrophen, einer globalen Pandemie, politischen Protesten und einer anhaltenden Migrantenkrise geprägt war, bietet Cloud Studies einen neuen Rahmen, um die Verbundenheit globaler Atmosphären, die Durchlässigkeit von Staatsgrenzen und das, was Achille Mbembe als „das universelle Recht zu atmen“ bezeichnet, zu betrachten.
Credits
Forensic Architecture Team:
Principal Investigator: Eyal Weizman
Researcher in Charge: Samaneh Moafi
Team: Robert Trafford, Martyna Marciniak, Lola Conte, Lachlan Kermode, Mark Nieto, Leigh Brown, Sarah Nankivell, Christina Varvia, Amy Cheung, Shourideh C. Molavi.
Ursprünglich eine Auftragsarbeit des ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe.
Forensic Architecture (FA) ist eine Forschungsagentur an der Goldsmiths, University of London, die Menschenrechtsverletzungen durch Staaten und Unternehmen mit fortschrittlichen Techniken in den Bereichen der räumlichen Analyse, Open-Source-Untersuchung, Modellierung und immersiven Technologien untersucht. FA arbeitet mit Institutionen aus der gesamten Zivilgesellschaft zusammen, von Basisaktivisten und Rechtsteams bis hin zu NGOs und Medienorganisationen, um Untersuchungen mit und im Namen von Gemeinschaften und Einzelpersonen durchzuführen, die von Konflikten, Polizeibrutalität, Grenzregimen und Umweltgewalt betroffen sind.
Jury Statement
Cloud Studies propose a new and radical approach to investigate contemporary clouds, suggesting the need for an alternative cartography of critical zones. It is a video work that assembles eight recent investigations by Forensic Architecture under the common theme of toxic clouds in different geographical locations and local contexts—from chemical white phosphorus and glyphosate used in Gaza, tear gas used to disperse crowd protests in Hong Kong, methane in Argentina, or chlorine used in the Syrian town of Douma, and arson used to eradicate Indonesian forests for industrial plantations. In the turbulent and fragile year of the COVID-19 pandemic, where the relationship between nature, ourselves, and technology appears dangerously unbalanced, Cloud Studies reflects on the global atmosphere dominated by toxic clouds that colonizes the air we breathe and shapes our environment and our perception, prompting collective resistance and protests. Clouds are also a metaphor for the fragility and porosity of borders, since we are all connected and close, breathing the same toxic air. It is clearly denouncing how state and corporate powers continuously mobilize new types of clouds to control and manipulate human behaviors and their environment. Toxic clouds colonize the air we breathe, leaving traces everywhere, and it is hard not to relate it to the infrastructural “clouds” that colonize our digital life today, amassing information and data that can be used and monopolized in various ways. Audio recordings and the audiovisual narrative, together with the essays and texts read by their authors are also made accessible in a virtual exhibition platform, providing more in-depth information for the audience: https://critical-zones.zkm.de/#!/detail:cloud-studies.