Nick Ervinck: 3-D-Druck aus Leidenschaft

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Organische Strukturen und verdrehte Häuser – die Kunstwerke von Nick Ervinck sind ein ganz besonderer Blickfang. Schließlich ähneln sie Organen und Gefäßen von Lebewesen und stellen gleichzeitig zur Schau, welche Skulpturen dank 3-D-Druck in die Wirklichkeit überführt werden können. In der Ausstellung „Elements of Art and Science“ im Ars Electronica Center können ausgewählte Werke des belgischen Künstlers von allen Winkeln betrachtet werden.

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Nick Erwinck präsentierte beim Ars Electronica Festival 2015 seine Arbeiten in Linz. Credit: Tom Mesic

Die Ausstellung “Elements of Art and Science” zeigt derzeit einige Ihrer 3-D-Drucke. Warum sind Sie vom 3-D-Druck so fasziniert?

Nick Ervinck: Ich bin von der gegenwärtigen Bildhauerei etwas enttäuscht – und auch davon, dass hier ein gewisses Maß an Erneuerung fehlt. Darum habe ich mich den neuen Medien zugewandt und eine neue Sprache mittels Computersoftware entwickelt, die es ermöglicht, Formen zu schaffen, die bislang noch undenkbar gewesen sind. Der Computer bietet dazu neue Wege des Gestaltens und Denkens. Mit dem 3-D-Druck kann ich beinahe jede Art von komplizierten Geometrien herstellen und neue Lösungen in der Bildhauerkunst finden.

Obwohl ich die Techniken des Kopierens und des Einfügens in einer 3-D-Software nutze, beinhalten meine Arbeiten zahlreiche Referenzen zur Tradition der Bildhauerei – wie Arbeiten von Hans Arp, Henry Moore oder Barbara Hepworth – und zur Architektur – man denke nur an Greg Lynn, der die Blob-Architektur als ein konstruktives Prinzip einführte. Ich interessiere mich besonders dafür, wie die Computer dazu verwendet werden können, um neue, organische und experimentelle Räume und Skulpturen innerhalb von Skulpturen zu realisieren.

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AGRIEBORZ, Credit: Martin Hieslmair

Wenn Sie organische Formen wie ELBEETAD oder AGRIEBORZ erschaffen, woher nehmen Sie Ihre Inspiration? Lesen Sie medizinische Bücher?

Nick Ervinck: Meine Bilder, Formen und Texturen leiten sich von verschiedenen Quellen her: von Basiliken, Korallen, Dinosauriern, Häusern, Rorschach-Test-Bildern, chinesischen Felsen und Bäumen, Mangas, Blumentapeten aus dem zwölften Jahrhundert, anatomischen Teilen, und so weiter. Für AGRIEBORZ habe ich mich tatsächlich an menschlichen Organen orientiert, die ich in medizinischen Fachblättern gefunden habe, um organische Formen wie einen Kehlkopf zu erschaffen. Durch die eigene Vorstellungskraft scheint AGRIEBORZ eine gewisse Vertrautheit zu wecken, da es eine visuelle Verbindung zu menschlichen Organen, Muskeln, Nerven und so weiter gibt. Inspiriert wurde ich für AGRIEBORZ übrigens auch von Gesprächen mit zwei Professoren an der KU Leuven: Pierre Delaere, ein Forscher auf dem Gebiet der Rekonstruktion des Kehlkopfes, und Koen van Laere, dessen Forschung in der Neurologie und Nuklearmedizin beheimatet ist. Diese gegenseitige Befruchtung inspiriert eine Bildsprache, die irgendwo zwischen dem Organischen und Mechanischen schwebt. Aus ihr heraus entsteht eine perfekt symmetrische Cyborg-Figur.

ELBEETAD ist andererseits inspiriert durch die Üppigkeit der sogenannten „Rubens-Frau“. Hier kommt die Frage nach der „Haut“ einer Skulptur auf. Dieses Kunstwerk versucht einen Dialog zu schaffen zwischen Alt und Neu, und es zeigt, wie neue Technologien verwendet werden können, um die kunsthistorische Tradition zu erneuern oder neu zu erfinden.

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ELBEETAD, Credit: Martin Hieslmair

Was glauben Sie sind die entscheidenden Unterschiede, wenn man ein Objekt ausdruckt anstatt es auf einem Bildschirm zu betrachten?

Nick Ervinck: Ich bin immer auf der Suche nach einer „Fremdbestäubung“ zwischen dem Digital und dem Physischen. Bei meinen Arbeiten balanciere ich auf einem schmalen Grat zwischen traditioneller Bildhauerei und der Arbeit mit neuen Medien. Ich versuche stets das (kunst-)historische Erbe, die Geschichte und Archäologie zu respektieren. Die bildhauerischen Künste faszinieren mich besonders. Deshalb ist es wirklich wichtig für mich, meine auf dem Computer erschaffenen Skulpturen in die Realität zu holen. Einige meiner Skulpturen sind 3-D-Drucke, andere wurden in meinem Studio handgemacht.

Meine größte Faszination ist die Interaktion zwischen den dreidimensionalen Skulpturen und der Umgebung, in der sie sich befinden. Es ist besonders interessant zu sehen, wie das Tageslicht auf der glänzenden Oberfläche reflektiert, wodurch sich die Stimmung ständig ändert. Wenn man ein Objekt ausdruckt, ist es möglich, es von vielen verschiedenen Winkeln und Perspektiven zu betrachten, wobei man laufend das Kunstwerk neu entdecken kann. Außerdem ist für mich das Zusammenspiel zwischen einem 3-D-gedruckten Objekt und einem zweidimensionalen Bildschirm ein sehr interessanter Dialog.

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Viunap, Credit: Tom Mesic

Wenn wir auf Gebäude wie VIUNAP blicken, braucht Architektur eine stärkere Verbindung zur Natur?

Nick Ervinck: Mich fasziniert besonders, wie organisches und dynamisches Design in die Wirklichkeit übersetzt werden – dadurch, dass die Grenzen des Möglichen ausgelotet werden und nach neuen Wegen gesucht wird, solch eine komplexe, dynamische Kunst und Architektur zu erschaffen. VIUNAP ist ein Gebäude des EGATONK-Wanddrucks, der für die Ausstellung „Horizon 8300“ in Knokke entwickelt wurde – das Ziel dabei war, sich eine neue Architektur für diese typisch belgische Küstenstadt auszudenken. Ich habe mich an den üblichen Landhausstil orientiert und diesen etwas ins Absurde verdreht. Da ich ständig die Verbindungen zwischen Realität und virtueller Realität untersuche, nahm ich die Häuser als Grundlage für die Konstruktion einer persönlichen virtuellen Welt, in der die Grenzen der Physik und Logik aufgehoben sind. Die Häuser sind nicht länger statisch, sondern werden Figuren mit Assoziationen zu Krabben oder anderen Meerestieren, die an diesem Strand entlangspazieren.

Architekten wie Gaudi und Hundertwasser erreichten das Mögliche des Unmöglichen als ihre sogenannten unmöglichen architektonischen Träume letztendlich in Stein gemeißelt wurden. Dali verwirklichte seine surreale Behausung in Port Lligat, die sich an zwei einfachen Fischerhäuschen orientierte. In diesem Zusammenhang ist sicher auch Erich Mendelsohns faszinierender Einsteinturm zu erwähnen, ein astrophysisches Observatorium im Wissenschaftspark Albert Einstein in Potsdam. EGATONK wird sicher gleichermaßen einmal in die Wirklichkeit übersetzt; ein weniger futuristisches Unterfangen als man glaubt.

Der erste Schritt in die Wirklichkeit wird mit dem Gestalten am Computer gemacht. Der nächste Schritt ist das tatsächliche Bauen dieses Entwurfs – die absurde VIUNAP-Villa hat vielleicht Fenster und Wände, die alle krumm sind, aber die Böden innerhalb des Gebäudes sind perfekt ausgerichtet. Hier findet sich wieder das Spiel zwischen der virtuellen und die realen Welt, zwischen dem Inneren und dem Äußeren. Diese Entwürfe geben eine völlig andere Sicht auf futuristische-organische Architektur, sowohl aus der Gegenwart als auch aus der Vergangenheit.

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Ayamonsk, Credit: Martin Hieslmair

Woran arbeiten Sie gerade?

Nick Ervinck: Es gibt viele spannende Projekte, an denen wir gerade arbeiten. Zum Beispiel geht es um die Verwirklichung eines zweiten Gebäudes als 3-D-Druck aus dem EGATONK-Projekt. Außerdem starteten wir eine Kooperation mit Stratasys, eine revolutionäre 3-D-Druck-Firma. Mit ihren 3-D-Druck-Maschinen kann ich einzigartige Skulpturen formen, so wie ich sie mir vorstelle. Ich untersuche, wie die aktuellen 3-D-Druck-Technologien eingesetzt werden können, um die Bildhauerei zu übertreffen – zum Beispiel, indem ich färbige Flächen und Linien in einer transparenten Hülle einschließe. Und es wird weitere spannende Arbeiten geben, von denen Sie in Zukunft auch hören werden – da bin ich mir sicher.

Die Arbeiten von Nick Ervinck sind bis Ende Februar 2016 im Ars Electronica Center Linz in der Ausstellung „Elements of Art and Science“ zu sehen. AGRIEBORZ ist außerdem Teil der Ausstellung „Materia Prima“, die LABoral Centro de Arte gemeinsam mit Ars Electronica Export in Gijón, Spanien, realisiert hat.

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Nick Ervinck (BE) erforscht die Grenzen zwischen verschiedenen Medien und strebt danach, Aspekte des Digitalen und Physischen miteinander zu verbinden. Das Studio Nick Ervinck wendet Werkzeuge und Techniken von neuen Medien an, um das ästhetische Potential der Bildhauerei, von 3-D-Drucken, Animationen, Installationen, Architektur und Design zu erkunden. Kurz gesagt, Ervincks Arbeiten schwanken zwischen dem Statischen und Dynamischen, und dem Erkunden von neuen virtuellen oder utopischen Gebieten. www.nickervinck.com

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