Gewaltig, fesselnd und mystisch sind die ersten drei Assoziationen, die Hans Thurner zu Grönland einfallen. Der Berg- und Skiführer, Fotograf, Vortragsreferent und Buchautor ist seit vielen Jahren in der ganzen Welt unterwegs, seit 2016 hat er insgesamt bereits fünf Monate in Grönland verbracht. Am 29. November ist er für einen Deep Space Spezial Vortrag im Ars Electronica Center zu Gast und wird mithilfe der einzigartigen Umgebung dieses Raumes nicht nur die Landschaft Grönlands, sondern auch die Menschen, diese außergewöhnliche, im Wandel befindliche Gesellschaft nach Linz bringen. Wir haben ihn vorab gebeten, unsere Vorstellungen von Grönland zu korrigieren, zu ergänzen und uns zu erzählen, was das Publikum kommenden Freitag erwartet.
Was erwartet die BesucherInnen beim Deep Space Spezial Vortrag „Abenteuer Grönland“?
Hans Thurner: Ein Gesamtbild von Grönland, wie es die meisten nicht erwarten werden! Die BesucherInnen sind ob der riesigen Leinwand „mittendrinnen“ in den Geschichten und Erlebnissen, untermalt mit Originaltonaufnahmen grönländischer Musiker. Die Fotos und Filme werden live kommentiert.
Sie sagen in der Ankündigung Ihres Vortrags, dass Grönland viel mehr ist, als „Eis und Schnee“. Was bzw. wie ist Grönland?
Hans Thurner: Viele haben von der größten Insel der Welt nur eine vage Vorstellung, zum Beispiel, dass dort außer Eis und Schnee kaum Leben existiert. Dabei sind die besiedelten Küstenregionen im Westen, Süden und Osten des Landes geprägt von mehreren kleineren und größeren Dörfern. In Tasiilaq zum Beispiel, der größten Siedlung an der Ostküste, wohnen ca. 2.500 Menschen. Es gibt zwei Supermärkte, ein Krankenhaus, eine Schule, einen Kindergarten. Gleich hinter den letzten Häusern der Siedlung kann man in das sogenannte „Blumental“ hinein wandern. Im Sommer blühen hier dutzende verschiedene Blumenarten. Im Süden des Landes wird sogar Landwirtschaft betrieben, wenn auch in bescheidenem Ausmaß, sowie Viehwirtschaft mit Schafen. In der Hauptstadt Nuuk an der Westküste leben 18.000 Menschen. Hier befindet sich auch das Parlament und seit zehn Jahren sogar eine Universität.
Wie unterscheidet sich die Gesellschaft in Grönland von unserer? Und was können wir voneinander lernen?
Hans Thurner: Früher waren die GrönländerInnen ausschließlich Jäger. Sie mussten sich den arktischen Wetter- und Eisverhältnissen perfekt anpassen, um überleben zu können. Geblieben ist ihnen bis heute eine bewundernswerte Gelassenheit, was beispielweise den Umgang mit wetterbedingten Zeitverzögerungen betrifft. Sie wirken überhaupt nicht gestresst. Man kann die GrönländerInnen auch als ein sehr friedliebendes Volk bezeichnen, da sie nie einen Krieg geführt haben. Fremden begegnen sie mit einer vorurteilsfreien Offenheit. Stark ausgeprägt war und ist teilweise noch immer der Familienzusammenhalt, der ein Überleben in früheren Zeiten erst möglich machte. Heutzutage vollzieht sich jedoch ein tiefgreifender Wandel in der Gesellschaft der Überlebenskünstler. Die Jagdkultur hat ihren Stellenwert verloren und die moderne Welt ist mit einem rasanten Tempo bis in die hintersten Winkel der Dörfer vorgedrungen. Das bringt neben vielen Vorteilen leider auch eine Menge sozialer Probleme, wie eine hohe Arbeitslosigkeit und Alkoholsucht. Gleichzeitig ist eine Aufbruchsstimmung spürbar, vor allem unter den jungen Menschen, die mit einer gewissen Selbstverständlichkeit alte Traditionen wertschätzen und sie mühelos mit modernen Lebensformen verbinden.
Bei der Ars Electronica geht es um „Kunst – Technologie – Gesellschaft“. Über den letzten Punkt haben wir gerade gesprochen, welche Rolle spielt die Technologie in einem Land wie Grönland, das scheinbar von der Natur regiert wird?
Hans Thurner: Technologie spielt – wie in jedem entwickelten Land der Erde – natĂĽrlich auch in Grönland eine immer größere Rolle. Sei es in der Kommunikation, im Transportwesen, in der Versorgung, der Administration, etc.. Die Grönländer gehen aber vielleicht entspannter damit um, wenn zum Beispiel im Flug- und Schiffsverkehr „nichts weitergeht“, weil die Natur in Form von Starkwind, Nebel und Packeis „alles stillstehen“ lässt. Und das manchmal tagelang, im Sommer wie auch im Winter.
Was hat Sie am meisten beeindruckt, was ist bei Ihnen am prägendsten in Erinnerung geblieben und wie hat sich Ihre Einstellung zu Grönland verändert?
Hans Thurner: So viel an Weite, Größe und Klarheit in einer Landschaft wie in Grönland findet man selten. Das beeindruckt praktisch jeden, der nach Grönland reist, und hinterlässt prägende Eindrücke!
Die zunehmende Klimaerwärmung und die damit verbundenen Veränderungen lassen den Blick auf Grönland jedoch zusehends differenzierter werden. Die zurückziehenden Gletscher eröffnen wahrscheinlich in nicht so ferner Zukunft den Abbau riesiger Rohstoffmengen. Der Rückgang des arktischen Meereises macht Grönland für den Schiffsverkehr leichter zugänglich, wodurch sich neue Chancen für internationalen Handel ergeben. Hingegen wird es für die grönländischen Jäger deutlich schwerer, ihre traditionellen Jagdpraktiken z. B. per Hundeschlitten durchzuführen, was wiederum zum Verlust eines wichtigen Bestandteils grönländischer Kultur und Identität führt. Die große Frage ist, wie die Grönländer mit diesen Veränderungen und Herausforderungen umgehen werden und ob sie es schaffen, sich zu einem selbstbestimmten Staat zu entwickeln oder ob sie zum Spielball der Großmächte werden.
Hans Thurner konnte seinen Lebenstraum verwirklichen und die Faszination, die Berge, Reisen, aber auch die Fotografie auf ihn ausübten, zu seinem Beruf machen. Die Kamera begleitet ihn seit jeher und hilft ihm, die flüchtigen Augenblicke seiner Begegnungen mit Natur und Mensch festzuhalten. Er gehört zu den bekanntesten Referenten in der professionellen Vortragsszene. Dabei nimmt er sein Publikum mit auf seine „visionären Reisen“ voll geografischer und kultureller Vielfalt. Seine Multivisionsvorträge wurden mehrfach prämiert. Heute arbeitet er als Berg- und Skiführer, Fotograf, Vortragsreferent und Buchautor. Als Kenner der österreichischen und internationalen Bergwelt, renommierter Ausbildner und versierter Reiseleiter hat er sich bereits seit langem einen Namen gemacht.
Das Ars Electronica Center lädt jeden Donnerstag, 19:00, zu einem „Deep Space LIVE„. Hochauflösende Bildwelten im Format von 16 mal 9 Metern treffen dabei auf fachkundigen Kommentar, unterhaltsame Doppel-Conférencen und musikalische Improvisation.
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