Extrem überrascht

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Herr Casti, Sie richten Ihren Blick auf extreme Ereignisse, die uns schlagartig ohne Vorankündigung treffen und unser Weltbild deutlich ins Wanken bringen. Wissen Sie, welche dieser katastrophalen „X-Events“ uns in Österreich in nächster Zeit bevorstehen?

Das wahrscheinlich bedrohlichste „X-Event“ würde ein Reaktorunfall in einem unserer Nachbarländer sein. Ein ebenso bedrohliches, sich aber über eine längere Zeit entfaltendes „X-Event“ wäre ein wirtschaftlicher Zusammenbruch in Europa, insbesondere in der Eurozone, der Österreich ja angehört.

Mit 9/11, Fukushima und den Finanzkrisen der letzten Jahre haben wir ja bereits einiges an Erfahrung mit solchen „XEvents“ gesammelt. Wie sehr hilft uns die Vergangenheit, wenn wir uns auf die Zukunft vorbereiten wollen?

So gut wie alle „X-Events“, die Sie in Ihrer Frage erwähnen, können auch in Österreich auftreten. Ja, das Wissen über das, was in Japan, in den USA und anderswo geschehen ist, kann für die ÖsterreicherInnen sehr wertvoll sein. Aber der Wert liegt meistens in dem Faktum, dass diese „X-Events“ tatsächlich stattgefunden haben und also beileibe nicht „unvorstellbar“ oder „unmöglich“ sind. Sie haben anderswo stattgefunden, und sie können auch hier stattfinden, wenn wir keine Sicherheitsmaßnahmen ergreifen.

Wie erforschen Sie als Mathematiker Ereignisse und Szenarien, die es noch nie gegeben hat?

Im Fall von „unbekannten Unbekannten“, für die wir keine Daten haben, sind die gewöhnlichen Hilfsmittel wie Risikoanalyse, Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik gänzlich ungeeignet. Man kann keine empirische Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Voraussagbarkeit eines Ereignisses konstruieren, das nie stattgefunden hat. Um diese Fragen beantworten zu können, ist ein völlig anderer Ansatz notwendig. In meinem Buch „Der plötzliche Kollaps von allem“ betrachte ich ein Extremereignis – wie einen Zusammenbruch des Internets oder eine politische Revolution – als einen Weg der menschlichen Natur, eine durch Komplexität entstandene Überlastung in einem System aufzulösen. Aus diesem Blickwinkel erstelle ich ein mathematisches Modell, um den sich dynamisch verändernden Komplexitätsgrad im System zu messen und den Punkt zu identifizieren, an dem ein Zusammenbruch droht. Ich kann nicht behaupten, dass ich die Details dieses Modells bereits ausgearbeitet habe. Mein Buch habe ich geschrieben, um ein Forschungsprogramm beginnen zu können, das sich genau das zum Ziel gesetzt hat. Aber das ist der Grundgedanke.

Haben „X-Events“ im großen, globalen Stil eigentlich etwas mit dramatischen Ereignissen in unserem persönlichen Umfeld gemeinsam – wenn uns beispielsweise ein Todesfall in der Familie für Monate aus der Bahn wirft?

Das Konzept der Überlastung an Komplexität oder manchmal das Missverhältnis der Komplexität, wenn zwei oder mehrere Systeme miteinander interagieren, ist vollkommen skalierbar. Es ist für alle Ebenen anwendbar, vom Individuum bis zu unserem Planeten als Ganzes. Wenn das Komplexitätsniveau unhaltbar wird, müssen Sie dieses entweder freiwillig „verringern“ oder die Natur, eigentlich die menschliche Natur, macht dies für Sie. Und wenn sich die Natur einschaltet, ist das Ergebnis gar nicht schön!

Viele extreme Ereignisse sind durch den Faktor Mensch verursacht, zahlreiche davon haben sie bereits untersucht. Was sind unsere Schwächen?

Viele! Unachtsamkeit, Missverständnis, boshafte Absichten oder einfach nur pure Dummheit. Das sind alles Ursachen für das eine oder andere „X-Event“. Bestimmt stehen auch Gier und die Sehnsucht nach Macht sehr weit oben auf der Liste dieser „X-Event-Generatoren“. Also wählen Sie sich einen aus.

In Ihrem aktuellen Buch „Der plötzliche Kollaps von allem“ beschreiben Sie die hochkomplexe Verwobenheit von Faktoren wie Energie, Kommunikation und Verkehr in unserer Gesellschaft. Wenn wir das alles auf uns als Einzelperson herunterbrechen, wie können wir uns dann auf „X-Events“ vorbereiten? Ist das überhaupt möglich?

Das ist keine Angelegenheit von Schwarz oder Weiß. Einige Personen sind unter Umständen in der Lage, sich von einigen Arten dieser „X-Events“ abzuschirmen. Andererseits wird keine Vorbeugungsmaßnahme helfen, wenn ein „X-Event“ beispielsweise ein gigantischer Asteroideneinschlag ist. Die richtige Antwort auf diese Frage braucht jedoch viel mehr Platz, als uns dieses Interview hier lässt, vielleicht in einem ganz neuen Buch!

Sind Sie Optimist?

Ein Rezensent meines Buches bezeichnete mich als „den Optimisten der Apokalypse“. Ich denke, das beschreibt mich ganz gut.

Hinweis: Am DO 20.12.2012, 20:00, ist der Bestsellerautor John Casti zu Gast bei „Deep Space LIVE: X-Events – Der plötzliche Kollaps von allem“ im Ars Electronica Center.

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