Vom Ausloten menschlicher Grenzen

!brute_force_MajaSmrekar_c_BorutPeterlin,

human (un)limited“ lautet der Titel des aktuellen und dabei zweiten, großen Ausstellungsprojekts von Ars Electronica und Hyundai Motorstudio. Worum es dabei geht, erklärt Martin Honzik, Leiter von Ars Electronica EXPORT und Kurator der Schau, im Interview.

„human (un)limited“ – was steckt hinter diesem Titel?

Martin Honzik: „human (un)limited“ ist im Wesentlichen von zwei Dingen inspiriert: Einerseits von unserem letztjährigen gemeinsamen Ausstellungsprojekt mit Hyundai, bei dem es um die „Future Humanity“ ging. Andererseits knüpfen wir an die spektakuläre Themenausstellung des diesjährigen Ars Electronica Festivals an, die ganz im Zeichen des Spannungsverhältnisses „Human Limitations – Limited Humanity“ stand.

Gemeinsam mit Hyundai spitzen wir diese thematische Ausrichtung jetzt weiter zu und fragen uns, welche Rolle Technologie für die beispiellose Erfolgsstory unserer Spezies spielt. Als Strategie und Werkzeug der Ermächtigung, durch die wir uns in die Lage versetzen, die Welt um uns herum nach unseren Wünschen zu gestalten. Aber auch als Instrumentarium und Form des Ausdrucks unserer Kreativität, dank derer wir – Stichwort Digitalisierung – eine völlig neue Welt erschaffen haben. Wir fragen uns, was der sogenannte technologische Fortschritt mit uns macht und wie er auf uns als Gesellschaft rückwirkt. Wir sehen uns an, wie Technologie unser tagtägliches Leben prägt, uns als Gemeinschaft zusammenbringt oder auch in mitunter unversöhnliche Fraktionen trennt. Wir fragen danach, welche alten Hierarchien sich in Folge der Entwicklung und Verfügbarkeit neuer Technologien erodieren und welche neuen entstehen, wir fragen, wie all das auf Geschlechterrollen wirkt und wie es um unser Selbstbild und unsere Beziehung zu anderen Lebewesen und zur Natur insgesamt bestellt ist.

Mit „human (un)limited“ wollen wir bewusst machen, dass wir alle zwar ständig über Technologie, in Wahrheit aber über uns selbst reden. Wir sind es, die Technologie hervorbringen, sie mehr oder eben weniger sinnvoll zum Einsatz bringen, dadurch unser Leben, unsere Einstellungen und Bedürfnisse, kurz unsere Kultur verändern und wiederum Technologie erschaffen, die erneut auf uns zurückwirkt und so weiter und so fort. Künstlerinnen und Künstler begleiten und hinterfragen genau diesen Prozess. Sie halten uns den Spiegel vor, machen uns bewusst, in welche Richtung wir unterwegs sind und was wir auf unserem Weg übersehen, weil wir mitunter blindlings auf noch mehr Gewinn oder Macht versprechende Ziele zu rennen.

Die Künstlerin hinterfragt die zunehmend konstante Beobachtung und detaillierte Auswertung unseres täglichen Verhaltens in „Post Factory-Era“, LIN Yangfan

Diese Auseinandersetzung findet an drei Orten gleichzeitig statt. Was macht dies so besonders?

Martin Honzik: Richtig, „human (un)limited“ ist gleichzeitig in Peking, Seoul und Moskau zu erleben. Thematisch unterscheiden sich die jeweiligen Präsentationen überhaupt nicht, sprich, sie gehen alle derselben Fragestellung nach. Aber genau hier wird es spannend, weil die Künstlerinnen und Künstler aus China, Südkorea, Russland und dem Westen und damit aus völlig unterschiedlichen Kulturen stammen. Sieht man sich die einzelnen Projekte an, zeigen sich sowohl idente, als auch völlig unterschiedliche Perspektiven.

Ars Electronica EXPORT gestaltet ja Ausstellungen in aller Welt. Wie sind eure Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit lokalen Künstlerinnen und Künstlern?

Martin Honzik: Nun, es ist nicht immer einfach, weil die Dinge halt an jedem Ort anders laufen und Kommunikation zwischen Menschen grundsätzlich ein schwieriges Unterfangen ist – um das zu erleben, braucht man aber nicht erst ein Projekt in einer anderen Zeitzone umzusetzen! Jedenfalls ist die Zusammenarbeit mit Menschen in anderen Ländern und Kulturen genau wegen all der Unterschiedlichkeiten so spannend und bereichernd – und ein echtes Privileg, wie ich meine. Es ist immer wieder fantastisch zu sehen, wie sich Menschen in aller Welt für die gleichen Themen und Visionen begeistern und dabei völlig unterschiedliche Perspektiven einnehmen und Zugänge finden. Das Moment der Irritation und das Moment des Verstehens liegen da immer ganz nah beieinander! Genau das ist übrigens auch eine Leitidee bei allen unseren EXPORT-Aktivitäten: Am Beispiel künstlerischer Statements aus aller Welt wollen wir unterschiedliche Lesarten eines Themas gleichberechtigt in Szene setzen und eine breite Öffentlichkeit einladen, sich davon vielleicht erst einmal irritieren, dann aber hoffentlich inspirieren zu lassen. Wir wollen nicht nur zeigen, was die etablierten Leute so machen, sondern deren Werke kombinieren mit den Dingen, die kleine, mitunter aber wegweisende Communities abseits der Hochburgen der Medienkunst tun.

Wenn du das Publikum direkt adressieren könntest, wie würde deine Botschaft lauten?

Martin Honzik: Ich möchte keine Botschaft im Sinne von „Dieses oder jenes sollten wir tun, damit unsere Zukunft besser wird“ senden. Das will auch unsere Ausstellung nicht. Es geht vielmehr darum, sich von Künstlerinnen und Künstlern ein Stück weit helfen zu lassen, die richtigen Fragen zu stellen. Und die haben erstmal gar nicht so viel mit Technologie zu tun – da geht es ganz im Sinne von „human (un)limited“ darum, was wir Menschen eigentlich wollen. Welche Grenzen wollen wir künftig überwinden und welche ganz bewusst nicht? Welche Grenzen engen uns ein, stehen unserer weiteren positiven Entwicklung als Einzelne und als Gesellschaft im Wege? Und welche Grenzen sollten wir eher nicht antasten oder uns überhaupt auferlegen, weil ihr Überschreiten dem- oder derjenigen zwar einen Vermerk in den Geschichtsbüchern, der Allgemeinheit hingegen nicht viel Positives verheißt. Ob als Ausgangs- oder Endpunkt all dieser Überlegungen, Technologie spielt in all diesen Belangen eine bedeutsame Rolle.

Abgesehen davon, dass wir alle also ein bisschen genauer hinhören sollten, was Künstlerinnen und Künstler so von sich geben, wünsche ich mir noch etwas: Dass die Leute am Beispiel der Projekte erkennen, welch ungeheures Potential in der Zusammenarbeit von Menschen unterschiedlicher Disziplinen, Geschlechtern, Ländern, Kulturen und Religionen liegt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diese Zusammenarbeit das einzig tragfähige Fundament für eine friedliche und lebenswerte Zukunft für uns Menschen ist.

Dass alles miteinader verbunden ist und menschliches Wirken nicht an Staatsgrenzen endet, zeigt „Internet of Everything: All Connections“ von Shaun Hu

Stichwort Zusammenarbeit – „human (un)limited ist das bereits zweite große Projekt, das Ars Electronica gemeinsam mit Hyundai Motorstudio macht. Wie schauen eure diesbezüglichen Erfahrungen aus?

Martin Honzik: Klarerweise gibt es da beides, Trennendes und Einendes, und es wär für viele wahrscheinlich naheliegend, würde sich Ars Electronica einer Zusammenarbeit mit Hyundai oder umgekehrt, würde sich Hyundai einem Projekt mit Ars Electronica verschließen. So weit, so überholt, wie ich finde. Der Grund dafür ist vielleicht nicht bequem, dafür aber einleuchtend: Erhebt man den Anspruch, die Digitale Revolution nicht nur zu beobachten und damit passiv zu erdulden, sondern will man sich aktiv einmischen und einen möglichst breiten gesellschaftlichen Diskurs anzustoßen, muss man dorthin gehen, wo der technologische Fortschritt vorangetrieben wird: in Wirtschaft und Industrie. Wie eben erwähnt, bin ich davon überzeugt, dass wir die Dinge nur gemeinsam in eine bessere Richtung lenken können. Das gilt auch und vor allem für Projekte wie jenes, das wir nun gemeinsam mit Hyundai umsetzen. Wir sehen uns als gleichberechtige Partner, die beide einen positiven Beitrag zu unserer Zukunft leisten wollen. Das bedeutet nicht, dass es dabei keine Meinungsverschiedenheiten geben würde, es ist aber auch kein Naturgesetzt, dass eine Kunst- und Kultureinrichtung wie Ars Electronica nicht mit einem Konzern wie Hyundai zusammenarbeiten kann oder darf. Im Gegenteil, gerade weil wir unterschiedliche Welten oder Zugänge repräsentieren, ist das Gespräch ja auch so wichtig und sinnvoll – wären wir mit Hyundai in allen Dingen einer Meinung, würde ich mich offen gesagt, um die Zusammenarbeit mit einem anderen Konzern bemühen! Meine Erfahrung mit Hyundai ist aber vor allem die, dass hier große Bereitschaft und Offenheit herrscht, sich mit kritischen und unbequemen Positionen auseinanderzusetzen – das sei an dieser Stelle klipp und klar benannt und anerkannt!

Eine Objekterkennungs-Software zur Lokalisierung z.B. illegaler Munition ist „VFRAME: Visual Forensics and Metadata Extraction“ von Adam Harvey & Josh Labouve

Martin Honzik ist Künstler und Leiter des Bereichs Festival/Prix/Exhibitions bei Ars Electronica. Er absolvierte das Studium für visuelle, experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz (Abschluss 2001) wie auch den Master Lehrgang für Kultur- und Medienmanagement der Johannes Kepler Universität Linz und ICCM Salzburg (Abschluss 2003). Von 1998 bis 2001 war er Teil des Produktionsteams im OK Offenes Kulturhaus im OÖ Kulturquartier und wechselte 2001 zum Ars Electronica Futurelab, wo er bis 2005 in den Bereichen Ausstellungsdesign, Kunst am Bau, Interfacedesign, Eventdesign und Projektmanagement tätig war. Seit 2006 ist Martin Honzik Leiter des Ars Electronica Festivals, des Prix Ars Electronica wie auch der Ars Electronica Center Ausstellungen und der internationalen Ausstellungsprojekte der Ars Electronica.

,