VR und Theater: Die Cyberräuber bei der Langen Nacht der Bühnen 2017

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Die „Cyberräuber“, das Theater der virtuellen Realität – das ist das gemeinsame Projekt von Björn Lengers und Marcel Karnapke. Gemeinsam mit KünstlerInnen aus der Welt des Theaters und der Bühnen erforschen sie in verschiedenen Projekten, wie Virtual Reality (VR) und Theater sich ergänzen können.

Bei der Langen Nacht der Bühnen am 11. November 2017 kann man eines ihrer Projekte im Ars Electronica Center sehen: „The Memories of Borderline“ befasst sich mit der virtuellen Erinnerung an ein Theaterstück. Ein zweites Projekt, „Pitoti Prometheus“, wurde von einem der beiden Cyberräuber, Marcel Karnapke, gemeinsam mit dem Regisseur Frederick Baker geschaffen und lässt alte Petroglyphen aus Felsen zum Leben erwachen. Die Arbeit gewann dieses Jahr einen HALO Award, der herausragende Projekte im Bereich AV/VR/MR auszeichnet.

Im Interview verraten Björn Lengers und Marcel Karnapke mehr.

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Credit: Robert Bauernhansl

Das gemeinsame Projekt „Cyberräuber“ dreht sich rund um Theater in Verbindung mit VR. Warum ergänzen sich diese beiden Themenbereiche so gut? Was bringt VR dem Theater, das es alleine nicht hätte, und wie nützt umgekehrt das Theater der VR?

Marcel Karnapke: VR ist ein vollkommen neues Medium, das wir in seiner Wirkung und Bandbreite erst beginnen zu erforschen. Wir haben uns die Frage gestellt, wie kann man sich einem neuen Medium nähern und wie kann man Regeln und Strukturen entdecken, mit denen man spielen und Dinge formulieren kann. Wir nähern uns dem Medium als einem neuen menschlichen Erfahrungsraum, in dem wir Gefühle, Stimmungen und Orte zu Narrationen werden lassen. Ganz ähnlich dem Theater verbinden wir Umgebungen mit Schauspiel und einem ganz eigenen Blick des Zuschauers, um uns dem Potential von VR stetig anzunähern. Im Umkehrschluss nutzt VR dem Theater gerade dort immens, wo Bühnenbilder, unmögliche Orte und Bilder dem Zuschauer näher gebracht werden sollen. VR ermöglicht es den Betrachtern, Positionen einzunehmen, auch die der Schauspieler, an die sie im Regelfall nicht gelangen könnten. Das öffnet dem Theater neue Möglichkeiten, vergleichbar dem Aufkommen von Projektionen und Leinwänden, die heute in vielen Theaterstücken einen festen Platz einnehmen.

Eines der Werke, das in diesem Rahmen entstand, ist „The Memories of Borderline“, das auch bei der Langen Nacht der Bühnen gezeigt wird. Wie kam es zu diesem Projekt, und wie genau vermischt sich hier Theater mit VR?

Björn Lengers: Ursprünglich plante Kay Voges, der Regisseur des zugrunde liegenden Stücks „Die Borderline Prozession“, einen Film über das Stück zu drehen. Da eine Grundidee der Inszenierung aber die Gleichzeitigkeit der Handlung auf mehreren Bühnen ist, war es fast unmöglich das Stück in einem linearen Medium wie Film darzustellen. Es entstand also die Idee, dem Zuschauer die Macht und Kontrolle zu geben, sich selbst aktiv eine Perspektive in den Bühnen zu suchen und diese nach Belieben dank VR zu ändern. Die Durchmischung von VR und Theater heißt, dass Teile der Bühne, der Videos und Tonspuren des realen Stücks in VR neu erlebbar gemacht werden und einen neuen Blick auf das Stück zulassen.

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Credit: Cyberräuber

Das Werk befasst sich nicht direkt mit dem Theaterstück „Die Borderline Prozession“, sondern mit einer Erinnerung an die Aufführung, oder auch der Essenz des Stückes. Wieso?

Björn Lengers: Eine reine Kopie des Stückes für VR ist aus vielen inhaltlichen, technologischen aber auch künstlerischen Gründen keine gute Idee. Theater hat bedingt durch seine Unmittelbarkeit, seine Vergänglichkeit eine Aura, die man durch reines Aufzeichnen, Abfilmen und Rekonstruieren nicht abbilden kann. Für dieses Projekt war es daher erklärtes Ziel, ein Werk zu schaffen, das es selbst den Schauspielern des Stückes erlauben würde, eine neue Perspektive auf Räume, Dialoge und Erfahrungen zu machen. Die „Memories of Borderline“ sind eine Art Meditation auf Flüchtiges und Vergangenes, auf die Bruchstückhaftigkeit unserer Gedanken und Erinnerungen und deren Repräsentation in digitalen Systemen, wie dem Computer oder eben der virtuellen Realität.

Marcel Karnapke, auch Dein Projekt „Pitoti Prometheus“ wird bei der Langen Nacht der Bühnen gezeigt. Petroglyphen werden mit dem Blick durch die VR-Brille lebendig. Wie entstand die Idee dazu?

Marcel Karnapke: Der Regisseur Frederick Baker und ich trafen uns im Jahr 2012 zum ersten Mal an der Bauhaus Universität Weimar und er war auf der Suche nach neuen Medien und Erzählformen für die Erfassung und Interpretation dieser tausende Jahre alten Steinzeichnung. Vorrangig nutzen Archäologen auch heute noch die 2D Fotografie zur Dokumentation von Artefakten. Die Subjektivität in der Perspektive dieser „Katalogfotos“ wurde meiner Meinung nach den Kunstwerken nicht gerecht und gerade aufkommende 3D Scansysteme schienen ein guter Weg zu sein, die Figuren vollständiger zu dokumentieren. Als wir dann gemeinsam mit Fred die Artefakte zum ersten Mal in VR sahen, waren sogar die Informatiker und Informatikerinnen schwer begeistert von diesem Weltkulturerbe. Es war für uns also nur ein weiterer logischer Schritt, durch Forschung zu versuchen, die Figuren nach der Vision ihrer Schöpfer wieder zum Leben zu erwecken. ·

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Credit: Frederick Baker, Marcel Karnapke

Die Arbeit wird oft als „vollkommen neuartig“ beschrieben – was macht sie so außergewöhnlich?

Marcel Karnapke: Eine der Ideen für unsere Arbeit war, das Material zu befragen. Wir wollen wissen, welche Gedanken hatten die Schöpfer dieser Kunst vor tausenden Jahren, als sie auf dem Stein kniend die Objekte schufen? Waren Sie vergleichbar mit uns oder komplett andersartig? Wie sah ihre Welt der Ahnen aus, kannten Sie vielleicht schon Götter oder waren die Bilder bestimmt für Rituale? Durch die Erfassung der Objekte via Laserscan und in einer Genauigkeit von wenigen Millimetern war es uns möglich, die Objekte in 3D zu drucken, mit Gelenken auszustatten und diese Figuren tatsächlich wieder in Bewegung zu setzen. Wir erkannten, dass viele Objekte und Figuren vermutlich keine Einzelbilder darstellen, sondern eher einer Momentaufnahme entsprachen, ganz so wie ein Bild in einer Folge von Bildern. Was wäre nun, wenn man die Bilder davor und danach herstellen könnte? Wie würden die Figuren wieder in Bewegung aussehen und könnten wir Sie getreu des prähistorischen Künstlers und seiner Vision reanimieren? Diese Betrachtung der Figuren, durch die Linse ihrer potentiellen animatorischen Lebendigkeit, verhalf uns, viele neue Fragen zu stellen und deren Antworten visuell darzustellen. Virtuelle Realität war dabei für uns nicht nur ein Gimmick oder eine reine Bildästhetik. Tatsächlich sind die Figuren räumliche Wesen im Stein der Norditalienischen Alpen. Unsere Animationen lassen die Figuren sich aus dem Stein befreien, ihre Bewegungen werden raumgreifend und überschreiten damit die Grenzen von traditionellem 3D Kinoerlebnis.

Cyberräuber ist ein Kunst- und Technikkollektiv aus Berlin, das Theater und Virtual Reality verbindet. Es besteht aus Björn Lengers und Marcel Karnapke. Sie zeigen ihre Arbeiten als Theaterinstallation und begehbare Inszenierungen, und demnächst als downloadable content für Zuhause.

Die beiden Projekte von Björn Lengers und Marcel Karnapke können bei der Langen Nacht der Bühnen am 11. November 2017 im Ars Electronica Center erlebt werden. „The Memories of Borderline“ beginnt um 19:00 Uhr im Deep Space 8K, „Pitoti Prometheus“ wird um 21:00 Uhr ebenfalls im Deep Space gezeigt. Alle Informationen zu diesen und allen weiteren Programmpunkten finden Sie auf der Webseite der Langen Nacht der Bühnen 2017.

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