Städte der Zukunft

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POST CITY. Lebensräume für das 21. Jahrhundert – das ist das Thema des Ars Electronica Festival 2015, das von 3. bis 7. September in ‪‎Linz stattfinden wird. Das Festival fragt danach, wie unsere künftigen Städte beschaffen sein könnten und beschäftigt sich dabei mit Fragen zu Mobilität, Arbeit und Arbeitslosigkeit, gesellschaftlichen Organisationsformen und Sicherheitsfragen in den künftigen Megacities.

Einer, der sich sehr viel mit dem Thema „Stadt“ beschäftigt, ist Dietmar Offenhuber. Er ist Assistant Professor für Art + Design und Public Policy an der Northeastern University in Boston und promovierte in Stadtplanung am Massachusetts Institute of Technology. Dietmar hat bereits mehrere Bücher im Bereich Stadt und Technologie veröffentlicht. Als er im Rahmen des Kulturprojekts Connecting Cities eine künstlerische Residency im Ars Electronica Futurelab absolvierte, nutzten wir die Chance und sprachen mit ihm über die Städte der Zukunft.

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In unserem letzten gemeinsamen Interview hast du gesagt, dass für dich die „Informalität“ ein zentraler Aspekt der Stadt der Zukunft ist. Kannst du das bitte näher erläutern?

Dietmar Offenhuber: Wenn man die breite Palette an Science Fiction Visionen der Stadtzukunft Revue passieren lässt, dann sehen wir sehr mechanistische, sehr geordnete, sehr puristische Stadtvisionen. Wenn wir uns heute aber ansehen, wo die größten Städte und die neuen Metropolen sind und wie diese aussehen, passt das nicht mit diesen Science Fiction Visionen zusammen. Die größten Städte der Zukunft werden nicht mehr in Europa und auch nicht mehr in Nordamerika sein. Sie werden in aufstrebenden Ländern sein, die wir vor kurzem noch als Entwicklungsländer bezeichnet haben, die uns aber bereits in vielerlei Hinsicht überholt haben. Das sind sehr dynamische Orte, in denen man dieses allumfassende modernistische Prinzip allerdings kaum finden wird.

In den 70er Jahren hat man noch gedacht, dass diese Phänomene der informellen Ökonomie und der Schattenwirtschaft mit der Modernisierung verschwinden werden. Nur das ist überhaupt nicht passiert. Im Gegenteil, die informellen Ökonomien sind stärker als je zuvor. Natürlich stehen dahinter viele politische, ökonomische und soziale Prozesse, aber ein wichtiger Punkt ist auch die Technologie. Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsprozesse werden durch Technologien informeller. Gleichzeitig wird aber das Informelle auch wieder formeller, weil ja sozusagen alles, was wir machen, Daten generiert. Dadurch gibt es wieder eine formelle Komponente. Das ist irgendwie ein interessanter hybrider Zustand, der zwischen einer klassischen Ordnung und einem Chaos passiert und das manifestiert sich auf unterschiedliche Weise.

James Vaughan happy highway future Happy Highway Future (Credit: James Vaughan)

Ist das dann kein Widerspruch?

Dietmar Offenhuber: Naja, Zukunftsvisionen sind eigentlich immer von Widersprüchen und paradoxen Situationen geprägt gewesen. Wenn man überlegt: Ende des 19. Jahrhunderts haben sich Erfindungen wie das Telefon langsam durchgesetzt und man hat damals gedacht, dass sich durch Ortsunabhängigkeit der Kommunikation die Städte auflösen werden. Gleichzeitig hat das Telefon aber den Bau von Hochhäusern und Wolkenkratzern ermöglicht, weil dadurch ein Unternehmen über mehrere Stockwerke hinweg gemeinsam arbeiten kann. Das würde ohne Telekommunikation nicht funktionieren. Es gibt also immer sehr paradoxe Auswirkungen von Technologien.

Es ist ja beispielsweise auch interessant, dass der Architekt Frank Lloyd Wright in den 30er Jahren vorhergesagt hat, dass sich die Stadt in Zukunft völlig auflösen wird. Es wird nur mehr ein Hybrid zwischen Stadt und Land geben, wo alles zwischen Landwirtschaft, Wohnen und Industrie durchmischt sein wird und das wird, seiner Meinung nach, wegen der Telekommunikation, der Mobilität und der industriellen Massenproduktion passieren. Natürlich hat sich das in gewisser Weise am Stadtrand auch wirklich so entwickelt, aber gleichzeitig ist auch das Gegenteil passiert: die Städte haben sich nicht aufgelöst, sondern sind eigentlich viel dominanter im globalen Geschehen geworden. So hat jeder Prozess paradoxe Auswirkungen.

Daniel Ryan back to the futureBack to the Future (Credit: Daniel Ryan)

Was werden die größten Herausforderungen für die Städte der Zukunft werden?

Dietmar Offenhuber: Herausforderungen gibt es immer viele. Es ist ja auch interessant: die UN-HABITAT hat über die letzten 10 Jahre alle zwei Jahre eine Studie zu bestimmten globalen Herausforderungen in Verbindung mit Städten herausgebracht. Dabei geht es um Dinge wie Bildung, Gesundheit und Alter und das sind natürlich alles Herausforderungen, die nach wie vor existieren. Es hat sogenannte „Millennium-Goals“ gegeben, die teilweise erreicht wurden und teilweise auch nicht. Aber es ist sicher so, dass beispielsweise die globale Erwärmung besonders in Küstenregionen inzwischen eine Sache ist, die wirklich in den lokalen Regierungen angekommen ist. Auf politischer Ebene ist es immer noch ein Streitthema, aber im lokalen Kontext ist das schon längst Realität, indem beispielsweise mit Bauvorschriften reagiert wird. Das wird einen Großteil von Städten bestimmt noch sehr lange beschäftigen.

Jonas Hong KongHong Kong (Credit: Jonas)

Der Begriff „Digitale Stadt“ gewinnt immer mehr an Bedeutung. Städte sollen zur „Smart City“ werden – also zu einer vernetzten und intelligenten Stadt…

Dietmar Offenhuber: Der Begriff „Smart City“ kommt eigentlich aus einem bestimmten industriellen, kommerziellen Kontext. Die ganze Smart Cities Debatte ist erst seit dem Immobiliencrash der letzten Jahre aufgekommen, weil die amerikanische Regierung und auch andere Regierungen darauf reagiert haben, indem sie Investitionen in die städtische Infrastruktur getätigt haben. Dadurch haben verschiedene Firmen wie IBM oder Cisco, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem Netzwerkhardware und Netzwerktechnologien an Städte für Schulen, Verwaltung usw. verkauft haben, die Möglichkeit gesehen einen neuen Markt zu generieren. Der Begriff „Smart Cities“ ist also eigentlich eine kommerzielle Version davon, Infrastrukturmanagement anzubieten.

Gleichzeitig würde ich das aber nicht mit dem Begriff der „Digitalen Stadt“ gleichsetzen, weil es eigentlich so ist, dass fast jeder ein Smartphone hat und ständig ortsbezogene Applikationen nutzt, die natürlich unser Verhalten in der Stadt ganz massiv beeinflussen. Beispielsweise, wenn es darum geht uns einen Treffpunkt auszumachen oder ähnliches. Unser tägliches Verhalten wird durch digitale Technologien ganz stark mitgeprägt. Unter dem Schlagwort „Civic Technologies“ gibt es auch sehr viele mögliche Zukunftsvisionen, die aus diesen eigentlich schon verbreiteten Möglichkeiten der partizipativen Stadtgestaltung und Stadtverwaltung entstehen. Der Unterschied zu Smart City ist, dass hier die ganze Technologie schon vorhanden ist.

IMG_3375_1000x500Dietmar Offenhuber während seiner Residency im Ars Electronica Futurelab (Credit: Magdalena Leitner)

Dieses ständige vernetzt sein bietet aber nicht nur Vorteile, sondern wirft beispielsweise auch Fragen über den Schutz der Privatsphäre auf…

Dietmar Offenhuber: Es wird natürlich sehr viel über die Privatsphäre gesprochen, aber die eigentliche Frage ist ja auch, wie man die Datenerfassung nachvollziehbar macht. Wie merkt man, dass Daten aufgezeichnet werden und wer bestimmt, was mit den gespeicherten Daten passiert? Ich spreche in diesem Zusammenhang sehr gerne von der Lesbarkeit von Infrastrukturen, die persönliche Daten speichern. Mein Ansatz in diese Richtung ist daher, dass es irgendwie möglich sein muss, dass man diese Infrastrukturen wahrnehmen kann. Es ist auch wichtig, dass man sehen kann, was die Regierung oder die Stadtverwaltung mit den gesammelten Daten macht und man darauf eventuell auch einflussnehmen kann.

Du hast zuerst schon die partizipative Stadtgestaltung erwähnt. Wer kann/ darf/ soll eine Stadt gestalten? Wie wichtig ist es, dass Bürgerinnen und Bürger in die Umgestaltung der Stadt der Zukunft einbezogen werden und wie realistisch ist diese Partizipation?

Dietmar Offenhuber: Das ist eine sehr gute Frage! Partizipation ist ein Wort, das immer nur positiv besetzt ist, obwohl das eigentlich auch zu hinterfragen ist. Die Politikwissenschaftlerin Sherry Arnstein hat in den 60er Jahren gesagt: „Partizipation ist wie Spinat. Niemand ist prinzipiell dagegen, weil es für uns gut ist.“ Das war natürlich sarkastisch gemeint, weil Partizipation oft nur solange unterstützt wird, solange man nicht über die Aufteilung von Macht und Kontrolle spricht. Arnstein unterscheidet in verschiedene Ebenen von Partizipation. Auf der einen Seite wird Partizipation nur als Therapie oder als Pseudopartizipation verwendet, wo es nur darum geht, dass man die Leute ein bisschen mitreden lässt, sie aber nicht wirklich Einfluss darauf haben, was schlussendlich passiert. Auf der anderen Seite ist Partizipation etwas, wo es wirklich um gemeinsames Gestalten und gemeinsames Entscheiden geht. Man muss sich also ansehen, von was für einer Art der Partizipation wir reden. Was hat die Stadtverwaltung davon und was haben die Bürgerinnen und Bürger davon?

Gleichzeitig muss man sagen, dass Partizipation auch negative Aspekte hat. Durch Civic Technologies zum Beispiel kann man sehr schnell in einen Inkrementalismus verfallen. Jeder ist dafür verantwortlich seinen Teil beizutragen, aber dadurch werden die eigentlichen systemischen Probleme überdeckt. Zum Beispiel in New York ist in den 1970er Jahren das erste Mal das riesige Problem mit den ganzen Plastikflaschen aufgetaucht, die den Müll dominiert haben. Damals hat die Stadtverwaltung überlegt, dass sie einfach die ganzen Getränkehersteller besteuert und gleichzeitig ihnen die Verantwortung gibt, dass sie den ganzen Müll, den sie produzieren, auch wieder beseitigen. Die Getränkehersteller haben dann aber etwas relativ schlaues gemacht. Sie haben gesagt, dass das eigentlich die Verantwortung der Konsumentinnen und Konsumenten ist und jeder seinen Teil selbst dazu beitragen muss. Die Konsumentinnen und Konsumenten sollten recyceln und deshalb haben die Getränkehersteller ein partizipatives Projekt ins Leben gerufen, das letztendlich zu einem Recyclingsystem geworden ist. Die Stadt holt einmal in der Woche die ganzen Plastikflaschen ab und finanziert das über Steuern. Was eigentlich ursprünglich die Getränkehersteller hätten bezahlen sollen, ist jetzt sowohl als finanzielle, als auch als arbeitsmäßige Verantwortung auf die einzelnen Bürgerinnen und Bürgern übertragen worden.

Das ist ein großes Problem von Partizipation, dass es sehr schnell in eine Individualisierung von Verantwortung geht. Aber natürlich glaube ich schon, dass die Stadt und die Verwaltung partizipativer werden. Einfach, weil es heute mehr Kommunikationswege gibt und Informationen leichter zu transportieren sind.

Jeder zweite Mensch lebt heute in der Stadt. Ist deiner Meinung nach irgendwann eine Trendumkehr zurück in ländliche Regionen möglich?

Dietmar Offenhuber: Ja, das glaube ich sicher! Ich meine, es gibt sicher irgendwann einmal wieder den Punkt, wo Immobilienpreise in den Stadtzentren so unerträglich werden, dass die Leute wieder ausweichen.

Seit Ende November zeigt der „Geo-Cosmos“ im Miraikan eine Animation von Dietmar Offenhuber und dem Ars Electronica Futurelab. „Sorting Out Cities” lautet der Titel der Projektion, die unterschiedliche Daten über Städte darstellen kann.

Dietmar Offenhuber ist Assistant Professor für Art + Design und Public Policy an der Northeastern University in Boston. Er promovierte in Stadtplanung am Massachusetts Institute of Technology, studierte am MIT Medialab und der TU Wien. Dietmar beschäftigt sich mit formeller und informeller Infrastruktur und hat mehrere Bücher im Bereich Stadt und Technologie veröffentlicht.

Mehr Informationen zum Ars Electronica Festival 2015 finden Sie unter: https://ars.electronica.art/postcity/

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