Wer gestaltet unsere digitale Zukunft? 

Installation view of Entangled Currents: A Learning Space, 21. February–4. May, 2025, Kraftwerk Berlin, Photo: Andrea Rossetti

Beim Ars Electronica Festival 2025 setzen sich künstlerische Arbeiten kritisch mit der Macht globaler Technologiekonzerne auseinander, beleuchten den „Überwachungskapitalismus“ und zeigen Wege auf, wie wir unsere Rolle in einer von KI geprägten Welt zurückgewinnen können.

Digitale Technologien durchdringen alle Bereiche unseres Lebens – und damit auch unsere Abhängigkeit von jenen, die sie gestalten und kontrollieren. Wer über digitale Infrastrukturen, Datenflüsse und KI-Systeme verfügt, besitzt Macht. Deshalb ist die Frage nach digitaler Souveränität heute zentral: Wer entscheidet darüber, wie unsere digitale Zukunft aussieht – und unter wessen Bedingungen? 

Im Kern meint digitale Souveränität die Fähigkeit, technologische Entwicklungen selbstbestimmt und gemeinwohlorientiert zu gestalten. Während die USA auf marktgetriebene Selbstregulierung setzen und China auf staatlich gesteuerte Kontrolle, verfolgt Europa einen dritten Weg: Regulierung im Zeichen von Grundrechten, Transparenz und demokratischer Kontrolle. 

Besonders deutlich wird dieser Unterschied im Umgang mit Daten und Künstlicher Intelligenz. Mit dem AI Act, dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) versucht die EU, Regeln zu etablieren, die nicht nur Risiken begrenzen, sondern auch Alternativen zum datengetriebenen Plattformkapitalismus ermöglichen. Doch Gesetze allein reichen nicht. 

Denn US- und chinesische Tech-Konzerne dominieren weiter Märkte und Infrastruktur: Über 90 % der KI-Rechenzentren liegen in ihrer Hand. Rechenleistung wird damit zur geopolitischen Ressource – strategisch bedeutsam wie einst Öl.

Der europäische Binnenmarkt mit 450 Millionen Nutzer*innen ist ein starkes politisches Instrument. Doch echte Unabhängigkeit verlangt mehr: eigene Infrastrukturen, digitale Bildung, eine innovationsfreundliche Gründer:innen-Szene und technologische Gestaltungskompetenz. Der „Digitale Kompass“ der EU formuliert diese Ziele bis 2030. Werden sie verfehlt, bleibt Europa abhängig und überlässt seine digitale Realität Konzernen, die vor allem dem Wachstumsdruck der Kapitalmärkte folgen.

Im Rahmen des Ars Electronica Festival 2025 setzen sich zahlreiche künstlerische Arbeiten mit diesen Dynamiken auseinander und greifen das Konzept des „Surveillance Capitalism“ von Shoshana Zuboff auf – eine Wirtschaftsform, in der persönliche Daten systematisch erfasst, ausgewertet und genutzt werden, um unser Verhalten vorherzusagen und gezielt zu beeinflussen. Die Arbeiten fragen, welche Rolle uns Menschen in einer von KI und Konzerninteressen geprägten Zukunft überhaupt noch zugedacht ist – und wie wir sie zurückfordern können. 

Kunst zwischen Bedrohung und Erneuerung 

Im Jahr 2025 ist Panik kein plötzlicher Moment mehr, sie ist zur Grundstimmung geworden, die unseren Alltag durchzieht. Von algorithmischer Kriegsführung bis zu entfesselter KI, von globalen Überwachungsstrukturen bis hin zu klimatischen Kipppunkten: Eine schleichende Angst prägt unsere kollektive Vorstellungskraft. Doch was, wenn Panik nicht nur ein Symptom des Zusammenbruchs ist, sondern die Voraussetzung für Erneuerung? 

Archipelago of Possible Futures” ist ein eintägiges Forum, das den Weg von der Panik zur Möglichkeit nachzeichnet. Eine Reise durch die Infrastrukturen unserer Gegenwart, durch die Risse in ihren Fundamenten und zu den visionären Entwürfen dessen, was als Nächstes entstehen könnte. Das Forum gliedert sich in drei Bewegungen: Reckoning, Rebuilding und Reimagining. Wir stellen uns der Realität autoritärer Infrastrukturen, entwickeln demokratische Alternativen für Europa und wagen den Blick in mögliche Zukünfte von Technologie und Gesellschaft. 

AI War Cloud Database / Sarah Ciston (US)

Inspiriert ist das Forum von zwei Projekten, die auch Teil der STARTS Prize Exhibition 2025 sind: „AI War Cloud Database“ von Sarah Ciston und „Sensing Quantum“ der LAS Art Foundation. Die STARTS Prize Exhibition, präsentiert im Rahmen von STARTS Afropean Intelligence*, zeigt herausragende Beispiele an der Schnittstelle von Kunst, Technologie und Wissenschaft – Projekte, die nicht nur ästhetisch, sondern auch gesellschaftlich und politisch relevant sind. 

Wir nutzen Künstliche Intelligenz täglich, in unseren Smartphones, bei Online-Suchen, in den sozialen Medien. Doch nur selten denken wir darüber nach, wie dieselben Technologien auch in ganz anderen, weitaus bedrohlicheren Kontexten zum Einsatz kommen. “AI War Cloud Database”, ausgezeichnet mit dem STARTS Prize 2025 Grand Prize – Artistic Exploration, macht genau diese Überschneidungen sichtbar: Sie zeigt, wie Technologien, die für Bequemlichkeit und Effizienz entwickelt wurden, gleichzeitig für militärische Zwecke eingesetzt werden – etwa, um Entscheidungen im Krieg zu automatisieren. Das Projekt stellt eine unbequeme Frage: Was bedeutet es, wenn Werkzeuge, die unseren Alltag erleichtern, auch zum Töten verwendet werden? 

Das Projekt kartiert KI-Systeme im militärischen Einsatz und verfolgt ihre Verbindungen zu kommerziellen Technologien wie Iris-Scannern, Chatbots oder digitalen Kartendiensten – ebenso wie zu den Unternehmen und Regierungen, die dahinterstehen. In interaktiven Geschichten und visuellen Netzwerken können Nutzer*innen diese Zusammenhänge erkunden und vertiefen. “AI War Cloud Database” erinnert uns daran: Wie wir KI-Systeme gestalten, verwalten und nutzen hat Konsequenzen. Neutralität ist keine Option mehr. 

Sensing Quantum /LAS Art Foundation; photo: Andrea Rossetti © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Auch “Sensing Quantum”, ausgezeichnet mit dem STARTS Prize 2025 Grand Prize – Innovative Collaboration, blickt hinter die Oberfläche technologischer Entwicklung – diesmal im Bereich der Quantenphysik. Ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung beginnt diese Disziplin, über die Theorie hinauszugehen und unsere Lebensrealität mitzugestalten. Doch das öffentliche Verständnis bleibt oft abstrakt, schwer zugänglich. “Sensing Quantum” setzt genau hier an: Das Projekt fördert interdisziplinäre Zusammenarbeit, um komplexe quantenphysikalische Prinzipien in immersive, zum Nachdenken anregende Erfahrungen zu übersetzen. Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Denker*innen kommen zusammen, um die Bedeutung kreativer Experimente mit neuen Technologien auszuloten und sichtbar zu machen. 

Installation view of Laure Prouvost: WE FELT A STAR DYING, 21. February–4. May, 2025, Kraftwerk Berlin. Photo: Andrea Rossetti

Die Präsentation zeigt erste Ergebnisse dieser langfristigen Initiative. Zu sehen sind unter anderem Eindrücke von Laure Prouvosts Installation WE FELT A STAR DYING sowie die Klangarbeit Primary Action at a Distance von Kara-Lis Coverdale, die mithilfe von Actias, einem Synthesizer auf Basis quantenphysikalischer Prinzipien, komponiert wurde.  

Darüber hinaus erhalten Besucher*innen Einblicke in die Funktionsweise eines Quantencomputers und zentrale Stationen in der Geschichte dieser Technologie. “Sensing Quantum” lädt dazu ein, mitzuerleben, wie sich künstlerische und wissenschaftliche Forschung gegenseitig inspirieren – und gemeinsam neue Wege eröffnen. 

Europas Antwort auf Big Tech und Abhängigkeit 

Wie könnte eine technologische Zukunft aussehen, die nicht von Intransparenz, Überwachung und Abhängigkeit geprägt ist, sondern von Offenheit, Zweckorientierung und Gemeinwohl? Eine Zukunft, in der Technologien unsere Produktivität steigern, Kreativität fördern und wissenschaftlichen Fortschritt ermöglichen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt zahlreicher Vorträge, Town Hall Meetings und Workshops im Rahmen des Festivals. Zur Sprache kommt dabei nicht zuletzt das White Paper EuroStack

The EuroStack Project / Francesca Bria & Dirma Janse – Photo: Dirma Janse

Der “EuroStack” ist Europas ambitioniertester Vorschlag, digitale Souveränität als Antwort auf KI-Großmächte, Plattformmonopole und techno-militärische Abhängigkeiten neu zu denken. Initiiert von Francesca Bria und einem Netzwerk europäischer Institutionen versteht er digitale Infrastruktur als politisches, ökologisches und demokratisches Gestaltungsfeld. Anders als die zentralisierten Plattformmodelle der USA und Chinas setzt der “EuroStack” auf eine offene, föderierte und gemeinwohlorientierte Architektur. Jede Schicht – von Rohstoffen, Chips und Rechenzentren bis zu KI, Datenräumen und Governance – gilt als gesellschaftliche Verhandlungszone. 

Auf dem Festival macht eine kuratierte Informationsarchitektur sieben Ebenen digitaler Infrastruktur erfahrbar und zeigt Spannungsfelder, Potenziale und Szenarien, von grünen Halbleitern über demokratische KI bis zur souveränen Cloud. Ausgehend von Europas Geschichte kooperativer Institutionen stellt sich die Frage: Wie kann Technologie Demokratie, Vielfalt und planetare Verantwortung stärken? 

Large Language Writer / Leo Mühlfeld / Lucy Li / Alan Schiegl – Photo: Fritz Enzo Kargl

Um technologische Souveränität geht es auch im Projekt “Large Language Writer” von Leo Mühlfeld, Lucy Li und Alan Schiegl. Denn so schnell sich digitale Technologien entwickeln, so schwer ist es oft, ihre Funktionsweise nachzuvollziehen. Viele von uns nutzen täglich KI-Systeme, etwa für Texte, Bilder oder Übersetzungen, ohne zu verstehen, was im Hintergrund eigentlich passiert. 

“Large Language Writer” setzt genau hier an: Das Projekt macht den Prozess der KI-Textgenerierung sichtbar und nachvollziehbar. Statt eine reibungslose, scheinbar magische Nutzererfahrung zu simulieren, lädt es dazu ein, hinter die Kulissen zu blicken und selbst Hand anzulegen. Das System basiert auf drei zentralen Elementen: Datensatz, Betonung und Wahrscheinlichkeit. Sie veranschaulichen, wie Sprachmodelle wie GPT ihre Texte erzeugen. Über eine eigens entwickelte Maschine lässt sich dieser Prozess physisch erkunden und erforschen. 

So macht der “Large Language Writer” deutlich: Es reicht nicht, KI nur zu nutzen – wir müssen sie verstehen. Nur dann können wir mitentscheiden, welche Technologien wir in Zukunft gestalten, nutzen oder bewusst ablehnen wollen. 

Experimente im Open Futurelab 

Im Open Futurelab des Ars Electronica Futurelab begegnen Festivalbesucher*innen heuer zwei Projekten, die auf ganz unterschiedliche Weise zeigen, wie Künstliche Intelligenz unsere Wahrnehmung, Kommunikation und Interaktion beeinflusst. 

Alter.Ego / Godot (AT/JP), Ars Electronica Futurelab (AT) – Photo: Kerstin Blätterbinder

Mit “Alter.Ego” erwartet das Publikum ein ungewöhnlicher Interaktionspartner: ein Greifautomat, der nicht mit Münzen, sondern mit Überzeugungskraft bedient wird. Ziel ist es, mit der Maschine in Dialog zu treten und ihre wechselnden Persönlichkeiten davon zu überzeugen, ein Geschenk freizugeben. Gemeinsam mit Godot erforscht das Ars Electronica Futurelab in diesem Projekt KI-Systeme mit einem gewissen Maß an Autonomie. Es geht um die Frage, wie verschiedene Persönlichkeitsprofile von KI unsere Emotionen, unser Verhalten und letztlich auch das Zusammenspiel von Mensch und Maschine beeinflussen. 

Per Knopfdruck lässt sich der Charakter der Maschine verändern, samt Kommunikationsstil, Bewegungsmuster, visuellen Effekten und Sounds. Der Greifautomat wird so zum interaktiven Experimentierfeld für Empathie, Strategie und Humor im Umgang mit künstlicher Persönlichkeit. 

Inference Ground Truth / Johannes Pöll, Raphael Schaumburg-Lippe, Simon Schmid – Photo: Johannes Pöll

In eine andere Richtung denkt “Inference Ground Truth”, ein künstlerisches Experiment mit sich überlagernden Realitäten. Die Installation von Johannes Pöll, Raphael Schaumburg-Lippe und Simon Schmid nutzt aktuelle Techniken des Gaussian Splatting, um volumetrische Bewegungsspuren in Echtzeit aufzuzeichnen und sichtbar zu machen. Im Mittelpunkt steht die Frage: Was bedeutet „Ground Truth“, also grundlegende Wahrheit, im Spannungsfeld zwischen menschlicher Erfahrung und maschineller Interpretation? 

Besucher*innen betreten dabei selbst das Aufnahmevolumen und werden Teil des Kunstwerks: Ihre Bewegungen beeinflussen die visuellen Prozesse direkt, sichtbar auf einem Screen, der die Transformation der Daten bis hin zu komplexen 4D-Gaussian Splats zeigt.  

“Inference Ground Truth” ist eines der Gewinner*innenprojekte des internen Wettbewerbs Ideas Expedition 2025 des Ars Electronica Futurelab und führt die Auseinandersetzung mit neuen Bildgebungsverfahren fort, die 2024 mit dem Projekt Persistent Time Sink Resonance begonnen wurde. 

Beide Projekte zeigen: Wenn wir mit Maschinen kommunizieren, oder von ihnen gelesen werden, geht es nicht nur um Technologie, sondern auch um Wahrnehmung, Interpretation und das Aushandeln von Beziehung. Und vielleicht liegt gerade darin der Schlüssel zu einer neuen Qualität von Mensch-Maschine-Kooperation. 

Digital Shadows / René Mayrhofer, Philipp Hofer, Laura Poulbot, Airan Berg, Andrea Hummer, Ilona Roth, Linda Huber, Gisela Klammsteiner, Sara Koniarek, Simon Sharkey, Valerio Iurato, Doris Roth, Alina Lugovskaya, Selina Nowak, JeanClaude Grieco, Florian Böttcher, Ethem Saygieder-Fischer – Photo: Gisela Klammsteiner, generated with Sora AI

Digitale Schatten und KI-Wunderwelten 

Wie lässt sich eine Kamera täuschen? Wie sichtbar will man sein? Und wem gehören die digitalen Spuren, die man hinterlässt? „Digital Shadows“, ein Projekt des Instituts für Netzwerke und Sicherheit und des Zirkus des Wissens der JKU Linz, lädt dazu ein, diesen Fragen nachzugehen. In immersiven, performativ gestalteten Zonen, durchzogen von choreografischen Elementen, begegnet das Publikum sich selbst: gespiegelt, kopiert, vermessen – und zugleich verloren in einem System, das mehr weiß, als preisgegeben werden soll. Zwischen Spiel und Analyse, Verbergen und Offenlegen entsteht eine dichte Reflexion über Identität, Kontrolle und Sichtbarkeit im Zeitalter von Gesichtserkennung, Deepfakes und algorithmischem Profiling. 

AI Wonderworld with Dynatrace & CoderDojo / Dynatrace, CoderDojo Linz – Photo: Dynatrace

Ganz andere Zugänge eröffnet die “KI-Wunderwelt” von Dynatrace und CoderDojo Linz: Hier wird Künstliche Intelligenz für die ganze Familie spielerisch erlebbar. Eine KI-Agentin begleitet durch alle Stationen und unterstützt dabei, die Potenziale moderner Technologie kreativ zu entdecken. Ob Bee Bots programmieren, ein eigenes Spiel gestalten, Löten lernen oder KI-Systeme ausprobieren – in der “KI-Wunderwelt” ist Mitmachen ausdrücklich erwünscht. Ein Programm voller Aha-Momente, das Lust auf Technik macht, Neugier weckt und einen unkomplizierten Zugang zu digitalen Zukunftsthemen bietet. 

Das Ars Electronica Festival findet von 3. bis 7. September 2025 unter dem Thema „PANIC – yes/no“ in Linz statt. Weitere Informationen zum Festival gibt es auf unserer Website. Einen Überblick über weitere Highlights des Programms findest du hier.   

* Presented in the context of STARTS Afropean Intelligence. STARTS Afropean Intelligence is funded by the European Union under the STARTS – Science. Technology and Arts initiative of DG CNECT under Grant Agreement No. LC-03568051., Presented in the context of STARTS Ec(h)o. STARTS Ec(h)o is funded by the European Union under Grant Agreement No. 101135691.