„Die Muster, Strukturen und Funktionsweisen der Natur sind eine nie versiegende Quelle der Inspiration“ heißt es zu Beginn von skinsandbones.de, dem Webauftritt des Projektseminars „Artificial Skins and Bones“. Und sehr weit müssen wir nicht blicken, wenn wir uns inspirieren lassen möchten: Der menschliche Körper bietet eine unerschöpfliche Quelle an Inspiration – vor allem dann, wenn man versucht, dessen Funktionen durch Technologie nur ansatzweise zu ersetzen. In Kooperation mit dem Prothesenhersteller Ottobock führten die Studierenden Workshops, Interviews und Forschungen durch, und ließen die daraus gewonnene Erkenntnis in ihre Arbeiten einfließen. Wir stellen die neun Werke kurz vor, die in diesem Seminar an der Weißensee Kunsthochschule Berlin unter der Leitung von Prof. Mika Satomi und Prof. Wolf Jeschonnek entstanden sind, und fragen nach, warum diese Zusammenarbeit von Kunst und Industrie bei diesem Vorzeigeprojekt so gut geklappt hat – so gut, dass „Artificial Skins and Bones“ nun mit dem prestigeträchtigen STARTS-Prize 2016 der Europäischen Kommission ausgezeichnet wurde.
Der Prototyp „Visualisierte Kraft“ von Lisa Stohn und Jhu-Ting Yang nimmt sich den Oktopus zum Vorbild und bietet eine flexible Textiloberfläche, deren Farben oder Muster durch Muskelaktivitäten verändert werden können.
Die Natur ist eine inspirierende Quelle für DesignerInnen. Warum haben Sie im Projektseminar den Fokus auf den menschlichen Körper gesetzt, insbesondere auf die Haut und die Knochen?
Wolf Jeschonnek: Unser Projektpartner Ottobock war von Anfang an in die Konzeption des Projekts eingebunden und wir beschäftigen uns mit Digitalisierung von Produktentwicklung und Produktion, daher lag das Thema nahe. Eigentlich war der Fokus aber nicht so eng, die Studierenden durften „Haut und Knochen“ auch ganz frei interpretieren. Haut und Knochen waren für uns eine Metapher für starre, konstruktive Elemente (Knochen) bzw. flexible Membranen (Haut), die jeweils mit Sensorik und Aktorik ausgestattet sein können und interagieren.
Die menschliche Haut ist für Karina Wirth und Natalie Peter bei „Trans.fur“ das wesentliche Vorbild, um Textilien zu entwickeln, die über ihre anpassungsfähige Oberflächenstruktur den Grad der Feuchtigkeitsdurchlässigkeit verändern.
Wie kam es dazu, das Seminar an der Weißensee Kunsthochschule Berlin gemeinsam mit Ottobock und dem Fab Lab Berlin zu veranstalten? Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Wolf Jeschonnek: Weißensee, Ottobock, Makea Industries und Fab Lab Berlin sind Partner im Open Innovation Space. Das Seminar war eines der ersten gemeinsamen Projekte. Ziel war, die Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen dieser Partnerschaft auszuprobieren. Das Format eines Semesterprojekts ist dafür sehr geeignet, weil es alle Partner einbindet, aber eher Forschungscharakter hat und daher nicht die Ansprüche an ein regulären Forschungs- oder Entwicklungsprojekts erfüllen muss.
Bei dem Materialexperiment „Technologie, Temperatur und Textilien“ von Stephanie Nattrass werden Veränderungen der Raumtemperatur wahrgenommen und Wärme produziert.
Die Studierenden besuchten in dieser Zeit auch die Forschungs-und Produktionsabteilungen von Ottobock in Duderstadt und sprachen mit TechnikerInnen, PhysiotherapeutInnen und Menschen mit Amputationen. Wie haben diese Gespräche den weiteren Verlauf beeinflusst?
Wolf Jeschonnek: Wie gesagt war die Aufgabenstellung nicht auf den menschlichen Körper beschränkt. Ich denke aber, dass durch die Auseinandersetzung mit Prothetiknutzerinnen und -nutzern sowie auch mit Herstellern von Prothetik der Fokus in diese Richtung bewegt wurde. Außerdem gab es eine Menge an professionellen Input für die Projekte, sodass sie sich frei entwickeln konnten aber trotzdem an realen Problemstellungen orientiert wurden. Außerdem wurde das Thema viel greifbarer und die Auseinandersetzung hat sehr dabei geholfen, einen entspannten und professionellen Umgang mit den Themen Amputation und Behinderung zu finden.
Organisch inspirierte 3-D-Rasterstrukuturen erforscht Babette Wiezorek in „Naturanslations“, indem sie algorithmische Gestaltungsmethoden und 3-D-Druck von Mikrostrukturen anwendet.
„Artificial Skins and Bones“ ist ein wegweisendes Projekt, wie die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Technologie und Kunst funktionieren kann. Worin liegen Ihrer Meinung nach die Vorteile dieser Kooperation?
Wolf Jeschonnek: Ich denke die Rahmenbedingungen waren nahezu optimal: Alle Partner und die wichtigsten Protagonisten waren in der gleichen Stadt und nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Da wir alle schon Partner im Open Innovation Space waren, gab es von Anfang an eine sehr offene und konstruktive Zusammenarbeit und sehr wenig Reibungsverluste. Die Kombination von Industrieunternehmen, kleinem Unternehmen, Hochschule und Community war sehr gut abgestimmt und es gab ein klare Aufgaben- und Rollenverteilung.
„Audio Gait“ von Agnes Rosengren und Bernardo Aviles-Busch vertont Bewegungen, unterstützt unser Verständnis von Körperbalance beim aufrechten Gang und bestens für das Training mit einer Unterschenkelprothese geeignet.
Wolf Jeschonnek: Mika und ich hatten als GastprofessorInnen sehr viel Freiheit, was Konzeption und Umsetzung anging, sowohl von der Seite der Universität als auch vom Praxispartner. Wir hatten die Möglichkeit, über Workshops mit externen Expertinnen und Experten sehr viel Expertise aus unserem professionellen Umfeld einfließen zu lassen – sowohl für inhaltliche Themen als auch für die Dokumentation. Wir hatten ein gutes Budget, über das wir frei verfügen konnten.
„Active“ von Hans Illiger unterstützt Menschen, denen untere Gliedmaßen amputiert wurden, indem es sensorisch die Bewegungsdaten erfasst und Videos für das selbstständige Training zur Verfügung stellt.
Wolf Jeschonnek: Und vor allem hatten wir eine sehr engagierte und talentierte Gruppe von Studierenden, die sowohl interdisziplinär als auch international war: Vier Fachgebiete und fünf Nationen. Die Teams haben letztendlich den größten Teil der Arbeit gemacht und dabei mit ihren Ideen und Konzepten den wichtigsten Teil zum Erfolg des Projekts beigetragen.
Über das Armband „Shortcut“ von David Kaltenbach, Maximilian Mahal und Lucas Rex können Menschen, denen obere Gliedmaßen amputiert wurden, über Muskelimpulse Mausklicks tätigen oder Tastenkürzel am Computer durchführen.
„Taktile Kommunikation“ von Nina Rossow ermöglicht es einerseits Materialien über den Tastsinn zu erkennen, wenn ein direktes Berühren nicht möglich ist, andererseits können damit Schmerzen für eine medizinische Diagnose besser vermittelt werden.
“The Aesthetics of the Uncanny” von Carmina Blank und Sandra Stark untersucht das Design von Prothesen mit dem Konzept des Uncanny Valley, das besagt, dass ab einer sehr hohen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Körper die Akzeptanz der Prothese in ein Gefühl der Unheimlichkeit umschlägt.
Nicht nur „Artificial Skins and Bones“ sondern auch „Magnetic Motion“ von Iris van Herpen wurden mit dem STARTS-Prize 2016 der Europäischen Kommission ausgezeichnet. Erfahren Sie mehr über die GewinnerInnenprojekte sowie über weitere Honorary Mentions des STARTS-Prize 2016, den Ars Electronica im Auftrag der Europäischen Kommission erstmals durchgeführt hat, auf starts-prize.aec.at, und merken Sie sich schon jetzt das Ars Electronica Festival 2016 von 8. bis 12. September 2016 in Linz vor, denn auch hier wird der STARTS-Prize in Form von Ausstellungen und Vorträgen sichtbar.
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