Im Animationsfilm “Rhizome” geht es um nichts Geringeres als um die Entwicklung des Lebens, die Genetik, vom unendlich Kleinen bis hin zum unendlich Großen. Für die visuelle Umsetzung eines Universums, in dem alles miteinander eng verbunden ist, hat der in Frankreich lebende Künstler Boris Labbé kürzlich die Goldene Nica des Prix Ars Electronica 2016 in der Kategorie „Computer Animation / Film / VFX“ erhalten. Wir haben mit ihm über seine Animation gesprochen, die er und sein Team aus etwa 2.300 Handzeichnungen zusammengesetzt haben.
Trailer von „Rhizome“
Was hat Sie inspiriert, diese beeindruckende Animation mit ihren kontinuierlichen Bewegungen und ewig wiederkehrenden Metamorphosen zu erschaffen?
Boris Labbé: Fast alle meiner Animationen beschäftigen sich mit einer großen Anzahl an Figuren, Wiederholungen und Metamorphosen. Die Metamorphose an sich ist ja eine der Grundlagen des animierten Mediums. Das ist etwas, das ich genau dann spüre, wenn ich Animationen mit der Hand zeichne, wo sich ein Blatt von dem nächsten nur gering unterscheidet. Der Film „Tango“ von Zbigniew Rybczynski hat mich sehr stark beeinflusst, aber in „Rhizome“ stecken auch Spuren von Jerome Boch, M.C. Escher, Steve Reich und von vielen anderen.
„Tango“ von Zbigniew Rybczynski beeinflusste die Animation sehr stark
Sie setzen eine Menge an handgezeichneter traditioneller Animationskunst ein – worin liegt der Reiz, diese Animationstechniken und Materialien wie Tusche und Wasserfarben aufzugreifen?
Boris Labbé: Tusche und Wasserfarben für Animationen zu verwenden, ist sehr angenehm, da es sich dabei um eine sehr „sinnliche“ Technik handelt, wenn der nasse Pinsel über das Papier streicht und die Farben in den Wassertropfen verlaufen. Und mir gefällt vor allem die Vorstellung, dass jeder Farbfleck für sich einzigartig ist. Das schafft etwas Lebendiges und Dynamisches. Doch auch für mich ist das eine schnelle und einfache technische Umsetzung. Gezeichnet wird innerhalb einer Silhouette, sehr vereinfacht und sehr klein, die mir erlaubt, damit eine große Zahl an Charakteren zu animieren.
Credit: Boris Labbé
Wenn man Ihre Animation beobachtet, ist es ein Vergnügen ein Auge auf jedes einzelne sich bewegende Objekt zu werfen. Was war die größte Herausforderung beim Erstellen des Storyboards und der Verwirklichung dieser Animation?
Boris Labbé: Das Drehbuch und das Storyboard zu erstellen, war nicht sehr schwierig. Zuerst hatte ich die Idee eines Rhizoms und fand dann nach und nach heraus, wie ich es am besten abbilden konnte. Bevor ich dann den Film produzierte, bereitete ich ein Storyboard vor, unternahm Recherchen hinsichtlich der Grafik und machte kleinere Animationstests. Die größte Herausforderung des Films war dann aber jedoch, diese große Zahl an unterschiedlichen Animationen herzustellen – durch Improvisation, ohne dabei selbst zu erschöpfen, alle Verbindungen zwischen all den Animationssequenzen zu setzen und diese am Computer schließlich miteinander zu kombinieren. Ich musste einfallsreich sein, aber auch präzise und sehr organisiert vorgehen.
Credit: Boris Labbé
Es gibt einige Ähnlichkeiten zwischen Ihrer vorhergehenden Arbeit „Kyrielle“ und die animierten Figuren von „Rhizome“. Welchen Einfluss hatten ihre vorhergehenden Werke auf diese prämierte Animation?
Boris Labbé: “Kyrielle” ist ein Film, den ich in eineinhalb Monaten produziert habe als ich Animation in Angoulême studierte. Zwei Jahre später dachte ich mir, dass ich diese Idee weiterspinnen könnte indem ich einen narrativen Ansatz einbrachte, die Technik weiterentwickelte und mir dafür deutlich mehr Zeit nahm. „Rhizome“ ist der Höhepunkt und die Kombination von mehreren Forschungen, die ich in der Vergangenheit durchführte (Il(s) tournent en rond, Kyrielle, Cinétique, Danse macabre).
„Kyrielle“, Credit: Boris Labbé
“Rhizome” ist Ihr erster professioneller Film. Was haben Sie von diesem Schritt gelernt?
Boris Labbé: Rhizome ist tatsächlich mein erster professioneller Film, aber nach meiner Ausbildung habe ich bereits eine Videoinstallation (Danse macabre, 2013) während meiner Residency an der Casa de Velázquez in Madrid realisiert. Mit „professionellen“ Projekten begann ich sehr schnell nach dem Ende des Animationsstudiums. Für mich lag der wirklich spürbare Unterschied zwischen meiner Studentenzeit und der heutigen Zeit darin, dass ich meine Projekte nun viel mehr vorausschauend vorbereite. Ich erstelle Dossiers, um Finanzierungsmöglichkeiten zu finden, um den Film produzieren zu können. Das ermöglicht mir auch, mein Projekt deutlich konzeptioneller aufzubauen und es in mehrere Aufgaben für die Zusammenarbeit mit meinem Team aufzuteilen.
Credit: Boris Labbé
Jetzt möchten wir aber alle noch wissen, wie viel Zeit Sie tatsächlich gebraucht haben, um diese Animation zu realisieren.
Boris Labbé: Im April 2013 begann ich über “Rhizome” zu schreiben und zu forschen. Gemeinsam mit meinem Produzenten suchten wir damals finanzielle Unterstützung, um den Film zu verwirklichen – das dauerte dann doch sechs Monate. Anschließend absolvierte ich eine zweimonatige Residency mit der Vorproduktion in Straßburg (Nov-Dez 2013), und dann mit der tatsächlichen Produktion während meiner achtmonatigen Residency im Ciclic Region Centre (Apr-Dez 2014). Zum Schluss kamen noch Musik und Post-Production hinzu und der Film war dann im März 2015 fertiggestellt. Wenn ich nun alles für dieses Projekt zusammenzähle, habe ich doch zwei Jahre an dem Film gearbeitet, um ihn fertigzustellen.
Boris Labbé (FR): Nachdem Boris Labbé den “DNAP” (Diplôme national d’arts plastiques – vergleichbar mit einem Bachelorabschluss) an der l’Ecole supérieure d’art et de céramique Tarbes erlangte, setzte er sein Studium an der l’EMCA Angoulême (Ecole des métiers du cinéma d’animation) fort. An der l’EMCA produzierte er die Animation „Kyrielle“ als Abschlussfilmprojekt, das beim Festival international du film d’animation of Annecy 2012 einen Spezialjurypreis erhielt. Er verbrachte ein Jahr an der la Casa Velasquez in Madrid. “Rhizome” ist sein erster professioneller Film.
Der Prix beim Festival: Die 11-minütige Animation „Rhizome“ sehen Sie beim Ars Electronica Animation Festival, das im Rahmen des Ars Electronica Festival 2016 (8.-12. September 2016) in Linz stattfinden wird. Bei den Prix-Foren im September haben Sie außerdem die Gelegenheit, die KünstlerInnen der prämierten Arbeiten persönlich anzutreffen.