Zurück zur Materia Prima

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Traditionelle Grenzen zwischen den Disziplinen Kunst und Wissenschaft werden immer mehr überwunden. Anschaulich wird das in der Ausstellung „Materia Prima“ im LABoral Centro de Arte y Creación Industrial, das in der Hafenstadt Gijón im Norden Spaniens angesiedelt ist. Kuratiert wurde die Ausstellung von Ars Electronica Export – ein Bereich der Ars Electronica, der mit Partnern aus aller Welt seit 2004 Ausstellungen, Workshops und andere Bildungsprogramme realisiert. Wir haben uns mit Lucía García Rodríguez, der geschäftsführenden Direktorin von LABoral, getroffen und uns mit ihr über ihr Verständnis von „Materia Prima“, über die in mehreren Laboren strukturierte und vor kurzem eröffnete Ausstellung in Gijón und der spanischen Sicht auf die Verbindung von Kunst und Wissenschaft unterhalten.

Material Prima, was verstehen Sie unter diesem Begriff?

Lucía García Rodríguez: Materia Prima, oder Rohstoff, bezeichnet das Wesen der Dinge, den Ausgangspunkt, das, was unveränderlich bleibt und es dreht sich alles dabei um die wichtigste Kernfrage – nämlich darüber, worauf die Errichtung unserer Welt basiert. Der gleichnamige Titel der Ausstellung wurde in einen Raum übertragen, in dem die Öffentlichkeit nun eingeladen ist, eine aktive Rolle bei dieser theoretisch-praktischen Reflexion zu nehmen. Die BesucherInnen können sich hier von den Prozessen ein Bild machen, auf die die KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zurückgreifen, wenn sie sich mit den unterschiedlichsten Methoden mit ihrer Umgebung beschäftigen.

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Credit: Martin Honzik / Ars Electronica

Die Ausstellung besteht aus mehreren Labs – wie reagieren die BesucherInnen darauf?

Lucía García Rodríguez: Gerfried Stocker, der künstlerische Leiter der Ars Electronica, stellte bei Materia Prima den experimentellen Zugang in den Mittelpunkt – das war ein weiterer Schritt für LABoral, die BesucherInnen mehr einzubinden. Dieser Zugang war für uns auch sehr praktisch, denn dabei konnten wir erneut erklären, wer wir eigentlich sind und uns einer breiteren Community öffnen – mit dem Ziel, diese Menschen näher an neue Kunstpraktiken heranzubringen, sie aktiv daran zu beteiligen und mit ihnen die herkömmlichen Grenzen zwischen Kulturinstitution und den BesucherInnen zu überwinden.

Für uns bedeutet das, verschiedene Communities in den Prozess des Experimentierens, des Beobachtens und des Praktizierens in eine überraschend natürliche Weise einzubinden. Ich bin überzeugt, dass dieser Austausch zwischen unserem Center und den BesucherInnen während der gesamten Dauer der Ausstellung rasch voranschreitet. Um ehrlich zu sein, ich bin sehr optimistisch, wenn ich an die wunderbaren Rückmeldungen denke, die wir über die verschiedenen Aktivitäten in diesem Raum von Beginn an bekommen haben.

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Credit: Sergio Redruello / LABoral

Welches Kunstwerk gefällt Ihnen in dieser Ausstellung am besten?

Lucía García Rodríguez: Es ist schwer für mich, ein bestimmtes Kunstwerk aus dieser Ausstellung auszugreifen, da ich denke, dass Gerfrieds kuratorische Arbeit äußerst sorgfältig war und ein bereichernder Diskurs ermöglicht wird, wenn die Werke, die schon für sich selbst stehen können, dadurch angereichert werden, indem sie mit anderen Kunstwerken in Verbindung stehen. Abgesehen davon, weil Sie mich ja gefragt haben, würde ich mich für die Arbeit „Chikikinkutsu“ von Nelo Akamatsu entscheiden – er hat ja mit diesem Werk den Prix Ars Electronica 2015 in der Kategorie „Digital Musics & Sound Art“ gewonnen. Es ist eine außergewöhnlich feine Arbeit, die auf einer exquisiten minimalistischen Anordnung basiert und die Natur mit der Wirkung des Erdmagnetismus miteinschließt; es ist eine meisterhafte und schöne Arbeit dieses japanischen Künstlers.

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Credit: LABoral

Seit seiner Gründung im Jahr 2007 ist LABoral als multidisziplinäre Einrichtung sehr interessiert an den Schnittstellen zwischen Kunst und Wissenschaft. Was waren die wesentlichsten Gründe, sich in diese Richtung zu bewegen?

Lucía García Rodríguez: Wir glauben, dass ein Forschungszentrum für zeitgenössische Kunst, das sich auf Produktion, Ausbildung, Ausstellungen und die Verbreitung von Kunst, Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft fokussiert, sehr viel bedeutet, ja, sogar eine Notwendigkeit in unserem Bereich ist. Und ich glaube, dass dies mittlerweile gut angenommen wurde, sowohl von der Kunstwelt als auch von der breiten Öffentlichkeit, die immer mehr daran interessiert ist, was im Schaffen und Denken der Gegenwart geschieht.

Am Beginn dieser historischen Entscheidung für die spanische Region Asturien stand die Tatsache, dass es zu dieser Zeit kein einziges Zentrum für künstlerische Forschung in Spanien gab, das mit einem großen Potenzial, einem gewissen Maß an Flexibilität und großen Hoffnungen die Debatten bereichern konnte, wie sie heute stattfinden. Es ging auch um die Frage, einen Überblick der Gegenwartskunst zu schaffen. Es ging um das aktive Bestreben, einen breiteren Wirkungsbereich zu bekommen und das gelang uns vor allem mit der festen Überzeugung, dass Kunst die Kraft hat, die Gesellschaft durch Innovation umzugestalten.

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Credit: Sergio Redruello / LABoral

Und wie wird der Fokus auf Kunst und Wissenschaft in Spanien im Allgemeinen wahrgenommen?

Lucía García Rodríguez: Das Interesse daran und das Publikum für diese Art von Projekten wachsen kontinuierlich. Spanien hat von strukturellen Problemen in einem Bildungssystem gelitten, das die Disziplinen wie Kunst, Wissenschaft und Technologie getrennt hat, und es sehr wenig Interaktion zwischen ihnen gab. In der Tat scheint es oft so, als ob die beiden Felder extrem weit auseinander liegen oder sich gegenseitig ausschließen würden. Aber ich denke, dass der aktuelle Zeitpunkt sehr förderlich ist für ein komplettes Umdenken des gesamten Systems, dass wir zum Wesentlichen zurückkehren, zur Materia Prima oder den Rohstoff, um neue Wege auszukundschaften, die unserer Gesellschaft viel mehr beitragen können, in der wir leben. Und genau das ist die Aufgabe, die wir uns gesetzt haben.

Hinweis: Die Ausstellung „Materia Prima“ ist noch bis 8. Mai 2016 im LABoral Centro de Arte y Creación Industrial in Gijón in Spanien zu sehen. Mehr Informationen dazu finden Sie auf export.aec.at/materiaprima

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Lucía García Rodríguez studierte Rechtswissenschaften an der Universidad Complutense de Madrid und absolvierte Postgraduiertenstudiengänge in den Fachbereichen Europapolitik und Kulturmanagement. Anschließend machte sie eine Ausbildung als Maklerin bei Barry Rogliano Salles, Paris, und als Risikoanalystin am International Risk Management Department von Barclays PLC in London. Nach diesen Tätigkeiten in Paris und London kehrte sie nach Madrid zurück, wo sie die Position als Koordinatorin der International Fashion Week und des IFEMA Kongresszentrums in Madrid übernahm. Zwei Jahre später wurde sie stellvertretende Direktorin der Internationalen Messe für Gegenwartskunst ARCO in Madrid. Im August 2006, fast ein Jahr vor der offiziellen Eröffnung, begann sie im Gründungsmanagement des Zentrums für Kunst und Industriedesign LABoral mitzuarbeiten, um in der Funktion der Geschäftsführerin und Leiterin öffentlicher Programme den Start des Zentrums vorzubereiten. Im September 2011 wurde sie geschäftsführende Direktorin von LABoral.

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