Digital Spring 2016: Was kann digitaler Aktivismus?

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Wie kann die Zivilgesellschaft digitale Technologien nutzen, um gesellschaftliche und politische Veränderungen zu bewirken? Die InitiatorInnen des Medienkunstfestivals „Digital Spring 2016“, das erstmals von 6. bis 13. März 2016 in Salzburg stattfinden wird, sind auf der Suche nach künstlerischen Beiträgen zum Thema und stellen je nach Art und Umfang des Projekts zwischen 300 bis 3.000 Euro an Fördergeld und Räumlichkeiten in Aussicht. Einreichschluss ist bereits der 1. November 2015. Wir haben uns mit Cornelia Anhaus von ARGEkultur unterhalten und die medienkünstlerische Perspektive auf demokratische Defizite genauer angeschaut.

Was verstehen Sie eigentlich unter dem Begriff „Artivism“, das Motto des ersten „Digital Spring“ Medienkunstfestivals?

Cornelia Anhaus: Der Begriff „Artivism“ setzt sich aus Kunst und Aktivismus, also art und activism, zusammen. Dieser umfasst für mich künstlerische Aktionen und Interventionen, die gesellschaftspolitisch relevante Gegenstände, unkonventionell, verhandeln und damit versuchen, öffentliches Bewusstsein zu schaffen oder Ist-Zustände zu kritisieren und zu verändern, wie dies etwa die Aktionen der Yes Men tun, das Peng Collective oder das Zentrum für politische Schönheit, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Eine Brücke von Nordafrika nach Europa – eine Vision des Zentrums für politische Schönheit

Das Festival „Digital Spring“ will sich mit den demokratischen Defiziten unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Welche Rolle kann Medienkunst hier einnehmen?

Cornelia Anhaus: Medienkunst als eine der jüngsten und innovativsten Bereiche des interdisziplinären Kunstschaffens eignet sich ausgezeichnet, um auf subversive Art auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.  Dem digitalen Aktivismus im Allgemeinen wird eine wesentliche Rolle in den politischen Umwälzungen des Arabischen Frühlings zugeschrieben, ebenso wie in der kapitalismus- und obrigkeitskritischen Bewegung „Occupy Wallstreet“. Die kunsttheoretische Definition des Begriffs „Tactical Media“ geht bereits in die 1990er-Jahre zurück. Sie beschreibt Medienkunst-Aktionen, die die vorherrschenden politischen und ökonomischen Systeme thematisieren und kritisieren.

„Hacker, Hoaxer, Whistleblower“ – nicht nur das Internet-Phänomen „Anonymous“ hat viele Gesichter, sondern der digitale Aktivismus an sich. Mit dem Internet und den sozialen Medien muss der Protest nun auch nicht mehr zwingend von den klassischen Medien aufgegriffen werden, um Öffentlichkeit und Wirksamkeit zu erzielen – der Traum vom Selbermachen wird greifbar, der die unerträgliche Leichtigkeit des virtualisierten Seins kompensieren soll und kann.

„Holographischer“ Protest in Spanien

Im April 2015 protestierten etwa Tausende Menschen aus aller Welt vor dem Kongress in Madrid – als Hologramm. Vor Ostern war das „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ in Kraft getreten, das vorsieht, Menschen, die vor dem spanischen Parlament demonstrieren, mit einem Bußgeld von bis zu 600.000 Euro zu bestrafen. Als Aktion zivilen Ungehorsams wurde die Demonstration dreidimensional vor der spanischen Volksvertretung projiziert. Die TeilnehmerInnen hatten ihr Gesicht zuvor für die „weltweit erste holographische Demonstration“ auf einer Internetseite des Bündnisses „Wir sind kein Delikt“ eingescannt. Eine Sprecherin des Bündnisses erklärte damals: „Mit unserer Initiative erzählen wir von einer surrealistischen Zukunft, in der du dich erst entmaterialisieren musst, um die fehlende Meinungsfreiheit anzuklagen“.

In den vergangen Wochen ist Salzburg zu einem Knotenpunkt für Flüchtlinge geworden – welche Rolle spielen digitale Technologien und soziale Medien bei diesem gesellschaftlichen und politischen Thema?

Cornelia Anhaus: Eine ganz wesentliche! Sowohl was Aufklärungsarbeit wie generelle Infos über Fluchtgründe zum Beispiel als auch die ganz konkrete Koordination der Flüchtlingshilfe betrifft – von Aufrufen an benötigten Spenden bis zu Infos, wann wo welche HelferInnen benötigt werden. Diese Kommunikationsströme sind in ihrer Geschwindigkeit allen offiziellen und herkömmlichen Verbreitungskanälen weit voraus. Auch die Motivation und Solidarität wird durch in sozialen Medien verbreitete „Good News“ gefördert und spielt eine wichtige Rolle, um sich auch weiterhin zu engagieren und den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Der Begriff „Vernetzte soziale Räume“ bekommt hier eine reale Bedeutung.

„Werde Fluchthelfer.in“ – Eine Kampagne des Peng Collective

Der Open Call für das Digital Spring Festival 2016 läuft noch bis 1. November 2015. Was sollen KünstlerInnen berücksichtigen, wenn sie ihre Projekte einreichen?

Cornelia Anhaus: Die eingereichten Ideen und Konzepte sollen sich konkret mit Salzburg und seinen demokratischen Defiziten beschäftigen, aktuelle Anlässe bearbeiten – vom sektoralen Bettelverbot über nicht-geahndete rechte Vandalenakte bis zur Flüchtlingsthematik. Wir haben das auf unserer Facebook-Seite zum Call zusammengefasst. Das kann und soll natürlich auch im globalen Kontext gedacht werden. Ebenfalls müssen die Projekte nicht per se in einer der teilnehmenden Kulturinstitutionen wie ARGEkultur, subnet, Kunstverein und Fotohof verwirklicht werden. Denkbar sind auch künstlerische Projekte, die im öffentlichen Raum stattfinden oder nur im Web. Wir suchen nicht-kommerzielle Medienkunst-Projekte, die Bewusstsein schaffen für gesellschaftspolitische Konfliktzonen und diese künstlerisch innovativ ausloten. Dabei kann die Definition von Medienkunst nach Inke Arns inspirierend sein:

„Medienkunst schaut auf eine Welt, die durchdrungen ist von digitaler Technologie und fokussiert unsere Aufmerksamkeit darauf. Eine solche Medienkunst tut dies nicht auf spektakuläre Weise und ist selbst oft auch gar nicht zwingend digital, denn es sind nicht die (Medien-)Technologien an sich, die im Vordergrund stehen, sondern ihre Wirkungsweisen auf unser Verhalten. Diese Art von erweiterter, manchmal fast beiläufiger Medienkunst verzichtet mitunter gar auf den Einsatz technischer Medien und behält sich stattdessen für die Bewusstmachung der Rolle von Medien in unserem Alltag (und gegebenenfalls die Formulierung von Alternativen) die freie Wahl der Mittel vor. Die Medienkunst beginnt so, sich vom Zwang der Verwendung neuer Medien und neuer Technologien zu emanzipieren.“

anhaus

Cornelia Anhaus, geboren 1977, studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Salzburg. Während des Studiums zahlreiche journalistische Tätigkeiten u. a. als Pressereferentin der ÖH-Salzburg, für den Kunstfehler, das Salzburger Monat, corpus, etc. sowie Fotoarbeiten für diverse Ausstellungen und KünstlerInnen („Ich bin eine Demonstration und finde überall statt“, „Lange Nacht für den Frieden“, tanz_house festival, Alix Eynaudi, Zoë Knights, gold extra, etc.). Nach ihrem Abschluss arbeitete sie drei Jahre für die Szene Salzburg, u. a. als Dramaturgin und Ko-Kuratorin für das sommerszene festival sowie im Bereich Produktion für diverse apap-Projekte („advancing performing arts project“), u. a. in der Tanzfabrik Berlin. Seit 2009 ist sie als Dramaturgin und Künstlerische Assistenz in der ARGEkultur tätig sowie als Kuratorin des jährlichen Open Mind Festivals und des biennalen Digital Spring Festivals. 2013 erhielt sie ein „Trainee-Stipendium zur Förderung von Führungskräften im Kunst- und Kulturbereich“ des damaligen bm:ukk, das sie im „Playhouse Theatre and Arts Centre “ im nordirischen Derry-Londonderry absolvierte. Seit 2014 ist sie Mitglied im Vorstand des Dachverbands Salzburger Kulturstätten, seit 2015 stellvertretende Vorsitzende. (Foto: Jan-Nahuel Jenny)