Beginnend ab dem 28. März 2017 wird Yen Tzu Chang darüber hinaus mit den ForscherInnen und SchülerInnen aus den 7. bis 9. Klassen in Bremen und in Linz Workshops in Kooperation mit der Internationalen Fraunhofer Talent School Bremen durchführen. Das Ergebnis dieses Zusammentreffens von Kunst und Wissenschaft im Bereich der medizinischen Bildgebung wird schließlich beim Ars Electronica Festival in Linz – von 7. bis 11. September 2017 – präsentiert. Lesen Sie dazu mehr in diesem Interview mit der Künstlerin, die sich in ihren bisherigen Arbeiten auf experimentelle Sound-Performances und der Herstellung eigener elektronischer Instrumente spezialisiert hat.
Gleich zu Beginn des Interviews: Wie sehen Sie persönlich als Künstlerin die Rolle der Wissenschaft?
Yen Tzu Chang: Wissenschaft ist ein Zugang, um systematisch Wissen zu analysieren und zu organisieren. In anderen Worten: es ist eine Möglichkeit, die Welt zu entdecken und darüber nachzudenken. Anlehnend an verschiedene Forschungsfelder ist die Wissenschaft in mehrere Kategorien aufgeteilt – in Informatik, Medizin, Astronomie, Mathematik und so weiter.
Als Künstlerin ist mein Zugang zur Kunst stark mit dieser Wissenschaft verbunden. Ich sehe Kunst nicht nur als eine Möglichkeit, sich persönlich in ästhetischer Weise auszudrücken. Kunst kann auch kritisches Denken hervorrufen, ein Thema näher beleuchten und die Wissenschaft kann auch hier als Werkzeug in verschiedener Art und Weise zum Einsatz kommen. So habe ich beispielsweise mein eigenes Musikprogramm in Pure Data entwickelt, das ich schließlich an einen Controller als Instrument angeschlossen habe. Beim Bau des Instruments habe ich laufend an der Verbesserung des Algorithmus gearbeitet, die geeigneten Materialien gesucht und das Interface-Design des Instruments nach wissenschaftlichen Methoden ausgewählt.
Retro Product-Vacuum Cleaner Instrument, Credit: Victoria and Albert Museum, London
Das ist der Grund, warum sich Kunst und Wissenschaft bei meinen Arbeiten in einen Kreislauf verwandeln, bei dem sie gegenseitig voneinander profitieren. In der Anfangsphase, wenn ich ein Projekt entwickle, verwende ich wissenschaftliche Methoden, um meine Ideen zu sortieren. Wenn ich dann ein Kunstwerk schaffe, greife ich auf die Ergebnisse der Wissenschaft zurück – beispielsweise über Programme, CNC-Maschinen und so weiter. In der Zwischenzeit habe ich dann schon einiges an Feedback davon erhalten. Und wenn mein Kunstwerk fertig ist, kann ich noch mehr Feedback daraus ziehen. Der Kreislauf von Kunst und Wissenschaft entsteht genau in dieser Art des Prozesses.
In der Medienkunstgeschichte gab es bereits ähnliche Kreisläufe an Experimenten in Kunst und Technologie (E.A.T.), wie sie die Ingenieure Billy Klüver und Fred Waldhauer und die Künstler Robert Rauschenberg und Robert Whitman in den 1960er Jahren durchgeführt haben. E.A.T. war die Avantgarde der interdisziplinären Zusammenarbeit. Mit ihrem proaktiven Denken über die Verbindungen von Kunst und Technologien haben sie beide Seiten – KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen – beeinflusst. Die KünstlerInnen fingen an, Spitzentechnologien zu verstehen und zu erlernen, während die IngenieurInnen nicht nur Materialien und Beratungen zur Verfügung stellten sondern selbst auch anfingen, anders zu denken. Seitdem gibt es immer mehr Programme, Geräte und Materialien, die ganz gezielt für Anwendungen im Kunstbereich geschaffen werden. Darüber hinaus begannen Kunstinstitutionen immer mehr interdisziplinäre Kunstwerke zu zeigen und mit verschiedenen Bereichen von Institutionen zusammenzuarbeiten.
„Ich glaube, dass Wissenschaft und Kunst sich laufend gegenseitig beeinflussen. Es wird immer interessanter und ich freue mich schon darauf, was uns als Nächstes in der Zukunft bevorsteht.“
Mit Ihrem Projekt “Whose scalpel” möchten Sie auf die Beziehung zwischen ChirurgInnen und medizinischen Geräten eingehen. Erzählen Sie uns doch mehr von dieser Beziehung und Ihrer Performance!
Yen Tzu Chang: “Whose scalpel” ist eine Soundperformance, die verschiedene Zugänge wie Sound, visuelle Elemente und Installationen miteinander vereint, um auf das Verhältnis von ChirurgInnen und medizinischen Geräten näher einzugehen. Die Idee dahinter ist, dass ich gerne ein Konzert veranstalten möchte, das von dem YouTube-Film „Auditory guidance prototype for navigated liver surgery“ des Fraunhofer MEVIS inspiriert ist. Hier ist zu sehen, wie WissenschaftlerInnen an einem Prototyp arbeiten, der, wenn das Skalpell von der korrekten Schneidelinie abweicht, den ChirurgInnen einen akustischen Hinweis gibt.
Das Konzept der Performance stützt sich auf die Frage und die Hypothese, dass in naher Zukunft ChirurgInnen mit einer Maschine arbeiten werden, die medizinische Diagnosen liefert und gleichzeitig auch Teile einer Operation übernimmt. Der Patient in der Performance symbolisiert dabei das menschliche Bewusstsein. Die ganze Operation oder die Performance ist ein Kampf zwischen Menschlichkeit und Technologie. Von dieser Beziehung zwischen ChirurgInnen und dem medizinischen Gerät leitet sich schließlich eine Frage ab: Was ist der wahre Wert eines Menschen? Das ist eine ultimative Frage, auf die ich mit „Whose scalpel“ eingehen möchte. Schließlich haben wir schon mit Versuchen begonnen, maschinelles Lernen in vielen Feldern einzusetzen.
Die Performance soll eine offene Geschichte sein, um mehr Platz für die eigene Vorstellung zu lassen, und Menschen anregen, darüber etwas näher nachzudenken – denn es wird nicht mehr so lange dauern, bis dies Wirklichkeit sein wird. Vielleicht ist es viel wichtiger, anstatt sich immer mehr auf Technologie zu verlassen und dadurch menschliche Werte zu verlieren, mehr darüber nachzudenken, wie wir mit diesen Maschinen lernen und arbeiten wollen.
Sie werden auch Workshops mit SchülerInnen in Bremen und Linz durchführen. Was erwarten Sie sich von dieser Zusammenarbeit?
Yen Tzu Chang: Als „Creator“ mit einem künstlerischen Hintergrund ist es mir eine Freude, von WissenschaftlerInnen zu lernen und mit ihnen zu arbeiten, und auch Workshops mit SchülerInnen durchführen zu können. Es geht mir in dieser Zusammenarbeit um zwei Dinge:
Einerseits gibt es den Arbeitsprozess von WissenschaftlerInnen. Ich freue mich sehr über die Chance, mit dem Fraunhofer-MEVIS-Team und der Wissenschaftlerin Sabrina Haase, die den Workshop gemeinsam mit mir ausarbeiten wird, zusammenzuarbeiten. Jede und jeder bringt eigenes Wissen in den Workshop ein, aber viel wichtiger ist es, dass wir uns einander brauchen, um die oder den anderen zu verstehen. Wir werden über Skype in den Workshops diskutieren und eine Website entwickeln, auf der wir unsere Ideen dokumentieren. Darüber hinaus werden während der Residency bei Fraunhofer MEVIS weitere Ideen und Details hervorkommen.
Andererseits geht es um die Reaktion und das Feedback der SchülerInnen. Es wird eine neue Erfahrung für mich sein, Workshop-Ideen zu schaffen, in denen Kunst und medizinische Technologie kombiniert sein werden. Dadurch, dass wir ihre Reaktionen und ihre Diskussionen beobachten, werden wir mehr darüber erfahren, welchen Teil wir noch verbessern und überarbeiten müssen. Ich bin auch schon sehr gespannt darauf, wie die SchülerInnen über diese interdisziplinäre Verbindung denken. Ich hoffe sehr, dass sie nach unserem Workshop die Idee dieser Zusammenarbeit im Kopf behalten und in Zukunft mehr daraus entwickeln.
Beide Zugänge werden praktische Erfahrungen sein, die ich mir nicht selbst hätte aneignen oder die ich nicht nur über Internet-Suche herausfinden hätte können. Ich glaube fest daran, dass diese Zusammenarbeit eine kostbare Erfahrung für mich sein wird.
Das Projekt “STEAM Imaging” wurde anfangs in Zusammenarbeit mit SPACE in London im Jahr 2016 entwickelt.
Yen Tzu Chang ist taiwanesische Medienkünstlerin. Sie lebt und studiert in Linz, Österreich, seit 2014. Sie hat einen Bachelor-Abschluss des New Media Art Instituts an der Taipei National University of Art. Seit 2011 arbeitet sie in verschiedenen Bereichen wie interdisziplinäre Kunst und experimentelle Performances, die auf Sound-Installationen basieren. Ihre frühen Arbeiten beschäftigten sich mit audiovisuellen Inhalten und Installationen, gemischt mit Videokunst. „One kind of language…“ handelte als eine Art Wissenschaftsvideo über einen Tausendfüßler, der über zwei Bildschirme spazierte. In dieser Zeit entdeckte sie immer mehr ihr Interesse an Installationen, das sie mit ihrer Erfahrung auf der Bühne kombinierte. Sie begann, eigene elektronische Instrumente zu bauen. „Time Travel“ und „Self-luminous“ gehörten zu einer Serie an sehr erfolgreichen Lichtinstallationen in ihrer bisherigen Karriere.