Interaktiv, modern, gleichzeitig traditionsbewusst – so präsentieren sich die drei Projekte, die von Ars Electronica Solutions für die Neugestaltung des Sacher Ecks in Wien umgesetzt wurden. Im umgebauten Shop zeigt ein sorgfältig produziertes Video, dass die Original Sacher-Torte wirklich und noch immer von Hand gefertigt wird. In den Vitrinen im Außenbereich präsentieren verschiedene Installationen aus Screens und Plexiglas ausgewählte Produkte des Hauses Sacher. Nebenan zieht das faszinierende Diorama, bestehend aus einer aufwendigen Papierversion des Hauses Sacher und verspielten Animationen, vorbeigehende SpaziergängerInnen in seinen Bann.
Harald Moser, Projektleiter der Ars Electronica Solutions, und Reiner Heilmann, Direktor des Hotel Sacher in Wien, haben sich mit uns bei einem Stück Original Sacher-Torte über das neue Sacher Eck, die Zusammenarbeit zwischen dem Traditionsbetrieb und der Medienkunstinstitution und die drei umgesetzten Projekte unterhalten.
Für Sacher wurden durch Ars Electronica Solutions drei Installationen realisiert. Harald, Du bist Projektleiter – wie kam es zur Zusammenarbeit mit Sacher?
Harald Moser: Das Hotel Sacher wollte beim Bau des neuen Sacher Ecks Interaktivität und neue Medien integrieren, um eine Brücke zwischen der traditionellen Handarbeit, die die Original Sacher-Torte ausmacht, und der Neuzeit zu schlagen. Dieses Thema kommt speziell bei dem Diorama zum Tragen: Papercraft, verbunden mit neuen Medien. In der ersten Phase machten wir eine Ideensammlung, aus denen Sacher drei aussuchte, die wir realisieren sollten. Das erste Projekt steht jetzt im Shop selbst. Es ist ein spezielles Video, das Einblicke in die Sacher Manufaktur gibt. Man sieht genau, wo die Torte produziert wird, wie es dort aussieht, wie es funktioniert. Für die Verschränkung mit der Architektur suchten wir einen speziellen 4K-Screen aus, der vor ein Spiegelglas kam, das von hinten Licht durchlässt. So entsteht ein wunderschöner Effekt. Wenn man also einen schwarzen Hintergrund hat, sieht man nicht, dass ein Screen dahinter ist. Es war uns sehr wichtig, keine offensichtlichen Display-Flächen in den Installationen zu zeigen. Die Technik soll mit der Architektur einhergehen.
Credit: Florian Voggeneder
Das zweite Projekt ist im Außenbereich des Hotel Sacher zu sehen…
Harald Moser: Im Außenbereich an der Fassade haben wir unterschiedliche Vitrinen konzeptioniert. Sie sind von hinten mit LEDs beleuchtet, auch hier wieder so reduziert und versteckt, dass die Vittrinen nicht als Screenflächen wahrgenommen werden. Zwei Ebenen aus Plexiglas stellen davor verschiedene Wahrzeichen von Wien dar. Sie verschmelzen mit der Vitrine und der Beleuchtung zu einem Ganzen.
Das letzte Projekt ist das Diorama, mit einem Papiermodell der zwei Papercraft Designerinnen Daniela Leitner und Sandra Reichl. Um was handelt es sich hier?
Harald Moser: Das Diorama ist eine besondere Installation, die wahrscheinlich diese Mischung aus neuen Medien und traditioneller Handwerkskunst am schönsten verbindet. Die Grundidee war, die Dioramas aus dem 19. Jahrhundert in die Neuzeit zu überführen. Damals baute man auch Vitrinen, die eine gewisse dreidimensionale Tiefe hatten, aus unterschiedlichsten Materialien. So wurden Schaukästen entwickelt. Wir stellten uns die Frage: Was könnten wir machen, um genau das in die Neuzeit zu überführen? Wir haben uns schließlich für eine Variante mit einem sehr speziellen Screen entschieden, der extrem hell ist, eine gewisse Größe hat und auch für eine Software, die relativ komplex ist. Man sieht jetzt also das Sacher-Haus, wunderschön gestaltet von den beiden Wiener Designerinnen Daniela Leitner und Sandra Reichl. Sie fertigten das Haus in mehr als 1000 Stunden per Hand an. Dabei arbeiteten sie wirklich händisch, mit dem Skalpell, schnitten die einzelnen Flächen und Ebenen und klebten sie schließlich zusammen. Vor dem Haus sieht man einen Boden, eine Straße und Laternen, um dem Projekt Dreidimensionalität zu geben. Dahinter steht das Display. Es verschwindet in der Vitrine. So ist nicht sichtbar, dass es ein Display ist.
Credit: Vanessa Graf
Die Software, die wir dafür entwickelt haben, ist sehr speziell. Wir zeigen damit im Hotel Sacher Animationen auf unterschiedlichsten Ebenen, Stockwerken, Balkonen und Schaufenstern. Sie sind über die Zeit einfach austauschbar. Jede dieser Animationen kann man skalieren, drehen und verzerren, um die Dreidimensionalität vom Haus zu vervollständigen. Man kann sie in verschiedenen Rhythmen programmieren, es gibt unterschiedliche Tages- und Jahreszeiten, sowie eine interaktive Schnittstelle. Diese lässt einerseits durch Twitter oder mit einem mobilen WLAN-Spot vor dem Schaufenster zu, dass Menschen ihren „Sacher-Moment“ teilen. Dieser wird anschließend in Form einer Animation am Dach des Hauses im Diorama sichtbar.
Sacher ist ein Traditionsbetrieb, Ars Electronica steht für Innovation. Wie schafft man den Spagat zwischen Tradition und moderner Technologien?
Harald Moser: Ich glaube, genau dieser Spagat war auch Sacher sehr wichtig. Deswegen kamen sie zu Ars Electronica: Weil sie wussten, dass sie bei uns nichts von der Stange bekommen. Wir entwickelten die Projekte speziell für Sacher. Der Prozess der Ideenfindung und des Feinschliffs der Ideen benötigte natürlich seine Zeit. Man muss sich kennenlernen. Wir von Ars Electronica Solutions besichtigten die Sacher-Manufaktur zweimal und sahen, wo die Torten hergestellt werden. Man kann sich das nicht vorstellen, aber es passiert wirklich alles von Hand! Das gibt einen ganz speziellen Eindruck und ein emotionales Gefühl. Das wollten wir in den Installationen und ganz speziell im Diorama widerspiegeln.
Credit: Florian Voggeneder
Herr Heilmann, Sie sind Direktor des Hotel Sacher in Wien. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Ars Electronica?
Reiner Heilmann: Man kennt Ars Electronica, das möchte ich vorneweg sagen. Auch wir als Nicht-Fachleute wissen, wer und was Ars Electronica ist. Wir wurden aber besonders über einen Freund von Herrn Winkler [der Eigentümerfamilie, Anm.] auf Ars Electronica aufmerksam gemacht. Wir hatten uns schon länger mit dem Neubau unseres Shops auseinandergesetzt. Warum bauen wir ihn neu? Wie soll er aussehen, wie ist die Zukunft des Verkaufs? Wie entwickelt sich der Kunde, die Kundin, was sind die Erwartungshaltungen heute und morgen?
Unser Shop hatte noch einen starren Verkaufsmechanismus. Wir hatten eine Ladentheke, auf der einen Seite waren die Verkäufer oder Verkäuferinnen, auf der anderen Seite der Kunde oder die Kundin. Das war eine Barriere. Unter Umständen blockiert man jemanden – wenn man nur ein Produkt, also in diesem Fall die Original Sacher-Torte, kaufen möchte, vor einem aber jemand steht, der sich zum Beispiel unsere Versandoptionen genau erklären lassen möchte. Diesen schnellen Käufer, die schnelle Käuferin, bedienten wir nicht wirklich. Jetzt haben wir eigentlich denselben Mitarbeiteransatz, quantitativ, aber die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zirkulieren innerhalb des Shops. Sie beraten oder kassieren oder halten sich auch zurück. Es ist ein anderes Verkaufen. Die Kunden und Kundinnen entwickeln sich weiter, die jüngere Generation und die sehr, sehr junge Generation kaufen ganz anders ein. Gestern kam mir ein Kunde entgegen, da fragte ich ihn, wie ihm der neue Shop gefalle. Er sagte mir, das Beste sei, dass man jetzt endlich die Ware angreifen kann. Das war vorher nicht möglich. Viele finden die neue Aufteilung viel besser, wertiger und zukunftsorientierter.
Credit: Florian Voggeneder
Zukunftsorientiert ist auch Ars Electronica. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Ars Electronica Solutions?
Reiner Heilmann: Wir wollten aber neue Akzente setzen, uns anders präsentieren. Was zeigt man zum Beispiel im Schaufenster? Alle Produkte, die wir haben? Wir haben 80 bis 90 Produkte, das wäre unmöglich. Wie präsentieren wir uns in den Vitrinen? Wir wollten hier einen neuen Ansatz wählen. Weniger ist mehr. Es geht nicht mehr darum, alle Produkte zu präsentieren, sondern sich auf ein Kernprodukt zu konzentrieren und das in Szene zu setzen. Dafür gab es mehrere Vorschläge von Seiten der Ars Electronica Solutions, drei davon haben wir angenommen.
Beim ersten, dem Diorama, waren wir uns schnell einig. Beim zweiten, den Vitrinen, war es zwar klar, in welche Richtung wir gehen wollten, aber wir waren uns nicht sicher, wie mutig wir sein sollten. Bei einem Besuch im Ars Electronica Center wurden wir in die technologischen Möglichkeiten der Ars Electronica eingeführt. Da war uns ziemlich schnell klar, das könnte funktionieren. Das einzige, was uns nicht klar war, war die Gratwanderung zwischen Technik und Nicht-Technik. Wir hatten Angst, dass wir zu technisch werden und dass das Geschäft, wenn man es betritt, aussieht wie ein Spielzeugladen, in dem sich überall etwas bewegt. Wir wollten, dass die Technik kein Fremdkörper ist. Wir sind jetzt mit der Vitrinengestaltung und dem Diorama auf jeden Fall technischer als vorher. Wir wollten auch internationaler sein. Ars Electronica ist kein Unternehmen, dass nur in Österreich mal hier und da einen Auftrag bekommt, sondern international agiert. Das war uns sehr wichtig.
Credit: Florian Voggeneder
Letztlich mussten wir noch das Problem lösen, wie wir kommunizieren konnten, dass wir die Original Sacher-Torte in unserer Manufaktur wirklich mit der Hand fertigen. Fast alle unserer Kunden und Kundinnen können den Unterschied zwischen Original Sacher-Torte und Sachertorte nicht verstehen. Die Original Sacher-Torte war die erste, die erfunden wurde, 1832. Erst als die Familie Gürtler das Hotel von der Familie Sacher übernommen hatte, wurde die Torte markenrechtlich eingetragen. Zu diesem Zeitpunkt gab es aber schon unglaublich viele Nachahmer, die eine Schokoladentorte einfach Sacher-Torte genannt haben. Nur bei unserem Produkt handelt es sich um die Original Sacher-Torte. Und die ist handgefertigt.
Wenn man dem Kunden, der Kundin sagt, die Torte sei handgefertigt, geht das bei einem Ohr rein und beim anderen wieder raus. Anders, wenn man in die Manufaktur fährt – deshalb war es mir auch so wichtig, dass das Team von Ars Electronica Solutions das sieht. Spätestens dort sagen die Leute: Das wird ja WIRKLICH so gemacht! Die Eier werden wirklich händisch geteilt und die Masse wird wirklich händisch, mit Handschuhen, umgehoben, sodass die Luft, die eingeschlagen wurde, nicht entweicht. Wir wussten ganz genau, was wir wollten: Eine Plattform, auf der wir unsere Torte handgefertigt darstellen konnten. Glaubhaft. Und nicht im Sinne von „Das war einmal“, sondern „das ist immer noch so“. Dafür haben wir also einen Film gefertigt, der genau das zeigt.
Credit: Florian Voggeneder
Wie schafft man es als traditionsreiches Unternehmen, den Bogen zwischen Tradition und Moderne zu spannen?
Reiner Heilmann: Ich glaube, dass es als Traditionsunternehmen noch wichtiger ist als in anderen Unternehmen, einen Schritt mehr zu machen und innovativer zu sein, weil es viele nicht erwarten. Es ist ganz wichtig, dass man ein bisschen überrascht. Der Kunde oder die Kundin will überrascht werden, solange es positiv ist. Es war für uns sonnenklar, dass wir nicht nur klassisch mit einem Plakat oder einem Produkt in der Vitrine werben wollen. Für uns war nur die Gratwanderung ein Thema. Wie weit können wir gehen, wie würden wir den Kunden, die Kundin überfordern oder unterfordern? Wie sprechen wir neue Zielgruppen an? Weil haben bei der Original Sacher-Torte einen großen Vorteil – diese Torte hat kein „Mascherl“. Sie ist nicht am Luxus verhaftet. Unsere Kunden und Kundinnen wohnen nicht nur im 5-Sternehotel, sondern sie können genauso gut in einem Boutique Hotel, in einer Jugendherberge, in einem Low Budget Hotel sein, oder auch Tagestouristen und Touristinnen. Das ist ein wesentlicher Punkt. Ein zweiter ist, dass die Torte in erster Linie als Geschenk gekauft wird.
Das Diorama ist eigentlich ein Sinnbild für diese Gratwanderung, eine Mischung aus Technik und Analogem.
Reiner Heilmann: Technologisch war das sicher eine Meisterleistung. Das ist natürlich die Kunst, die beiden Bereiche zu vermischen. Für uns muss es technisch und gleichzeitig auch nicht technisch sein. Es ist nicht nur ein Scherenschnitt, es ist nicht nur statisch, sondern da tut sich was. Es entspricht aber gleichzeitig dem Haus, es ist sehr elegant. Man hätte sicherlich viel aggressiver sein können. Wir müssen der Marke entsprechend agieren, aber trotzdem Akzente setzen. So sieht man: Hier verändert sich etwas. Das Diorama finden die Gäste unglaublich cool.
Harald Moser ist eine kommunikative, kreative und leidenschaftliche Person mit einer breiten Erfahrung in kulturellen und musikalischen Umfeldern. In den letzten 12 Jahren arbeitete er in vielen verschiedenen Rollen im Feld von Kultur- und Mediaproduktion, national wie auch international. Auf seiner Weltreise erhielt er tiefe Einblicke in verschiedene kulturelle Wahrnehmungen. Dank seines künstlerischen Hintergrunds entwickelte er ein großes, internationales Netzwerk von Kreativen rund um die Welt. Seine konzentrierte Leidenschaft für kreatives Storytelling auf verschiedenen Kanälen ist nicht nur eine solide Basis für die Zusammenarbeit mit KünstlerInnen, MusikerInnen, ArchitektInnen und TechnikerInnen, sondern auch für seine täglichen Aktivitäten.
Reiner Heilmann leitet seit mehr als 20 Jahren das Hotel Sacher.
Die drei Projekte von Ars Electronica Solutions für Sacher sind ab sofort im Café Sacher Eck in Wien (Philharmonikerstraße 4) im Innen- und Außenbereich des Gebäudes zu betrachten.
Um mehr über Ars Electronica zu erfahren, folgen Sie uns auf Facebook, Twitter, Instagram und Co., abonnieren Sie unseren Newsletter und informieren Sie sich auf https://ars.electronica.art/.