Im Vorfeld zur Festival-Ausgabe 2016 entwickelten beide Parteien zwei Pilotprojekte, die am Ars Electronica Festival 2016 nichts als ein außergewöhnliches Erlebnis im Schilde führten. „Wild Card+“ und „Deformation Lamp“ wiesen bereits in die Richtung, mit der NTT die Besucher Tokyos auf unterhaltsame Weise herumführen will.
Der Testballon für Tokyo im Jahr 2020 stieg in den Räumen und Gängen der PostCity am Linzer Hauptbahnhof in Form zweier Projekte, die sich in das Ausstellungsszenario des Ars Electronica Festival nahtlos einfügten. Die Technologie von „Deformation Lamp“ war als Wegweiser und Ortsbeschilderung gleich an mehreren Stellen vertreten und wer aufmerksam hinsah mochte ohne entsprechende Information an eine optische Täuschung geglaubt haben. Auch das große „Radical Atoms“-Schild im Eingangsbereich, unter dem das Wild Card+ Project seinen Ausstellungsbereich hatte, war durch die animierten Buchstaben ein Hingucker auf den zweiten Blick. Wild Card+, eine App mit der man durch bloßes Hinhalten Informationen zu den meisten der Ausstellungsstücke auf sein Handy bekommt, soll die Besucher Tokyo‘s ohne großen Aufwand herumführen.
Hiroshi Chigara von NTT vor der Bilderausstellung, die ein Teil der Deformation Lamp-Demonstration am Ars Electronica Festival war. Credit: Florian Voggeneder
Shingo Kinoshita und Hiroshi Chigara, Entwickler bei den NTT Service Evolution Laboratories, informierten uns was hinter den sprichwörtlich wegweisenden Technologien beider Projekte steckt und welche Perspektiven die Zusammenarbeit mit dem Ars Electronica Futurelab eröffnet hat.
Was war der Funke, der ein gemeinsames Projekt zwischen NTT und Ars Electronica Futurelab ins Rollen zu bringen?
Shingo Kinoshita: Auf 2020 hingehend wird NTT versuchen zu diesem Event etwas beizusteuern, nicht nur durch hochqualitative und verlässliche Netzwerkdienste, sondern auch in Form von „Omotenashi“, die japanische Art der Gastfreundschaft und eindrucksvolle Erfahrungen.
NTT Forschungslabore zählen zu den größten Organisationen im Bereich der Kommunikationsträger. Es hat top-aktuelle Technologien in weiten Bereichen verschiedener Forschungsfelder wie Physik, Kommunikationswissenschaft, Netzwerke, Sicherheit, Online-Datenspeicher (Clouds), Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Datenträger und Benutzer Oberflächen/Benutzer-Erfahrung entwickelt. Jedenfalls haben wir beobachten können, dass Technologien zur Erfüllung der oben genannten Missionen alleine nicht zielführend sind, vor allem wenn es um umwerfende Erlebnisse für’s Publikum geht. Wir glauben, dass der Schlüssel zum Erfolg die Kombination aus Kunst, kreativer und sozialer Elemente mit Technologie ist. Ars Electronica Futurelab ist einer der führenden Institutionen wenn es um die Zusammenführung all dieser Bausteine geht, was man exemplarisch am DeepSpace und Drone 100 sehen kann, ein idealer Partner für NTT. Wir fingen im Mai an darüber zu diskutieren, wie man mutmaßlich zusammenarbeiten könnte. Nach mehreren Treffen stand fest, dass wir das erste Pilotprojekt im Rahmen des Ars Electronica Festivals 2016 stattfinden lassen wollten. Nachdem wir das Ziel definiert hatten lief die Kommunikation reibungslos, sodass wir die Arbeiten in kürzester Zeit abschließen konnten.
Ars Wild Card, eine kostenlose iPhone App, die bereits 2011 von Ars Electronica Futurelab entwickelt war, wurde 2016 dank ITTs Technologie als Wild Card+ geupdated. Credit: Hideaki Ogawa, Emiko Ogawa, Manuela Naveau
Was haben beide Seiten bei den jeweiligen Projekten beigesteuert? Könntet Ihr uns kurz die Kerntechnologien und den innovativen Aspekt dahinter erklären?
Hiroshi Chigara: Ars Wild Card+ ist eine Kombination aus der Wild Card App des Ars Electronica Futurelab und der „angle-free object-search technology“ von NTT. “Angle free” (Frei von Winkeln) ist eine neuartige Bilderkennungs-technologie, die ein dreidimensionales Objekt nach einer bereits gemachten Fotovorlage einwandfrei benennen kann. Das funktioniert aus jedem erdenklichen Winkel. Es erlaubt uns jedes Zielobjekt festzuhalten und detaillierte Informationen darüber zu erhalten. Ein konventionelles gebräuchliches Mittel ist die Benutzung eines QR-Codes. Wie dem auch sei, verglichen mit Informationen, die in Museen Auskunft über ein Kunstwerk geben, oder irgendeiner Beschilderung im öffentlichen Raum, beschert uns dieser auf natürlicher Bilderkennung basierende Ansatz mit einer besseren Erfahrung. Mit dem Gebrauch von Wild Card+ während des Ars Electronica Festivals lieferten wir den Besuchern ein natürliches Erlebnis beim Kunstwerke-Scannen, Schmökern von Beschreibungen, Festhalten von Fotos, und beim Anlegen oder Teilen von Archiven auf Simple Notification Service. Natürlich konnte wie bei der ursprünglichen Version von Wild Card die geteilten Kunstwerke als Postkarten ausgedruckt werden.
Ars Wild Card+ wurde im Eingangsbereich des Ars Electronica Festivals 2016 den Besuchern und Besucherinnen vorgeführt. Credit: Markus Scholl
Deformation Lamp ist eine Lichtprojektions-Technologie, die von NTT entwickelt wurde, um durch die Nutzung der Verarbeitungscharakteristika des menschlichen Sehapparates komplett neue Erlebniswelten zu generieren. Konventionelles Projektions-Mapping ändert visuelle Eindrücke, indem ein präzise angelegtes Muster auf eine Oberfläche geworfen wird. Jedenfalls kann dieses keine Bewegungen statischer Objekte selbst hervorbringen, weil es nur eine neue Farbe oder Textur auf die Oberfläche des Objektes aufträgt, ohne das Originalaussehen der Oberfläche zu erhalten. Anders als ein konventionelles Projektionsmapping, macht Deformation Lamp Gebrauch von visuellen Illusionen. Diese können filmartige, dynamische Erscheinung auf ein zweidimensionales (2D), statisches Objekt – wie lodernde Flammen und wehender Wind übertragen. Im Zuge dieses Festivals erschufen wir ein sehr einzigartiges Beschilderungssystem das statische, physische, auf die Wand aufgetragene Bilder benutzt und Menschen durch sehr natürliche Bewegungen durch die Ausstellung navigiert.
Deformation Lamp war am Ars Electronica Festival 2016 an vielen Orten in den unterschiedlichsten Ausformungen ausgestellt. Credit: Markus Scholl
Welche Erwartungen hattet Ihr in Bezug auf die Festivalinstallationen und inwiefern weichen Sie von den tatsächlichen Reaktionen der Besucher ab?
Hiroshi Chigara: Eine Herausforderung vor dem Festival war es, sich einfallen zu lassen wie man die Wild Card+ den Festivalbesucher*Innen schmackhaft zu machen. Vom zweiten Tag an begannen wir Flyer zu benutzen, damit das Publikum die App benutzen würde. Sobald die Menschen von der Existenz der App erfuhren, mochten sie viele und sie legten Archive von den ausgestellten Kunstwerken an. Obwohl das der erste Versuch war Deformation Lamp als Beschilderungssystem zu nutzen, konnten die Protoypenserie den Besucher*Innen eine magische Wirkung erfolgreich vermitteln – von der großflächigen Hinweise-Deformation, Pfeilnavigation, oder in Kombination mit konventionellem Projektionsmapping an der Toilette und der Bodendeformation.
Bezüglich des Workshops war die Herausforderung eine gute Deformationsvorlage für die Skizzen der Besucher*Innen herzustellen und sowohl das Ars Electronica Futurelab als auch NTT haben einiges vor dem Event ausprobiert. Das Resultat übertraf unsere Erwartungen. Wir hatten viele Besucher*innen, die ganz angetan waren, als sich ihr Entwurf bewegte.
Deformation Lamp wies den Festivalbesuchern auf spielerische Art auch den Weg zu den sanitären Anlagen. Credit: Tom Mesic
Wie kann man die Projekte verbessern oder weiterentwickeln bis sie 2020 ein allgemein benutzter Gegenstand werden.
Shingo Kinoshita: Der Ars WildCard+ – Prototyp könnte zu einem besseren Wertstoffkreis, im Sinne eines Ökosystems entwickelt werden. Um dieses System herauf zu stufen bräuchte es mehr und mehr Leute (darunter auch Künstler und Künstlerinnen). Verbesserte Prototypen könnten durch ein geteiltes Potenzial erreicht werden, mit anderen Worten bräuchte es einen Ideenaustausch rund um Fragestellungen wie „welche Art von von Features sollten wir dazu nehmen?“, „wie viele Objekte sollten einbezogen werden?“, „welche Gebiete sollten abgedeckt werden?“, und so weiter. Kurz und gut: um bessere Prototypen zu generieren braucht es mehr Feedback. Ein besserer Ansatz um Menschen diese App näher zu bringen wäre ein guter Ausgangspunkt. Jedenfalls denken wir gleichzeitig über ein effekiveres Design nach, um diese App oder System den Menschen näher zu bringen, sobald sie sich in der Nähe eines Zielobjektes aufhalten. Beim Ars Electronica Festival 2016 brachten wir einen Sticker neben dem Objekt an, um das registrierte Ziel-Kunstwerk zu promoten. Die Kombination aus Deformation Lamp und Beschilderungssystem am Festival war eine wirklich interessante Herausforderung und das Feedback auf dieses Projekt wird definitiv dazu genutzt verbesserte Designs für Hinweisschilder in öffentlichen Räumen zu entwickeln. Wir behandeln diese Frage in laufenden Projekten. Dieses Mal zeigten wir verschiedene Muster (Pfeile, Toilette) als Deformations-Target.
Der Computerbildschirm im Foyer des Ars Electronica Festivals 2016 zeigt Bilder von Ausstellungsgegenständen, die die Besucher und Besucherinnen mit der App Wild Card+ hochgeladen haben. Credit: Markus Scholl
Gibt es Pläne zwischen NTT und Ars Electronica Futurelab über Wild Card+ und Deformation Lamp die sich als Pilot einer Kooperation eignen?
Hiroshi Chigara: Nach dem Festival besuchten einige Futurelab-Mitglieder NTT in Japan, wo wir einen gemeinsamen Workshop veranstalteten um mögliche Zukunftsprojekte zu diskutieren. Der Workshop ist bisher ein wirklicher Erfolg gewesen und wir haben zumindest eine Hauptrichtung festgelegt, in die es von nun an gehen wird. Ausgangspunkt und Hauptaugenmerk unserer gemeinsamen Forschung könnte die Gestaltung einer sozialen Kommunikation innerhalb der Stadt sein und ultra-realistische Sensationsmedien, die AI, IoT und Medientechnologien mit Kunst, kreativen und sozialen Elementen kombiniert.