Deep Space LIVE: Linz zu Zeiten Keplers erleben

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Es ist das frühe 17. Jahrhundert. Rund um das kleine Städtchen Linz an der Donau liegen Felder, von „Stahlstadt“ wird hier noch lange keine Rede sein. Ganz Europa ist gebeutelt von Religionskonflikten, auf die Reformation folgt die Gegenreformation, die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges stehen vor der Tür und in Oberösterreich bricht schließlich der Bauernkrieg aus. Mitten in dieser stürmischen Zeit zieht der Astronom Johannes Kepler nach Linz.

Wie muss die Stadt wohl damals für den berühmten Wissenschaftler ausgesehen haben? Gemeinsam mit Maria Altrichter vom Archiv der Stadt Linz werfen wir am 22. Februar 2018 im Deep Space LIVE einen Blick zurück und wandeln auf Keplers Spuren durch Linz. Im Interview spricht sie mit uns über ihren Vortrag, die Arbeit eines Archivs und warum der Deep Space 8K immer wieder neue Perspektiven auf alte Dokumente eröffnet.

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Maria Altrichter. Credit: Vanessa Graf

In deinem Vortrag geht es um das Linz zu Zeiten Johannes Keplers. Warum ist dieser Zeitraum so spannend?

Maria Altrichter: Es ist grundsätzlich jeder Zeitraum spannend, am Anfang des 17. Jahrhunderts liegt das vor allem an den Reformationskonflikten. Zuerst die Reformation, dann die Gegenreformation, das zeichnete sich natürlich auch in Linz ab. Es waren vor allem die protestantischen Stände, der Adel, die Oberschicht, die sich dem Protestantismus zugehörig fühlten, in Opposition zu den Landesfürsten. Diese Streitigkeiten dauerten von ungefähr 1550 bis 1626, als ihnen die Bauernkriege ein Ende setzten. Diese Entwicklungen boten sehr viel Platz für Konflikte und waren die Vorläufer des Dreißigjährigen Kriegs, der mit dem Prager Fenstersturz 1618 begann. Obwohl Linz nicht besonders groß war, bildete sich das auch hier ab. Die Stände bekamen mehr Selbstbewusstsein und bauten das Landhaus als eigenes Gebäude, in Opposition zum Schloss. Sie haben sich auch die Landschaftsschule aufgebaut, mit der sie Gelehrte förderten, unter anderem auch Kepler.

Wie hat Linz damals ausgesehen? Welche Spuren von damals sieht man auch im modernen Stadtbild noch immer?  

Maria Altrichter: Linz war keine besonders wichtige Stadt, obwohl es Landeshauptstadt war. Steyr zum Beispiel war wirtschaftlich gesehen um vieles wichtiger und auch größer. Linz war generell eine eher kleine Stadt. Heute sieht man noch die Struktur der Stadtmauer von damals, die sich von der Promenade über den Graben zum Rand des Pfarrplatzes zog und dann an der Donaulände die gesamte Häuserfront bis zum Schloss weiter ging. Alles innerhalb der Mauern war die Stadt, der Rest zählte zur Vorstadt. Rechtlich gehörte die Vorstadt zu Linz, allerdings hatten die Bürger und Bürgerinnen innerhalb der Stadtmauern viel mehr Rechte. Es waren vor allem Rechte in wirtschaftlicher Hinsicht.

Heute sieht man auch noch das Linzer Schloss, das um 1600 umgebaut wurde. Vorher war es eine mittelalterliche Burg, um 1600 ließ es Kaiser Rudolf II zu einem komfortablen Schloss umbauen. Auch heute steht es noch in dieser Form, nur ein Flügel fehlt, der beim großen Stadtbrand 1800 abbrannte. Stattdessen wurde ein neuer Teil hinzugefügt, ein vierter Flügel. Auch das Landhaus wurde in den 1560ern und 70ern  umgebaut und stetig erweitert. Diese zwei Gebäude sind wirklich aus der Zeit Johannes Keplers und prägen heute noch das Aussehen der Stadt. Zumindest der Innenstadt, die gesamte Stadt ist heute um Vielfaches größer.

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Credit: Vanessa Graf

Der Vortrag im Deep Space wird unterstützt von Bildern der damaligen Zeit. Wie gestaltet sich die Quellensuche nach so alten Dokumenten?

Maria Altrichter: Die meisten Bilder sind nicht von uns, da wir im Archiv der Stadt Linz keine so alten Stadtansichten haben. Wir bekamen dankenswerterweise viele vom NORDICO zur Verfügung gestellt, das eine riesige Grafiksammlung besitzt, sowie von den Landesmuseen. Das Archiv der Stadt Linz brachte schon vor vier Jahren außerdem ein Buch heraus, „Linz – Ansichten aus sechs Jahrhunderten“, in dem wir von den ältesten Ansichten der Stadt über das 18. und 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart versucht haben, die Stadt abzubilden. Es gibt aus dieser frühen Zeit kaum aussagekräftige Abbildungen. Die früheste, auf der man wirklich etwas sieht und man die Stadt erkennen kann, stammt aus den 1550er-Jahren. Die Auswahl fällt also relativ leicht, da sie sehr begrenzt ist. Andererseits sind es wirklich spannende Ansichten! Besonders, wenn man sich das aus der Sicht der Zeit vorstellt. Es gibt sehr detaillierte Zeichnungen der Stadt, und das mit geringsten Mitteln! Es gab kein Flugzeug, keinen Hubschrauber, nichts, mit dem man die Stadt von oben betrachten konnte.

Wie werden die Daten und Bilder, die im Archiv liegen, heute genutzt?

Maria Altrichter: Zum einen machen wir Vorträge damit, wie hier im Deep Space. Davon abgesehen werden die Bilder für die historische Forschung genutzt. Wir haben einige Benutzer und Benutzerinnen, die sehr oft kommen und wirklich lange an Themen zur Stadtgeschichte arbeiten. Sie greifen gerne auf unsere Quellen zurück. Auch Leute, die interessehalber kommen, setzen sich zu uns und greifen auf diesen großen Pool an Daten zu. Großteils sind es analoge Daten. Wir haben zwar Einiges digitalisiert und haben auch einige Daten, die wirklich ursprünglich digital sind, aber im Grunde ist das meiste analog. Viele Menschen kommen auch und machen Familienforschung mit den Daten, die wir über die Jahre und Jahrzehnte inzwischen digitalisiert haben, damit Datenbankenauswertungen funktionieren. Wir verstehen uns als das Gedächtnis der Stadt, also wir müssen alles Wichtige, rechtlich oder historisch Relevante, reale Dokumente und Bildmaterialien der Stadt aufheben. Wenn man nichts aufhebt, stirbt die Rechtssicherheit. Zweitens verschwindet vieles aus der Geschichte, wenn es keine Stelle gibt, die das Gedächtnis bildet, die Dinge speichert und aufbewahrt. Wenn nichts aufbewahrt wird, gibt es auch keine Reflexion. Dem entgegenzuwirken ist unsere Aufgabe.

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Credit: Archiv der Stadt Linz

Worin liegt der Reiz, aus einem so modernen Raum wie dem Deep Space 8K einen Blick in die ferne Vergangenheit zu werfen?

Maria Altrichter: Ich finde die Kombination aus Ars Electronica Center und dem Archiv der Stadt Linz sehr lustig, weil unsere historischen Themen auf den ersten Blick gar nicht so gut dazu passen. In Wirklichkeit ist es total spannend, sich Dokumente wie Stadtansichten so großflächig und intensiv auf einer großen Projektionsfläche anzusehen, weil man viele Details sieht, die man im Kleinen nicht bemerkt. Es ist schon oft vorgekommen, dass wir uns ein Bild angeschaut haben, das wir in der Arbeit schon hundertmal in der Hand hielten und gut kannten. Wenn man es aber so groß aufbläst und die Details rausholt, erkennt man immer wieder Sachen, die man vorher nie gesehen hat. Das ist ein Wahnsinn, das ist wirklich toll und jedes Mal wieder sind wir begeistert! Auch die Kombination von unseren historischen Themen und dem jungen Publikum ist super. Diese Mischung aus Alt und Jung, historischen Inhalten und moderner Präsentation, die ist wirklich sehr reizvoll.

Maria Altrichter, geboren 1980 in Oberösterreich, studierte Geschichte und Archivwissenschaft in Wien. Sie arbeitet seit 2009 als wissenschaftliche Archivarin am Archiv der Stadt Linz.

Der Deep Space LIVE „Linz zu Zeiten Keplers“ findet am 22. Februar 2018 im Ars Electronica Center statt. Mehr Informationen finden Sie auf unserer Webseite.

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