Ingrid Kurz, Dolmetscherin der Mondlandung: „Es war ungeheuer aufregend und spannend!“

Still photo of the ORF broadcast of the moon landing, Credit: ORF

Am 21. Juli 1969 war es heiß, eng und stickig in den Sendestudios des ORF in Schönbrunn. Seit über 24 Stunden wurde live gesendet, in nahezu jeden zweiten Haushalt des Landes. 500 bis 600 Millionen Menschen wollten dabei sein, wenn Neils Armstrong die Mondlandefähre Eagle verlässt und als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzt. Die Bilder gingen später um die Welt. Zuvor war am 16. Juli vom Kennedy Space Center aus die erste bemannte Mondmission Apollo 11 gestartet. Für den ORF war es ein bis dahin einzigartiger, 28 Stunden lang andauernder, technisch und menschlich herausfordernder Sendemarathon. Zwei Moderatoren, zwei Kommentatoren und zwei DolmetscherInnen waren bemüht, ja nichts zu verpassen, was sich in 384.400 Kilometern Entfernung abspielte. Ingrid Kurz – sie ist seit den Anfängen mit der Ars Electronica verbunden – verfolgte über Kopfhörer jedes Wort, das die Astronauten untereinander und mit der Mission Control wechselten, Wir haben mit ihr über den spektakulärsten Einsatz ihrer Karriere und ihre Arbeit im Rahmen des Ars Electronica Festivals gesprochen.

Noch mehr spannende Blickwinkel auf den 21. Juli 1969 gibt es beim Ars Electronica Themenwochende von 11. bis 14. Juli im Ars Electronica Center.

Können Sie mir bitte erzählen, wie das damals war, 1969, als Sie die Mondlandung gedolmetscht haben? Wie ist die Liveübertragung abgelaufen, wie haben Sie es persönlich empfunden?

Ingrid Kurz: Es ist ja bekannt, dass es eine Marathon-Sendung war, über 28 Stunden. Es hat stattgefunden in den alten Schönbrunn-Studios in der Maxingstraße. Dort war es irrsinnig heiß, Schweinwerfer, Kameras, alles auf kleinstem Raum. Und bekanntlich haben ja Nidetzky, Pichler, Portisch und Urban kommentiert. Nidetzky und Urban waren die Moderatoren, Portisch und Pichler haben Fachkommentare abgegeben. Und ich war mit einem Kollegen, einem ehemaligen Professor von mir, der mich auch zum Fernsehen mitgenommen hatte, Erich Simak, zum Dolmetschen dort. Unsere Aufgabe war es, die Gespräche zwischen einerseits Houston, dem Kontrollzentrum, und den Astronauten zu dolmetschen beziehungsweise dann natürlich auch die Gespräche zwischen den Astronauten. Das Ganze war natürlich irrsinnig spannend, wir haben alle mitgezittert. Ich kann mich erinnern, dass wir in einer kurzen Pause mal hinausgegangen sind und der Mond war am Himmel. Man konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass in den nächsten paar Stunden dort jemand landen sollte.

Die Landung war ja dann um kurz nach neun Uhr am Abend. Das war schon einmal irrsinnig aufregend und dann gab es eine lange Pause, weil Armstrong erst kurz nach drei Uhr in der Früh ausgestiegen ist aus der Landefähre. Das war die Anweisung von Houston. Rückblickend hat sich herausgestellt, dass der Grund für diese längere Aufenthaltszeit in der Landefähre der war, dass die Amerikaner das zur Primetime, zur Hauptsendezeit, senden wollten. In der Zeit hat sich relativ wenig getan. Nidetzky vor allem hatte vorher aus Amerika sehr viel Material mitgebracht. Da wurden Filme eingespielt, währenddessen mussten wir über Funk zuhören, ob etwas reinkommt. Wir hätten jederzeit unterbrechen können. Uns wurde die Anweisung gegeben, wenn irgendetwas Wichtiges kommt –  sofort melden. Die längste Zeit war nichts, manchmal ging den Kommentatoren auch das Thema aus und sie haben zu uns geschaltet. Was tut sich denn bei den Dolmetschern? Oft gab es nur Rauschen in den Kopfhörern. Das war eine der Schwierigkeiten. Es war sowieso fast ein Wunder, dass über diese Distanz – 384.000 Kilometer – überhaupt eine Verbindung stattfinden konnte. Dagegen konnte man nichts machen. Aber wenn man nur Rauschen im Kopfhörer hat, kann man auch nichts dolmetschen. Wir haben uns dann einfach eine Strategie zugelegt, wo wir während des Zuhörens Notizen gemacht haben und konnten dann zumindest sagen, vor kurzem hat Armstrong mit Aldrin dieses oder jenes besprochen.

Sendestudio 1969. Credit: ORF

Die Schwierigkeiten waren damals die Tonqualität, dann noch die Technik. Es gab ja damals noch kein Internet. Man konnte nicht einfach googlen und sich Informationen beschaffen, wie das heute möglich ist. Die Informationen, die wir bekommen hatten, kamen von der amerikanischen Botschaft. Das waren hektographierte Blätter mit ein paar Informationen. Die dritte Schwierigkeit war die Pilotensprache. Bei späteren Apollo-Missionen hat man dann auch einen Oberst vom Bundesheer herangezogen, der mit der Fliegersprache vertraut war. Die Meldungen waren oft unverständlich oder haben einem Laien nichts gesagt. Das waren zum Beispiel Höhenangaben vor der Landung. In den letzten Minuten ging es darum, wieviel Fuß über der Oberfläche, vorne ist der Krater zu sehen, Sinkgeschwindigkeit soundso hoch, … Das waren einfach technische Daten, die vielleicht nicht so spannend waren, aber dazwischen gab es auch kurz eine Panne. Armstrong hat gemeldet, dass er ein Störsignal bekommt. Und Houston konnte das soweit ich mich erinnere nicht aufklären. Armstrong hat dann manuell das Ganze übernommen und es war einfach ein falsches Signal. Es hat nicht bedeutet, dass die Astronauten in Gefahr waren, aber das waren natürlich Schrecksekunden.

Also es gab die Gespräche zwischen Houston und den Astronauten. Und dann haben die Astronauten natürlich auch miteinander gesprochen. Zum Teil auch Scherze gemacht. Wie sie genau die Stunden des Wartens verbracht haben, kann ich mich leider nicht mehr genau erinnern. Ich könnte nicht mehr sagen, ob sie in der langen Zeit einfach drinnen gesessen sind und gewartet haben. Ob da sehr viel gesprochen wurde und wir viel gedolmetscht haben, oder ob der Großteil der Zeit auf Sendung damit verbracht wurde, dass man einfach Filme eingespielt hat, Aufnahmen, die Nidetzky in Amerika gemacht hat.

Ich habe gelesen, immer wenn den Moderatoren die Inhalte ausgingen, hat man Portisch hereingeholt, damit er schnell das Weltgeschehen kommentiert.

Ingrid Kurz: Ja natürlich, oder man hat den Dr. Pichler befragt, der wurde als „Hals-NASA-Ohrenarzt“ bezeichnet, oder man hat auf die Dolmetscher geschaltet und gefragt, was sich da oben tut. Es war ungeheuer aufregend und spannend. Das mag blöd klingen, weil die Leute daheim ja dasselbe mitgekriegt haben, das wir im Studio mitgekriegt haben, aber man hatte das Gefühl, man ist hautnah dran, als erster.

Sie haben sicher nachher darüber gesprochen, dass Armstrong lange nicht ausgestiegen ist, weil er auf die amerikanische Primetime warten musste. Das war eine der ersten großen Medieninszenierungen. Wie haben Sie das beurteilt? Empfanden Sie es als lästig, während des Arbeitens?

Ingrid Kurz: Zu dem Zeitpunkt, als wir im Studio waren, hab‘ ich das überhaupt nicht mitgekriegt, dass gewartet wird, damit die Amerikaner das zur Hauptsendezeit kriegen. Ich bin davon ausgegangen, dass es praktische Gründe hat. Nachher kam das heraus, na gut, das kann man ihnen nicht übelnehmen, dass sie so ein Ereignis so timen, dass es für das heimische Publikum zu einer möglichst guten Zeit rüberkommt.

Aber es war ja der erste Mensch am Mond, nicht nur der erste Amerikaner. Ist es gerechtfertigt, dass die USA das so für sich in Anspruch genommen hat?

Ingrid Kurz: Naja man muss das auch in Zusammenhang mit der damaligen Situation sehen. Das war der Wettlauf Russland – Amerika. Kalter Krieg. Die Tatsache, dass Gagarin als erster in den Weltraum geflogen ist, war natürlich ein Schock für die Amerikaner. Und dann hat Kennedy im Jahr ‘61 gesagt, wir schicken innerhalb dieses Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond. Und das war natürlich der Wettlauf Amerika – Russland. Ja, klar, dass sie das für sich beansprucht haben, als wirklich tolle Leistung, die es ja auch war. Und es hat ja dann auch Nixon, der damals Präsident war, gleich mit den Astronauten gesprochen und sie ins Weiße Haus eingeladen. Dann gab es diese riesige Ticker Tape Parade nach der Landung in New York, wo sie als Helden gefeiert wurden. Verständlich.

Ingrid Kurz 1969. Credit: ORF

Gleichzeitig löste das Ereignis damals auch eine große Zukunftseuphorie aus. Man hat geglaubt, dass jetzt alle möglich sei…

Ingrid Kurz: Es sind ja dann auch weitere Apollo-Missionen gestartet worden. Apollo 13, da gab es bereits technische Schwierigkeiten. Das war ziemlich aufregend. Und weiter dann bis Apollo 17. Alle Missionen nach Apollo 11 waren natürlich immer noch aufregend und spannend. Aber Apollo 11 war eben das Highlight. Wobei spätere Missionen dann länger gedauert haben, der Aufenthalt auf dem Mond war länger. Aber irgendwann ist die ganze Euphorie verpufft…

Glauben Sie, dass man jetzt pessimistischer in die Zukunft schaut?

Ingrid Kurz: Ich sehe da nicht unbedingt einen Konnex zwischen Zukunftsvisionen und Weltraum. Eines war glaub ich schon ein wichtiges Ergebnis. Die Sicht vom Mond auf die Erde und das Bewusstsein, das damit entstanden ist. Dass dieser Blaue Planet wirklich einmalig, aber auch durchaus verletzlich ist, hat die Astronauten überaus beeindruckt. Das hat man immer wieder in Interviews mit ihnen herausgehört. (…) Dann hat man viel weniger über die Raumfahrt berichtet, das Programm wurde auf Eis gelegt oder auf Sparflamme fortgesetzt. Jetzt scheint wieder eine neue Welle der Begeisterung einzutreten. Was daraus wird, ist natürlich schwer abzuschätzen, für mich als Laie.

Wir feiern ja heuer auch 40 Jahre Ars Electronica. Wie lange sind sie bereits mit unserer Institution, mit dem Festival verbunden?

Ingrid Kurz: Das ist eine gute Frage. Seit einer kleinen Ewigkeit. Ich habe es am Anfang noch mit meinem Professor, Erich Simak, gemacht, mit dem ich eben auch die Apollo-Missionen gedolmetscht habe. Er ist früh verstorben, ich weiß nicht genau wann. Und ich war ziemlich von Anfang an dabei. Als Hannes Leopoldseder damit begonnen hat. Ich kann mich an eine der ersten Veranstaltungen erinnern, da war elektronische Musik noch etwas ganz, ganz Ausgefallenes und Nam June Paik, damals.. Das war aber nicht mein erster Einsatz für die Ars Electronica. Ich wüsste jetzt nicht, in welchem Jahr ich das erste Mal dabei war.

Bereiten sie sich inhaltlich vor?

Ingrid Kurz: Ja, ja. Generell muss man sich auf jede Konferenz vorbereiten. Bei der Mondlandung war es natürlich etwas schwierig, weil alles neu und fremd war. Und bei der Ars kriegen wir immer die Kataloge, das ist schon einmal eine große Hilfe, und man liest natürlich auch vorher die Ankündigungen, alles, was in den Zeitungen steht, welche Leute kommen. Heute hat man ja jede Menge Zugriff zu Informationen. Klar, man muss sich vorbereiten, weil ja immer wieder Neues kommt, auch wenn sich manche Dinge wiederholen. Bei der Ars kommen immer wieder Dinge, die völlig neu sind. Nam June Paik zum Beispiel oder diese Charlotte Moorman damals. Das waren Auftritte, die es sonst nirgends gab. Das macht es spannend, muss ich gestehen.

Fällt Ihnen ein besonderer Einsatz im Rahmen der Ars Electronica ein? Gab es einmal eine Panne in den vielen Jahren Ihres Mitwirkens?

Ingrid Kurz: Eine größere Katastrophe ist bisher nicht passiert. Es waren wahnsinnig viele positive Sachen. Ich versuche zu überlegen. Was mich immer wieder beeindruckt hat – ich habe ja auch Psychologie studiert – ist alles, was mit Gehirn, Bewusstsein, … zu tun hat. Diese Vorträge sind für mich besonders spannend. Elektronische Musik, muss ich gestehen, damit kann ich am wenigsten anfangen. Gerade diese naturwissenschaftlichen Dinge in Verbindung dann zur Kunst finde ich so faszinierend. Toll waren für uns natürlich auch die Computeranimationen: Lasseter mit seiner kleinen Lampe… Das war ja wirklich bahnbrechend! Wenn man das heute so sieht, hält man es für simpel, aber damals, zu Beginn, war es wirklich etwas Tolles.

https://www.youtube.com/watch?v=D4NPQ8mfKU0

Ausgehend von unserem Jubiläum, was hat sich im Laufe der Zeit verändert?

Ingrid Kurz: Es hat nicht aufgehört, sich zu verändern. Es ist nach wie vor ganz vorne dran und deckt Neues auf. Beeindruckend finde ich auch die Beiträge von den Schülern. Das ist eine sehr eindrucksvolle Kategorie! Das Festival ist jedes Jahr ein Fixpunkt für mich und ich freue mich schon wieder darauf, dabei zu sein.

 Das Ars Electronica Themenwochende von 11. bis 14. Juli im Ars Electronica Center feiert in zahlreichen spannenden Vorträgen vier Tage lang das 50-jährige Jubiläum der Mondlandung.

Ingrid Kurz ist Konferenz- und TV-Dolmetscherin und bereits seit den Anfängen vor fast 40 Jahren bei der Ars Electronica im Einsatz. Nach ihrem Übersetzer-/Dolmetscher- und Psychologiestudium hatte sie ihren ersten Auftritt beim ORF bei der US-Präsidentenwahl 1968, aus der der Republikaner Richard Nixon als Sieger hervorging. 1969 dolmetschte sie die Mondlandung der NASA, gemeinsam mit ihrem ehemaligen Professor Erich Simak, der sie auch zum Fernsehen und zur Ars Electronica brachte. Sie arbeitet als Professorin am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien. Von 5. bis 9. September wird sie wieder die Konferenzen des Ars Electronica Festivals dolmetschen.

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