The Lab

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Am Sonntag, 7. Dezember 2014, startete in Doha die diesjährige ITU Telecom World 2014. Im Rahmen einer offenen Laborsituation präsentieren Ars Electronica Linz und ITU Telecom Worlds 2014 „The Lab“ und begeben sich dabei erneut auf die Spurensuche nach den VordenkerInnen unserer Zeit. Anhand 16 ausgewählter Projekte wird aufgezeigt, was kreative Innovation und ein Denken in Alternativen bedeuten kann und welche Relevanz dabei die Telekommunikation in Zukunft erfahren wird.

DO IT YOURSELF

„How to make (almost) anything” war der Titel einer Veranstaltung bereits zum Ende des vorigen Jahrtausends, als die DO IT YOURSELF Revolution am Center for Bits and Atoms des MIT in Boston ihren Ursprung nahm. Der Physiker und Informatiker Neil Gershenfeld leitete 1998 diese Veranstaltung. StudentInnen und auch externe BesucherInnen konnten dort ihrer Kreativität und ihrem produktiven Drang freien Lauf lassen. Weder Wikipedia, Facebook oder YouTube, noch der Ausdruck des sogenannten Web 2.0 waren damals geboren und doch erkannten einige VordenkerInnen wie Gershenfeld, dass eine neue Zeit angebrochen war, die ein aktives Beteiligen und Mitgestalten zulassen sollte.

Eine weltweite wirtschaftliche Krisenstimmung sowie finanzielle Engpässe und politische Umbrüche nur wenige Jahre später waren weitere Auslöser zur Entstehung einer ganzen DO IT YOURSELF Bewegung. KünstlerInnen und kreative TechnologInnen begannen weltweit kostengünstige Tools zu entwickelten, die für jeden Menschen zugänglich waren und auch heute noch sind. Auch deren Entwicklung wurde transparent und offen gelegt, damit jede und jeder eingeladen ist, sie noch weiter zu entwickeln.

Man musste nicht mehr einer Universität, einer Forschungseinrichtung, oder dem Militär angehören, um Zugang zu den neuesten Entwicklungen im Bereich Technologie zu bekommen. Heute fasst dieses weltweite Netzwerk nahezu 400 sogenannte Fab Labs. Die Menschen wollten zu dieser Zeit nach Alternativen suchen, schlichtweg einfach selbst tätig werden und sozusagen nach den Tugenden der Krisen in Krisenzeiten suchen.

Auch heute noch hat die mehr als 16 Jahre alte Botschaft ihre Gültigkeit, da sie als generelle Einladung zum Produktivwerden verstanden werden will und zum Denken in Alternativen anregen soll.

Und genau hier treffen wir auf unsere Projekte in „The Lab“: Kreativität und produktiver Drang, ein grundsätzliches Interesse an der Menschheit und der Wunsch nach einem besseren Zusammenleben sind auch die Triebfedern hinter jenen Projekten, die auf knapp 200m2 präsentiert werden.

Eine Kooperation zwischen Künstlern, Designern und Wissenschaftlern

So entstand zum Beispiel das Projekt BlindMaps des Österreichers Markus Schmeiduch, des Niederländers Ruben van der Vleuten und des Franzosen Andrew Spitz als Kooperation zwischen Künstler, Designer und Wissenschaftler. BlindMaps ist ein technisches Hilfsmittel für Menschen mit Sehbehinderungen, bei dem ein spezielles Device am Blindenstock als eine Art geolokalisiertes Audiofeedback Informationssystem fungiert. Sehbehinderte Personen bekommen dadurch zusätzlich zum Audiofeedback ein Vibrationsfeedback über den Stock, um sich besser orientieren zu können.

Roboy

Ein weiteres Beispiel der Ausstellung ist Roboy, ein Schweizer Roboter, der zwar nicht gehen kann, dessen Körper jedoch das menschliche Muskel-Sehnen-Konstrukt imitiert. Ein überdimensional großer Kopf mit rollenden großen Augen und leicht errötenden Wangen unterstreicht das bewusst gewählte Kindchen Schema des Roboters. Dadurch kommen sofort Fragen zur Interaktion zwischen Mensch und Roboter auf, wie wer benötigt Roboter wie diesen oder welchen Standpunkt werden Roboter in unserer Gesellschaft in Zukunft einnehmen und welche Funktionen werden sie bekommen.

Der europäische Blick auf das Thema soll mit einem Projekt aus Ägypten kontrastiert werden, denn Fragestellungen, wie hier gerade erwähnt, sind bereits Teil eines Roboterworkshops, der von Mohammed A. ElRaffie, einem Mitbegründer der CORD Initiative, durchgeführt wird. CORD ist eine Firma aus Kairo, die im Feld der Wissenschaftskommunikation tätig ist und Roboter-Workshops und selbst erarbeitete Games als Form der Hands-on-Wissensvermittlung erarbeitet und anbietet.

Die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung ist auch das Ziel des Project Fumbaro Eastern Japan, eine Initiative des Japaners Takeo Saijo. Ausgehend vom schwersten Erdbeben an der ostjapanischen Küste am 11. März 2011 seit Beginn der Aufzeichnungen und den darauffolgenden Tsunamis, sah er die Notwendigkeit einer Online-Plattform, die es auf revolutionäre Weise schaffte, die akuten Bedürfnisse der Opfer der Katastrophe gezielt mit Hilfeleistungen von UnterstützerInnen zu verbinden.

Auch der Franzose Cesar Harada geht in seinem Projekt Protei im weitesten Sinne eine interdisziplinäre Kooperation zwischen KünstlerInnen, DesignerInnen und WissenschaftlerInnen ein, indem er mit seiner schwimmenden Segeldrohne gemeinsam mit lokalen Umweltaktivisten gegen die Meeresverschmutzung kämpft.

Denken in Alternativen

In die Kategorie „Denken in Alternativen“ lassen sich jene Projekte einordnen, die entweder von KünstlerInnen als InitiatorInnen eines Umdenkprozesses fungieren oder in der Projekte Eingang finden, die die herkömmliche Verwendung von Materialien grundsätzlich auf den Kopf stellen. Was hat ein Schlauch eines LKW-Reifens mit Energiegewinnung zu tun, oder wieso sollen Pilze ein solider Baustoff für die Zukunft sein? Der Künstler Phil Ross experimentierte bei seiner Arbeit Mycotecture mit dem Glänzenden Lackporling (Ganoderma lucidum), einem Pilz, der hauptsächlich auf Laubholz wächst und schuf damit organisch gewachsene Bausteine, die er als Baustoff der Zukunft zur Diskussion stellt.

Mycotecture

Forscher wie Andreas Zeiselmair und Chris Helf verbindet mit dem deutschen Künstler Markus Heinsdorff das Projekt Rotor. Rotor ist ein mobiles Wasser-Kleinkraftwerk zur einfachen Stromgewinnung in Regionen ohne Energieversorgung. Dabei werden alte Materialen für den Bau des Rotors verwendet, um die Stromgewinnung möglichst kostengünstig zu gestalten.

Recycling ist auch das Thema der Designagentur Better Future Factory. Beim Perpetual Plastic Project kann man nicht nur Plastikmüll in einer Maschine entsorgen, sondern auch gleich selbst zusehen, wie neue Gegenstände, wie cooler Modeschmuck, auf der anderen Seite der Maschine wieder herauskommen.

Mine Kofan

Design mit Anliegen

„Design mit Anliegen“ stellt die dritte Gruppe von Projekten dar, die ihren Schwerpunkt in der ästhetischen Ausformung haben, jedoch gleichzeitig auch ein wichtiges Anliegen kommunizieren wollen. Mit Mine Kafon schuf der Afghane Massoud Hassani nicht nur ein schönes Objekt, sondern auch einen Minendetektor, der nur durch Windkraft angetrieben wird.

Der Italiener Cesare Griffa experimentiert bei seiner Arbeit LillyBot 2.0 mit einer Algen Art, die nicht nur Kohlendioxyd in Sauerstoff umwandelt, sondern auch zu einer Auseinandersetzung mit dem  Thema Umwelt, Lebensraum und nachhaltige Architektur führt.

Eine weitere Position zum Thema neue Formen von Wandgestaltungen präsentiert die italienische Designerin Cecilia Lalatta Costerbosa mit ihrer Arbeit Parametric Hybrid Wall. Nicht nur, dass ihre Arbeit ästhetisch sehr gelungen ist, indem sich ihre Wände falten und aufgrund eines sensorisch ausgelösten Inputs transparent werden können, auch die Herstellung ist wohlüberlegt. Die  Designerin hat für ihre Wände ausschließlich kostengünstige Materialien verwendet und mittels Open Source hergestellt.

Das Device Bhoreal der spanischen Interaktionsdesigstudios MID ist nicht nur eine Open Source Steuerungseinheit, sondern kann auch als Screen, Leuchttafel, Game Interface bis hin als Musikinstrument genutzt werden. Die Verwendungsmöglichkeiten des Interface scheinen das Unmögliche möglich werden zu lassen.

Parametric Hybrid Wall

Von der Eigenwilligkeit der Systeme

Auf die letzte Gruppe scheint die Beschreibung „Von der Eigenwilligkeit der Systeme“ besonders zuzutreffen, handelt es sich hier doch um das künstlerische, oft herausfordernde Hinterfragen von Weltbildern, mit denen uns vor allem KünstlerInnen auf selbstbewusste Art konfrontieren, wenn auch oft ironisch gemeint und mit einem imaginären Schmunzeln versehen. Die Frage, wie es mit der Ressource Energie in Zukunft weitergeht, wird in der Arbeit Energy Parasites von Eric Paulos nachgegangen. Er baut von Hand Apparaturen, die parasitär Energie abzapfen, egal woher die Energie kommt oder wem die Energie gehört. Der amerikanische Künstler Paulos will mit diesem Projekt Energie materialisieren und anregen, über andere Formen der Verteilung nachzudenken und zu kreativen Formen der Energiegewinnung und -speicherung inspirieren.

Auch der Mexikaner Gilberto Ezparza ist hat sich mit dem Thema der urbanen Parasiten seit längerem beschäftigt gehabt. Mit Nomadic Plants ging er einen weiteren Schritt, bei dem seine robotischen Parasiten nicht mehr von Ressourcen wie Stromkraft leben, die von extremer Wichtigkeit für die lokale Bevölkerung in Mexico sind, sondern er schuf eine Maschinenkreatur, die sich mittels mikrobiellen Brennstoffzellen selbst Energie verschafft. Verschmutzte Gewässer und verdorbene Umwelt bieten Nahrung für Esparzas künstliches Lebewesen. So kreiert er einen Kreislauf, der den Lebenskreislauf der Menschen parodieren soll.

Nomadic Plants

Auch eine Art Maschinenkreatur ist der Prototype for a new BioMachine des Brasilianers Ivan Henriques, der Umweltverschmutzung zum Anlass nimmt um zu fragen, wo die Pflanzen wohl hinlaufen würden, wenn sie könnten? Seine Arbeit ist ein mit Pflanzen bewachsener Roboter, dessen Herzstück eine hochsensorische Pflanze ist, die auf Berührungen reagiert und so den fahrbaren Untersatz der Pflanze steuert.

Ein besonderes Eigenleben haben auch die Schmetterlinge in der Installation Moony der japanischen Künstler Takehisa Mashimo, Akio Kamisato und Satoshi Shibata. Sie konfrontieren uns mit der Frage, wie die vom Menschen beeinflusste Natur immer mehr den Zweck erfüllen muss, den Schein zu wahren, dass neue Formen in der Natur aufgrund des respektlosen Einfluss der Menschheit bereits entstanden sind und andere dafür für immer ausgelöscht wurden.

ITU Telecom World 2014

Seit jeher ist die Menschheit von technologischen Errungenschaften fasziniert, auch wenn Angst und Zweifel diese Faszination immer schon untermauern. Genau diese Kombination an Gefühlszuständen macht es jedoch aus, dass ein kritisches Hinterfragen dieser Entwicklungen möglich ist. Da KünstlerInnen und kreativ schaffende Personen im Allgemeinen mit diesen Gefühlszuständen produktiv arbeiten können, wollen wir genau diese Personen mit ihren Entwürfen zu Fragestellungen unserer Zukunft in „The Lab“ sprechen lassen.

Weitere Infos zu „The Lab“ und ausführliche Projektbeschreibungen finden Sie unter:

http://export.aec.at/itu2014/de

Weitere Fotos finden Sie unter:

https://www.flickr.com/photos/arselectronica/sets/72157649681792435/

Weitere Blogbeiträge zu den Projekten und Interviews mit den KünstlerInnen finden Sie bald auf unserem Blog: