“Wie eine zweite Natur” ist die jüngste Ausstellung, die von der Ars Electronica in Kooperation mit VW im VW Automobilforum Unter den Linden in Berlin erarbeitet wurde. Am 6. Juni öffnet sie ihre Pforten, das Architektenduo any:time, bestehend aus Jürgen Haller und Christoph Weidinger, zeichnet für die Umsetzung verantwortlich. Wir haben beide in ihrem neuen Büro in der Tabakfabrik Linz zum Gespräch getroffen.
any:time sind in der Tabakfabrik Linz zu Haus
Jürgen: Fangen wir vielleicht am Anfang an. Wir haben das Gefühl, dass wir in den letzten Jahren bei den Austellungen im Volkswagen Forum Unter den Linden den Fließengrid stark vernachlässigt haben, dort gibt es so ein 60er-Jahre Fließenraster am Boden. Am Anfang hatten wir den Arbeitstitel “Gänsehaut”, wo man nicht mehr wirklich unterscheiden kann, ob das, was man sieht, echt ist, ob es künstlich erzeugt ist, bei uns am Rechner heißt das Projekt auch immer noch so.
Mittlerweile geht es um Natur, um eine zweite Realität, und darauf basierend hat die Auswahl der Werke stattgefunden. Dabei handelt es sich immer um Stücke, die Teile der Natur beinhalten, formal, wie auch immer.
Christoph: Es geht auch sehr stark um emotionale Sachen, darum, einen eigenen Zugang zu finden zu dem, wo Realität sich abbildet, um diesen Begriff, wo der Grenzwert ist zwischen Realität und dem unrealen Raum, um diese Schnittstellen geht es.
Jürgen: Man kann es ziemlich leicht über die Stücke erklären, die dabei sind: Oribotics, Ene-Geometrix, Meter Crawler, Tele-Present Wind, Plant, Phantasm, Earth-Core-Laboratory and Elf-Scan, Wall, The Limitations of Logic and Absence of absolute Certainty, Dynamic Structure und Specimen.
Da geht es jetzt um lauter Dinge, die man in die große Schachtel Natur, Wissenschaft, Kunst, Technologie werfen kann, da nutzen wir den Fließenraster als eine Art Detektionssystem. Wir versuchen, in dem Raum die Dinge der Natur zu erfassen, das ergibt sich über diesen Grid, wie er wie ein Karo aus einem Schulheft, wo man versucht, über Koordinaten Dinge einzuordnen, das ist der große, äußere Zugang, wir bilden diesen Grid dann auch an der Wand ab, ohne den Kunstwerken zu nahe zu treten. So haben wir eine Matrix, eine Möglichkeit, wie man alle Dinge im Raum über einen mathematischen Prozess ordnen könnte.
Das war uns im Laufe der Ausstellungsgestaltung dann doch zu stark, weil diese Ästhetik beim Bauherren so raumfüllend angekommen ist, wie im Film Matrix, eine Daten-Zahlen-Flut, dieses ästhetische Wunderwerk, dort wurde diese Idee mit dieser Erwartungshaltung gesehen, aber das hätte unserem Empfinden nach die Kunstwerke erschlagen, das ist sehr raumgreifend, und bleibt eigentlich nichts mehr übrig.
Diesen Detektionsraster befüllen wir jetzt mit kleinen, leichten, fast gehauchten grünen Bildpunkten. Wir haben uns zu den einzelnen Stücken Raumsituationen erdacht, so als würde Tarzan durch den Dschungel schreiten, und er sieht die Meter Crawler, die Schnecken, wie sieht die Situation aus? Schnecken haben es gern feucht, das sieht so hier so aus wie ein umgefallener Baum (abstrahiert natürlich), zum Beispiel.
Christoph: Wir schaffen Territorien, Lebensräume, für jedes einzelne Objekt, aber weil es so viele Objekte gibt, kommt es auch zu Überschneidungen.
Jürgen: Wir arbeiten mit zwei Elementen. Im Raum gibt es runde Stützen, die im Raum vorhanden sind, die sind schwarz im Original, wir färben sie grün ein, das heißt, wir arbeiten mit den Bildpunkten, die über dem Detektionsraster schweben, und diese vertikalen Elemente, die Säulen.
Wir bauen um die Kunstwerke herum Abstraktionen.
WALL, ein Spiegel, Spiegel gibt es ja eigentlich nicht in der Natur, außer bei einem Fluß oder einem anderen Gewässer, da ist die räumliche Abstraktion ein großer Strom, der von einem Landschaft begrenzt wird, eine Raumspiegelfläche.
Ene-Geometrix, das hat so eine Aura, da verwenden wir Irrlichter, biolumiszente Bakterien in Sumpflandschaften, da wird die Stängelbreite sehr eng, sieht aus wie eine Art Schilf.
Tele-Present Wind, da haben wir an eine Steppe gedacht, da sieht man nicht viel, außer einer glatten Fläche, das einzige Element, das wir hier haben – neben dem Kunstwerk – ist ein Punkt an der Decke, ein Wolkenpunkt.
Brandis, da haben wir die Situation: Ein Medizinmann kommt zu Tarzan, Tarzan besucht ihn in seiner Grotte, in seinem Labor, da stehen relativ regelmäßig die Stützen, nicht so wie ein Wald, man begibt sich quasi in die Höhle des Medizinmanns.
Die Transparent Specimen werden auf eigene kleine Podeste gestellt, die den Durchmesser der Exponate haben.
Christoph: Diese Podeste hängen auch von der Decke, die Exponate hängen in unterschiedlichen Höhen.
Jürgen: Die Situation ist wieder ein wenig schilfähnlich, Tarzan sieht eine Falter sitzen, auf einem großen Stengel.
Dynamic Structures sitzt in einer Zeitraffersituation, das Kunstwerk wirft starke Schatten, durch den Lauf der Sonne bewegen sich die Schatten die Wand entlang, Tarzan sitzt in einem Baum und siniert vor sich hin, wir inszenieren dort eine Schattengeschichte, in der man gerne sitzt.
Der künstliche Tornado hat eine Schneise geschlagen in die Ausstellung, es gibt abgebrochene Stängel, die Bildpunkte flieren im Raum herum, es gibt hier starke horizontale Elemente, diese Dynamik des Sturms wird abgebildet.
Plant. Da stellen wir uns die Frage: Wann machen Pflanzen Geräusche? Eigentlich nie, außer etwas tropft, deswegen haben wir hier eine grottenartige Situation geschaffen, dort wird sehr stark mit den grünen Bildpunkten gearbeitet.
Die Schmetterlingssache ist sehr romantisch, da haben wir das Bild im Kopf, dass Tarzan seiner Jane einen Stachel aus dem Fuss zieht, und alles ist gut, die Schmetterlinge setzen sich hin, das ist auch eine Art von Bedürfnis, das Kunstwerk selber erzeugt eine sehr intime Situation.
Christoph: Wir haben jetzt so selbstverständlich über die Situationen gesprochen, aber die Entwicklung ist ja sehr prozessorientiert, die Auseinandersetzung mit den Objekten, mit Martin Honzik (Festivalleiter und verantwortlich für Ars Electronica Export), mit den Leuten, die von Seitens von Volkswagen kuratorisch tätig sind, das ist recht diskursiv, die Ideen verändern sich im Laufe des Prozesses, die Auswahl der Objekte ändert sich, die Geschichte dazu ändert sich, wie die Szenografie auszusehen hat.
Christoph Weidinger und Jürgen Haller
Es gibt Bereiche, die benötigen helle Situationen, Bereiche, die dunkle Situationen fordern, wie geht man räumlich damit um, auch mit dem Bestand, das sind die Aufgaben, die schon relativ früh in der Konzipierungsphase angegangen werden. Wir als Planer sind schon in der kuratorischen Phase eingebunden, uns einzubringen, mitzudenken, mitzuentwickeln, wie sich das Ganze im Raum manifestieren könnte, um da ein Gefühl für die Situation zu bekommen, so wie es Jürgen mit Gänsehaut beschrieben hat.
Es geht um ein emotionales Thema, um eine Selbsterfahrung, dadurch kann man viele Dinge nicht in ein räumliches Korsett zwingen, jeder und jede muss in die Selbsterfahrung in dem Raum eintauchen und neugierig auf die Punkte werden.
Wir sind sehr früh in der Planung dabei, um Bilder im Kopf zu entwickeln. Diesmal eben gings darum, wie geht man Künstlichkeit um, was sind die Grenzen, was ist natürlich, was ist künstlich, inwiefern lässt sich das Auge täuschen?
Jürgen: Letztes Jahr waren wir sehr raumgreifend unterwegs mit der Ausstellungsarchitektur, diesmal sind Teile dabei, die in sich selbst so viel Raum brauchen, so kräftig sind, Blinking Leaves zum Beispiel, da brauchen wir nicht nah heranrücken, diese Objekte brauchen nichts. Das wirkt sich auf die Konzepte aus, wenn andere Objekte dabei wären, würde die Geschichte der Ausstellung komplett anders aussehen.
Wie würdet ihr einschätzen, wie das Verhältnis zwischen eurer Arbeit und den Ideen der AuftraggeberInnen ist?
Christoph: Das lässt sich freilich nicht in Prozent ausdrücken. Wir sind prozess- und diskursorientierte Menschen, uns macht es Spaß, Dinge in einer Gruppe zu entwickeln, viel zu diskutieren, aber wir schätzen auch sehr, wenn dann in dieser Gruppe jeder und jede auf die Expertise zurückgreift, das Vertrauen vorhanden ist, wie man in unserem Fall mit Raum umgeht, mit Material umgeht. Das ist wichtig, vor allem auch in der Zusammenarbeit mit der Ars Electronica, wo man in sehr vielen unterschiedlichen Bereichen tätig ist, und wo man darauf vertraut, wie wir mit dem Raum umgehen. Da haben wir sehr große Freiheiten, die natürlich immer in einem sehr knappen budgetären Rahmen drinnen stecken. Wir müssen mit relativ wenig Mitteln ein Maximum an Szenografie und Erlebnissen für die BesucherInnen schaffen, die aber in einem Gleichgewicht mit den Arbeiten stehen, da muss man sich manchmal zurücknehmen, das Wichtigste sind die Arbeiten, die KünstlerInnenpositionen, die sind ja der Content, den man vermitteln möchte.
Die schlaue Mappe zur Ausstellung, mit Skizzen, Entwürfen, Konzepten
So probiert man immer, dass man nicht von Anfang an eine große Idee hat, die man verfolgt, es entwickeln sich aus der Diskussion viele Ideen heraus, die Stimmung pendelt oft hin und her, und das dauert oft bis zum Schluss, wenn die Ausstellung dann physisch werden muss, und es ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild, wo man für alle Beteiligten das Optimum herausgeholt hat, das Optimum für die Arbeiten, für die KünstlerInnen, das Optimum für den Raum, wie wir gestalterisch damit umgehen.
Wünschen kann man sich vieles, träumen unendlich viel, dass man dann trotzdem in der Realität ankommt, darum gehts, man hat unterschiedlichste Aufgaben, und das muss man alles in seiner Komplexität auf einen einfachen Punkt reduzieren, dass man einen spannenden Raum schafft für die Leute, die kommen und sich die Ausstellung ansehen.
Die Ausstellung “Wie eine zweite Natur” ist bereits die vierte, die im Volkswagen Automobil Forum Unter den Linden in Berlin von der Ars Electronica konzipiert und umgesetzt wird. Am 6. Juni wird sie eröffnet, auf https://ars.electronica.art/wieeinezweitenatur findet man alle nötigen Infos zur Ausstellung, im Blog gibt es in den nächsten Wochen Interviews mit den KünstlerInnen und KuratorInnen.