Obwohl das Ars Electronica Festival seit mittlerweile 38 Jahren stattfindet, gleicht keine Ausgabe der anderen. Das diesjährige Festival ist da keine Ausnahme. Vom Kunstmarkt über einen neuen Programmnschwerpunkt rund um Theater und Digitale Medien bis zum ersten Hackathon in der Festivalgeschichte gibt es so einiges Neues zu entdecken. Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter der Ars Electronica, gibt im Interview einen ersten Überblick über die neuen Formate des Ars Electronica Festival.
Gerfried Stocker. Credit: Martin Hieslmair
Dieses Jahr wird es zum ersten Mal einen Kunstmarkt, die Ars Electronica Gallery Spaces, am Ars Electronica Festival geben. Was hat es damit auf sich?
Gerfried Stocker: Die Ars Electronica Gallery Spaces sind wahrscheinlich die größte Neuerung. Wir wollen hier Medienkunst und Kunstmarkt vereinen, weshalb wir dieses Jahr erstmals ein Collectors Program ausprobieren. Die Digitalisierung, die vor keinem Bereich unseres Lebens oder der Wirtschaft Halt macht, verändert natürlich auch den Kunstmarkt. Es gibt da interessante neue Strömungen und Möglichkeiten, wie etwa Online-Galerien oder auch Online-Auktionen, die mittlerweile sehr erfolgreich sind. Auch die Meinungs- und Wertbildung im Kunstmarkt erfolgt zunehmend über Online-Magazine und nicht mehr nur über gedruckte Hochglanzbroschüren und -Magazine. Rankings von Künstlern und Künstlerinnen werden über Big-Data-Analysen erstellt. Es haben sich aber nicht nur Wert- und Meinungsbildung im Kunstmarkt verändert, sondern auch die Verwertung.
Gleichzeitig sehen wir auch, dass sich Galerien sowie Sammlern und Sammlerinnen immer stärker für Medienkunst interessieren. Es gab hier lange große Berührungsängste, die sich jetzt Stück für Stück abbauen. Das hat viel damit zu tun, dass mittlerweile klar ist, dass die Digitalisierung und damit natürlich auch künstlerische Arbeit, die aus einer digitalen Welt heraus entsteht oder die digitale Welt reflektiert, ein entscheidender Teil unserer zeitgenössischen Kunst ist. Die klassische Trennung zwischen Medienkunst da und zeitgenössische Kunst dort ist also längst obsolet geworden.
Die POSTCITY beherbergt dieses Jahr unter anderem einen Kunstmarkt. Credit: Vanessa Graf
Der zweite Grund, wieso diese Annäherung jetzt funktioniert, ist, dass eine jüngere Generation von Sammlern und Sammlerinnen der Technik nicht mehr so viel Skepsis entgegenbringt. Auch die Angst, sich auf Medienkunst einzulassen, weil man nicht weiß, welche technologischen Probleme vielleicht damit einhergehen, nimmt ab, weil wir in unserem Alltag in einem immer höheren Ausmaß mit Technik konfrontiert sind.
Und drittens will die Medienkunst selbst, insbesondere die junge Generation von Medienkünstlern und Medienkünstlerinnen, zunehmend mit dem Kunstmarkt Verbindung aufnehmen.
Wir sehen daher auf allen Seiten großes Interesse, sich gegenseitig auszutauschen und einander besser kennenzulernen. Und ganz genau das ist der Zweck unserer Gallery Spaces beim Festival, denn Ars Electronica ist definitiv einer der bestmöglichen Orte, um diese zwei Welten zusammenzubringen. Es geht nicht darum, hier eine Kunstmesse zu schaffen.
Über das Collectors Program hinaus gibt es auch ein neues Residency-Programm…
Gerfried Stocker: Ja, das machen wir gemeinsam mit GLUON, einer Plattform für Kunst und Wissenschaft von BOZAR in Brüssel, und Hans-Ulrich Obrist von der Serpentine Gallery in London. Gemeinsam starten wir eine neue Initiative, in der wir Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit Künstlern und Künstlerinnen zusammenbringen wollen. Dieser Austausch findet allerdings nicht in der üblichen Form statt, bei der ein Künstler oder eine Künstlerin in ein Labor fährt und sich dort inspirieren lässt. Diese Mal soll das genau umgekehrt laufen: Künstler und Künstlerinnen laden einen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin in ihr Atelier ein und arbeiten hier gemeinsam an einem Projekt.
Es ist sozusagen eine „reverse engineered residency“, aber natürlich immer mit dem Ziel, diese unheimlich spannenden Querverbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft neu zu beleuchten, zu erproben und zu unterstützen. Ars Electronica bietet mit den Gallery Spaces und dem Residency-Programm eine Plattform, auf der sich alle, die an einer Verbindung von Medienkunst und Kunstmarkt in irgendeiner Form Interesse haben, treffen und austauschen können.
Eine weitere neue Initiative ist der Programmschwerpunkt Digitale Medien und Theater. Was wird da passieren?
Gerfried Stocker: Hier gilt dasselbe, das auch auf zeitgenössische Kunst und Galerien zutrifft. Die Performance Kunst, insbesondere auch Theater- und Opernhäuser, sind ebenfalls in sehr hohem Ausmaß von der Digitalisierung betroffen. Es sind mittlerweile nicht mehr nur experimentelle Performance- und Medienkünstler bzw. -Künstlerinnen, die mit neuen Technologien arbeiten, auch in sehr klassischen, traditionellen Häusern hat diese Praxis längst Einzug gehalten. Beim Ars Electronica Festival 2017 wird es ein umfangreiches Programm geben, das sich diesem Thema befassen wird.
Es werden da viele Arbeiten gezeigt, zum Beispiel „Entropy“ vom Nomad Theater oder auch „Memories of Borderline“ von Kay Voges und den Cyberräubern. Auch viele Projekte, die VR-Performances oder Storytelling neu interpretieren, werden vertreten sein, wie etwa „Out of Exile“ von Nonny de la Peña und der Emblematic Group, die beim diesjährigen Prix Ars Electronica einen Award of Distinction gewannen. Wir haben da ein sehr umfangreiches Programm, das vor allem für Leute aus dem Theaterbereich interessant sein wird. Das Wichtigste ist aber auch hier, die Leute zusammenzubringen. Es geht darum, dass Menschen, die sich damit beschäftigen, wie die Digitalisierung unsere Welt, künstlerische Projekte und Ideen verändert, sich am Festival austauschen können. Es ist eine Chance, sich mit dieser Veränderung vertraut zu machen. Mit ihrer mittlerweile fast 40-jährigen Geschichte ist Ars Electronica der ideale Ort der Begegnung.
Der Festival-Montag steht dieses Jahr unter dem Thema „Future in a Nutshell“. Was versteckt sich hinter dem Titel?
Gerfried Stocker: „Future in a Nutshell“ steht für Sonderveranstaltungen zur intensiven Auseinandersetzung mit den wichtigsten Entwicklungen oder technologischen Trends der nächsten zehn Jahre. Das passiert aber auf einer verständlichen Einführungs-Ebene. Experten und Expertinnen aus der Wirtschaft, der Wissenschaft oder der Technik werden in halbstündigen Sessions präsentieren, welche Themen hier relevant sind. Was ist der aktuelle Stand der Technik? Wo werden Technologien wie Machine Learning oder AI jetzt schon eingesetzt und was kann man in den nächsten Jahren erwarten? Wichtige Themen sind auch die autonome Mobilität und ihre Auswirkungen auf die Stadtplanung, Smart Cities, digitale Assistenten, soziale Roboter oder auch das Internet der Dinge. Was steckt da jeweils wirklich dahinter und ist in der nächsten Zukunft zu erwarten? Auch Entwicklungen wie Blockchain oder Bitcoin, die weit über technische Forschungszusammenhänge hinaus unser Leben und unsere Wirtschaft verändern, werden besprochen. Ergänzend zu diesen Präsentationen gibt es Führungen durch das Festival-Programm. Im Ars Electronica Center kann man zum Beispiel den neuen Ausstellungsbereich, das Virtual Reality (VR) Lab, erkunden. Im Zusammenspiel von Deep Space 8K und dem neuen VR-Lab hat da jeder und jede die Möglichkeit, sehr gründlich in die Welt und die Möglichkeiten von VR einzutauchen und zu verstehen, was diese Technik kann.
Dann gibt es noch das „Small Cities Forum“ – was passiert da?
Gerfried Stocker: Der Titel sagt eigentlich schon alles. Wenn wir über Innovation reden, denken wir ja üblicherweise an Silicon Valley, San Francisco, Tokio, New York, London, an die Mega Cities. Das ist auch richtig, denn hier sind die Eliteuniversitäten, die Finanzmärkte, die großen Konzerne und auch die große Politik zuhause. Tatsächlich wird aber ein großer Teil der Wirtschaftsleistung von kleinen Mittelbetrieben in den Regionen erbracht. Genau diese Regionen oder Small Cities sind auch Ausgangspunkt für tolle Innovationen. Sie sind genauso Epizentren von Entwicklungen, die man vorantreiben muss und man muss Innovationszyklen aus den großen urbanen Gegenden auch in diese regionalen Orte zu bringen. Wenn man sich ansieht, wie viel der Wirtschaftsleistung aus kleinen Strukturen kommt, dann ist ganz klar ersichtlich, wie wichtig es ist, auch hier über Innovationsfähigkeit nachzudenken. Wie kann man die vorhandene Innovation nutzen? Und wie kann man sie dort, wo sie nicht ausreichend ausgeprägt ist, verstärken? Das Small Cities Forum ist wieder ein Plattform-Treffen. Es geht darum, dass sich Städte, die interessante Projekte zur regionalen Innovation machen, treffen, sich gegenseitig austauschen und inspirieren.
Das Ars Electronica Festival bietet den Rahmen für regen Austausch zwischen ExpertInnen. Credit: Tom Mesic
Zu guter Letzt findet dieses Jahr ein Hackathon erstmals beim Festival statt…
Gerfried Stocker: Genau. Der Hackathon wird in Zusammenarbeit und auf Initiative der Firma g.tec ermöglicht. Mehr als 100 Leute werden n zwei Tagen lang neue Ideen ausprobieren und dabei immer von der Frage leiten lassen, wofür man die modernsten Brain Computer Interfaces (BCI) einsetzen kann? Von Nähmaschinen über Roboter bis hin zu Baggern, die alle gedankengesteuert werden, wird man da alles finden. Das wird also kein Hackathon im klassischen Sinn, sondern es wird eine sehr spannende Begegnungsfläche mit diesen neuen technologischen Möglichkeiten und mit kreativen Ideen, wofür man die BCI-Technologie einsetzen kann. Unser vorrangiges Ziel ist es aber auch da, Menschen aus unterschiedlichen Bereichen beim Ars Electronica Festival zusammenzubringen.
Gerfried Stocker ist Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik. 1991 gründete er xspace, ein Team zur Realisierung interdisziplinärer Projekte, das zahlreiche Installationen und Performance-Projekte im Bereich Interaktion, Robotik und Telekommunikation realisiert hat. Seit 1995 ist Gerfried Stocker künstlerischer Geschäftsführer von Ars Electronica. 1995/96 entwickelte er mit einem kleinen Team von KünstlerInnen und TechnikerInnen die richtungsweisenden neuen Ausstellungsstrategien des Ars Electronica Center und betrieb den Aufbau einer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung, des Ars Electronica Futurelab. Unter seiner Führung wurden ab 2004 das Programm für internationale Ars Electronica Ausstellungen aufgebaut und ab 2005 die Planung und inhaltliche Neupositionierung für das neue und erweiterte Ars Electronica Center aufgenommen und umgesetzt. Im Jänner 2009 wurde das ausgebaute Ars Electronica Center in Betrieb genommen.
Die neuen Formate können beim Ars Electronica Festival 2017 von 7 – 11 September in der POSTCITY Linz besucht werden. Um mehr über das Festival zu erfahren, folgen Sie uns auf Facebook, Twitter, Instagram und Co., abonnieren Sie unseren Newsletter und informieren Sie sich auf https://ars.electronica.art/ai/.