Wer war eigentlich Marianne von Willemer? Die Linzerin, nach der der Preis des Frauenbüros der Stadt Linz für digitale Medien benannt ist, ist heute wie zu ihren Lebzeiten im 18. und 19. Jahrhundert kaum jemandem ein Begriff. Dabei war sie es, die eigentlich einige der schönsten Gedichte in Goethes „Westöstlicher Diwan“ geschrieben hatte – weitgehend unbeachtet.
Weil Frauen – in der digitalen Kunst wie in den meisten anderen Lebensbereichen – auch heute noch oft in den Schatten gestellt werden und sich das ändern soll, vergibt das Frauenbüro der Stadt Linz alle zwei Jahre den Marianne.von.Willemer Preis für digitale Medien. Frauenstadträtin Eva Schobesberger ist überzeugt: „Die Digitalisierung verändert unsere Welt und die Art und Weise wie wir diese wahrnehmen in einem rasanten Tempo. Umso wichtiger ist es aus einer feministischen Perspektive heraus, dass die gesellschaftliche Entwicklung insbesondere auch durch Künstlerinnen kritisch beobachtet, hinterfragt und begleitet wird.“ Zusammen mit dorfTV und Ars Electronica ruft die Stadt Linz also bis zum 15. Juli 2018 in Österreich lebende und arbeitende Künstlerinnen zur Einreichung auf.
Wir haben uns mit den Jurorinnen Dagmar Schink, Geschäftsführerin des VALIE EXPORT Centers Linz, Brigitte Vasicek, Leiterin der Abteilung Zeitbasierte Medien an der Kunstuniversität Linz, und Rosa von Suess, Dozentin an der Fachhochschule St. Pölten im Department für Medien und Digitale Technologien, getroffen und mehr erfahren.
Eröffnung von „What would Ted Kaczynski’s daughter do …?” von Kathrin Stumreich, Preisträgerin 2016. Credit: Magdalena Sick-Leitner
Warum ist es wichtig, Frauen in der digitalen Kunst oder in den digitalen Medien zu fördern?
Dagmar Schink: Meiner Ansicht nach ist der Marianne.von.Willemer Preis ein ganz wesentliches und wichtiges Instrument der Sichtbarmachung und der Wertschätzung. Diese Dualität ist sehr wichtig, man schafft eine Plattform der Aufmerksamkeit und auch des positiven Feedbacks in Form des Preises.
Frauen, in allen Sparten, sind nach wie vor benachteiligt, nicht nur in den digitalen Medien und in der digitalen Kunst. In der Sparte der zeitgenössischen Kunst ist es auch so, dass die Plattformen meist festivalorientiert sind und dass es deshalb Sinn macht, eine andere Art der Sichtbarkeit zu schaffen. Essentiell ist auch, dass man eine Art von Netzwerkcharakter implementiert. Für uns wird es ganz spannend werden, durch die Einreichungen zu gehen und neue Künstlerinnen, neue Ausdrucksmittel und neue Techniken zu entdecken. Es ist auch für die Jury ein Lernprozess, immer am Puls der Zeit zu bleiben. Das ist spannend.
Brigitte Vasicek: Mir persönlich geht es da nicht nur um die digitale Kunst, sondern es geht darum, Frauen sichtbar zu machen. Frauen haben nach wie vor große Einschränkungen, große Begrenzungen. Das wird auch in der Kunst ganz oft thematisiert von Frauen, das ist fast der Antrieb, und das merkt man auch bei den Einreichungen von den künstlerischen Werken. Daher ist es wichtig, dass es wenigstens eine Sache gibt, wo man vor den Vorhang treten kann, um diese Werke zu zeigen. Aber auch der Preis ist bedeutend, weil man dann weiterarbeiten kann. Der Gewinn ist mit Geld verbunden und damit hat man die Chance, mit dem Geld wieder ein weiteres Werk zu machen. Das sind für mich die zwei wichtigsten Punkte, die Sichtbarkeit, die Anerkennung und die Chance, mit dem Preisgeld weiterzuarbeiten.
Rosa von Suess: Es ist evident, dass insgesamt österreichweit Förderungen, Ausstellungen, Aufführungen, Sammlungsankäufe und Preise, die der Medienkunst zugeordnet werden können, weitaus weniger häufig an Frauen als an Männer vergeben werden. Dabei sind die Ausbildungs- und Studienplätze und -Erfolge in diesem Bereich gleichermaßen an männliche wie an weibliche Studierende verteilt und AbsolventInnen sind sogar etwas häufiger weiblich. Es ließe sich so beschreiben, dass entweder also die Ausbildung und deren Abschlüsse wenig relevant sind oder dass die Benachteiligung systematisch bedingt ist. Solange dieses deutliche geschlechtsspezifische Ungleichgewicht bei der Verteilung von Ressourcen Teil unserer Realität ist, brauchen wir Instrumente um darauf hinzuweisen.
Eröffnung von „What would Ted Kaczynski’s daughter do …?” von Kathrin Stumreich, Preisträgerin 2016. Credit: Magdalena Sick-Leitner
Warum gibt es dieses Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in der Medienkunst?
Brigitte Vasicek: Geschichtlich ist Kunst von und für Männer gemacht. Das sieht man auch im Bildungskanon. Letzte Woche gerade erschien der Bildungsstandard der Literatur – das ist eine Liste von Männern. Genau dort fängt es an. Frauen sind unsichtbar. Es braucht jetzt nicht nur Debatten, sondern ein Handeln. Und der Marianne.von.Willemer Preis handelt. Er redet nicht nur darüber, dass Frauen digitale Kunst gemacht haben, sondern er handelt auch und genau das braucht man.
Dagmar Schink: Vermutlich ist es ganz einfach ein Vorurteil, das sich so schwer ausräumen lässt: nämlich das Vorurteil der Unvereinbarkeit zwischen Frauen und Technik, das sich für mich überhaupt nicht nachvollziehen lässt. Das logische Denken ist nicht an ein Geschlecht gebunden, und Humor, Ironie, Reflexion oder ein gesellschaftsrelevantes Statement sind auch nicht an ein Geschlecht gebunden. Medienkunst ist generell eine Sparte, die schwierig im Kunstmarkt funktioniert, das sieht man ganz deutlich in der Entwicklung der Medienpionierinnen bis heute. Diese Kunst ist schwieriger zu sammeln, sie ist schwieriger auszustellen und schwieriger zu vermitteln. Insofern ist es natürlich besonders wertvoll, dass man sie fördert und auch vermittelt. Es ist sicherlich auch geschichtlich, es gab mehr Kuratoren als Kuratorinnen, mehr Sammler als Sammlerinnen, es ist also eine Entwicklung, wo man als Frau – wie überall in der Gesellschaft – hinten angestellt wird.
Sie wollen mehr erfahren? Hier gibt es den Videobeitrag von dorfTV zum Marianne.von.Willemer Preis für digitale Medien 2016!
Was würde es brauchen, um dieses Ungleichgewicht zu beseitigen?
Dagmar Schink: Es braucht eine Gleichbehandlung, die gesamtgesellschaftlich greifen muss: in der gleichen Bezahlung, in der gleichen Wertschätzung, in der Ermöglichung der gleichen Zugänge oder Möglichkeiten für Frauen, so wie es Männer auch haben. Das würde vieles verändern, weil dann wäre das Geschlecht egal, dann wäre nur der Ausdruck und das Ausdrucksmittel der Kunst wichtig. Es würde nur um den Inhalt gehen. So aber geht es auch immer um eine Autorinnenschaft. Solange sich das nicht ändert, muss man das fördern, in den Fokus stellen. Auch im Alltag.
Eröffnung von „What would Ted Kaczynski’s daughter do …?” von Kathrin Stumreich, Preisträgerin 2016. Credit: Magdalena Sick-Leitner
Was kann ein solcher Preis speziell zur Frauenförderung bewirken?
Brigitte Vasicek: Für die Künstlerinnen ist es nicht unwichtig, dass sie den Preis in den Lebenslauf schreiben können. Auch, dass sie ein nächstes Projekt andenken können, ist eine Auswirkung, genauso wie die Bestätigung, auf einem guten Weg zu sein. Frauenkunst hat oft nicht so viel Publikum, das ist schade, sie wird oft unter „speziell“, unter Anführungszeichen gezeigt, und auch auf das hat so ein Preis eine Auswirkung, sei es auch nur der Medienbericht. Da muss ich schon sagen, da hat Linz mit dem Marianne.von.Willemer Preis etwas Großartiges geschaffen.
Es geht bei einer Preiseinreichung auch gar nicht immer darum, zu gewinnen. Es gibt einen anderen Faktor: Eine Jury sieht sich diese Arbeiten an, und zwar sehr genau. Man hat dafür mehr Zeit als in einer Ausstellung. Ich habe es schon erlebt in den Jury-Sitzungen, dass eine Jurorin meinte: „Das ist super, das Werk, bei der nächsten Ausstellung brauche ich das!“ Es hat einen Multiplikationsfaktor und das ist wichtig. Mit der Einreichung hat man so etwas wie einen Akt angelegt, man weiß, an welchen Themen eine Künstlerin arbeitet. Was manchmal nicht unwichtig ist, wenn man für Ausstellungen jemanden oder ein Werk sucht.
Was erwarten Sie sich von den diesjährigen Einreichungen, worauf freuen Sie sich und was wünschen Sie sich?
Rosa von Suess: Ich wünsche mir eine jährliche Marianne von Willemer Ausstellung zum Preis, um jeweils einen Teil der zeitgenössischen Medienkunst Arbeiten einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen zu können.
Dagmar Schink: Ich erwarte mir total spannende Einreichungen. Ich erwarte mir, und das wird mit Sicherheit erfüllt, dass ich neue Künstlerinnen kennenlerne, die mir noch kein Begriff sind, dass ich mit künstlerischen Positionen bereichert aus der Jury rausgehe. Ich erwarte mir auf jeden Fall einen Lerneffekt.
Brigitte Vasicek ist Leiterin der Abteilung Zeitbasierte Medien auf der Kunstuniversität Linz.
Dagmar Schink ist Absolventin der Kunstuniversität Linz, Abteilung raum&designstrategien, und hat berufliche Erfahrungen in folgenden Kunst- und Kultureinrichtungen gesammelt: Stadtwerkstatt, OK Offenes Kulturhaus, Crossing Europe Filmfestival und Kunstuniversität Linz. Ihre Schwerpunktsetzung liegt im Bereich der Bildenden Kunst und der Zeitbasierten Medien. Seit April 2017 arbeitet Dagmar Schink als Geschäftsführung des VALIE EXPORT Centers Linz, eines Forschungszentrums für Medien- und Performancekunst.
Rosa von Suess ist Dozentin an der Fachhochschule St. Pölten im Department für Medien und Digitale Technologien. Sie ist stellvertretende Studiengangsleiterin für Medientechnik (BA), Lehrgangsleiterin für Film, TV & Media – Creation and Distribution (MA) und leitet das Ausbildungsfernsehen c-tv. Zusätzlich ist sie als Beirätin für Neue Filmformate, Design und Kommunikation, Medien und Bewegtbild u. a. für das Österreichische Bundesministerium Unterricht und Kunst, Eyes & Ears of Europe, das Land Niederösterreich und der Stadt Linz tätig.
Noch bis zum 15. Juli 2018 können Arbeiten für den Marianne.von.Willemer Preis für digitale Medien eingereicht werden! Alle Informationen finden Sie auf der Webseite der Stadt Linz. Direkt zur Einreichung geht’s hier.
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