Zum Start des Dokumentarfilms “A Good American” des österreichischen Filmemachers Friedrich Moser war William Binney persönlich zu Gast im Ars Electronica Center. Dabei stellte er unter anderem das seit den 1990er Jahren entwickelte Überwachungsprogramm „ThinThread“ vor, das seiner Meinung nach die Terroranschläge von 9/11 verhindern hätte können, indem es auf verdächtige Personen und Netzwerke fokussiert anstatt sämtliche Kommunikation aller Menschen auf Vorrat zu erfassen. Nur wenige Wochen vor 9/11 wurde „ThinThread“ eingestellt, William Binney hat der NSA im Oktober 2001 schließlich den Rücken gekehrt und wurde zum Whistleblower. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten, warum die NSA weiterhin ihren Kurs des ganzheitlichen Datensammelns fährt und wie wir unsere Privatsphäre im Internet tatsächlich vor dieser Massenüberwachung schützen können.
Eine allgemeine Antwort auf die Praktiken der Massenüberwachung ist ja: „Ich habe doch nichts zu verbergen“. Was sind Ihre Hauptargumente gegen diese Schlussfolgerung?
William Binney: Erstens ist das ein Zitat von Joseph Goebbels, dem ehemaligen Propagandaminister von Adolf Hitler, der das schon damals als Argument einsetzte, um so viele Informationen wie nur möglich über alle Menschen erfassen zu können. Zweitens sagt es aber doch folgendes aus: Du als individueller Bürger, das was du denkst und glaubst, ist völlig bedeutungslos. Das Einzige, das dabei zählt, ist das, was der Staat denkt. Weil nicht du entscheidest, was richtig ist oder falsch, sondern der Staat. Und das ist das Problem!
Heute, etwa 5.300 Tage nach 9/11 sammeln die NSA und andere Geheimdienste die Verbindungsdaten und auch die Inhalte dieser Daten von jeder Person aus jedem Winkel der Erde – aus „Sicherheitsgründen“. Was sind die Alternativen, um die Sicherheit und Freiheit in unserer Welt zu gewährleisten?
William Binney: Ich habe das bereits im Oberhaus des britischen Parlaments angesprochen, dass all diese massenhafte Sammlung an Daten Menschen tötet. Das alles ermöglicht es den Terroristen ihre Pläne erfolgreich durchzuführen. Wenn man so viele Daten an sich reißt, ist es den Analysten völlig unmöglich, irgendeine Bedrohung davon herauszufiltern. Deshalb können sie auch bei einer möglichen Bedrohung bei niemandem Alarm schlagen, weil sie eingegraben sind in ihrem Berg an Daten und dies nicht rechtzeitig schaffen. Deshalb werden Menschen getötet – man erinnere sich nur an Paris, London, Madrid, Boston oder 9/11. Und das zieht sich eigentlich schon seit den letzten 25 Jahren durch. Sie konzentrieren sich nur dann darauf, wenn der Anschlag bereits geschehen ist, und wenn sie wissen, wer es war. Dann haben sie all die Daten von allen, auf die sie sich schließlich fokussieren. Und wenn es aber so war, dass sie über alle an diesen Anschlägen beteiligten Menschen Bescheid wussten, dann wussten sie auch, dass diese Menschen Verbindungen zu Terroristen hatten, und sie wussten, dass sie sie vorher beobachten hätten sollen.
Diese Alternative bestand schon lange mit dem Programm „Thinthread“. Das ist ein zielgerichteter Ansatz, der einen bestimmten Fokus hat und sich auf verdächtige Netzwerke von bereits bekannten Bösewichten wie Terroristen, Waffenschmugglern oder jeglicher anderen Art von kriminellen Handlungen fokussiert. Das sind die Dinge, an die man sich richten kann, wobei man selbst ein Verdachtsumfeld rund um eine Person definiert. Das bedeutet natürlich noch lange nicht, dass diese Personen auch schuldig sind, aber man beobachtet sie, ob sie teilnehmen oder nicht. Dadurch hätte man jeden Anschlag seit 1990 verhindern können – wenn man sie zielgerichtet beobachtet hätte, hätte man sie stoppen können.
Filmemacher Friedrich Moser und William Binney bei einem Vortrag im Ars Electronica Center. Credit: Magdalena Leitner
Und warum verfolgt die NSA nicht diesen zielgerichteten Ansatz?
William Binney: Geld! Weil diese massenhafte Sammlung an Daten Hundertmal mehr kostet als der zielgerichtete Ansatz. Denn wenn man diesen Ansatz genauer betrachtet: Es gibt keinen Grund, die Privatsphäre für die Sicherheit aufzugeben. Den gab es nie. Wenn sie diesen zielgerichteten Ansatz verfolgt hätten, dann wären sie auch nicht im Besitz unserer Daten und unsere Privatsphäre wäre nicht verletzt. Und sie könnten gezielt solche Anschläge vermeiden. Das ist der Punkt, aber das ist nicht die Richtung, die sie eingeschlagen haben. Sie haben sich dafür entschieden, jährlich 6 bis 10 Milliarden Dollar für das Datensammeln auszugeben. Aber das beinhaltet noch nicht einmal all das Geld, das in die vielen Verträge, Analysen oder die Speicherung all dieser Daten fließt.
Das Utah Data Center des NSA, Credit: Parker Higgins, Electronic Frontier Foundation
Sie mussten in Bluffdale in Utah eine riesige Anlage bauen, die 2014 in Betrieb ging, die sie aber bald wieder mit einer anderen austauschen müssen, weil sie weiterhin sämtliche Daten von allen sammeln. Man muss sich nur kurz vorstellen, dass das Sammeln von allen Daten auch von Jahr zu Jahr zunimmt und immer mehr Platz braucht. Dazu braucht es eine Menge Geld. All unsere Steuerzahler finanzieren das mit einem immer größer werdenden Anteil. Nun planen sie ein weiteres Datenzentrum, das drei Mal so groß ist wie Utah. Vergangenen Sommer haben die Arbeiten dazu auf Fort Meade bereits begonnen. Geplant ist, soweit ich weiß, 4 bis 6 Milliarden Dollar dafür in die Hand zu nehmen – in fünf oder sechs Jahren wird es online gehen. Zu dieser Zeit wird Bluffdale randvoll an Daten sein, deshalb brauchen sie auch einen neuen Ort der Datenspeicherung.
Es geht um eine Menge Geld, um viele Verträge. Und, ehemalige NSA-Mitarbeiter, wenn sie in den Ruhestand gehen oder ihren staatlichen Dienst beenden, arbeiten dann für diese Unternehmen, die damit zu tun haben. Es ist eine gefährliche Beziehung, die für Geld eingegangen wird. Das habe ich auch dem Oberhaus des britischen Parlaments gesagt. Das Problem ist hier der Mensch, die Korruption und das Geld.
NSA-Hauptquartier in Fort Meade, Credit: NSA
Welchen Ratschlag würden Sie der Allgemeinheit geben, wenn es um unsere Online-Kommunikation geht? Soll man komplett auf Smartphones verzichten, oder lieber nachdenken, welche Daten man in die Cloud stellt?
William Binney: Ich würde niemals eine Cloud verwenden, niemals. Weil sie diese Daten weiterverkaufen. Man stellt Daten in die Cloud und man gibt ihnen damit eine Menge an persönlichen Daten Preis, über sich selbst, die eigenen Beziehungen und die Dinge, die man sagt. Die verkaufen das weiter, stimmt’s? Man arbeitet für sie und man bekommt keinen einzigen Cent dafür.
Also sollten wir auch aufhören, soziale Medien wie Facebook zu verwenden?
William Binney: Was ist da der Unterschied? Das ist dasselbe Problem, oder? Sie machen viel Geld mit den Daten, die sie dazu nutzen, um Profile von uns zu erstellen. Sie verkaufen die Daten, nicht wahr? Hier ist es wieder so, man arbeitet für nichts und sie sitzen da und werden immer reicher, und es sind wir, die die Arbeit machen.
„Ich selbst nehme nicht an sozialen Medien teil. Vor allem, weil ich nicht will, dass sie alles über mich wissen, ich dies nicht mit ihnen teilen möchte und ich sicher nicht will, dass sie all das weiterverkaufen. Und für nichts arbeite ich sicher nicht.“
William Binney bei seinem Vortrag im Ars Electronica Center. Credit: Martin Hieslmair
Das Internet der Dinge, Spielekonsolen mit Kameras, Fitness-Tracker. Das Internet begleitet uns durchs ganze Leben und die Datenquellen werden immer mehr. Haben wir bereits die Kontrolle über unsere persönlichen Daten verloren?
William Binney: Nein, aber ich würde jede Verbindung kappen. Wenn man mit dem Auto herumfährt und es sich mit dem Internet verbinden will, würde ich das unterbinden. Es gibt keinen Grund, aus der Ferne meinen Toaster über das Internet zu steuern oder den Kühlschrank. Es gibt schon gar keinen Grund dazu, meinen Herzschrittmacher oder ähnliches mit dem Internet zu verbinden, denn schließlich kann dieser dann auch ausgeschaltet werden. Es geht dabei viel mehr über den Blick auf einen selbst und die Weise, wie man diese Dinge verwendet. Wenn man einen Toaster hat, viel Brot isst, sie wissen schon, was ich meine. Man kann kleine Schlussfolgerungen von jedem kleinen Gerät machen, das man benützt. Denn alle Daten dieser elektronischen Geräte zusammengenommen ergeben ein klares Bild über eine Person – mit der Information darüber, wo man sich gerade aufhält, was man macht, welche Probleme man hat, all diese Sachen. Ich meine nur, dass sie nicht das Recht dazu haben, dies zu tun. Deshalb brauchen wir ihnen unsere Daten nicht in die Hände spielen.
Das Interview führten Magdalena Leitner und Martin Hieslmair.
Hinweis: Die Ausstellung „Außer Kontrolle – Was das Netz über dich weiß“ im Ars Electronica Center widmet sich genau dieser Problematik unserer weltweiten Vernetzung und der damit einhergehenden Möglichkeit, uns auf einfache Weise digital zu überwachen und Persönlichkeitsprofile über uns erstellen zu können.
Bill Binney war zwei Jahre vor Edward Snowden bereits als Whistleblower über die NSA-Massenüberwachung an die Öffentlichkeit getreten. Die von Snowden an die Öffentlichkeit gebrachten Dokumente lieferten dann 2013 den Beweis. Binney hat als Experte vor dem deutschen Bundestag in der NSA-Affäre ausgesagt, die Überwachungsreform-Kommission des britischen Parlaments beraten sowie den Innenausschuss des österreichischen Parlaments. Bill Binney ist Crypto-Mathematiker und gilt als der beste Analyst und Codebreaker, den die US-Geheimdienste je hatten. In den 1970er Jahren knackte er das sowjetische Kommandosystem, was den USA und ihren Verbündeten die Echtzeit-Überwachung sämtlicher sowjetischer Truppenbewegungen sowie der russischen Atomwaffen ermöglichte. Ab den 1990er Jahren arbeitete er an einem neuartigen digitalen Überwachungsprogramm, das den Code-Namen ThinThread bekam, um Terror-Gefahren, Atom-Schmuggel und internationale Kriminalität frühzeitig zu erkennen, und das alles ohne in die Privatsphäre einzudringen. Ende November 2000 war ThinThread fertig. Der Einsatz des Programms gegen Terroristen wurde vom NSA-Management neun Monate lang verhindert, bis es im August 2001 ganz eingestellt wurde – drei Wochen vor 9/11. Der österreichische Filmemacher Friedrich Moser erzählt in seinem Film “A Good American” diese Geschichte und was nach 9/11 mit Bill Binney und seinem Programm geschah.