Anouk Wipprecht ist die erste Künstlerin, die für eine SPARKS-Residency am Ars Electronica Futurelab ausgewählt wurde. Die bekannte Fashion-Tech-Designerin hat die kommunikativen Aspekte ihrer Kleidung nun in ein Headset integriert, das die Form eines Einhorns hat. Während ihres Aufenthalts am Ars Electronica Futurelab hat sie in Zusammenarbeit mit einem Team aus NeurowissenschaftlerInnen und ExpertInnen ein Accessoire kreiert, das die Beobachtungen der Trägerin oder des Trägers mittels EEG erfasst.
Die Gehirnaktivitäten werden mit einer in das Gerät integrierten Kamera aufgezeichnet, die kurze Filme macht, wenn etwas die Aufmerksamkeit der Trägerin oder des Trägers erregt. Wipprechts persönlicher Schwerpunkt bei diesem Projekt sind Kinder mit einer Störung aus dem Autismus-Spektrum und ADHS, doch sie würde das Accessoire auch selbst tragen, wie sie uns erzählte. Während einer Pause zwischen ihren vielen Teamsitzungen sprach Anouk Wipprecht mit uns darüber, wie diese Idee entstand und wie weit die Entwicklung fortgeschritten ist.
Hinter den Kulissen des Fotoshootings. Credit: Courtesy of Anouk Wipprecht
Im Medienhype rund um dich wird dein Name gleichgesetzt mit Fashion-Tech. Was ist die Wechselbeziehung zwischen deinem Interesse an Mode und der sogenannten Responsible Research and Innovation [verantwortungsvolle Forschung und Innovation], auch RRI genannt?
Anouk Wipprecht: Aus Neugier versuche ich, mit verschiedenen Bereichen Verbindung aufzunehmen. Von Wearables über Robotik, von Mikroprozessoren über Sensoren bis hin zur aktuellen Forschung über eine zuverlässige (und drahtlose) Messung von Biosignalen. Ich betrachte Mode als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel, das ich elektronisch und interaktiv gestalten möchte. Meine Designs überwachen Körpersignale und Stressbelastung und registrieren, was im Umfeld einer Person geschieht. Sie verarbeiten Daten – und die Daten visualisieren das Ergebnis, ich verwende eine Verbindung von Fashion und Robotik, um die Emotionen des Trägers zum Ausdruck zu bringen. Ein Teil meiner Arbeit ist Kreation. Ein weiterer Demonstration. Ein dritter die Erforschung der Interaktionen, die meine Designs auslösen, die Zusammenführung der Ergebnisse und ihre Integration in mein System. Diese Prototypen müssen „getragen“ werden, um getestet werden zu können. Ich betrachte sie als Fallstudien, da jedes Design eine andere Interaktion erfasst, auslöst und auch visualisiert, die ich dann austeste.
Ein weiteres Beispiel eines interaktiven Kleids: Robotic Spider Dress, möglich gemacht durch Intel Smart Wearable Technology. Credit: Courtesy of Anouk Wipprecht
Wie du bereits erwähnt hast, sind deine Designs häufig Hightech-Entwicklungen: Die Entwürfe deiner Kleider sowie das Systemverhalten und die geplanten Interaktionen scheinen nahtlos miteinander verbunden zu sein. Wie kam es, dass du dich bei deiner derzeitigen Futurelab-Residency stattdessen nun auf die Kreation eines ,Geräts‘ konzentriert hast?
Anouk Wipprecht: Das stimmt. Zum Thema ,Wohlbefinden‘ habe ich einen anderen Ansatz gewählt. Ursprünglich wollte ich ein anwendungsspezifisches Ensemble kreieren, aber Claudia [SPARKS-Projektkoordinatorin Claudia Schnugg] hat mich auf das „Gerät“ gebracht, da es die Entwicklung eines Instrumentariums ermöglicht, das nach den Grundsätzen der Responsible Research und Innovation das Thema [psychische] Gesundheit mittels Mode aufgreift. Ein cooles Produkt, das das Potenzial hat, für Therapien und Forschung erhebliche Vorteile zu bringen.
Der Prototyp der Horn-Kamera – mit eingebauter FlyWire-Kamera. Credit: Courtesy of Anouk Wipprecht
Du arbeitest mit EEG-Sensoren, die die Gehirnaktivität messen – wenn die Fokusschwelle des Trägers 80 Prozent erreicht, wird eine Filmaufnahme gestartet, um den sogenannten Aufmerksamkeitspunkt des Trägers anzuzeigen und zu protokollieren. Was möchtest du damit herausfinden?
Anouk Wipprecht: Ausgehend von meinem auf einem Intel Edison Mainboard basierenden Synapsenkleid – einem Kleid, das Stimmungen registriert – erforschten wir die Fokuspunkte des Trägers, wobei die Accessoires diesmal flexibler sind als meine früheren 3D-gedruckten Mieder: Ich versuche auf spielerische Weise eine Kopfbedeckung im Art-déco-Stil in Form eines Einhorns zu kreieren, die als Schnittstelle zwischen Gehirnwellen und Umgebung fungiert. Ein Zustand hoher Konzentration, der mittels EEG erfasst wird, ermöglicht dem Träger, eine Videoaufzeichnung zu starten. Auf kontrollierte, messbare und durch Nutzung von Inputs aus dem körpereigenen elektrischen Feld modulierte Weise – dafür verwende ich wieder das Intel-Edison-Modul  versuche ich das Sehfeld von Personen, also das, was sich vor ihnen befindet, zu erfassen. Mein Ziel ist es, ein Lernsystem zu schaffen, das die Selbsterkenntnis des Trägers steigert, Menschen zu zeigen, was sie fasziniert, nicht nur, was ihre Aufmerksamkeit erregt, sondern auch, wodurch dieser Zustand der Konzentration ausgelöst wird. Das macht die Methode des Biofeedbacks viel befriedigender und verständlicher.
EEG-Messungen mittels g.Sahara [dry electrode] + Intel Edison. Credit: Courtesy of Anouk Wipprecht
Wie unterscheidet sich der Einsatz der Körperkamera vom derzeitigen technischen Stand der Wearables?
Anouk Wipprecht: Der derzeitige Stand der Wearables ist, dass sie Aktivitäten aufzeichnen und Körpersensoren sind, dass sie wissen, dass etwas vorgeht – etwa, dass sich der Herzschlag beschleunigt oder der Stresspegel steigt. Aber sie tragen nicht dazu bei, dass man sich selbst besser versteht. Indem ich ein weiteres Augenpaar am Körper anbringe, kann ich eine Schnittstelle schaffen, die nicht nur weiß, dass jemand etwas anstarrt, sondern auch warum. Wenn man erfasst, was den ganzen Tag über die Aufmerksamkeit erregt, ohne es selbst registrieren zu müssen, werden einem gewisse Gewohnheiten bewusst.
Anouk Wipprecht mit Dr. Christoph Hintermüller von G.Tec mit g.Sahara-Elektroden, Credit: Courtesy Anouk Wipprecht
Credit: Anouk Wipprecht
Deine Lösungen waren schon immer sehr eigenständig. Wie sehr haben sie sich weiter verändert, seit du mit dem Team des Ars Electronica Futurelab zusammenarbeitest?
Anouk Wipprecht: Das Besondere am Hiersein ist, dass man mit Leuten zu tun hat, die in vielen Bereichen hochspezialisiert sind. Dass man ein schlüssiges Feedback und Vorschläge auf bestimmte Fragestellungen, sei es im Bereich Design oder Technologie, bekommt, ist in einem solchen Prozess wirklich wichtig. Ich habe beispielsweise mit Intel RealSens herumgespielt, und gleichzeitig waren noch zwei weitere Teams damit beschäftigt. Im selben Stockwerk! Was die Wissenschaft anbelangt, ermöglicht mir meine Residency am Ars Electronica Futurelab den Zugang zu bestimmten Unternehmen wie etwa G-Tec, mit denen ich heute einen Termin habe, bei dem wir über Aufmerksamkeitsdefizit sprechen werden. Sie sind Marktführer im Bereich EEG-Geräte. Als Designer hat man oft auch nur beschränkt Zugang zu hochkarätigen Wissenschaftsabteilungen. Die Ars Electronica ist eine Institution, die für transdisziplinäre Forschung bekannt ist, ohne diese Verbindung hätte ich keinen Kontakt zu Dominik Laister im Konventhospital der Barmherzigen Brüder in Linz bekommen, der mir ein wertvoller Berater wurde. Als Mitglied des Teams des Autismuskompetenzzentrums konnte er mir Informationen über die mögliche Wirksamkeit dieses Geräts geben, Zugang zu bestimmten Studien verschaffen und mir helfen, wichtige Aspekte in das Konzept zu integrieren.
Fotoshooting, Credit: Courtesy of Anouk Wipprecht
Gibt es persönliche Berührungspunkte zwischen dir und dem Thema ADSL?
Anouk Wipprecht: Meine Entwürfe sollen gewisse Funktionen erfüllen – sie kommunizieren. Sie verwenden beispielsweise Rauch, um mitzuteilen „Hey, dringe nicht in meine Privatsphäre ein!“ und sind daher eine Erweiterung der natürlichen körperlichen Reaktionen. Auf den Punkt gebracht, verfügen meine Modelle über eine Möglichkeit nonverbaler Kommunikation. Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung haben ständig mit Kommunikationsproblemen zu kämpfen. Die Mode übersetzt gewissermaßen Botschaften in Bereichen, in denen der verbale Austausch scheitert. Das Design kann dazu beitragen, Kommunikationsschwierigkeiten spielerisch zu überwinden, das Denken aufzeichnen, ohne dass invasive Elektroden eingesetzt werden müssen, wie sie im therapeutischen Umfeld verwendet werden. Ich habe das Design in einem spielähnlichen Environment positioniert. Mein konkreter Ansatz als Designerin ist es, EEG-Geräte aus der medizinischen Nische zu holen. Für Kinder ist das Design in erster Linie als Hilfe gedacht, zur Verwendung in Therapiesitzungen, um den Austausch mit dem Therapeuten zu erleichtern. Als Streetwear ist es natürlich fehl am Platz, wenn man unauffällig bleiben will. Ich als Technogeek würde es allerdings bestimmt tragen.
Die Serie eines Real Sense LED-Horns, umgesetzt mit dem in L.A. beheimateten Igor Knezevic, Credit: Anouk Wipprecht and Igor Knezevic
Kannst du ein Beispiel dafür nennen, was das Gerät deiner Vorstellung nach aufzeichnen könnte?
Ich hoffe, dass das Gerät, einen Lerneffekt zeitigt und die Träger erkennen lässt, welche Ereignisse ihre Gehirnaktivität im Laufe des Tages stark beeinflusst haben. Die in das Horn eingebaute Kamera zeichnet etwa die Erfahrungen eines Kindes auf – zum Beispiel bei einem Zoobesuch. Je nachdem, welches Tier das Kind sieht, wird die Kamera durch eine emotionale Reaktion und die Schwingungen der Gehirnwellen aktiviert. Im Moment geben die Daten noch nicht allzu viel her, ich hoffe aber, das Design weiterentwickeln zu können.
Hinter den Kulissen für den Teaser-Film mit Vita und Local Androids. Credit: Courtesy of Local Androids
Credit: Local Androids
Warum liegt dir dieses Projekt so am Herzen?
Anouk Wipprecht: Das Projekt ist für mich ein Instrument, das das Leben mancher Menschen vereinfachen könnte. Ich konzentriere mich auf Kinder, generell kann aber jeder das Gerät tragen, um seine Gehirnaktivitäten zu messen und entsprechende Schlussfolgerungen daraus zu ziehen – beispielsweise wie man auf unterschiedliche Farben reagiert, wie ein Stück Schokolade einen Spike auslösen kann oder auch wie wir auf die Nennung unseres eigenen Namens reagieren. Das wesentliche Feature ist aber, dass diese Gehirnaktivitäten auch evaluiert werden können, man daraus schließen kann, wann und wie das jeweilige Kind besonders aufmerksam ist, und das kann wiederum ein Ausgangspunkt für entsprechende therapeutische Maßnahmen sein. Die eingebauten LEDs, die während der Gehirnaktivitäten aufleuchten, sind als spielerisches Element gedacht. Sie können die Arbeit des Therapeuten erleichtern, indem sie ihm ermöglichen, diese Punkte zu erkennen. Das ist natürlich für alle Träger des Geräts interessant, da sie Quellen der Irritation und von Stress – etwa die Farbe Rot – aufzeigen, die ihnen ansonsten nicht bewusst wären. Das Tragen des einhornförmigen Agenten ermöglicht Kindern, der gesellschaftlichen Stigmatisierung zu entkommen. Es zeigt spielerisch auf, dass es völlig okay ist, so zu sein, wie man ist – weil es einfach ein wirklich cooles Gerät ist.
Hinter den Kulissen für den Teaser-Film mit Vita und Local Androids. Credit: Courtesy of Local Androids
Anouk Wipprecht verwendet:
Intel Edison, https://www.adafruit.com/datasheets/EdisonDatasheet.pdf
FlyWire-Kamera, http://www.flywirecameras.com/
EEG, http://www.gtec.at/ [g.Sahara system]
Tests mit:
Intel RealSense Kamera R200 http://click.intel.com/intel-realsense-developer-kit-r200.html
Wie viele von Wipprechts Arbeiten wird das Projekt noch in diesem Jahr als Open Source verfügbar sein.
This project is part of Sparks, a H2020 project funded by the European Commission