Fahrradfahren als Philosophie

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Wir berichteten bereits über Anita Brunnauer, Dietmar Offenhuber und Ursula Feuersinger, die im Rahmen von künstlerischen Residencies im Ars Electronica Futurelab Kunstprojekte zum Jahresthema „In/Visible City“, des Kulturprojekts Connecting Cities, realisierten. Mit Christoph Fraundorfer und Florian Born waren nun zwei weiter Künstler Gast im Ars Electronica Futurelab, um ein gemeinsames Projekt zu diesem Thema umzusetzen. ESEL-COMPLAIN versucht durch die Verbindung von zwei Projekten das Fahrradfahren im Stadtraum so angenehm wie möglich zu gestalten. Auto-Complain detektiert mithilfe einer App Schlaglöcher, indem das Smartphone am Lenker befestigt wird. Diese Schlaglöcher werden in einer Onlinedatenbank eingetragen und während der Fahrt mit einer Sprühdose markiert. myESEL entwickelt Fahrräder die auf individuelle Bedürfnisse oder spezielle Anforderungen angepasst werden können. Diese Flexibilität bietet die perfekte Möglichkeit Auto-Complain direkt in das Fahrrad zu integrieren.

Im Interview verraten uns die beiden, warum für sie Fahrradfahren eine Philosophie ist und wie sie mit ihrem Projekt auch andere dazu motivieren wollen mehr mit dem Fahrrad zu fahren.

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Bei dem Projekt ESEL-COMPLAIN verbindet ihr eure zwei Projekte, nämlich myESEL und Auto-Complain, miteinander. Was verbindet euch beide?

Christoph Fraundorfer: Uns verbindet, dass wir das Fahrradfahren als Philosophie sehen. Wir wollen mit unserem Projekt mehr Menschen davon überzeugen, wie toll das Radfahren ist. Das hängt natürlich zum einen von der Qualität des Fahrrads ab und ob das Rad für den Nutzer und für die Nutzerin passt. Genauso wichtig ist es aber auch Städte fahrradfreundlicher zu gestalten. Radverkehr schafft für den Stadtraum zahlreiche Vorteile, erzeugt keinen Lärm und ermöglicht Orte der Begegung. Dort, wo sehr dichter Autoverkehr ist, ist kein Stadtraum mehr. Die Menschen wollen dort nur von A nach B kommen und das ist für meine Begriffe kein Lebensraum mehr. Man trifft sich nicht mehr, jeder fährt alleine irgendwo hin und der Stadtteil wird dadurch auch extrem abgewertet. Das Paradebeispiel einer fahrradfreundlichen Stadt ist natürlich Amsterdam. Ich war vor kurzem in Zürich, dort war es ähnlich. Es ist plötzlich so viel Raum vorhanden. Die Fahrbahnen werden reduziert, viel mehr Leute fahren mit dem Rad, man kommt super vorwärts und man hat ein ganz anderes Gefühl in der Stadt. Es ist so viel los, es sind so viele Leute auf den Straßen und die Stadt lebt und pulsiert ganz anders.

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Florian, deine App, Auto-Complain, detektiert automatisch Schlaglöcher, wenn man mit dem Fahrrad darüber fährt. Welche Geschichte steckt hinter der App?

Florian Born: Das ganze kommt daher, dass ich in meiner Heimatstadt Bremen drei Jahre lang als Fahrradkurier gefahren bin. Dabei hat mich weder Wind noch Wetter gestört. Was mich aber gestört hat, waren die vielen Schlaglöcher auf den Straßen. Ich hab mich dann gefragt, wie das funktioniert, wenn man sich bei der Stadtverwaltung darüber beschweren möchte und da habe ich herausgefunden, dass das sehr kompliziert ist und mit sehr viel Aufwand verbunden ist. Nachdem wir alle heutzutage ständig mit einem Smartphone unterwegs sind und einige das auch schon als Navigationsgerät nutzen, habe ich mir überlegt, man könnte die Sensoren dieses Geräts einfach dazu nutzen das Beschwerdemanagement zu automatisieren. Dadurch würden die Unannehmlichkeiten direkt erkannt und man muss sich selbst nicht damit beschäftigen. Man fährt also über ein Schlagloch und das Smartphone sendet automatisch eine Beschwerde. Durch dieses Projekt bin ich ein wenig in den Bereich der Beschwerden eingetaucht. Vor allem Deutschland ist ja bekannt für seine bürokratischen Prozesse und wenn man Formular „XY“ nicht richtig ausgefüllt hat, landet die Beschwerde sowieso im Papiermüll. Deswegen habe ich überlegt, wie man das Beschwerdemanagement vereinfachen und gleichzeitig die Beschwerde auf nette Art und Weise vorbringen könnte. Normalerweise sind Beschwerden immer sehr negativ behaftet und das wollte ich in eine positive Richtung bringen, indem man aufzeigt, dass man ein Schlagloch gefunden hat und es nett wäre, wenn sich jemand darum kümmern würde.

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Florian, du bist Interaction Designer, der zwischen New Media Art und Mediengestaltung arbeitet. Auto-Complain ist ein sehr praktisches Tool. Kann es auch als Kunst bezeichnet werden?

Florian Born: In der tat würde ich diese Projekt eher dem Gestaltungbereich zuordnen. Aber mein Projekt besteht auch noch aus einem Spray Device – eine Sprühdose, die hinten am Fahrrad befestigt ist, die automatisch ein Schlagloch markiert, wenn man darüber fährt. Diesen Teil würde ich zwar nicht direkt dem Bereich der Medienkunst zuordnen, aber es hat einen leichten Performance Charakter mit diesem Spray Device durch die Straßen zu fahren. Das Projekt hat also zwei Teile, die ein bisschen in beide Richtungen gehen.

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Christoph, du bist Gründer des Bike-Startups „myESEL“. Was fasziniert dich am Design von Fahrrädern?

Christoph Fraundorfer: Die Idee entstand ebenfalls aus einem bestimmten Problem heraus. Ich mache sehr viel Sport und habe mir eines Tages eine Knieverletzung zugezogen. Der Arzt meinte, ich solle am Fahrrad trainieren, um wieder Muskeln aufzubauen. Fahrradfahren ist eines der besten Trainingsgeräte, wenn man Knieprobleme hat. Mein Physiotherapeut hat mich dann mit meinem Fahrrad fahren gesehen und hat gemeint, dass ich völlig falsch auf dem Fahrrad sitze und dadurch die Verletzung eher noch schlechter, als besser werden würde. Dadurch ist mir bewusst geworden, dass sicher viele Leute keine Ahnung haben, wie man eigentlich gesund und auch effizient am Fahrrad sitzt. Es werden sehr viele standardisierte, fertig zusammengebaute Räder verkauft, die aber gar nicht zu den Kundinnen und Kunden passen. Die Leute sind sich dem aber auch gar nicht bewusst. Mein Physiotherapeut hat mir dann erklärt, wie man gesund und richtig am Fahrrad sitzt. Deshalb habe ich überlegt, mir selbst ein Fahrrad zu bauen, das wirklich ergonomisch für mich passt und ich dann auch wirklich einen Trainingseffekt habe. Ich bin 1,95 Meter groß und gerade, wenn man eine spezielle Größe oder Proportionen hat, ist es sehr schwer ein passendes Produkt zu finden. Das war eigentlich der Start des Projekts. Ich habe mir dann eine Konstruktion überlegt, bei der keine Mehrkosten entstehen, wenn in einer Massenproduktion unterschiedliche Formen oder Größen produziert werden. So hat sich die Möglichkeit ergeben auf der Website von myESEL einen Konfigurator anzubieten, bei dem Kundinnen und Kunden ihre Fahrräder selbst generieren können.

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Über diesen Konfigurator kann sich jeder sein Bike selbst zusammenstellen?

Christoph Fraundorfer: Derzeit sind wir noch in der Prototyp-Phase. Ab Sommer vertreiben wir eine limitierte Anzahl von personalisierten Fahrrädern an „early adopters“. 2016 starten wir den Verkauf über den Online-Konfigurator und ausgewählte Fachhändler. Dabei gibt man seine Körpermaße in ein online Formular ein. Automatisch wird berechnet, wie die optimale Positionierung des Körpers auf einem Fahrrad wäre. Aufgrund dieser Positionierung wird dann die Rahmengeometrie des Fahrrads berechnet. Sobald man auf „kaufen“ klickt, werden die ganzen Produktionsdaten erzeugt und das Rad wird als Unikat produziert. Es ist aber trotzdem erschwinglich, weil wir das in einem Prozess machen, bei dem man tausend gleiche oder tausend unterschiedliche Räder produzieren kann und die Kosten wären ident.

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Bei ESEL-COMPLAIN verbindet ihr eure beiden Projekte miteinander. Wie schwierig ist es, zwei Projekte, die unabhängig voneinander entwickelt wurden, zu einem Projekt zu kombinieren?

Florian Born: Das geht in unserem Fall sehr gut, weil wir beide einen sehr ähnlichen Anspruch an die Projekte haben. Die Projekte haben zwar sehr unterschiedliche Ansätze, aber sie haben dieselbe Intention – nämlich das Ziel, dass die Stadt eine bessere Plattform für Fahrradfahrer wird und Leute dazu motiviert werden mehr Fahrrad zu fahren und mehr Spaß daran zu haben. Mein Ansatz geht dabei in Richtung Beschwerden, um die Infrastruktur zu optimieren.

Christoph Fraundorfer: Genau und mein Ansatz richtet sich eher an die Angebotsseite. Wir wollen ein Produkt anbieten, das das Fahrradfahren noch besser macht und noch mehr Fahrfreude bietet. Darauf liegt auch der Fokus von myESEL. Die Räder werden für die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzer optimiert. Das bedeutet nicht nur die Berechnung der richtigen Rahmengeometrie, die Bikes können auch hinsichtlich der Typologie und des Designs mitgestaltet werden. Bisher werden oft Fahrräder gekauft die den Wünschen des Kunden am ehesten entsprechen – und auf Lager sind. Das myESEL-System bringt die nötige Flexibilität in das Projekt ESEL-COMPLAIN hinein, was die Kombination der beiden Projekte unterstützt.

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Wie viele ESEL-COMPLAIN Bikes werdet ihr herstellen? Können auch andere diese Bikes nutzen oder visualisiert und kartographiert nur ihr die Schlaglöcher?

Christoph Fraundorfer: Zunächst einmal soll ein Bike entstehen, mit dem Testfahrten gemacht werden.

Florian Born: Die App ist momentan noch nicht erhältlich, was daran liegt, dass Auto-Complain damals unter einer Studentenlizenz entwickelt wurde und ich gerade dabei bin die App noch zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. Natürlich wäre es schön, wenn es irgendwann einmal so weit kommt, dass wirklich viele Leute die App nutzen oder das sie in bestehende Apps integriert wird. Das macht das Projekt eigentlich aus, dass es nicht nur eine Person nutzt, sondern dass es viele Nutzen und somit eine quantitative und qualitative Sammlung an Daten entsteht, die Missstände im Stadtraum aufzeigt. Im Optimalfall reagieren Stadtverwaltungen auf diesen Ruf der fahrradfahrenden Gesellschaft und bessern die Schlaglöcher aus.

Wie glaubt ihr, reagiert die Stadtverwaltung auf euer Projekt? Werden sie eurem Projekt eher negativ gegenüberstehen, weil ihr die Straßen mit Farbe ansprüht oder eher positiv, weil ihr ihnen Arbeit abnehmt?

Florian Born: Wenn man mich jetzt fragen würde, ich könnte es nicht verstehen, wenn die Regierung oder das Straßenbauamt dem nicht positiv gegenüber stehen würde, weil es ihnen wahnsinnig viel Arbeit abnimmt. Als ich hier im Ars Electronica Futurelab angekommen bin, haben zufällig Begutachtungen von Schlaglöchern auf der Nibelungenbrücke stattgefunden. Das ist ein sehr manueller Prozess, der sehr aufwändig ist. Wenn man dann also diese Daten direkt bekommt, wo die größten Probleme sind, ist das eigentlich eine Win-win-Situation – der Fahrradfahrer bekommt seine perfekte Fahrbahn und das Straßenbauamt muss die Daten nicht selbst zusammensuchen. Das ist eine Prozessoptimierung. Deshalb denke ich mir, dass sie sich gegen so eine Ansatz nicht wehren werden.

Christoph Fraundorfer: Ich sehe das genauso. Ich denke, es ist im Interesse von allen. Wichtig dabei ist, dass die Daten automatisiert eingepflegt werden, dass es keine manuelle Arbeit und keinen Mehraufwand für die Verwaltung bedeutet.

Der Oberösterreicher Christoph Fraundorfer ist Architekt, Designer und Gründer des Linzer Bike-Startups „myESEL“. Bereits während des Architekturstudiums an der TU Wien legte er den Fokus auf Möbel- und Produktdesign – „Rocking Chair“, Ausstellung Zumtobel, 2010 – und realisierte verschiedenste Projekte mit THUM Architekten, Atelier Löwy und Querkraft Architekten – „Lichtbäume“, Technisches Museum Wien 2011. Seit 2012 leitet er seine Firma „Von Johann“ – Design und Prototypenbau (Kohlefaser- & Glasfaser Composites). Produktionen: „Stretched Bench“; „Tree Pots“, Linz 2013.

Florian Born ist ein Interaction Designer, der vorwiegend im Grenzbereich zwischen New Media Art und Mediengestaltung arbeitet. Seine Projekte beschäftigen sich mit der Verbindung von virtuellen und physischen Räumen. Dabei beschäftigt er sich viel mit neuen Technologien, dem Bereich des Creative Codings, aber auch mit dem handwerklichen Schaffen von Dingen. 2013 schloss er seinen Bachelor of Arts im Studiengang Digitale Medien an der Hochschule für Künste in Bremen ab. 2015 wurde Florian Born vom Rat für Formgebung mit dem German Design Award (Gold) für Newcomer ausgezeichnet und gewann einen New Face Award auf dem Japan Media Arts Festival in Tokyo. Momentan lebt Florian in Berlin, wo er im Masterstudiengang in der Advanced New Media Class der Universität der Künste Berlin studiert. Parallel dazu arbeitet er für die Forschungsgesellschaft Fraunhofer.

Das Ergebnis von ESEL-COMPLAIN wird beim Ars Electronica Festival, von 3. – 7. September, ausgestellt sein: https://ars.electronica.art/postcity/de/

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