Das Herz schlägt in 3-D

mevisdeepspace,

Über Hunderttausend Mal am Tag schlägt das Herz eines Erwachsenen – über drei Milliarden Mal im Leben eines Menschen. Grund genug, sich die Funktionsweise dieser organischen Pumpe in uns genauer anzusehen. Mit einer eigens entwickelten 3-D-Visualisierung des menschlichen Herzens präsentiert das Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS im Deep Space 8K des Ars Electronica Center neue Ansichten des „Universums Mensch“. Grundlage dieses virtuellen Anatomiesaals bietet die vom Ars Electronica Futurelab speziell für den Deep Space 8K entwickelte Plattform.

Aus unterschiedlichen Perspektiven wird dabei veranschaulicht, wie das Blut durch die Gefäße strömt. Der Film zeigt nicht nur ein dreidimensionales Abbild eines pumpenden Herzens, das aus Schichtbildern eines CT-Scanners erzeugt wurde. Die Visualisierung veranschaulicht mit echten medizinischen Daten eines MR-Tomographen besonders gut die Geschwindigkeit des Blutflusses und die Druckverteilung im Herzen. Wir haben mit Mathias Neugebauer vom Fraunhofer MEVIS über Visualisierungen in der Medizin gesprochen, die uns künftig belastende invasive Eingriffe ersparen können.

Die Darstellung von Blutströmen durch das Herz knüpft an Simulationen bei Windkanal-Experimenten an. Wie sind Sie darauf gekommen, abseits des eigentlichen Fachgebiets nach Antworten zu suchen?

Mathias Neugebauer: Visualisierungen orientieren sich oft an Gegebenheiten und visuellen Reizen, die wir aus dem Alltag gewohnt sind. Dies reicht von der Farbwahl, etwas Rot für Gefahr oder Achtung, bis hin zu komplexen Formen und Piktogrammen, wie der Darstellung von Richtungshinweisen durch Pfeile. Durch dieses Zurückgreifen auf bekanntes und erlerntes Wissen und Erfahrungen, kann sich der Betrachter auf die dargestellte eigentliche Information konzentrieren, ohne vorher eine neue Bildsprache lernen zu müssen.

Ingenieure nutzten ursprünglich Strömungsvisualisierungen, um den am Computer simulierten Luftwiderstand von Flugzeugen abzubilden. Es lag nahe, die aus Windkanalexperimenten bekannten Elemente, wie Fäden und Rauchspuren, in der digitalen Darstellung nachzuahmen. Als die Strömungsvisualisierung in der Medizin zum Einsatz kam, wurden etablierte Visualisierungstechniken, wie Strömungslinien, übernommen. In speziellen Fällen, wie der Strömungsdarstellung auf Ultraschallbildern, wird wiederum auf die dort etablierte Bildsprache zurückgegriffen: Blut, das zum Schallkopf fließt wird rot, wegfließendes Blut blau dargestellt. Welche Visualisierungstechnik sinnvoll ist, hängt letztendlich vom Anwendungsgebiet der erzeugten Bilder ab.

bloodflow

Visualisierung des Blutflusses im Herzen, Credit: Fraunhofer MEVIS

Was ist ihrer Meinung nach die schwierigste Aufgabe, wenn es um die Visualisierung von Funktionsweisen des menschlichen Körpers geht?

Mathias Neugebauer: Viele Funktionen im Körper sind ein Zusammenspiel verschiedener Prozesse. Einen Prozess, wie den Blutstrom im Herzen, einzeln darzustellen, ist deswegen nicht ausreichend. Damit er korrekt interpretiert werden kann, müssen Kontextinformationen, wie Form und Lage der Herzgefäße, präsentiert werden. Dies kann dazu führen, dass sich der Kontext und die eigentliche Information räumlich überlagern. Um dieser visuellen Überfrachtung entgegenzuwirken, kommen verschiedene Visualisierungs- und Filterungsmethoden zum Einsatz. Ziel ist es, eine ungestörte Betrachtung der gewünschten Information zu ermöglichen, während der Kontext noch ausreichend präsent bleibt, um die Informationen korrekt interpretieren zu können. Im Fall der Herzvisualisierung haben wir nur die größeren Herzgefäße dargestellt (Filterung) und dafür eine Technik mit einer durchscheinenden Transparenz bei gleichzeitiger Kantenbetonung verwendet (Visualisierung).

„Für die Erzeugung einer informativen Visualisierung ist die Wahl der Technik und die Entscheidung, welche Information wie gefiltert werden sollen, eine wichtige Stellschraube.“

Dabei spielen nicht nur die darzustellenden Daten, sondern auch der Betrachter, der sie interpretieren soll, zentrale Rollen. So sollte eine Visualisierung, die dafür bestimmt ist, einen Patienten über seine derzeitige Situation aufzuklären, allgemeiner gestaltet sein und durch zusätzlichen Kontext ergänzt werden. Eine Visualisierung, die einen Mediziner bei seiner Diagnose unterstützt, sollte sich wiederum nur auf die wesentlichen Informationen beschränken, um nicht abzulenken. Generell ist es bei der Konzipierung von Visualisierungen immer wichtig, den Betrachter und seine Bildsprache zu kennen.

asl

Arterielle Blutgefäße im Hals (Orange und Blau). Ein spezielles MR-Aufnahmeverfahren, das Arterial Spin Labeling (ASL), regt die magnetischen Momente in einer MR-Schicht (blaues Quadrat) an, sich zu drehen. Diese magnetische Umkehrung um 180 Grad markiert das Blut, das die Schicht passiert. Credit: Fraunhofer MEVIS

Menschen erschaffen Bilder, um sich damit selbst besser zu verstehen. Worin sehen Sie Vorteile oder vielleicht auch Nachteile beim Einsatz von Bildern in der Medizin?

Mathias Neugebauer: Menschen sind stark visuell geprägt. Ein Bild spricht einen Menschen auf sehr direkte Weise an. Ist die Visualisierung gut gestaltet, ermöglicht dieser direkte Zugang, dass der Betrachter komplexe Zusammenhänge auf intuitive Weise erfassen kann. Davon profitieren gerade medizinische Visualisierungen, da oft mehrere Prozesse oder Informationen im Zusammenhang vermittelt werden müssen, wie die Verwirbelung des Blutes im Zusammenspiel mit der Form des Blutgefäßes.

„In dieser intuitiven Interpretation von Bildern liegt allerdings auch eine Gefahr. Menschen neigen dazu, den in Bildern dargestellten Informationen recht schnell zu vertrauen. Deswegen ist es wichtig, dass der Betrachter ein grundsätzliches Verständnis dafür hat, wie die Visualisierung erzeugt wurde.“

Wird ein Teilgefäß nicht dargestellt, kann dies viele Gründe haben: es wurde während der Aufnahme nicht von Kontrastmittel durchspült, es wurde während der Segmentierung nicht korrekt als Gefäß erkannt, es wird aufgrund der Filterung gerade nicht dargestellt oder ist aufgrund der gewählten Visualisierungstechnik nicht sichtbar. Die bei der Betrachtung des erzeugten Bildes eigentlich naheliegende Interpretation, nämlich, dass es nicht da ist, wäre in diesen Fällen nicht korrekt.

Deswegen muss ein Mediziner, der seine Diagnose auf Bilder stützt, wissen, wie diese Bilder entstanden sind und wie präzise die dargestellten Informationen sind. Ein gutes Visualisierungssystem unterstützt den Betrachter dabei, indem unsichere Bereiche markiert oder visuell abgeschwächt werden und weitere Bildquellen zur Verfügung stehen, um Mehrdeutigkeiten auflösen zu können.

Ein Beispiel aus einem anderen Forschungsgebiet sind Unsicherheitsvisualisierungen bei der Darstellung von Nervenfaserbahnen im Gehirn. Um die aus den Bilddaten extrahierten Faserbahnen wird ein diffuser Unsicherheitsbereich eingeblendet. Aufgrund von Ungenauigkeiten in den Bilddaten besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch dort Nervenbahnen verlaufen. Diese zusätzliche Information hilft dem Chirurgen, die Entfernung eines Tumors so zu planen, dass möglichst keine Nervenbahnen verletzt werden.

cta

Das Skelett und das arterielle Gefäßsystem eines Mannes. Diese spezielle Röntgenaufnahme ist eine sogenannte Angiographie, bei der der Arzt dem Patienten ein Kontrastmittel spritzt. Es verhilft dem Blut in den Gefäßen zur Sichtbarkeit, indem es die Strahlung des CT-Scanners absorbiert. Credit: Fraunhofer MEVIS

Derzeit arbeiten Sie an zwei weiteren Visualisierungen für „Universum Mensch“, die demnächst im Deep Space 8K des Ars Electronica Center zu sehen sein werden. Welche sind das?

Mathias Neugebauer: Die erste Visualisierung basiert auf einem „Whole Body CT“, einem den ganzen Körper umfassenden computertomographischen Datensatz. Dabei wollen wir zeigen, wie bei Fraunhofer MEVIS entwickelte Segmentierungsmethoden dabei helfen, zwischen Knochen und Organen zu unterscheiden. In einem CT sehen kontrastverstärkte Gefäße und Knochen farblich gleich aus. Wenn Gefäße dicht an Knochen entlang verlaufen, wie an den Halswirbeln, ist es sehr schwierig bis unmöglich, Aussagen über den Zustand der Gefäße zu treffen. Nach der Segmentierung hingegen ist eine differenzierte Diagnostik möglich.

In der zweiten Visualisierung wollen wir vermitteln, wie mithilfe einer speziellen Konfiguration der Magnetfelder in einem MR-Scanner, dem sogenannten „Arterial Spin Labeling“ (ASL), Blut magnetisch markiert und seine Verteilung in den verschiedenen Hirnbereichen sichtbar gemacht wird. Eine Anwendung dafür ist die Schlaganfall-Diagnostik. Kommt in bestimmten Hirnbereichen kein magnetisiertes Blut an, bleibt das MR-Bild dort dunkel und man weiß, dass mit einer zielgerichteten Schlaganfall-Therapie begonnen werden muss. Man spart sich den finanziellen und zeitlichen Aufwand der Kontrastmittelgabe.

Hinweis: Am SA 14.11. und SO 15.11.2015, jeweils 10:00 bis 18:00, widmet sich das Ars Electronica Center in einem eigenen Deep-Space-Wochenende mit aufschlussreichen Visualisierungen und Vorträgen dem Thema „Universum Mensch“. Die beiden neuen Visualisierungen von Fraunhofer MEVIS werden demnächst im Deep Space 8K zur Verfügung stehen.

neugebauer

Dr.-Ing. Mathias Neugebauer hat von 2001 bis 2007 Computervisualistik an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg studiert. Im Rahmen seiner Studien- und Diplomarbeit in der AG Visualisierung hat er sich erstmals mit dem Thema der medizinischen Visualisierung auseinandergesetzt. Für seine Dissertation, die er während seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der AG Visualisierung (2007-2014) angefertigt hat, beschäftigte er sich mit der interaktiven Exploration komplexer Blutflussvisualisierungen im Gehirn. Seit 2014 arbeitet er bei Fraunhofer MEVIS und beschäftigt sich unter anderem mit der computergestützten Diagnose- und Therapieunterstützung bei angeborenen Verengungen der Hauptschlagader.

, , ,