Die wesentliche Herausforderung interaktiver Kunst

Octopus Mandala,

Interaktive Kunst ist schon seit 1990 als eigene Kategorie Bestandteil des Prix Ars Electronica, des traditionsreichsten Medienkunstwettbewerbs der Welt. Mit „Interactive Art +“ und seinem Pluszeichen wird diesmal angedeutet, dass man interaktive Kunst auch etwas weiter denken kann, ohne an den Eckpfeilern der Kategorie zu rütteln. Die Künstlerin und Professorin Victoria Vesna unterstützt den Prix Ars Electronica erneut als Jurorin mit ihrer Erfahrung und ihrem Fachwissen, das sehr geprägt wurde durch das Zusammentreffen mit dem Medienkunstpionier Roy Ascott. Aber das soll sie uns jetzt selbst erzählen.

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Victoria Vesna

Victoria Vesna während des Ars Electronica Festival 2015, Credit: Florian Voggeneder

Welche Elemente sind für Sie eigentlich interaktiv?

Victoria Vesna: Manche meinen, dass alles, was wir in Bezug zu einem Objekt tun, als interaktiv interpretiert werden kann – sodass sogar schon das passive Betrachten eines Gemäldes eine gewisse Interaktion ist. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es jene, die darauf bestehen, dass Interaktivität eine Art von Handlung oder Reaktion bedingt – zwischen dem (Kunst-)Objekt oder der Person und/oder der Installation und es muss zwingend technisch oder digital sein. Bei meinen Arbeiten habe ich beides erforscht und auch das Konzept des Sich-nicht-Bewegens, das einen Effekt auslöst und sozusagen dann die Stille zur Handlung führt – die Idee der inversen Interaktivität.

„Letzten Endes geht es bei allen Variationen darum, dass sie Bewusstsein dafür schaffen, dass alles mit allem und allen verbunden ist, und dass sie auf die gemeinsame Interaktion von KünstlerIn und Publikum hinweisen – über eine Reihe von Ausdrucksformen, die in unterschiedlichen Erscheinungen auftreten. Technologie ist oder sollte eingesetzt werden, um das Erlebnis zu verstärken und/oder den Einflussbereich zu vergrößern.“ Victoria Vesna

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NanoMandala, Credit: Victoria Vesna

Von Zeit zu Zeit denke ich genau darüber nach, da ich früher als Kunstmalerin ausgebildet wurde und manchmal auch immer noch denke, dass ich eine bin – sogar wenn ich es mit den aufwändigsten technologischen interaktiven Arbeiten zu tun habe, die mit Sensoren, Bildern aus Rastertunnelmikroskopen und künstlichem Leben arbeiten. Wie schafft man eigentlich ein Erlebnis, das das Publikum so weit hineinzieht, dass es das Thema völlig anders wahrnimmt? Das ist die wesentliche Herausforderung interaktiver Kunst und das wird besonders deutlich, wenn man Computer miteinbezieht.

Dazu möchte ich gerne über eine Erfahrung erzählen, die ich vor einem Jahrzehnt gemacht habe: Als ich für das Projekt „NanoMandala“ mit dem Nanowissenschaftler James Gimzewski und tibetischen Mönchen aus dem Gaden-Shartse-Kloster zusammenarbeitete, verwendete ich zuerst Sensoren und ein sorgfältig ausgeklügeltes interaktives Programm für die Installation. Aber als ich schließlich die Interaktion der Menschen beobachtete, wie sie durch einfaches Berühren des Sandes die Projektionen beeinflussten, wusste ich, dass diese technische Interaktivität eigentlich nur ein Störfaktor war.

„Durch diese Arbeit habe ich gelernt, dass technologische interaktive Elemente eher als Ergänzung der Gesamtpalette einer Künstlerin oder eines Künstlers zu verstehen sind und dass sie bedacht eingesetzt werden sollten – und zwar nur dann, wenn es notwendig ist, um das Gesamterlebnis aufzuwerten.“ Victoria Vesna

Das Pluszeichen liegt da irgendwo dazwischen – es geht darum, Arbeiten einzuschließen, die subtile Formen an Interaktion beinhalten, die über das passive Betrachten hinausgehen, aber einen Einfluss auf das Werk haben – durch die pure Gegenwart und durch Bewegungen der Menschen. Schlussendlich ist das Pluszeichen ein Indikator dafür, dass sich die Kategorien zunächst erweitern bevor sie sich auflösen und/oder neu definiert werden.

Sie haben im Jahr 2000 am Centre for Advanced Studies in Interactive Arts an der Universität Wales promoviert. Was glauben Sie gehört zu den größten Änderungen, die seitdem in der interaktiven Kunst geschehen sind?

Victoria Vesna: Ja genau, ich habe meinen Abschluss im Jahr 2000 gemacht, das sind jetzt genau 20 Jahre als ich begann mit Roy zusammenzuarbeiten! Vielleicht gehört die Allgegenwärtigkeit der Computer und Netzwerke zu den größten Unterschieden, die eine neue Form des Seins und Interagierens in unserem alltäglichen Leben geschaffen hat. Grundsätzlich führte das dazu, dass das heutige Publikum viel mehr von einer künstlerischen Arbeit erwartet, die auf technologischer Interaktivität beruht. In anderen Worten, genauso wie es damals der Einfluss von großen Räumen erster Computer war und heute der Einfluss der Mobiltelefone ist, so sind die neuen Möglichkeiten, die Wahrnehmung der Interaktivität und die sozialen Netzwerke womöglich die größten Veränderungen.

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Bodies Corp 2.0, Credit: Victoria Vesna

Vieles, was damals theoretisch und visionär war, ist heute allgemein gültig und alltäglich. Zum Beispiel entwickelte ich für meine Doktorarbeit zwei Online-Projekte: Bodies INCorporated, wo ein Unternehmen sämtliche persönlichen Daten besitzt und man selbst keine Rechte mehr hat. Und eine Arbeit, die die Verbindungen zu anderen skizziert sowie den eigenen Wert und die eigene Macht innerhalb der Gesellschaft – die Werte der Macht beruhen darauf, wie lange sich andere Menschen beschäftigen, etwas über einen selbst zu erfahren. Ich nannte das Projekt „N0time: Building a Community of People with No Time”. Obwohl es etwas zynisch gemeint war, scheint alles davon in gewisser Weise Wirklichkeit geworden zu sein und ist heute alltäglich. Diese neuen Formen der sozialen Interaktion und der Marktmächte sind heute völlig normal. Dann gibt es da noch den Entwurf für „Bodies Corp 2.0“, wo das Unternehmen das dritte Auge ist und das eigene Unterbewusstsein „beschützt“ – Geschäfte werden mit Bitcoins abgewickelt und alles ist in der Cloud beheimatet…

„Interaktive Kunst hat es mit einem ähnlichen aber viel komplizierten Dilemma zu tun als damals mit der Videokunst. Wie kann man das Medium dazu nutzen, um den BenutzerInnen oder den TeilnehmerInnen einen anderen Blickwinkel zu verleihen, wenn jede und jeder von ihnen bereits mit ähnlichen technologischen Geräten interagiert? Das ist die Herausforderung für KünstlerInnen, die völlig unabhängig zu dem verwendeten Medium steht. Das ist in unserer heutigen komplexen gesellschaftlichen Lage noch viel wichtiger geworden.“ Victoria Vesna

Unsere Aufmerksamkeit hat sich ebenso verschoben – von einer puren technologischen Faszination hin zum Beobachten von Interaktionen zwischen natürlichen biologischen Systemen und Computern. Und genau hier gibt es einen starken Anstieg der Interaktion mit den Wissenschaften. Ich glaube, das ist genau dieser große Wandel – wir beginnen gerade zu erahnen, wohin unser Kollektivbewusstsein steuert und alles geschieht zur selben Zeit. Das Interagieren mit den Wissenschaften wird deshalb notwendig, um ein Gespür von diesem Durcheinander zu bekommen.

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Roy Ascott, 2014 ausgezeichnet als Visionary Pioneer of Media Art, Credit: Florian Voggeneder

Roy Ascott, Pionier der interaktiven Kunst, ist einer Ihrer einflussreichsten Mentoren – was haben Sie eigentlich von ihm gelernt?

Victoria Vesna: Ich habe Roy schon sehr früh kennengelernt, damals 1986 bei der Biennale in Venedig. Ich war gerade fertig geworden mit der Akademie der Bildenden Künste in Belgrad und durch unvorstellbares Glück wurde ich vom Kurator Biljana Tomić eingeladen, in Aperto teilzunehmen – eine damals aufstrebende Plattform für KünstlerInnen, die heute nicht mehr existiert. Direkt neben meiner Arbeit stand damals Brian Eno, einer von Roys StudentInnen, der hin und wieder von Roy Ascott Besuch bekam – so kam es, dass ich beide traf. Dieses Treffen öffnete eine völlig neue Welt für mich und führte zu dem Punkt als ich begann, mein Kunstwerk von meinen musikalischen Versuchen zu trennen. Ich war begeistert, diese Verbindungen zwischen diesen beiden zu erkennen. Brian präsentierte seine Licht- und Soundboxen und Roy Ascotts „Planetary Network“ war etwas, das ich damals einfach nicht ganz verstand. Unglaublich, dass das Thema dieser Biennale damals schon Kunst und Wissenschaft war, geleitet von dem Kunsthistoriker Maurizio Calvesi.

Rückblickend betrachtet glaube ich, dass Roy zu diesem Zeitpunkt bereits einen starken Einfluss auf mein Unterbewusstsein hatte, denn kurz danach veränderte sich meine Arbeit grundlegend und ich lernte den Computer zu verwenden und mich mit dem Internet zu verbinden. Ich tauchte in diese Welt ein völlig ohne Fahrplan oder Mentor – und steuerte durch diese Welt mit reiner Intuition und begann, interaktive Arbeiten zu schaffen. Sechs Jahre später, als ich ein interaktives Projekt (Another Day in Paradise) bei der ISEA 92 präsentierte, traf ich erneut auf Roy und er lud mich zu seinem neuen CAiiA-PhD-Programm ein. Ich war zu dieser Zeit bereits bei der UC Santa Barbara angestellt, daher gab es für mich eigentlich keinen Grund für einen weiteren Hochschulabschluss, aber ich hatte das Verlangen danach, meine Arbeit historisch einzuordnen, zu lernen, wie man kritisch schreibt, und WissenschaftlerInnen und GeisteswissenschaftlerInnen wirksamer in meine Arbeit einzubinden. Roy zeigte mir all das und er brachte mir auch bei, wie wichtig das Unterrichten ist – dass es eine Ehre ist und dass es entscheidend ist, das bestehende Bildungssystem herauszufordern und sich auf diese Weise im akademischen Feld zu engagieren. Er brachte mir auch bei, keine Angst davor zu haben, den spirituellen Aspekt miteinzubringen – etwas, worüber das akademische Feld üblicherweise die Stirn runzelt – und er ermutigte mich, das Unbekannte zu erforschen. Sein Weg war nicht einfach und dies zu sehen war genauso wichtig – jedes noch so großartige Vorhaben hat einen ebenso großen Gegensatz – aber wir dürfen das nicht persönlich nehmen und müssen weitermachen.

„Ich zitiere ihn oft mit seinem Spruch: „Nach dem dritten Glas gibt es keine Disziplinen mehr“. Das ist manchmal ein hilfreicher Ansatz, um Menschen zusammenzubringen, die anfangs ganz unterschiedliche Interessen haben. Treffen und Partys sind wichtig – wir müssen als Menschen zuerst miteinander reden.“ Victoria Vesna

Abgesehen von Ihren Lehrtätigkeiten, an welchen künstlerischen Werken arbeiten Sie gerade?

Victoria Vesna: Meine Arbeiten brauchen meist sehr lange um zu reifen – etwa vier bis fünf Jahre – und viele Projekte laufen nebeneinander, beeinflussen sich und fließen in meine Lehrtätigkeiten ein. Zwei Projekte stehen kurz vor ihrer Vollendung – Bird Song Diamond und Hox Zodiac Dinners – und zwei warten darauf, dass ich meine Aufmerksamkeit auf sie richte, wenn der richtige Moment gekommen ist – Octopus Mandala und Brain Storming.

Zum ersten Mal nach langer Zeit mache ich nun ein Forschungsjahr und der Zeitpunkt sowie die aktuellen Umstände sind perfekt, um mich voll und ganz auf diese beiden Projekte zu konzentrieren. Im Sommer und Herbst letzten Jahres war ich Artist-In-Residence an der Angewandten in Wien und beschäftigte mich mit dem Projekt Hox Zodiac Dinner. Im Winter war ich Gastprofessorin an der Tsukuba-Universität in Japan und hatte die Gelegenheit, mit einem großen Team an Bird Song Diamond zu arbeiten. Hox Zodiac ist eine Zusammenarbeit mit dem Neurowissenschaftler Siddharth Ramakrishnan und Bird Song Diamond mit dem Evolutionsbiologen Charles Taylor, dem Physiker Takashi Ikegami und seit kurzem mit Hiroo Iwata.

Hox Zodiac ist ein gutes Beispiel für eine Arbeit, die als interaktives Stück begann und sich immer mehr zu einem analogen Projekt entwickelte – dabei steht das Essen im Vordergrund und die TeilnehmerInnen sind zeitgleich die ProtagonistInnen. Kurz gesagt, das Hox-Gen bestimmt die körperliche Gliederung eines Lebewesens und ist in allen Lebensformen vorhanden – von der Schnecke bis hin zum Elefanten. Darüber hinaus verknüpft das chinesische Tierkreiszeichen ein Tier mit Menschen und es wird dabei ziemlich komplex, wenn dann noch die chinesische Medizin und das I Ging hinzukommen. Es begann damit, Leute zusammenzubringen und über das gemeinsame Essen Diskussionen anzuregen, die sich darum drehten, wie Tiere gezüchtet, gegessen, domestiziert und in wissenschaftlicher Forschung eingesetzt werden. In Wien arbeitete ich zusammen mit den DesignerInnen der Akademie rund um Barbara Putz-Plecko und gemeinsam veranstalteten wir zwei Abendessen – ein privates und ein öffentliches im Innovation Lab und das Stück entwickelte sich schön weiter. Nächste Woche werden Siddharth und ich ein Abendessen im Naturhistorischen Museum in Seattle abhalten und darauf bereite ich mich gerade vor.

In Tsukuba konnte ich gemeinsam mit einem großartigen interdisziplinären Team Bird Song Diamond im „Large Space“ von Hiroo Iwata weiterentwickeln. Die Arbeit entstand durch eine Idee des Evolutionsbiologen Charles Taylor, der ein Experte für künstliches Leben ist. Er hat mir zu dieser NSF-Förderung des Forschungsprojektes „Mapping the Acoustic Network on Birds“ verholfen. Dies entwickelte sich zur größten Zusammenarbeit, an der ich je zuvor beteiligt war – es war wirklich wie in einem Orchester. Dort waren so viele spannende Leute beteiligt – von PhD-StudentInnen des EMP-Programms bis hin zur Gruppe rund um den Physiker Takashi Ikegami. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie technologische interaktive Elemente sinnvoll zum Einsatz kommen und dass das Arbeiten als Gruppe absolut notwendig ist. Das Projekt war bereits zuvor konzeptionell und ästhetisch entwickelt und erfolgreich beim Electronic Media Arts Festival auf Gouvernors Island sowie in der Mitte des Times Square in New York City präsentiert worden.

Aber es gab einige technologische Elemente, die noch nicht ausgereift waren und etwas wackelten – deshalb war es so fantastisch, den Large Space und das Team an EMP-StudentInnen und IgenieurInnen zur Seite zu haben. Und es war mir möglich, mich auf die Zusammenarbeit mit dem Physiker Takashi Ikegami und dem Soundkünstler Itsuki Doi von der Tokio-Universität zu konzentrieren – gemeinsam schufen wir einen Quantensprung in diesem Projekt. Diese große Zusammenarbeit brachte BiologInnen, PhysikerInnen, ComputerwissenschaftlerInnen, IngenieurInnen, Sound- und MedienkünstlerInnen dazu, zusammenzuarbeiten, und das ist genau das Ziel dieses Projekts: Die Reflexion einer Idee von vielen verschiedenen Blickwinkeln, einschließlich der Publikumswahrnehmung, die komplett unterschiedlich ist aus ihrer Sichtweise.

Bei dieser Arbeit trafen natürliche (Vögel) und künstliche (Dronen) Welten aufeinander – durch die Menschen, die beide Welten mit ihren Handlungen beeinflussen und von ihrer Interaktion beeinflusst werden. Natürlich ist das nicht etwas, das ganz einfach wiederholt werden kann, da dieser Ort einzigartig ist. Deshalb habe ich darüber nachgedacht, wie man daraus modulare Elemente zusammenstellen kann und wir entwickelten ein ähnliches Bird-Song-Projekt, das leicht aufzubauen ist und transportiert werden kann. Beide Arbeiten sind nun fertig und ich arbeite gerade an einer Dokumentation und der Website dazu – also bleiben Sie dran!

Bird Song Diamond

Bird Song Diamond in Japan, Credit: Victoria Vesna

Victoria Vesna

Victoria Vesna, Ph.D., ist Künstlerin und Professorin am Department of Design|Media Arts an der UCLA sowie Leiterin des Art|Sci Center an der School of the Arts sowie des California NanoSystems Institute (CNSI). Sie promovierte 2000 an der University of Wales. In ihren Installationen untersucht sie, wie Kommunikationstechnologien das Kollektivverhalten beeinflussen und ob sich die Identitätsauffassung in Zusammenhang mit wissenschaftlichem Fortschritt verändert. Sie unterhielt im Rahmen ihrer Projekte langfristige Kooperationen mit Komponisten, Nanowissenschaftlern, Neurowissenschaftlern, Evolutionsbiologen und vermittelt die dabei gewonnenen Erfahrungen ihren Studenten. Vesna ist Herausgeberin der Zeitschrift AI & Society und publizierte die Sammelbände Database Aesthetics: Art in the Age of Information Overflow (2007) sowie Context Providers: Conditions of Meaning in Media Arts (2011).

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