Foto: Florian Weningkamp / Stefan Hint
Es ist schon ziemlich dunkel in Berlin, wenn Thomas Gnahm und seine Gang in die Pedale treten und die Menschen in der Stadt mit ihren leuchtenden und blinkenden LED-Jacken überraschen. Aus seiner Fahrradgang „Trafo Pop“ ist schließlich mehr geworden: Mit „Wear it – Make Your Dress Code“ fand von 11. bis 12. Oktober 2014 in Berlin nun das erste Festival rund um Wearable Electronics and Arts statt. Gnahm hat sich zum Ziel gesetzt, das Beste aus der Wearable-Szene zusammenzutragen, eine internationale Community zu gründen und sie mit Vorträgen, Workshops aber auch Parties näher zusammenzubringen. Nicole Grüneis von der Abteilung „Bildung und Kulturvermittlung“ des Ars Electronica Center hat Thomas Gnahm, den Gründer des „Wear it“-Festivals und der Fahrradgang „Trafo Pop“, getroffen – im Rahmen ihrer Recherche für eine künftige Zusammenarbeit mit der neuen Studienrichtung „Fashion-Design & Technology“ der Kunstuniversität Linz.
Wie bist du dazu gekommen, dich für Wearable Electronics zu interessieren?
Thomas Gnahm: Ich bin Grafikdesigner, Art Director, und gemeinsam mit Freunden haben wir uns überlegt, etwas Neues und Kreatives zu machen. Schon von Anfang an hatten wir die Idee, eine Fahrradgang zu gründen, und die sollte etwas Spezielles haben. Wir haben dann schließlich an LED-Jacken gedacht. Jedoch war zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht die Rede von „Wearable Electronics“.
Die Idee war also vor dem Licht?
Thomas Gnahm: Genau, Technologie war noch nicht unser Thema, es ging um das Konzept, interessante Jacken zu besitzen. Und so ist das ganze Projekt gewachsen, wir haben diese Jacken gebaut, um schließlich dann in den letzten eineinhalb Jahren selbst herauszufinden, was „Wearable Electronics“ bedeuten. Wir sind immer tiefer in das Thema hineingegangen, und heuer organisierten wir in Berlin mit „Wear it“ das erste Festival dazu.
Der Name der Fahrradgang ist „Trafo Pop“…
Thomas Gnahm: Also das Wort „Trafo“ kommt ja von Transformator – ein technischer Begriff, der bedeutet, dass eine Spannung in eine andere umgewandelt wird, also eine Energieübertragung stattfindet. Außerdem steht das Wort symbolisch genau dafür, was wir machen: Wir transformieren uns selber mit den Jacken in etwas anderes. Wir bewegen etwas, und dieses Bewegen hat ja schließlich auch etwas mit dem Fahrradfahren zu tun. Das Wort „Pop“ haben wir deshalb gewählt, weil es um etwas Populäres geht. Es sollte kein elitäres Ding werden, denn wir laden alle Leute ein bei uns mitzumachen. Mit den leuchtenden Jacken wollten wir Teil der Popkultur sein. Wir haben es von Anfang an darauf angelegt, dass es Spaß macht, dass es uns Spaß macht und vielleicht auch Kitsch sein kann. Wir wollten die Dinge ansprechen, die die Leute ansprechen und denen sie im täglichen Leben begegnen – wir sind nicht in einem Raum, wir gehen auf die Straße.
Die Leute, die um uns herum sind, werden Teil von uns. Das ist für mich populär.
Der Grund, warum ihr leuchtet, ist also, dass das visuell sehr anspricht und viel hergibt…
Thomas Gnahm: Und man kann so viel gestalten und experimentieren. Uns hat interessiert, was wir eigentlich mit den LEDs so alles machen können. Das hat mit zwei kleinen LEDs angefangen und das hat sich fortgesetzt. Können wir mit LEDs und Licht unsere Jacken so gestalten, dass sie vielleicht ganz neu sind und uns selber überraschen?
Wie habt ihr euch mit dem nötigen technischen Wissen versorgt?
Thomas Gnahm: Die Gruppe ist schnell gewachsen und da kamen Leute hinzu, die das eben schon wussten, wie das geht. Sie haben es uns gelernt, wir haben es dann wieder anderen beigebracht. Es geht ja noch weiter, die Jacken werden immer noch weiterentwickelt. Wir selber sind fasziniert von LED-Lichtern, aber wir sind auch daran interessiert, wie man damit experimentieren kann. Wir mögen dieses Sandkastengefühl: Wenn man einfach ein bisschen herumspielen kann, man sich eine Burg baut, darauf wieder mit einer Schaufel schlägt und mit diesem Sand wieder etwas Neues baut. Wir wollen experimentieren und sehen uns eher als Labor, als Produktionsstätte.
Foto: Adlan Mansri
Wie oft habt ihr Auftritte als „Trafo Pop“?
Thomas Gnahm: Wir machen einerseits unsere eigenen Events und fahren alle ein bis zwei Monate nachts durch die Stadt. Dann bieten wir auch jeden zweiten oder dritten Monat unsere Workshops an, wo sich Leute selber leuchtende Jacken bauen können. Und dann sind wir auf größeren Events zu Gast, wie vor kurzem auf der IFA, der Internationalen Funkausstellung, wo wir auch in Kooperation mit Unternehmen vertreten waren. Manchmal sind wir auch in Berliner Clubs, die uns auch einladen. Hier bekommen wir freien Eintritt und Getränke und wir können das machen, was wir wollen. Das Tolle ist, dort wird auch von uns erwartet, dass wir so kommen wie wir eigentlich aussehen. Das ist genau das was wir uns ausgesucht haben. Deswegen fühlt es sich so an, Künstler zu sein. Denn plötzlich ist alles, was man tut, richtig.
Stichwort Kunst – während des Festivals „Wear it“ kam eigentlich nie der Begriff „Medienkunst“ zu Wort. Warum eigentlich?
Thomas Gnahm: Wenn man das Wort „Kunst“ benutzt, dann hat man auch gleich eine Ebene, die ein bisschen entfremdet von dem Objekt, es bringt eine gewisse Distanz hinein. Kunst steht ja immer im Kontext mit anderer Kunst, oder mit der Geschichte. Kunst wird immer im Zeitstrahl verortet, oder im Kontext der Gesellschaft. Kunst sollte eine Message haben, mich zum Denken anregen. Ich finde, dass der Begriff „Kunst“ uns in gewisser Weise auch einschränken würde. Was wir machen könnte Kunst sein, könnte Kitsch sein, es kann aber auch ein Gebrauchsobjekt sein. Was wir machen ist aber auch humoristisch, selbstironisch und das ist auch entwaffnend. Wir können Kritik aufnehmen, diese einpflegen und das hilft uns einfach bei Entwicklungsprozessen.
Ich finde Kunst hat auch irgendwie den Anspruch, dass es fertig ist und wir sehen uns eigentlich die ganze Zeit im Prozess. Wenn man möchte, könnte man vielleicht die gesamte Aktion als Kunst sehen, das auf jeden Fall. Die Idee, eine Fahrradgang mit diesen Jacken zu machen und auf der Straße zu fahren und Workshops anzubieten, könnte eher als soziale Kunst betrachtet werden, als Bewegung, die die Leute an der Straße anregt, darüber nachzudenken oder anders zu denken. Dann erfüllen wir wieder die Kriterien von Kunst. Aber eine einzelne Jacke oder der Herstellungsprozess einer Jacke, das würde ich jetzt nicht als Kunst bezeichnen.
Foto: Adlan Mansri
Welche Leute kommen zu euren Workshops?
Thomas Gnahm: Zu den Workshops, die wir ausschreiben, kamen zunächst Leute aus unserem Bekanntenkreis, dann kamen aber auch immer mehr Leute, die wir nicht kannten. Pro Workshop haben wir etwa sechs Plätze frei – die sind immer ausgebucht – und das sind Leute, die sich für Technologie interessieren. Das sind aber auch Leute, die keine Erfahrung damit haben. Am Anfang hatten wir viele professionelle Leute aus dem kreativen Feld, die in Werbeagenturen oder Designbüros arbeiteten. Aber mittlerweile hat sich das ziemlich herumgesprochen, und nun sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten vertreten.
Glaubst du, dass Berlin ein guter Boden dafür ist? Würde das an einem anderen Ort genauso funktionieren?
Thomas Gnahm: Ja, wir haben vor kurzem diskutiert, ob wir dieses Konzept in andere Städte bringen wie zum Beispiel nach Toronto oder Philadelphia. Wir haben die Software ja als Open Source konzipiert. Ich denke, Kleidung, Fahrradfahren und etwas zusammen tun, das ist universell. Das kann man sogar in China machen und das ist etwas, was alle Menschen betrifft. Und das Spannende ist, dass man das am Körper trägt. Diese Technologie betrifft uns alle.
Wann hat sich daraus die Sehnsucht entwickelt, mit „Wear it“ ein eigenes Festival zu dem Thema zu machen?
Thomas Gnahm: Die Sehnsucht nicht unbedingt, aber wir haben den Bedarf gesehen. Wir sehen, es gibt eine fragmentierte Szene auf der ganzen Welt. Leute machen super Sachen, aber jeder macht halt so sein eigenes Ding. Klar, es gibt auch andere Treffen und so weiter, aber unser Anliegen war, eine Auswahl an Leuten zusammenzubringen, die wir interessant finden. Wir wollten das auch nach Berlin holen und dass sich hier die Szene zusammenfindet und sich connected. Es wäre einfach schade, wenn man die Projekte nicht weiter pflegt.
Wie lange habt ihr für die Organisation von „Wear it“ gebraucht und wie geht es weiter?
Thomas Gnahm: Die Organisation dauerte etwa dreieinhalb Monate. Das war zwar sehr arbeitsintensiv, aber wir wollen das auf jeden Fall nochmal machen. Am liebsten jährlich und wir werden schon bald mit der Organisation des nächsten Festivals beginnen. Natürlich suchen wir auch Partner, die uns hier unterstützen. Das ist einfach toll, dass man sich hier trifft.
Foto: Adlan Mansri
Welche Wearables sind eigentlich für dich als Privatperson sinnvoll?
Thomas Gnahm: Also ich trage privat nicht einmal eine Armbanduhr. Weil ich eigentlich sehr technikaffin bin, versuche ich mich privat möglichst wenig mit Technik zu behängen. Aber ich würde ein ganz spezifisches Gerät benutzen – ein Armband, das mich mit meiner Freundin verbindet. Das sollte nur für uns beide gedacht sein, wo ich daran drehen kann und sich dann die Farbe von ihrem Armband ändert. Etwas Privates, etwas Emotionales, das würde ich tragen. Wo ich jetzt nicht so sehr interessiert bin, ist eine Funktion, die so ein bisschen generell ist. Mein aktueller Puls interessiert mich nicht sonderlich.
Ich habe zwar ein Smartphone, das meine Schritte zählt und mir nach 10.000 Schritten gratuliert – das hat tatsächlich mein Verhalten etwas verändert. Aber mich interessieren interessante Konzepte, und die gibt es eben noch gar nicht. So eine Smart Watch kann trotzdem nicht meine Ansprüche erfüllen. Wir haben jetzt die Chance, die Technologie an uns anzupassen und nicht umgekehrt.
Foto: Adlan Mansri
Wenn du jetzt völlig visionär denkst: Welches Wearable würdest du gerne erfinden, wenn alles möglich wäre?
Thomas Gnahm: Dann möchte ich ein Kleidungsstück haben, das absolut universal ist, das jede Form, jede Farbe und jeden Zustand annehmen kann, aber die Technologie ist unsichtbar. Es sieht vielleicht aus wie ein normales Hemd, kann aber zu einem Glitzer-Anzug werden, wenn ich möchte. Und vielleicht passt es sich auch an meinen Zustand an. Wenn mir warm ist, wird das Ding kühler. Es sollte ein Objekt oder eine Technologie sein, die weiß, was ich brauche und was ich möchte, und sich mir anpasst. Hier gibt es bereits interessante Konzepte, wie es beispielsweise Maartje Dijkstra während der „Wear it“ ausgestellt hat – sie hat auch ein Kleid entwickelt, das durchsichtig werden kann. Und das geht in die Richtung, dass ich mehr oder weniger von mir zeige. Die Emotionen, die ich als Mensch habe, werden eins zu eins übersetzt.
Kennst du „x.pose“, das Konzept der japanischen Designerin Xuedi Chen? Je länger sie sich auf Social Media Plattformen zeigt, umso durchsichtiger wird das Korsett.
Thomas Gnahm: Ja, das ist toll. Solche Sachen interessieren mich, weil diese auf eine neue Art und Weise Problematiken zeigen oder einen Zustand, der uns vielleicht gar nicht bewusst ist. Diese Arbeiten illustrieren diesen Zustand ganz wunderbar. Das Spannende dabei ist doch, dass der Körper dahinter sichtbar wird. Es ist nicht, dass die Technologie immer sichtbarer wird. Je mehr Technologie wir benutzen, desto mehr ist die Verwundbarkeit des Körpers wieder da. Ich finde es spannend, dass es in dem Fall um den menschlichen Körper geht.
Weil du die Verwundbarkeit ansprichst – in der Ausstellung „Projekt Genesis“ im Ars Electronica Center zeigte Theresa Schubert mit „Chroma+Phy“ ein Konzept eines organischen Wearable. Was hältst du davon?
Thomas Gnahm: Ich finde es spannend, dass der Zustand des Körpers gemessen und dargestellt werden kann und man sich dessen bewusst ist. Mir ist zu heiß und das Gerät zeigt das an, aber eigentlich ist es mir gar nicht bewusst. Und dann möchte ich für mich auch herausfinden, in welchem Fall habe ich das selber gespürt und in welchem Fall war das nur die Technik? Und darauf kann ich wieder Rückschlüsse ziehen, in welcher mentalen Verfassung ich bin. Liege ich etwa gerade unter Stress? Ich merke eigentlich gar nicht, dass ich dehydriert bin, weil ich nicht darauf geachtet habe. Wieso, was hat mich abgelenkt? Das finde ich eine ganz spannende Sache, weil das etwas über mich selbst mitteilt. Wohingegen auf meinem Telefon der aktuelle Wetterbericht zu sehen ist, und dann schaue ich auf mein Telefon anstatt aus dem Fenster zu schauen… Es sind die feinen Unterschiede. Die Qualität liegt hier im Detail.
Tipp: Wenn Sie noch mehr über den aktuellen Stand und die nahe Zukunft der „digitalen Mode“ wissen wollen, besuchen Sie den Vortrag von Prof. Dr. Christiane Luible, Professorin für Modedesign, im Rahmen von Deep Space LIVE am DO 13.11.2014, 20:00, im Ars Electronica Center!