“Wenn wir die Arbeit von Künstler*innen erleben, wie sie in diesem einen besonderen Moment ihre gesamte Lebensemotion, Leidenschaft und Energie investieren, sind wir unbeschreiblich bewegt und inspiriert. Denn in diesem kreativen Moment liegt eine besondere Kraft, vielleicht ähnlich Kotodama, einem japanischen Glauben, der davon ausgeht, dass in den Worten, die wir ausdrücken, Seelen und mystische Kräfte wohnen. Auch unsere künstlerische Auseinandersetzung mit Future Ink geht von der Frage aus: Was bewegt unsere Seelen und wie können wir diesen so besonderen Moment einfangen und vermitteln?” – Yoko Shimizu, Researcher & Artist im Ars Electronica Futurelab
Wie gestaltet sich die Zukunft kreativen Ausdrucks?
„Kreativer Ausdruck entsteht nicht durch eine Technologie oder ein Instrument. Er kommt wirklich aus dem Innersten der menschlichen Natur.“ – Nobutaka Ide (JP), President & CEO von Wacom Co Ltd
Space-Ink-Forschung: Was wäre, wenn wir mit einem Stift in jeden Raum zeichnen könnten?
Die Entwicklung des Space Brush ist der erste Schritt in der Space-Ink-Forschung. Die mit einem Stift auf dem Tablet erzeugten Linien steuern mit Hilfe eines Lasertrackingsystems eine Drohne, welche die Spuren in eine räumliche Bewegung übersetzt, während die darauf angebrachten LEDs entsprechende Lichtzeichen hinterlassen. Aufgezeichnet von einer Kamera und digital addiert, kann das so entstehende Lichtbild in Echtzeit projiziert werden.
In einem zweiten Schritt erweitert der Expressive Brush die Darstellung kreativen Ausdrucks des*der Künstler*in und der Drohne um zusätzliche Parameter, um nicht allein dessen Seele einzufangen, sondern darüber hinaus eine gegenseitige Inspiration von Drohne und Mensch zu ermöglichen.
Ein dritter Prototyp wird gerade erst entwickelt: Der Collaborative Brush wird die koordinierte Zusammenarbeit mehrerer Drohnen mit dem*der Künstler*in untersuchen. Er dient als Basis für die zukünftige Forschungstätigkeit im Zusammenhang mit dem kreativen Ausdruck intelligenter Schwärme.
Welchen Duktus hat die Kollaboration zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie?
Nobutaka Ide (Wacom Co Ltd b, JP) im Gespräch mit Horst Hörtner und Yoko Shimizu (Ars Electronica Futurelab, AT)
Warum man für innovative und zukunftsfähige Forschung einen Pakt mit der Kunst eingehen sollte, aber auch welch radikale Erweiterung der kreativen Ausdrucksmöglichkeiten von diesem inspirierenden und umfassenden Forschungsprojekt in naher Zukunft zu erwarten sind, können Sie dem folgenden Gespräch zwischen Horst Hörtner (AT), CTO von Ars Electronica Linz GmbH & Co KG und Managing Director von Ars Electronica Futurelab und Nobutaka Ide (JP), President & CEO von Wacom Co Ltd, moderiert von Yoko Shimizu (JP/AT), Researcher & Artist im Ars Electronica Futurelab entnehmen.
Horst Hörtner: Welche treibende Kraft steckt dahinter, dass ein weltweit so erfolgreiches Unternehmen wie Wacom es für notwendig hält, sich nicht nur die gegebenen technischen Möglichkeiten vor Augen zu halten und deren Output zu optimieren, sondern nach Möglichkeiten sucht, die weit darüber hinaus gehen und für seine Innovationen in eine Kollaboration mit der Kunst zu treten?
Nobutaka Ide: Einerseits müssen wir als globales Unternehmen natürlich immer wieder über unsere Gewinne und Einnahmen nachdenken. Aber auf der anderen Seite glauben wir fest, dass Wacom auch eine Mission hat. Wir fragen uns nach dem Grund, warum wir in dieser Gesellschaft existieren dürfen und unsere Aufgabe ist es, darüber nachzudenken, wie wir mit unseren Technologien zum Wohl der Menschheit beitragen können. Dabei geht es also nicht um geschäftliche Interessen und es geht auch nicht darum, Leistung zu optimieren. Es geht darum, wie wir uns mit dem tiefen Inneren des Menschen, dem Kern der Kreativität, verbinden können und wie wir unsere Instrumente und unsere Erfahrung nutzen können, um neue menschliche Kreativität zu aktivieren. Das ist unser Auftrag.
Das Wichtigste dabei ist, dass wir uns selbst mit dieser Mission verbinden, aber gleichzeitig brauchen wir Partner*innen. Wir müssen mit Communitys zusammenarbeiten, mit denen wir ein gemeinsames Ziel verfolgen, um eine gemeinsame Reise zu unternehmen. Und es ist eine lange Reise, denn eigentlich haben wir zu Beginn noch keinen Plan und kennen unseren gemeinsamen Weg noch nicht. Aber ich glaube, dass Wacom diesen Weg zusammen mit der Ars Electronica und ihrer starken Community gehen soll, um gemeinsam zu erkunden und erforschen, wie wir unsere Mission erreichen können.
Yoko Shimizu: Welche Art neuen kreativen Ausdrucks kann von dieser inspirierenden Zusammenarbeit zwischen Wacom und dem Ars Electronica Futurelab erwartet werden?
Horst Hörtner: Derzeit befinden wir uns noch in einem sehr frühen Stadium unserer Zusammenarbeit, aber mit Space Ink es gibt bereits einen Prototyp für eine richtungsweisenden Strategie. Schon jetzt arbeiten wir an noch intelligenteren Interpretationsmöglichkeiten für die Drohne selbst, wobei der erste Schritt darin besteht, die Intention des Künstlers bzw. der Künstlerin zu interpretieren, um dann die Drohne selbst zu einem lebenden Pinsel, dem sogenannten Expressive Brush, werden zu lassen. Sie soll autonom auf die Bewegungen der Hand reagieren und deren künstlerische Intention interpretieren, um auf diese Weise neue Ergebnisse zu erzielen.
Nobutaka Ide: Und genau daraus entsteht dieser unerwartete Moment in der Zusammenarbeit. Natürlich ist es die Technologie, die alles ermöglicht. Aber die Schlüsselfrage lautet immer noch: Wo ist meine Seele? Wo ist Kotodama? Kann eine Drohne über Kotodama verfügen? Und, wenn ja, kann das Kotodama der Drohne mit dem*der Künstler*in in Verbindung treten? Auf all diese Fragen gibt es keine wirklichen Antworten und wir suchen auch nicht nach technologischen Lösungen. Und dennoch bringen uns kreative Fragen voran.
Yoko Shimizu: Warum ist die Seele so wichtig für Sie oder für diese Forschung?
Horst Hörtner: Sie ist der kooperative Versuch, Technologie zu vermenschlichen. Der Versuch, über nutzer*innenoptimiertes Design hinauszugehen, das im Vergleich dazu fast überholt erscheint. Wir wollen menschenzentrierte Architekturen und Systeme für die Zukunft der Digitalisierung schaffen. Und die zentrale Frage „Wo ist meine Seele?“, diese Idee des Kotodama, basiert auf dem fundmentalen Wunsch, den einzigartigen Moment der Schöpfung zu identifizieren.
In einem anderen Forschungsthema untersuchen wir im Ars Electronica Futurelab gleichzeitig auch künstliche Intelligenz und stellen uns die Frage, ob Maschinen überhaupt gestalten können: Tatsächlich können sie eine sehr, sehr hohe Leistung erbringen, aber dennoch stellen wir immer wieder fest, dass in der Arbeit mit der Maschine, mit dieser neuen Technologie, der menschliche Aspekt den wesentlichen Teil dessen ausmacht, was wir eigentlich erreichen wollen. Es geht uns darum, das richtige Maß zu finden, neue Technologien in Zusammenarbeit mit uns Menschen zu integrieren.
Nobutaka Ide: Kotodama ist wirklich der Kern, die fundamentale Kraft des Menschen, etwas auszudrücken. Seit Anbeginn der Geschichte der Kunst und der Wissenschaft sind alle Menschen mit Kotodama ausgestattet. Kotodama ist die Methode, den kreativen Ausdruck zu aktivieren und zu unterstützen. Deshalb versuchen sich Ars Electronica Futurelab und Wacom an dem kreativen Experiment, neue Möglichkeiten für die Seele zu eröffnen.
Weiterführende Informationen
Das gesamte Gespräch wurde im Rahmen der Ars Electronica Futurelab Creative Question Challenge (CQC) aufgezeichnet. Die CQC zum Thema Future Ink zwischen Horst Hörtner (AT), CTO von Ars Electronica Linz GmbH & Co KG und Managing Director von Ars Electronica Futurelab, Nobutaka Ide (JP), President & CEO von Wacom Co Ltd und Yoko Shimizu (JP/AT), Researcher & Artist im Ars Electronica Futurelab ist, ebenso wie eine virtuelle Video-Reise zum Future Ink Open Lab am Ars Electronica Selection Channel abrufbar.
Des Weiteren boten Führungen den Besucher*innen im Rahmen der Open Futurelab Exhibition 2020 die Gelegenheit, die Arbeit des Future-Ink-Forschungsteams im Studio des Ars Electonica Futurelab real mitzuerleben.