Christine Schöpf: „40 Jahre sind genug!“

cs1_c_rob_2020 (1), Prix Ars Electronica 2020, photo: Ars Electronica / Robert Bauernhansl

40 Jahre lang hat Christine Schöpf Ars Electronica begleitet, seit der Gründung im Jahr 1979. Als „Mutter“ des Prix Ars Electronica, des renommiertesten Medienkunstpreises der Welt, war sie von 1987 bis 2003 maßgeblich an der Konzeption und Organisation des Wettbewerbs beteiligt. Von 1996 weg war Christine Schöpf gemeinsam mit Gerfried Stocker für die künstlerische Leitung des Ars Electronica Festival verantwortlich. Die Betonung liegt auf „war“, denn jetzt, anlässlich der Verkündigung der GewinnerInnen des Prix Ars Electronica 2020, hat sie eröffnet, dass sie sich von den offiziellen Ämtern zurückziehen wird. „40 Jahre sind genug“, sagt sie. Wir sagen danke, Christine, für deinen unermüdlichen Einsatz und haben sie zu einem sehr persönlichen Interview gebeten.

Christine, du hast vorhin gesagt, „40 Jahre sind genug“ und du möchtest nicht „wie ein Muppet vom Balkon werden“. Wieviel Wehmut ist trotzdem dabei, wenn du dich jetzt offiziell verabschiedest von deinen Ämtern?

Christine Schöpf: Ich hab‘ mir heute schon gedacht, als die GewinnerInnen-Projekte des Prix präsentiert wurden: „Es war schön, die Jurysitzungen waren schon immer spannend.“ Wobei ich mir nicht sicher bin, wie ich mit der Online-Situation umgegangen wäre. Eine Jury hat ihre ganz eigene Dynamik, und es ist natürlich auch so, dass man manchmal steuernd eingreifen muss – das ging in diesem Fall überhaupt nicht. Aber trotzdem ist dieses „Durch-die-Projekte-durchackern“, die Jurysitzung selbst, das Funktionieren der Jury, die Chemie zwischen diesen fünf Menschen zu sehen… – das ist immer spannend gewesen. Natürlich ist damit eine gewisse Wehmut verbunden.

Als die Ars Electronica 1979 begonnen hat und jetzt, mehr als 40 Jahre später, wie hat sich damals die Stimmung unterschieden? Wo stehen wir jetzt?

Christine Schöpf: Man kann es nicht vergleichen! Es war damals wirklich viel, viel kleiner. Es gab weniger Projekte. Es waren total interessante Symposien, aber es war alles sehr exklusiv und fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Öffentlichkeit einzubinden, das war Hannes Leopoldseders Idee hinter der Klangwolke. Zur ersten Klangwolke kamen dann die LinzerInnen – und zwar gar nicht so wenig. Es hat sich schrittweise weiterentwickelt, der Prix hat das Ganze natürlich dann ziemlich vergrößert und auch die TeilnehmerInnenschaft vergrößert und international gemacht. Der nächste Schritt war zweifelsohne als Gerfried Stocker kam und das Ars Electronica Center gebaut wurde. Das brachte neue Programmpunkte, die die jungen Leute ansprachen, zum Beispiel Computerspiele.

Ich kann mich noch an eine witzige Begebenheit erinnern, damals im Brucknerhaus: Da war im Foyer ein großer Tisch aufgebaut, und da saßen junge KünstlerInnen, HackerInnen, die haben dort Gaming gemacht, und die alten Ars Electronica Hasen haben sich vorbeigeschlichen, es war ihnen ganz fremd. Das war irgendwie witzig. Das war ein nächster Schritt, ein Generationenwechsel. Und dazu kamen dann immer wieder neue Dinge: Ars Electronica Export brachte den internationalen Aspekt ein, Ars Electronica Solutions oder was das Futurelab macht – das waren alles wichtige Entwicklungsschritte! Besonders dass es das Futurelab gibt, freut mich. Wir haben uns damals in endlosen Sitzungen zum neuen Ars Electronica Center beraten. Ich habe immer insistiert: Es muss so eine Werkstatt, eine Forschungseinrichtung kommen, sonst bleibt das Ganze stehen. Der damalige Kulturstadtrat, Reinhard Dyk, hat das witzigerweise aufgenommen und immer wieder insistiert, dass es das geben wird. Darum war das Futurelab von Beginn an dabei – und es ist so wichtig fürs Haus, fürs Festival, für alles. Da freue ich mich immer noch sehr darüber!

Prix Ars Electronica 2015, photo: Tom Mesic

Was waren deine schönsten Erlebnisse in den vergangenen Jahren? Woran erinnerst du dich immer wieder gerne, welche Geschichten erzählt man sich immer wieder gerne?

Christine Schöpf: Ein Erlebnis, an das ich immer denken muss: Wir sind zu einer Probe der ersten Klangwolke gefahren. Als wir beim Hotel ausgestiegen sind, auf dem Weg zum Donaupark, hat man schon die Musik gehört. Es war so unglaublich schön, mitten in der Landschaft, mitten im Donaupark, die Musik zu hören! Das war ein unvergleichlicher Eindruck, den ich sicher nicht vergessen werde. Das war ganz, ganz besonders schön.

Dann fällt mir noch etwas ganz Anderes ein. Wir haben in den Neunzigerjahren VR als Festivalthema gemacht. Ich war fest davon überzeugt, dass es das Thema des Jahres ist. Peter Weibel, damals künstlerischer Direktor des Brucknerhauses, war überhaupt nicht dafür. Das war mir aber wurscht, ich wollte es trotzdem machen. Sie haben es dann aber doch gemacht und es wurde eine tolle Konferenz. Es waren wirklich alle da, die in dem Bereich Rang und Namen hatten, wie etwa Brenda Laurel oder Scott Fisher. Timothy Leary wollte ich unbedingt haben, da er zu dieser Zeit relativ viel über VR fantasiert hat. Durch eine Bekannte, eine Amerikanerin, habe ich seine Telefonnummer gekriegt und nach etlichen Versuchen hat es geklappt: Er hat zugesagt. Super! Dann ist aber relativ kurz vor der Ars Electronica seine Tochter gestorben. Er ist aber trotzdem gekommen und ich muss sagen, die Gespräche mit ihm, der so oft missverstanden wurde und als Drogenpapst abgestempelt wurde, waren einmalig. Er war so ein kluger Mensch und es war so interessant, was er erzählt hat, ich hätte ihm tagelang zuhören können! Das war ein bleibendes Erlebnis!

Prix Ars Electronica 2016, photo: vog.photo

Das wäre meine nächste Frage gewesen, ob ausgehend von Ars Electronica für dich auch privat Freundschaften mit KünstlerInnen oder mit WissenschaftlerInnen entstanden sind? Gibt es jemanden, der dich seitdem begleitet?

Christine Schöpf: Jetzt erzähle ich dir was! Hannes Leopoldseder hat im März seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert. Im Zuge dessen habe ich Ars Electronica Menschen, die wir sehr schätzen, eingeladen, Videos mit einer Grußbotschaft zu schicken. Alle haben das ausnahmslos gemacht!

Da war zum Beispiel Bill Buxton, der Hauptforscher bei Microsoft ist, Chris Breglar, der mittlerweile Wissenschaftler bei Google ist, oder Rick Sayre von Pixar, ebenso wie der Medienpionier Joachim Sauter… Du hast bei allen Freundschaft gespürt. In meiner Korrespondenz und in den Antworten habe ich eine tiefe Freundschaft gespürt. Eine tiefe Verbundenheit und sehr viel Respekt voreinander.

Prix Ars Electronica 2017: Christine Schöpf and David OReilly, photo: vog.photo

Es hat sicher auch Schwierigkeiten und harte Momente gegeben, gerade am Anfang. Woran erinnerst du dich speziell? Welche großen Schwierigkeiten konntet ihr überwinden?

Christine Schöpf: So richtig angestanden sind wir nie. Es war sicher die Konstellation nicht ganz einfach. Ars Electronicas Veranstalter waren der ORF und das Brucknerhaus. In den ersten Jahren waren dort Horst Stadlmayer und Ernst Kubin die Direktoren, das war eine sehr angenehme Zusammenarbeit. Es hat wirklich super funktioniert. Unter Karl Gerbel, der ein guter Direktor war, aber, der den ORF unbedingt draußen haben wollte, gab es dann Reibereien zwischen den Alphatieren Gerbel und Hannes Leopoldseder.

Und dann ging es so aus, dass wir uns auf die Computerkultur gesetzt haben und Weibel mehr in Richtung Avantgarde gehen wollte. Das wollte ich nicht, da gab es ja schon den Steirischen Herbst in Graz und da wären wir immer Zweiter gewesen. Aus dem heraus hat sich dann der Prix Ars Electronica entwickelt.

Der Prix ist entstanden, weil Herbert W. Franke mit jemandem von Siemens an uns herantrat, weil sie etwas Modernes sponsern wollten, um ihr Image zu verjüngen. Und wir haben dann überlegt und überlegt. Und schließlich hat Hannes Leopoldseder gesagt, wir machen einen Preis. Viele haben gesagt, sie würden sich nicht an einem Wettbewerb beteiligen. Aber wie man sieht: Das Gegenteil war der Fall.

Prix Ars Electronica 2017, photo: Ars Electronica / Robert Bauernhansl

Wenn du deinem jüngeren Ich aus der jetzigen Perspektive einen Ratschlag geben könntest, welcher wäre das?

Christine Schöpf: Halte immer die Augen offen, die Ohren offen, und bleib neugierig, immer wieder neugierig! Und halte durch!

Worauf freust du dich jetzt besonders, in deiner Ars Electronica Pension?

Christine Schöpf: Im Publikum zu sitzen bei der Gala, ganz ohne Anspannung, das wird schon schön, darauf freue ich mich. Es ist jetzt einfach wesentlich entspannter. Aber wenn Not an der Frau ist würde ich natürlich einspringen!

Prix Ars Electronica 2019, photo: vog.photo

Du hast in deinem Statement vorher bereits von dem Führungsteam gesprochen, dem du voll und ganz vertraust weil sie eine ausgezeichnete Arbeit machen. Möchtest du den jetzigen ProjektleiterInnen trotzdem noch einen Ratschlag mit auf den Weg geben?

Christine Schöpf: Die machen ihre Sache eh so gut! Ich habe aber immer sehr viel Wert auf die Jury gelegt. Ich wollte immer eine Jury, die sich aus verschiedenen Kompetenzen zusammensetzt. Und ich wollte eigentlich die Leute persönlich kennen, beziehungsweise jemanden haben, den ich von jemand Vertrautem empfohlen bekommen habe. Es ist wahnsinnig wichtig, wie in einer Jury die Chemie stimmt. Wenn die nicht stimmt, bekommst du kein gutes Ergebnis. Das möchte ich den Verantwortlichen auch mitgeben.

Seit 1979 wirkt Christine Schöpf (AT) maßgeblich an der Entwicklung von Ars Electronica mit. Zwischen 1987 und 2003 war sie federführend an der Konzeption und Organisation des Prix Ars Electronica beteiligt und ist seit 1996 gemeinsam mit Gerfried Stocker für die künstlerische Leitung des Ars Electronica Festival verantwortlich. Christine Schöpf studierte Germanistik und Romanistik und war anschließend als Radio- und Fernsehjournalistin tätig. Von 1981 bis 2008 leitete sie das Kultur- und Wissenschaftsressort des ORF Oberösterreich. Seit 2009 ist Christine Schöpf Honorarprofessorin der Kunstuniversität Linz.

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