Je weiter wir zurück in die Stadtgeschichte von Linz blicken, umso schwieriger wird es, das Leben der Menschen von damals nachzuzeichnen. Woran sich HistorikerInnen wie Dr. Cathrin Hermann vom Archiv der Stadt Linz orientieren, um ein Bild von Linz vor 500 Jahren nachzeichnen zu können, erklärt sie in diesem Interview. Viele der Quellen wurden im Laufe der Zeit zerstört – aber nicht nur durch Brände, sollte man meinen. In den 1820er Jahren fehlte einfach der Platz, um überlieferte Dokumente nachkommenden Generationen zu erhalten. Ein Blick zurück ist hier aber auch ein Blick nach vorne, denn wie gehen wir heute mit Erinnerungen um und wie werden HistorikerInnen im Jahr 2500 das Linz von heute skizzieren? Haben sich die Menschen vor 500 Jahren auch solche Gedanken gemacht?
Welche Quellen ziehen Sie vor allem heran, um ein Bild des Linz zwischen 1500 und 1800 nachzuzeichnen? Was sind das für Dokumente oder Bilder, die uns 500 Jahre lang erhalten blieben?
Cathrin Hermann: Für meinen Vortrag bei Deep Space LIVE kann ich die Quellen grob in zwei Bereiche einteilen: Einerseits sind das Denkmäler und bauliche Quellen, andererseits Archivalien und Zeichnungen. Zu den Baudenkmälern gehören neben historisch bedeutenden Häusern auch die Kleindenkmäler wie Burgfriedsäulen. Sie geben uns viele Informationen über die damalige Stadtgestaltung. Bei den schriftlichen Quellen spannt sich der Bogen von Urkunden über Stadtratsprotokolle bis hin zu Schriftstücken, die den alltäglichen Handel dokumentieren. Vor allem Ratsprotokolle bieten durch den Einblick in die städtische Verwaltung eine gute Quelle für Untersuchungen des damaligen Alltags: Hier wurde über die Armenfürsorge ebenso berichtet wie das Marktwesen geordnet und die städtische Infrastruktur behandelt. Darüber hinaus stellte der Stadtrat die Schnittstelle zur Obrigkeit dar.
Bei den Baudenkmälern haben wir es glücklicherweise zumeist mit sehr dauerhaften Materialien zu tun, wenn auch durch die vielen Stadtbrände, dem baulichen Wandel der letzten Jahrhunderte und durch kriegerische Einflüsse auch hier einiges verloren ging oder stark verändert wurde.
Bei allen Quellen aus Papier – von den Protokollen des Stadtrates, über Pläne bis hin zu Verordnungen oder Schriftstücken privater Natur – kommt uns zu Gute, dass das damalige Papier von sehr guter Qualität ist. Es besteht aus Hadern – also textilen Faserstoffen wie Flachs, Hanf oder Nessel – die oft aus Altkleidern gewonnen wurden. Sie zeichnen sich durch hohe Alterungsbeständigkeit und Reißfestigkeit aus. Was die Urkunden anbelangt, so sind sie aus Pergament – also Tierhaut – hergestellt und zeichnen sich ebenso durch eine hohe Beständigkeit aus. Die größten Gefahren für Schriftstücke waren allgemein neben Wasser, Feuer und kriegerischen Auseinandersetzungen immer die Vernichtung durch Aussortieren wegen Platzmangel. In Linz haben wir in den 1820er Jahren einen großen Teil der Archivalien ab dem Mittelalter verloren.
Wenn wir die Geschichte von damals aufarbeiten, sind wir auf Quellen angewiesen, die bis heute nicht verloren oder vernichtet worden sind. Aber auch schon zu dieser Zeit standen sicherlich die Fragen, was will man der Nachwelt überliefern und was will man verheimlichen. Können Sie uns ein Beispiel nennen, wie Sie als Historikerin den Wahrheitsgehalt von derart alten Quellen prüfen?
Cathrin Hermann: Bei den meisten uns überlieferten Schriftstücken handelt es sich um Verwaltungsschriftgut. Seine Aufgabe bestand also darin eine Rechtssicherheit herzustellen und es diente nicht dazu wie eine Chronik Ereignisse für kommende Generationen zu überliefern. So hatten beispielsweise die Protokolle des Stadtrates vor allem die Aufgabe Ratsbeschlüsse in knapper Form zu dokumentieren. Es fehlten bei den Gesuchen alter Bürgerinnen und Bürger um Unterstützung oft Angaben zum Wohnort oder genauere Informationen über die finanzielle Situation. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Auslassen im Sinne eines Verschweigens, sondern dies wurde nicht aufgeschrieben, da es sich um allgemein bekannte Fakten handelte. Wenn wir nun heute die Ratsprotokolle heranziehen um beispielsweise die Armenversorgung im frühneuzeitlichen Linz zu untersuchen, können wir allein daraus einige Fragen nicht beantworten. Erst durch das Heranziehen weiterer Quellen und ein Vergleich mit den Forschungen zu anderen Städten ist hier ein dichteres Bild möglich.
Ein bewusstes Verheimlichen oder eine geschönte Darstellung für die Nachwelt war auch bei Fälschungen oder Verfälschungen von diesen Quellen nicht der angestrebte Zweck. Hier ging es vielmehr direkt darum, Ansprüche oder Rechte zu sichern. Aus diesem Grund treten solche Eingriffe in Dokumente oder überhaupt die Fälschung eines Dokumentes im Bereich von Rechtsgeschäften auf. Um Beispiele zu nennen: bei Privilegien, welche besondere Rechte garantierten, bei Akten, die Grundbesitz dokumentierten, und so weiter.
Wesentlich schwieriger liegt der Fall bei Chroniken oder privaten Aufzeichnungen. Hier sind einseitige Darstellungen und das Auslassen von Ereignissen durchaus möglich. Neben dem historischen Wissen hilft uns hier das „Arsenal“ der historischen Hilfswissenschaften weiter: So kann uns eine paläographische Beurteilung Auskunft geben, ob die in dem Dokument verwendete Schrift zu dieser Zeit in diesem Gebiet überhaupt geschrieben wurde. Auch das Material gibt oft Hinweise auf den Zeitpunkt der Entstehung, über die Echtheit und über eventuelle Veränderungen. Ebenso lassen sich selbst über den textlichen Aufbau von Urkunden oft Hinweise auf ihre Echtheit finden. Das kann manchmal schon sehr spannend sein, wenn man wie ein Detektiv die unterschiedlichen „Indizien“ zusammenträgt.
Kunst, Technologie und Gesellschaft – das sind die drei zentralen Themenbereiche der Ars Electronica. Wie war es um diese drei Begriffe im Linz in der Frühen Neuzeit bestellt?
Cathrin Hermann: Die Zeit zwischen 1500 und 1800 ist durch massive Veränderungen in vielen Lebensbereichen geprägt. Innerhalb der Gesellschaft kam es durch die Reformation und durch die sich ändernde Wirtschaftsstruktur zu Verwerfungen und Kriegen. Zudem zeichnete sich die Gesellschaft durch eine hohe räumliche Mobilität aus, was einerseits beispielsweise den Wissenstransport begünstigte, andererseits immer wieder zu Konflikten führte. Hier sei nur auf die Versuche der lokalen Handwerkerzünfte die Arbeit umherziehender Handwerker zu regulieren oder zu verbieten verwiesen. Als Ort, an dem sich der kaiserliche Hof immer wieder niederließ, und als Landeshauptstadt stellte Linz ein kulturelles Zentrum dar. Neben den mit dem kaiserlichen Hof umherziehenden Gelehrten findet sich mit der Landschaftsschule auch eine wichtige Ausbildungsstätte in Linz.
Die Historikerin Dr. Cathrin Hermann absolvierte ihr Studium der Geschichte und der Kunstgeschichte an den Universitäten Tübingen und Wien. Seit 2004 beschäftigt sie sich mit Transkriptionen und Kollationierungen von schriftlichen Quellen des 16.- 20. Jahrhunderts. Als Kulturvermittlerin an mehreren Institutionen und Mitarbeiterin im Archiv der Stadt Linz hat sie schon mehrere Publikationen zur Linzer Stadtgeschichte und zur Frauen- und Geschlechtergeschichte veröffentlicht.
Blicken Sie am DO 27.2.2014, 20:00, bei „Deep Space LIVE: Händler, Mägde Kaiser“ im Ars Electronica Center, gemeinsam mit der Historikerin Cathrin Hermann in das Linz von 1500 bis 1800.