Please Recharge: Von Nachhaltigkeit und Entschleunigung

You are running out of battery_Sofia Braga,

Utopien, Zukunftsvisionen, aber auch Nachhaltigkeit und der Trend zurück zum Analogen: Das sind die Themen, die viele Studierende der Studienrichtung Interface Cultures an der Kunstuniversität Linz im vergangenen Jahr beschäftigt haben. Bei „Please Recharge“, der diesjährigen Campus Exhibition am Ars Electronica Festival, von 6. bis 10. September 2018, werden nun einige Beispiele präsentiert. Was uns genau erwartet, hat Christa Sommerer, Gründerin und Leiterin der Studienrichtung Interface Cultures, schon vorab im Interview verraten.

Vanishing Point. Credit: Laura Cassol Sôro

Der Studiengang Interface Cultures stellt auch dieses Jahr wieder eine Auswahl der Werke von Studierenden am Ars Electronica Festival aus. Was kann man sich unter dem Thema „Please Recharge“ vorstellen?

Christa Sommerer: Es geht darum, dass man auch in der jungen Generation merkt, dass die Studierenden von der Medienwelt überfordert sind. Sie müssen ständig online sein, überall mitmachen. Dieses ständige Erreichbar-Sein, das ständige Netzwerken, immer auf allen sozialen Netzwerken präsent zu sein und sich immer zu vermarkten überfordert sogar die junge Generation. Es gibt eine gewisse Sehnsucht nach Entschleunigung. Nachhaltigkeit ist also ein großes Thema, sich wieder mehr Zeit zu nehmen, Zeit zu haben, um nachzudenken und sich weniger als Opfer zu fühlen. Eigentlich ist es eine Art Work-Life-Balance, die die junge Generation da möchte. Ich finde es sehr wichtig, das in diesem Sinne zu machen. Viele Projekte, die wir zeigen werden, thematisieren genau das: Nachhaltigkeit, Entschleunigung, wieder zurück zum Haptischen und Analogen. Es ist eine Retro-Sehnsucht, eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit, aber natürlich mit neuen Mitteln und neuen Transformationen.

The One Who Knows. Credit: Giacomo Piazzi, Ben Olsen

Wie gestaltete sich der Prozess der Themenfindung?

Christa Sommerer: Wir beobachten während des Jahres, welche Themen bearbeitet werden. Konkret war eine Arbeit der Studierenden Sofia Braga der Ausgangspunkt. Die Arbeit heißt „You Are Running Out of Battery“ und besteht aus einer Matratze, auf die man sich legen kann. Man entspannt sich und lädt währenddessen sein Handy auf, gleichzeitig bekommt man Informationen über eine meditativ gestaltete Website, die thematisiert, dass man keine Energie mehr hat. Wir fanden, dass es mehrere Arbeiten gibt, die unter diesem Thema zusammenfallen: „The One Who Knows“ von Giacomo Piazzi und Ben Olsen zum Beispiel. Es ist ein Search-Engine, der sich aber nicht auf echte Daten oder große Search-Engines bezieht. Man kann Fragen stellen, die von einem I Ching Rätsel, einer chinesischen Weisheiten-Website, bespielt werden. Man erhält also Antworten auf große Lebensfragen. Es geht hier um das Mystifizieren des Wissens.

inMemory´. Credit: Stevie Jonathan Sutanto

Mit Themen wie Überforderung der Medienwelt und Entschleunigung docken die Inhalte der Ausstellung „Please Recharge“ stark an das diesjährige Festivalthema, „ERROR – The Art of Imperfection“ an…

Christa Sommerer: Ja, das stimmt. Es sind zum Beispiel auch „Future Scenarios“ oder Utopien im Moment große Themen bei den Studierenden. Wie könnten wir unsere Zukunft besser bestalten? Es hat natürlich niemand eine Antwort, aber die Frage treibt die Leute an. Wie könnte man uns wieder unabhängiger machen? Welche neuen Vorschläge oder spekulativen Designs könnten wir selbst erstellen, um etwas zu verändern? Es gibt einen großen Drang nach Veränderung. Man will sich entkoppeln.

Die gezeigten Arbeiten sind sehr facettenreich. Es geht bei Interface Cultures also nicht nur um Interfaces?

Christa Sommerer: „Interface Cultures“ ist eigentlich ein Begriff von Steven Johnson. Als wir den Studiengang gründeten, bezogen wir uns darauf. Uns war aber immer wichtig, dass es nicht reine technische Lösungen sind, die hier gemacht werden, sondern wirklich etwas Konzeptuelles. Es geht um die Frage: Was ist überhaupt eine Schnittstelle? Man kann das sehr breit auffassen. Es kann ein Konzept sein, es kann eine Utopie sein. Uns geht es mehr darum, wie Technologien unser Leben transformieren und wie wir als Künstlerinnen und Künstler mitgestalten können. Darum ist es wichtig, diese utopischen Konzepte hineinzubringen und Prototypen zu designen, die eine neue Zukunftsvision darstellen. Es muss nicht unbedingt etwas mit Technologie zu tun haben.

Schreib bitte wieder bald, ich warte jeden Tag auf Post. Credit: Ilona Stütz, Astrid Dober

Stichwort utopische Konzepte: Es ist sehr spannend zu sehen, dass einerseits Utopien momentan ein großes Thema sind, andererseits aber auch die Auflehnung gegen den vorherrschenden Optimierungswahn.

Christa Sommerer: Genau. Man muss aber auch sagen, dass viele Studierenden, wenn sie fertig sind, in der Realität landen und sehen, wie sie das Gelernte in Firmen umsetzen können. Ich finde es trotzdem sehr wichtig, diesen Freiraum auf der Uni zu haben, sagen zu können: Wie stelle ich mir eigentlich die Zukunft vor, wie möchte ich, dass sie besser wird? Vielleicht schaffen die Studierenden es, diese Ideen in der einen oder anderen Form auch wirklich in Produkte umzuwandeln oder in größeren Kunstkonzepten anzuwenden. Hier ist Ars Electronica ein großartiger Test. Man kann die eigenen Ideen ausprobieren und sehen, ob die Menschen darauf ansprechen. Es ist eine tolle Gelegenheit.

futur.eco. Credit: Julia Nüßlein

Welche Highlights kannst du uns noch verraten?

Christa Sommerer: Hiu-wai Chan präsentiert mit „Leader X“ zum Beispiel eine Artificial Intelligence Software, womit man Politiker und Politikerinnen über einen künstlich intelligenten Algorithmus selbst generiert. Bei „futur.eco“ von Julia Nüßlein geht es um spekulative Prototypen: Wie könnte die Zukunft besser gestaltet sein? Nachhaltiger sein? Wie kann man eine Diskussion starten?

Es gibt auch ein ganz analoges Projekt, „Schreib bitte wieder bald, ich warte jeden Tag auf Post“ von Ilona Stütz und Astrid Dober. Sie haben auf Flohmärkten alte Postkartenbestände ganz billig aufgekauft und werden eine kleine Situation aufbauen, mit einem Schreibtisch, einem Stift, einem Kugelschreiber. Man kann dort auf Etiketten die eigene Adresse oder die Adresse von jemandem, dem man gerne eine Postkarte schicken will, aufschreiben. Die Postkarten werden recycelt und dann verschickt. Das heißt, man geht hier wieder zurück – statt E-Mail oder WhatsApp bekommt man eine echte Postkarte! Es ist ein Zelebrieren des alten Brieferhaltens.

mice. Credit: Julia del Río

Wie lässt sich der Drang zurück zum Analogen mit einem Studiengang – und Festival! – verbinden, die beide sehr zukunftsgerichtet und technologisch orientiert sind?

Christa Sommerer: Ich finde es einfach wichtig, dass man solche Fragen stellt. Immer nur schneller, weiter, größer, noch mehr – ich glaube, das überfordert die Menschen. Man muss sich auch als Designerin, Designer oder Künstlerin und Künstler mit dieser Thematik auseinandersetzen und die Situation hinterfragen. Was sind wirklich wichtige Fragen? Ich finde es sehr legitim, zu sagen, dass es eine gewisse Sättigung gibt. Umgekehrt ist es auch so, dass sich viele aus den analogen Künsten – von der Keramik bis zur Bildhauerei und Malerei – jetzt mit digitalen Medien beschäftigen. Es findet eine gewisse Annäherung statt. Ich finde es wahnsinnig spannend, was da im Moment passiert: Dass man diese postdigitale Welt, die trotzdem sehr stark auf das Digitale zurückgeht, thematisch mit traditionelleren Kunstformen verbindet. Dieser Trend zeichnet sich erst in den letzten Jahren ab.

Christa Sommerer ist eine international renommierte Medienkünstlerin, Wissenschaftlerin und Pionierin der Interaktiven Kunst. Sie ist Professorin und Leiterin des Masterstudiengangs Interface Cultures an der Kunstuniversität Linz in Österreich. Zuvor war sie als Associate Professor an der IAMAS International Academy of Media Arts and Sciences in Gifu, Japan, und als Wissenschaftlerin und Künstlerische Leiterin am ATR Media Integration and Communications Research Lab in Kyoto, Japan, tätig. Sie war Visiting Researcher am MIT CAVS in Cambridge, USA, am Beckmann Institute in Champaign Urbana, USA, und Artist in Residence am NTT-InterCommunication Center in Tokyo. Sommerer war Obel Gastprofessorin an der Aalborg Universität, Dänemark, und am Tsukaba University Empowerment Informatics Studio in Japan. Gemeinsam mit Laurent Mignonneau schuf sie knapp 30 interaktive Kunstwerke, für die sie mehrere Auszeichnungen erhielten: den 2016 ARCO BEEP Award in Madrid, Spanien, den 2012 Wu Guanzhong Art and Science Innovation Prize der Volksrepublik China, die 1994 Goldene Nica beim Prix Ars Electronica. Sommerer & Mignonneau nahmen an knapp 280 internationalen Ausstellungen teil, ihre Kunstwerke können in Museen und Sammlungen rund um die Welt gesehen werden.

Die Campus Exhibition des Studiengangs Interface Cultures der Kunstuniversität Linz wird von 6. bis 10. September 2018 am Ars Electronica Festival 2018 in der POSTCITY Linz zu sehen sein. Mehr Informationen erfahren Sie in Kürze auf unserer Webseite.

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