Projekt Solar Mamas – „Ich habe kaum ein Projekt gefunden, das mich so begeistert hat“, betont Gerfried Stocker. (Credit: UN Women/Gaganjit Singh)
C … what it takes to changes lautet das Motto der diesjährigen Ars Electronica. Es geht um die Frage, was es braucht, damit Neues entstehen, sich entwickeln und gedeihen und schließlich seine Wirkung entfalten kann. Der Kunst wird dabei eine wichtige, eine katalytische Wirkung zugedacht. Im vergangenen Beitrag haben wir Gerfried Stocker zum Thema des diesjährigen Festivals befragt, nun wollen wir uns mit zwei exemplarischen Projekten beschäftigen, die ihn bei seinen Überlegungen inspiriert haben. Das „Projekt Daniel“ und die „Solar Mamas“ zum Beispiel, denn „Wenn es um Best-Practice-Beispiele dafür geht, wie Technologie Menschen und Communities stärken kann, zählen diese beiden zu den allerersten, die mir einfallen“, sagt Gerfried Stocker.
Mohammed und Daniel mit Handprothesen aus dem 3D-Drucker (Credit: notimpossiblelabs.com)
Prothesen aus dem 3-D-Drucker – das Projekt Daniel
Projekt Daniel lautet der Titel des bislang zweiten großen Projekts von Mick Ebeling. 2010 war der US-amerikanische Film-, TV- und Werbeproduzent und Unternehmer zunächst federführend am Projekt „The EyeWriter“ (Gewinner des Prix Ars Electronica 2010) beteiligt. war bzw. ist ein Open-Source-Gemeinschaftsprojekt mit dem Ziel, Menschen mit neuromuskulären Störungen und Verletzungen mittels leistbarer Technologie dabei zu unterstützen, ihre künstlerische Arbeit wieder zu aufnehmen. Der eigentliche „EyeWriter“ ist eine kostengünstige Tracking-Brille samt maßgeschneiderter Software, mit deren Hilfe KünstlerInnen und Graffiti-Writer, die an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt sind und unter Lähmungserscheinungen oder anderen neuromuskulären Erkrankungen leiden, nur mithilfe der Bewegung ihrer Augen zeichnen können. Die Technologie wurde im Time Magazine als eine der „Top 50 Erfindungen des Jahres 2010″ ausgezeichnet und Gegenstand des preisgekrönten Dokumentarfilms „Getting Up“.
The EyeWriter (Goldene Nica Gewinner 2010)
Mit Projekt Daniel rief Mick Ebeling nun das weltweit erste 3D-Printing-Labor ins Leben, in dem Prothesen gedruckt werden können. Die erste dreidimensional gedruckte Handprothese wurde in Kalifornien, in der Zentrale des Unternehmens „Not Impossible“, hergestellt und mittels Crowdsourcing finanziert. Bestimmt war die Handprothese für Daniel, ein 16-jähriger Junge aus dem Südsudan, der bei einem Bombenangriff beide Arme verlor. Dank der Handprothese war es ihm erstmals nach zwei Jahren wieder möglich, selbständig zu essen. Das Besondere an Mick Ebeling Initiative ist, dass sein 3D-Printing-Labor mittlerweile auch im Südsudan errichtet wurde und als Schulungseinrichtung für Einheimische dient, damit diese alle benötigte Prothesen künftig auch selbst drucken und zusammenbauen können.
Das Labor dient gleichzeitig als Schulungseinrichtung für Einheimische (Credit: notimpossiblelabs.com)
Noch bevor das Team von Mick Ebeling wieder in die USA zurückkehrte, hatten die vor Ort Ausgebildeten bereits zwei Prothesen selbstständig angefertigt – und damit die Nachhaltigkeit des Projekts bewiesen. Begründet ist deshalb auch die Hoffnung, dass sich das Projekt auch in anderen Ländern, in denen solche eine Hilfe dringend benötigt wird, erfolgreich etablieren kann. „Wir hoffen und glauben, dass Daniels Geschichte ein weltweites Echo erzeugen wird. Die spezifischen Anforderungen von Prothesen werden durch ‚Not Impossible‘ kostenlos und freizugänglich zur Verfügung gestellt, “ fasst Mick Ebeling zusammen.
No Problem! Die Solar Mamas in Rajasthan
Sie nennen sich „Solar Mamas“ oder „No-Problem-Mamas“. Sie leben in Tilonia, einem kleinen Dorf in der Provinz Rajasthan im Norden Indiens. Und sie sind allesamt ausgebildete Solar-Ingenieurinnen. Begonnen hat die Geschichte der „Solar Mamas“ vor nunmehr 11 Jahren, als Sanjit Bunker Roy sein „Barefoot College“ initiierte, das Menschen in sehr armen Regionen Indiens Zugang zu verschiedenen Ausbildungen eröffnen sollte.
Frauen werden in einem Dorf in Indien zu Solar-Ingenieurinnen ausgebildet (Credit: UN Women/Gaganjit Singh)
Die DorfbewohnerInnen konnten Kurse belegen, um LehrerInnen, ÄrztInnen, IngenieurInnen, ArchitektInnen oder und MaurerInnen zu werden. Die größte Herausforderung dabei war, dass die meisten Auszubildenden weder lesen noch schreiben konnten. Aus diesem Grund entwickelte Roy eine Methode zu lehren, die ohne Alphabet und mathematische Formeln funktioniert und darüber hinaus auch auf traditionellem Wissen aufbaut.
Die Frauen bringen nach ihrer Ausbildung nicht nur wertvolle Elektrizität in ihre Heimat, sie gewinnen auch neues Selbstbewusstsein. (Credit: UN Women/Gaganjit Singh)
Schon nach kurzer Zeit stellte sich allerdings heraus, dass die meisten Männer, sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, ihre Dörfer verließen, um in größere Städte zu ziehen. Roy konzentrierte sich deshalb fortan auf die Frauen. Frauen, die ihre Kinder und Enkel alleine ernähren mussten und daher in ihrem Heimatort bleiben würden. Seither pilgert Roy von Dorf zu Dorf und bietet Frauen an, zu lernen, wie Strom und Licht mittels Solarenergie gewonnen werden kann. Im Rahmen eines sechsmonatigen Lehrganges lernen die Frauen Lampen und Kocher, Parabolspiegel und Solarelemente zusammenzubauen. Bezahlt werden die derart ausgebildeten Frauen von den übrigen DorfbewohnerInnen, indem diese genau jene Summen in die dafür eingerichtete Gemeinschaftskasse einzahlen, das sie bislang für Kerzen und Kerosin ausgegeben haben. Mehr als 700 Frauen aus 40 Ländern haben mittlerweile eine solche Ausbildung absolviert und nicht nur wertvolle Elektrizität in ihre Heimatdörfer gebracht, sondern auch neues Selbstbewusstsein erlangt.
Auch beim Ars Electronica Festival 2014, das von 4. bis 8. September in Linz stattfindet, werden viele außergewöhnliche, kreative, innovative Projekte vertreten sein. In den nächsten Wochen und Monaten vor dem Festival stellen wir diese Projekte vermehrt auf unserem Blog vor. Nähere Infos findet man auch auf ars.electronica.art/c/.