Die “DIY Science Revolution” ist nicht nur Teilüberschrift der Wanderausstellung die Bürger und Bürgerinnen mit ihren innovativen Projekten im Gesundheitswesen vorstellt und am 29. März im Ars Electronica Center eröffnet wird– semantisch weißt sie auf den radikalen Wandel eines Paradigmas im letzten Wort hin. Um eine Revolution anzuzetteln, braucht es grundsätzlich einen gemeinsamen Grund und eine Gruppe von Leuten, die Aktionen im Sinne gegenseitiger Interessen vorantreiben. Darüber hinaus beruht jeder Aufruhr klassischerweise auf einem Missstand, der den Umsturz unabdingbar macht. In all jenen Fällen, die in der Ausstellung gezeigt werden, bedeutet „Patienten tun es in eigener Sache“ eine Hingabe aus der Notwendigkeit heraus. Diese ist das fehlende Engagement eines Gesundheitswesens – nicht zu verwechseln mit einer maroden Monarchie wie im Falle der Französischen Revolution, aber für jene die angewiesen sind ein System das sich als unbrauchbar erwiesen hat.
Einer der die sein eigenes Schicksal in die Hand genommen hat ist Timothy Omer. Seit 22 Jahren mit der Diagnose Diabetes Typus 1 behaftet, sah er sich veranlasst nach Wegen zu suchen, die sein Leben verbessern. Dazu fasste er drei Hauptentschlüsse: 1) Mach Dich frei von einer stressigen Jobposition, die nicht nur Deine Krankheit negativ beeinflusst sondern Deine generelle Lebensqualität. 2) Reduziere Deine Lebenskosten und den Abhängigkeiten der Konsumgesellschaft. 3) Verbünde Dich mit Leuten, die unter der gleichen Beeinträchtigung leiden und erlaube Dir eine verstärkte Arbeit an persönlichen Projekten, die anderen dabei helfen könnten mit ihrer Diabetes Typ 1 fertig zu werden. Zum ersten zog Timothy mit seiner Familie weg vom übermäßig teuren London um ein einfacheres Leben führen zu können. Durch den Gewinn von mehr Lebensqualität, wünschte sich Tim mehr Zeit für einen verbesserten Umgang mit verfügbaren Geräten, die den Diabetes Typus 1 behandeln, aufbringen zu können. Das heißt mit der Auswertung derer Statistiken, und mit der Verringerung der Kosten, die sie verursachen. Schließlich nutzte der Do-It-Yourself-Mann seinen Blog um eigene Erfahrungen zu teilen und hat damit nicht nur das Interesse derer geweckt, die auf der gleichen Seite kämpfen, sondern auch jener etablierten Entwickler, die bereits erhältliche Continuous Glucose Monitor (CGM) Systeme herstellen.
Auf die Frage ob er sich als Aussteiger, Rebell, oder generell eigenmotivierte Person sieht, antwortet er, dass es schon eine bestimmte Motivation und technische Fähigkeiten braucht, um eigenständige Lösungen zu finden.
Timothy Omer: Die Gründe sich um einen radikalen Wandel zu bemühen sind vielfältig – als jemand der stets bemüht gewesen ist aus seiner Diabetes einen positiven Kampf zu machen, sah ich die Vorteile im Vermeiden von Stress, der aus meinem Job, aber auch aus meinem Leben in London generell resultierte. Zum Zweiten war es die Frustration, die sich daraus ergab, dass eine kreative Person wie ich nicht zu einem Vollzeit-Jobmodell passt. Angeregt von der PatientInnenbewegung #WeAreNotWaiting, die sich mit Datenhacking und eigenen Geräten bemächtigt hat, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen um Diabetes zu bekämpfen, fand ich es sinnvoller, wenn ich meine Kreativität für meine eigenen und die Zwecke anderer nutze. Als technischer Direktor für CBS Interactive musste ich mich um die Implementation von Technik, die die Firma nutzt, kümmern. Meine Expertise liegt darin Technologie Menschen zu vermitteln, die nicht unbedingt technisch versiert sind. Das ist ein wichtiges Detail, weil eine Menge technisch begabte Leute damit kämpfen mit ihrem technisch weniger begabten Gegenüber zusammenzuarbeiten. Du hast vielleicht ein Top-Produkt, aber der Benutzer kann nicht damit umgehen, und so wird es wertlos – übersetzt in das Feld von Diabetes, gibt es Open Source Community Projekte, die dabei helfen mit dem Diabetes Typ 1 umgehen zu können. Der Zugang bleibt aber jenen, die sich technisch überhaupt nicht auskennen, verwehrt. Ungleich zu den kommerziell verfügbaren Systemen, müssen die individuellen PatientInnen dies selbst implementieren.
Wie hast Du Dich mit den Leuten, die die Open Source Bewegung mittels der Plattform #WeAreNotWaiting starteten, kurzgeschlossen? Eine Plattform, die Patientinnen und Patienten darüber informiert wie sie sich ein eigenes DIY Kit, das den grundlegenden Haushalt kontrolliert, basteln können und über die man die Insulinrate errechnen kann.
Timothy Omer: Ich persönlich brauchte ein CGM als ich meine neue Insulinpumpe kalibrieren wollte damit ich 2013 auf Reise gehen konnte – ohne dieses System trägst Du eine Menge Injektionen und verschiedene Medikamente mit Dir rum, was ein Alptraum ist. Das war das erste Mal, dass ich über Diabetes-Technologie gestolpert bin, dessen Kosten ich absurd fand. Vor dem Hintergrund einer geteilten Frustration hatte sich da bereits eine Gemeinschaft schon gegründet. Sie hatte Geräte und Daten, aber kein System um die Kennzahlen zu managen, oder einen darüber hinaus gehenden Nutzen. Als ich von einer einjährigen Reise zurückkam hatten Leute bereits Open Source Lösungen am Start, worauf ich mich sofort gestürzt habe. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung wie mein Beitrag aussehen könnte, wollte aber die Kosten meines CGMs unbedingt verringern – und wenn Du Dir meinen Blog anschaust wird Dir klar wie ich den Transmitter gehackt habe und in welcher Art ich die Community Software anwendete, sodass ich mein CGM weiterhin nutzen konnte. Ich sah mir daraufhin das OpenAPS.org Projekt an um die CGM Daten zu nutzen, die ich in das künstliche Bauspeicheldrüsen-System implementieren musste um meine Medikation zu automatisieren. Dies wurde ursprünglich von Scott (Leibrandt) und Dana (Lewis) entwickelt, die selbst andere Shared Community Projects nutzten. Ihr System basierte auf einem Rasperry Pi Mini-Computer, der verschiedene angeschlossene Geräte mitsamt einer Batterie brauchte. Ich dachte, das ist nicht die ideale Methode, warum benutzen sie nicht das Smartphone als zentrale Kontrollinstanz? EntwicklerInnen können an ihrer eigenen Plattform kleben, was dazu führt, dass andere, weniger technisch begabte NutzerInnen nur diese eingeschränkt nutzen können, eine Situation, die ich schon oft vorfand. Also habe ich es auf mich genommen Android Programmierung zu lernen und entwickelte dabei eine mobile APP, die meine Diabetes-Kennzahlen aufzeichnet und Feedback Vorschläge unterbreitet um meine Insulinpumpe zu justieren, die auf dem Kode der OpenAPS.org, XDrip und anderen Community Projekten basiert.
“Die Open Source Community ist das einzige Gesundheitssystem das den Patienten in den Mittelpunkt stellt! Und das ist das faszinierendste daran.” (Timothy Omer)
Als ich las dass nur ca. 300 Menschen das sogenannte Closed Loop System – ein System, dass die Basalrate auf Grundlage einer vorgeschlagenen Menge automatisch injiziert – nutzt, habe ich mich gefragt “Warum eine nur so kleine Zahl?” Trauen Menschen einem Gerät, das auf DIY-Basis entstanden ist, weniger? Fehlt ihnen Information weil sie im digitalen Zeitalter noch nicht angekommen sind?
Timothy Omer: Mit Deiner Frage sind zwei andere verbunden… die eine lautet: Wo stehen wir mit dem Gesundheitswesen und der Technologie? Und die zweite dreht sich um deren Anwendung. Zuallererst musst Du in der Lage sein nicht nur die Technologie zu beherrschen sondern Deine Krankheit. Und das ist ein Vollzeitjob. Es ist eine einzigartige Kombination von Skills, die benötigt werden, um mit einem solchen System klar zu kommen- was normal ist bei gerade entwickelter Technologie…. Die ersten Schritte sind nie KonsumentInnen-freundlich. Du musst es Dir reinziehen, Dich informieren, es technisch drauf haben und wissen wie diese Systeme anzuwenden sind. Die positive Seite ist: Die ersten AnwenderInnen sind voll in der Materie drin. Verglichen mit den Open Source Codes war die Mobile APP, die ich entwickelt habe, für das Lernverhalten ein Riesenschritt nach vorne, insofern das sie viel zugänglicher war. Eine APP auf einem Smartphone zu installieren ist viel leichter als ein Linux Environment und andere Komponenten zu implementieren. Wir sind nun an einem Punkt angelangt, wo die technischen Hürden immer weniger werden. Zur gleichen Zeit erhalten mehr und mehr Leute Zugang und wir müssen die Risiken überdenken…. Stell Dir mal ein emotional geladenes Elternpaar vor, dessen Kind eine Diabetes Typus 1-Diagnose hat… sie denken wahrscheinlich dass es mit der Installation einer APP getan ist und sie damit das Allheilmittel haben – dem ist nicht so, das kann ich Dir versichern!
Welche Systeme gibt es und was sind deren Vor- und Nachteile?
Timothy Omer: Es gibt unterschiedliche Community Projekte: Projekte mit geringem Risiko, die Deine Diabetes-Daten frei verfügbar (NightScout, xDrip, NightWatch) und manage-bar machen, zum Beispiel durch die Anzeige auf Deiner Smart Watch. Es gibt Projekte mit höheren Risiken (OpenAPS, AndoridAPS, HAPP, Loop Kit), die Daten des Systems entnehmen und durch von Community-entwickelten Algorithmen Vorschläge zur Änderung Deiner Medikation machen. Bei den letzten unterscheide ich zwei Typen: Closed Loop- und Open Loop-Systeme. Beide Systeme nehmen die aufgezeichneten und nun durch den offenen Code frei verfügbar gemachten Daten und stellen vorgeschlagene Änderungen der Dosierung durch die Insulinpumpe zur Disposition. Closed Loop Systeme ändern diese automatisch, Open Loop Systeme benötigen die Bestätigung der Anwenderin oder des Anwenders – Es stellt das größte Risiko und die größte Angst für den Nutzer oder die Nutzerin dar… weil Du die Kontrolle abgibst. Es ist ein mental schwieriger Zustand Diabetes Typus 1 zu haben – ein 24-Stunden rund um die Uhr Zustand. Du stehst permanent unter Druck, denkst nach über Dein Diabetes-Management. Du bist mit permanenter Frustration konfrontiert. Du musst Dich mit andauernder Frustration über Deinen Körper auseinandersetzen. Und nun wo es ein System gibt, das Dir Vorschläge macht, ist es ganz schön beängstigend für die Leute geworden. Der Vorteil ist, dass diese Vorschläge auf der Grundlage von Logik gemacht sind. Sie basieren nicht auf Mutmaßungen, die von Menschen oft angestrengt werden. Ein Mensch reagiert, ist emotional und manchmal unlogisch in seinen Einschätzungen. Technische Geräte besitzen diese Eigenschaft nicht.
Die Codes die ich mittels HAPP Open Loop System benutze sind die gleichen wie bei einem Closed Loop Projekt- ich habe sie auf experimenteller Grundlage entwickelt und war darüber überrascht wie sinnvoll es ist Vorschläge zu bekommen. Ich besitze ein automatisiertes System, das prüft, das automatisch kalkuliert und nur dann Vorschläge macht, wenn sie akut gebraucht werden. Dabei fängst Du an das System anzuzweifeln. Was positiv ist, da PatientInnen ein Mehr an Kontrolle erhalten und einfach besser informiert sind – sein müssen. Es bedeutet aber letztendlich, dass PatientInnen anfangen dem Algorithmus auf dem die Berechnungen basieren zu vertrauen.
War Deine Entscheidung tiefer in die Materie einzutauchen auch eine Methode das Gesundheitssystem zu bekämpfen, oder etwa die kommerziell verfügbaren Syteme oder etwa die etablierten ExpertInnen? Der Ausstellungstitel „Beyond the Lab – The DIY Revolution“ suggeriert ja eine Rebellion!
Timothy Omer: Erst einmal möchte ich eines klar stellen: “Schafft nicht die ExpertInnen ab, nur weil es Menschen gibt, die nun zur Lösung beitragen können!“ Als ich Medizinkongresse besucht habe um diese Bewegung zu diskutieren, sind eine Menge Menschen an mich herangetreten und haben die ExpertInnen angefeindet.
„Diese Bewegung existiert, weil wir das volle Potenzial der gegenwärtigen Technik nicht ausnutzen!“ (Timothy Omer)
Die Technologie die wir benutzen ist vergleichsweise alt und ungünstig, sie ist nicht unbedingt dazu entwickelt den Patienten und Patientinnen zu helfen. Die Frustrationen der Community, die damit einhergehen, liegen nicht darin begründet, dass uns die ExpertInnen ignorieren, vielmehr sieht es die Konsumgesellschaft in der wir leben nicht vor, dass wir von der Technologie profitieren, schnelleren Zugang zu geringeren Kosten bekommen. Es gibt viele Hürden wie der Zuteilungsprozess des Gesundheitssystems. Die Geschwindigkeit der Entwicklung geht nicht zusammen mit der der Krankenkassen. Die Zeit bis etwas genehmigt wird ist nicht reell. Die medizinische Industrie riskiert ständig verklagt zu werden – es gibt Investitionen in die neueste Technologie und nicht um die bestehende Technologie besser zu machen. Sie wird nur angewendet weil sie die aktuellste ist, aber nicht aus Gründen der Kostensenkung. Es ist wie in der Mobiltelefon-Industrie die Dir stets die neuesten Features verkaufen will anstatt das was funktioniert besser zu machen.
Der Fokus der Industrie ist es Geld zu verdienen. Der des National Health Service (in den U.K. zum Beispiel) die der Kostensenkung des Gesundheitssystems. Dieser schaut auf die Statistiken, die über die günstigsten Behandlungen der PatientInnen Auskunft geben. Die Top-Priorität von Wohltätigkeitsvereinen ist sich selbst am Leben zu erhalten. Also kommen in all jenen Bereichen PatientInnen an zweiter Stelle. Wenn es ums Rebellieren geht, dann bei Punkten wie dem alljährlichen Wechseln des Transmitters. Dann sind wir dazu gezwungen die Batterien selbst auszutauschen, weil dieser Weg darauf angelegt ist von unserer Krankheit zu profitieren.
Ich denke das am stärksten wirkende Momentum in diesem Zusammenhang ist das Sytem in eine Tic Tac Box zu verpacken!
Timothy Omer: Da sagst Du etwas Richtiges! Ich denke es war Stephen Black, der entdeckte, dass wir die Technologie in eine Tic Tac Box unterbringen können. Ich liebe diese Tatsache als Symbol, wie lächerlich teuer es wird wenn es um Konsumgüter geht. Das Großartige an der momentanen Technologie ist doch ihre Verfügbarkeit, wie kostengünstig sie ist. „Es gibt keine Grenzen!“ Erst recht nicht jetzt wo die Grenzen durch die Vernetzung verschwinden und sich Menschen mit Ideen zusammenschließen können.
Als Typus I Diabetiker seit über 20 Jahren war er frustriert mit den Beschränkungen des Zugangs und dem Fortschritt der Technologie um seine Daten-intensiven Umstände zu managen und dass er sich auf die unzuverlässigsten Datenverarbeitung, nämlich sich selbst verlassen musste. Indem er mit der #WeAreNotWaiting Community zusammenarbeitete gelang es ihm eine künstliche Bauchspeicheldrüsen APP zu programmieren, die es ihm die Last abnahm Daten zu generieren, und um Vorschläge zu bekommen um seine Medikation einzustellen.