Schon zum dritten Mal in Folge wird der STARTS Prize der Europäischen Kommission von Ars Electronica, gemeinsam mit der Waag Society und BOZAR, ausgeschrieben. In zwei Kategorien, Artistic Exploration und Innovative Collaboration, jeweils dotiert mit 20.000 Euro, werden die innovativsten und spannendsten Projekte an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst gesucht. Daher auch der Name: STARTS steht schließlich für Science, Technology und Arts.
Wer schließlich die Jury von der eigenen Arbeit überzeugen konnte, bleibt noch bis Juni ein Geheimnis. Damit das Warten aber nicht so lange dauert, haben wir uns vorab schon mit zwei Jurymitgliedern, Francesca Bria und Seiichi Saito, getroffen und uns mit ihnen über das intensive Jury-Wochenende, die Trends 2018 und die Rolle von Kunst und Technologie in der Gesellschaft unterhalten.
Wie waren die Jurysitzungen bisher für euch?
Francesca Bria: Es war ein sehr interessanter Prozess der Zusammenarbeit. Wir haben viele verschiedene Vorschläge von unterschiedlichen Ländern und Perspektiven analysiert, Kollaborationen zwischen Künstlern und Künstlerinnen, der Industrie, Gesellschaften und Städten, und Projekte, die unterschiedliche Umwelt-, Gender-, Nachhaltigkeits- und Wirtschaftsaspekte mit sich bringen. Wir Jurymitglieder repräsentieren alle unterschiedliche Felder: Ich repräsentiere eine Stadt-, aber auch eine Regierungsperspektive. Es gibt Juroren und Jurorinnen von Seiten der Schwerindustrie, aber auch aus der Industrie in den Bereichen Prototyping, Ingenieurwesen, oder Industriedesign. Es gibt auch eine starke künstlerische Dimension und es ist sehr interessant zu sehen, wie wir Dinge diskutieren und wo wir gemeinsame Standpunkte finden. Wir haben alle ein unterschiedliches Verständnis des Werts der Projekte. Ich denke, es war bis jetzt sehr intensiv, aber auch sehr bereichernd. Die Diskussionen und auch das Finden einer gemeinsamen Meinung waren bis jetzt großartig.
Seiichi Saito: Für mich ist es das erste Mal als ein Juror für den STARTS Prize. In den Diskussionen müssen wir den Prozessen wirklich auf den Grund gehen. Es geht nicht nur um das Resultat. Wenn ich mir die Projekte ansehe, die wir jetzt für die letzte Jury-Runde ausgewählt haben, denke ich, dass wir wegweisend für die Industrie sein können. Wie auch Francesca schon gesagt hat, haben wir alle einen unterschiedlichen Hintergrund, also beurteilen wir die Arbeiten aus einer anderen Perspektive. Für mich ist der Beurteilungsprozess auch ein großes Lernerlebnis.
Francesca Bria. Credit: Florian Voggeneder
Mittlerweile habt ihr schon jede Menge Projekte begutachtet. Könnt ihr Trends identifizieren?
Francesca Bria: Ich denke, obwohl wir viele emporstrebende Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), Big Data, zukünftige Techniken der industriellen Herstellung oder Virtual Reality sehen, ist es am wichtigsten, darüber nachzudenken, welche Richtung wir mit diesen technologischen Änderungen einschlagen wollen. Die Verbindung zwischen Industrie, Wissenschaft und der Kunst ist wirklich wichtig, weil wir keine technologische Richtung formen können, wenn wir nicht interdisziplinär arbeiten.
Davon abgesehen erkennen wir einen großen Trend rund um das Thema Nachhaltigkeit, wie wir über das Leben nachdenken, wie wir Bio-Design verwenden, und vor allem auch wie man einige der Trends der Massenindustrie und –Produktion kritisch hinterfragen kann. Es ist eine neue Art, den Produktionszyklus und die Lieferkette zu betrachten. Wir sehen Trends rund um Überwachung, eine neue Dimension der Privatsphäre und der Datenökonomie. Künstler und Künstlerinnen denken darüber nach, wie wir Menschen schützen können, aber auch wie wir Werkzeuge zur Verfügung stellen können, die uns helfen, eine faire Wirtschaft zu verstehen, in der Bürger und Bürgerinnen mehr Kontrolle über ihre Daten haben und die weiteren Auswirkungen von Technologie in der Gesellschaft besser verstehen. Wir sehen auch Trends rund um die Verwendung von Materialien, neue Bauweise, flexible Baumethoden, schnelleres Erstellen von Prototypen oder neuartige Weisen des 3D-Drucks. Natürlich ist auch die Debatte rund um Künstliche Intelligenz, Mensch-Maschinen-Interaktion, und die Frage wie wir KI interpretieren können ein Thema. Künstler und Künstlerinnen denken KI nicht nur als die neue Hegemonie, eine Sichtweise, die sehr dem Bereich entspricht, aus dem ich komme, eine Technologie-, Industrie- oder Regierungsperspektive, sondern auch als Öffner für einen neuen Raum des Dialogs zwischen Menschen. Wie kann KI uns helfen, Dinge auf eine neue Weise zu interpretieren?
Seiichi Saito: Ich denke zurück an die Projekte, die die Jurys 2016 und 2017 ausgewählt haben, und es gab damals viele Trends wie Bio-Art oder Künstliche Intelligenz oder Robotik. Ich denke, dieses Mal war es mehr experimental. Dieses Jahr sind viele Ideen in eine praktische Phase eingetreten, was bedeutet, dass Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Robotik oder Open Data auf einem gewissen Level in der Gesellschaft angewandt werden. Künstler und Künstlerinnen beginnen, Produkte zu erschaffen und Ideen in Aktionen zu verwandeln. Ich denke, der jetzige Moment ist vor allem einer der Ausübung, man verwendet die Technologien, über die wir die letzten fünf Jahre lang geredet haben. Das bedeutet, dass diese Technologien jetzt das Leben von Einzelnen, von ganzen Ländern oder Kulturen verändern werden.
Francesca Bria: Ein weiterer großer Trend, der mit dem zusammenhängt, was Seiichi gerade gesagt hat, ist die Frage, wie wir starke Gemeinschaften schaffen können. In unseren Jurysitzungen haben wir den Einfluss, den impact von Technologien stark hervorgehoben. Es gibt Projekte, die große Gemeinschaften rund um ihre Praxis bilden und dann zeigen, wie man eine solche Innovation skalieren und replizieren kann. Menschen werden wirklich zum Antrieb von Veränderung. Es gibt diesen starken Gemeinschaftseffekt nicht nur bei STARTS, sondern auch in den Kategorien des Prix Ars Electronica. Leute denken darüber nach, wie man starke Gemeinschaften schaffen und den sozialen Effekt von Technologien verstärken kann. Eine weitere große Frage ist Diversität und Feminismus. Wir wollen eine diverse Perspektive zeigen und sicherstellen, dass Frauen repräsentiert werden, Projekte aus der ganzen Welt und nicht nur die üblichen Leute und Orte, die interessante und bahnbrechende Arbeiten machen.
Alex Verhaest. Credit: Florian Voggeneder
Ihr sucht nach zwei Gewinnerprojekten, eines in der Kategorie Artistic Exploration und eines in der Kategorie Innovative Collaboration. Warum ist es wichtig, in diesen beiden Dimensionen zu denken?
Francesca Bria: Zuallererst denke ich, dass das künstlerische Entdecken, oder Artistic Exploration, sehr wichtig ist, um der Industrie und der technologischen Veränderung eine andere Richtung vorzugeben. Das ist die Kategorie, in der wir auf Künstler und Künstlerinnen als kritische Reflektoren schauen: Wohin gehen wir? Künstler oder Künstlerinnen können ein neues Feld oder eine neue Wahrnehmung der Verwendung von Technologie eröffnen, über die die Industrie selbst oder auch Regierungen gar nicht nachdenken können. Wir können eigentlich sagen, dass wir einen Preis für exzellente künstlerische Innovationen vergeben. Der zweite Preis dreht sich mehr rund um die Zusammenarbeit zwischen der Industrie, der Wissenschaft und der Kunst. Ich denke, es ist besonders für Europa sehr wichtig, diese Zusammenarbeit zu stärken, weil wir neue Dimensionen brauchen und überlegen müssen, wie die Industrie fortschreiten kann. Die Kriterien in dieser Kategorie sind nicht nur der kritische Hintergrund oder die herausragende Qualität der Arbeit, sondern auch das, was das Projekt der Industrie gibt und wie die Industrie daraus eine neue Plattform für Kollaboration schaffen kann. Wir suchen nach Vorzeigeprojekten, die einen neuen Weg des Experimentierens für einen bestimmten Industriezweig oder eine Technologie öffnen.
Seiichi Saito: Ich denke, dass die künstlerische Perspektive und auch die der Zusammenarbeit beide sehr wichtige Bereiche sind, in denen ich diese angewandte Bewegung wiederfinde, die ich vorhin erwähnt habe. Bei Innovative Collaboration geht es darum, praktisch zu sein, etwas Bodenständiges zu schaffen, eine Zusammenarbeit, ein bestimmtes Produkt, Service oder eine Kultur. Artistic Exploration hingegen endet nie, und das ist seine Schönheit. Ich denke, es ist wirklich wichtig, dass Künstler und Künstlerinnen aufzeigen, wohin die Zusammenarbeit mit der Industrie uns führen könnte.
Francesca Bria: Oder auch die Provokation oder den Konflikt! Wir sind an einem Punkt der Ruptur. Innovation ist nicht schrittweise oder linear, sondern es gibt einen Bruch, der von Künstlern und Künstlerinnen herbeigeführt wird, die die Welt von einer sehr kontroversen oder kontraintuitiven Perspektive sehen. Wir suchen nach einer Ruptur, die eine neue Perspektive eröffnen kann, und das ist der Punkt, an dem die Kunst ansetzt.
Seiichi Saito: Das ist die Rolle des Künstlers oder des Künstlerin in der Gesellschaft. Wir dürfen nicht aufhören, Fragen zu stellen: Warum das? Und warum dies? Ist das der richtige Weg oder nicht? Und wenn es nicht der richtige Weg ist, können Künstler und Künstlerinnen zeigen, was falsch läuft oder welche Richtung wir einschlagen sollten. Auch, wenn jetzt noch etwas zu teuer ist, man könnte die Industrien vereinen und gemeinsam eine billigere und bessere Lösung finden. Das ist der Grund, warum es sehr interessant und auch wichtig ist, diese beiden Dimensionen zu bedenken.
Ihr seht euch Projekte an, die an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst angesiedelt sind. Was ist so spannend an dieser Ãœberschneidung?
Francesca Bria: Für mich gibt es eine absolute Notwendigkeit, über diese Intersektion nachzudenken. Als Kommissarin für digitale Technologie und Innovation der Stadt Barcelona kümmere ich mich um das Thema Smart City, die Zukunft der Städte. Es ist unbedingt notwendig, die Zukunft von Städten nicht von einem technologischen Denken aus zu formen, indem man zuerst die Technologie einführt, die alles verändern wird, sei das ein Sensorennetzwerk, Datenverbindungen oder Künstliche Intelligenz. Eigentlich sollte das Umgekehrte passieren! Bevor man neue Technologien einführt ist es erst einmal wichtig, die Bedürfnisse der Bürger und Bürgerinnen und der Gesellschaft zu verstehen, eine neue Perspektive zu schaffen und diese Multidisziplinarität zu schaffen, die genau aus der Verbindung von Kunst, Technologie und Wissenschaft besteht. Wir müssen die richtigen Fragen stellen und verstehen, was wir wirklich brauchen, wie die Richtung der Veränderung gerade aussieht und wie wir einen Raum für Kollaborationen schaffen können. Das ist momentan absolut wichtig, während wir in der vierten Industriellen Revolution leben, weil wir am Rande einer großen, aufwühlenden Veränderung stehen. Trends wie KI, Smart Cities oder das Internet der Dinge zeigen, dass wir kurz vor einer richtig großen Transformation sind. Ich denke, wir brauchen diese Kollaboration als Teil davon, wie wir Politik machen. Eine weitere Aufgabe von Künstlern und Künstlerinnen ist, einen offenen Raum für das Publikum, für Bürger und Bürgerinnen, für Menschen zu schaffen, in dem man den sozialen und auch wirtschaftlichen Mehrwert von Neuerungen diskutieren kann. Dieser Raum muss zentral darin sein, wie wir Entscheidungen fällen, und wir müssen die richtige Herangehensweise wählen und die richtigen Stakeholder an Board haben. Wir sind an einem kritischen Punkt angelangt, wo wir diese Zusammenarbeit von Wissenschaft, Technologie und Kunst brauchen, und sie muss so passieren, dass wir sie auch als politische Entscheidungsträger und –Trägerinnen verstehen.
Seiichi Saito: Vor zehn Jahren waren Technologie, Wissenschaft und Kunst vielleicht völlig getrennt. Aber wie Francesca schon gesagt hat, wir müssen uns jetzt zusammensetzten und darüber nachdenken, wie wir die Welt verbessern können. Es ist nicht wie früher, als ein Industriezweig versucht hat, Dinge zu tun, getrennt von allen anderen. Wir müssen die Tätigkeiten verbinden und zusammen ausführen. Wir brauchen Kollaborationen zwischen verschiedenen Experten und Expertinnen, sie müssen zusammen schwärmen, weil alles, Produktdesign, Stadtentwicklung, Architektur, wirklich alles viel komplizierter wird. Heute können nicht mehr nur Architekten und Architektinnen über Architektur reden, sondern vielleicht auch Leute aus der Industrie oder Wissenschaft. Ich denke, dass der STARTS Prize uns eine Dimension eröffnet, in der alle gemeinsam an etwas arbeiten können, obwohl sie aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen. Es ist nicht einfach, deshalb denke ich, dass STARTS mit den Bereichen Technologie, Wissenschaft und Kunst ein guter Anfangspunkt ist. Vielleicht können später Leute aus der Industrie anfangen, soziale Probleme zu lösen, neue Perspektiven zu öffnen oder sogar etwas noch Besseres, Billigeres oder Demokratischeres zu schaffen.
Francesca Bria: Und warum sollte nicht Europa ein Beispiel für diese Zusammenarbeit setzen? Und eine globale Plattform schaffen? Wir haben so viele Einreichungen aus der ganzen Welt gesehen und ich denke, es ist sehr gut, dass die Europäische Kommission das fördert, aber auch Projekte von Orten aus der ganzen Welt integriert und daraus eine globale Plattform schafft, auf der wir Technologie demokratisieren und der technologischen Veränderung eine Zukunft geben können.
Francesca Bria (IT) ist Senior Advisor und Expertin für Technologie- und Innovationspolitik. Sie hält einen Doktortitel in Innovationsökonomie am Imperial College, London, und einen MSc in Digital Economy von der University of London, Birbeck. Als Senior Programme Lead bei Nesta, der britischen Innovationsagentur, leitete sie das EU D-CENT Projekt, das größte europäische Projekt für direkte Demokratie und digitale Währungen. Sie leitete auch das DSI-Projekt „Digital Social Innovation in Europe“ und beriet die EU in Fragen der digitalen sozialen Innovationspolitik. Sie hat an mehreren Universitäten in Großbritannien und Italien unterrichtet und Regierungen, öffentliche und private Organisationen und Bewegungen zu Technologie- und Innovationspolitik und deren sozioökonomischen Auswirkungen beraten. Francesca Bria ist Beraterin der Europäischen Kommission für die zukünftige Internet- und Innovationspolitik und leitet das DECODE-Projekt (http://decodeproject.eu) zur Datensouveränität in Europa. Derzeit ist sie Kommissarin für digitale Technologie und Innovation für die Stadt Barcelona.
Seiichi Saito (JP), 1975 in Kanagawa geboren, begann seine Karriere im Jahr 2000 in New York, nachdem er seinen Master of Science in Advanced Architectural Design (MSAAD) an der Columbia University abgeschlossen hatte. Seitdem ist er bei der Arnell Group in der kreativen Arbeit tätig und kehrte nach Japan zurück, nachdem er für die Echigo-Tsumari Art Triennale ausgewählt wurde. Er produziert dreidimensionale und interaktive Arbeiten im Bereich der kommerziellen Kunst, die auf dem festen Fundament des logischen Denkens basieren, das er durch die Architektur kultiviert hat. Seiichi Saito hat seit 2009 zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten. Gegenwärtig ist er Direktor der Rhizomatiks Co. Ltd. und lehrt nebenbei am Lehrstuhl für Grafikdesign an der Fakultät der Kyoto Seika Universität. Er war Teil der 2013 D&AD Jury „Digital Design“, 2014 Cannes LIONS Jury „Branded Content and Entertainment“ und Good Design Award 2015-2017 Jury. Weiters, war Seiichi Saito Milan Expo Japan Pavillon Theater Space Director und Media Art Director bei der Roppongi Art Night 2015.
Die Gewinnerprojekte des STARTS Prize 2018 werden Anfang Juni bekanntgegeben. Beim Ars Electronica Festival 2018 von 6. Bis 10. September sind sie schließlich in einer Ausstellung in der POSTCITY Linz zu sehen. Beim STARTS Forum am Ars Electronica Festival sprechen die Gewinner und Gewinnerinnen über ihre Arbeit, das genaue Datum und Uhrzeit wird noch bekanntgegeben.
This project has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 732019. This publication (communication) reflects the views only of the author, and the European Commission cannot be held responsible for any use which may be made of the information contained therein
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